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Steven Spielberg

"Fang bloß nicht an zu denken!"


Steven Spielberg beim Dreh seines neuen Films „Gefährten“ (Andrew Cooper/dapd)

Ist die Zukunft des Kinos seine Vergangenheit? Der Regisseur über Arbeitswut, Pferde als Hauptdarsteller und seinen Weltkriegsfilm "Gefährten"

Steven Spielberg hat Filme über nette Au­ßer­ir­di­sche und peit­schen­knal­lende Ar­chäo­lo­gen gedreht. Und nun ein Pferd in der Hauptrol­le? Steven Spielberg ließ mit "Jurassic Park" die digitale Ära beginnen. Und ver­zich­tet bei "Ge­fähr­ten" auf alle Com­pu­ter­tricks? Was reitet den Magier von Hol­ly­wood? Und wie schafft er es, in fünf Jahren 25 Filme unter seinen Hut zu kriegen?

Mr Spiel­berg, Sie können sich die Rechte an jedem Stoff leisten, den es auf der Welt gibt. Warum wählen Sie eine Ge­schichte mit einem Pferd in der Hauptrol­le?

Steven Spiel­berg: Kathy Kennedy, meine lang­jäh­rige Pro­du­zen­ten­part­ne­rin, hat mir davon erzählt. Ich habe mir das Buch von Michael Morpurgo besorgt - und es re­gel­recht ver­schlun­gen.

Das Buch ist in der ersten Person erzählt, aus der Sicht des Tieres. Klang das nicht ein bisschen wie diese alten Hol­ly­wood-C-Filme über "Francis, den spre­chen­den Esel"?

Ich wollte ga­ran­tiert keinen Film über ein spre­chen­des Pferd machen und auch keinen mit einem Pferd als Erzähler. Aber es war in­ter­essant, wie Morpurgo sich in den Kopf des Tieres ver­setz­te. Ich halte jedes Jahr an der Uni­ver­sity of Southern Ca­li­for­nia einen Vortrag vor 500 Stu­den­ten, und der Moderator begann diesmal mit der Fest­stel­lung, er komme gerade aus London und habe dort ein Thea­ter­stück gesehen, das nach einer Ver­fil­mung durch mich geradezu schreie: "War Hor­se/­Ge­fähr­ten".

Und nun flogen Sie ebenfalls nach London...

... und ich sah das Stück und flennte, und meine Frau flennte noch mehr. Ich sah sie an und sagte: "Eine wun­der­volle Ge­schich­te! Den Film werde ich machen."

Sie hatten davor schon Filme über den Zweiten Weltkrieg gedreht, aber noch keinen über den Ersten. Worin liegt für Sie der Un­ter­schied?

Dies sollte ein Fa­mi­li­en­film werden, im Un­ter­schied zu den hoch­au­then­ti­schen "Schind­lers Liste" und "Der Soldat James Ryan". Ich musste also aus dem Inneren des Krieges kommen, ohne die schreck­li­che Bil­der­welt. Die zweite große Her­aus­for­de­rung lag darin, dass die Ge­schichte davon handelt, wie Pferde in diesem Krieg über­flüs­sig werden, weil neue Tech­no­lo­gien sie ersetzen: Panzer, Gas­bom­ben, Flug­zeu­ge. Hunderte von Jahren stand das Pferd in der ersten An­griffs­li­nie, und Attacken mit ihm waren ge­fürch­tet. Nun wurde es binnen ein, zwei Jahren praktisch wertlos. Das einst so stolze Ka­val­le­rie­pferd war plötzlich nur noch Las­ten­trä­ger, und Millionen wurden ge­schlach­tet oder ver­speist. Aber keine Angst, das zeige ich nicht.

Wenn das Pferd, im Film Joey genannt, so wichtig war: Wie castet man ein Pferd?

Ich habe meinen Pfer­de­flüs­te­rern voll vertraut, und sie haben Finder aus­ge­sucht, der vor einigen Jahren schon in "Sea­bis­cuit" die Hauptrolle spielte. Sie hatten nicht lange Zeit zum Training, nur ungefähr fünf Monate.

Jeremy Irvine, der Dar­stel­ler des Jungen, der dem geliebten Pferd in den Krieg folgt, hatte vorher nur etwas Ama­teur­thea­ter und ein wenig Fernsehen gespielt. Das war ein Casting, nehme ich an, das Sie selbst überwacht haben.

Aber sicher. Ich habe schon einer ganzen Reihe von Kindern ihre erste Chance ver­schafft, Christian Bale, Drew Bar­ry­mo­re, Josh Brolin. Kinder lernen schnell und werden schnell zu Profis, beinahe zu schnell. Bei Jeremy brauchte es nur eine Woche, dann verzog er sich schon in eine Ecke, um sich auf die nächste Szene zu kon­zen­trie­ren. Ich ging dann zu ihm und forderte ihn auf: "Fang nicht an zu denken, bereite dich bloß nicht vor. Komm einfach auf das Set!"

Ihr Konzept sah einen wei­test­ge­hen­den Verzicht auf digitale Tricks vor. Das ist heut­zu­tage ein schon beinahe kühnes Konzept.

In vielen Szenen habe ich mich einfach auf die In­tel­li­genz von Finder ver­las­sen. Deshalb gibt es keine Ex­trem­si­tua­tio­nen, die man einem digitalen Pferd zugemutet hätte, aber keinem aus Fleisch und Blut. Das Wich­tigste sind Joeys Augen: Wen sieht er an, und wie sieht er ihn an? Die Emotionen dieser Ge­schichte kommen aus den Augen, nicht aus den Stunts. Es geht um Au­gen­kon­takt, und das ist viel intimer, als man es von einer Kriegs­ge­schichte erwarten würde.

Sie haben in den ver­gan­ge­nen fünf Jahren vier Kinofilme gedreht, das ist normal. Aber in der gleichen Zeit fun­gier­ten Sie auch als Produzent von mehr als zwanzig Spiel-und Fern­seh­fil­men. Das ist ungeheuer viel, fast be­un­ru­hi­gend viel. Warum diese Hy­pe­rak­ti­vi­tät?

Das ist für mich überhaupt nichts Neues. Ich habe schon als Kind immer mehrere Dinge parallel getan. Und kaum hatte ich meine ersten eigenen Filme in­sze­niert, begann ich zu pro­du­zie­ren, damals das Debüt meines alten Freundes Robert Zemeckis. Re­gie­füh­ren, das gebe ich zu, be­frie­digt mich viel mehr als Pro­du­zie­ren. An­de­rer­seits liebe ich es, Talenten eine Chance zu ver­schaf­fen. Das ist letztlich der Grund für die Existenz von Dre­am­Works. Mimi Leder hat zum Beispiel für uns "E­mer­gency Room - Die Not­auf­nah­me" pro­du­ziert, und ich be­wun­derte ihre Arbeit, also gab ich ihr die erste Chance im Kino mit "Project: Pe­a­ce­ma­ker" mit Clooney und Kidman. Oder ich sah im Londoner West End eine wun­der­volle In­sze­nie­rung des Musicals "Oliver" durch Sam Mendes und habe ihm daraufhin seinen ersten Kinofilm "American Beauty" an­ge­bo­ten.

Wie halten Sie den Geld­men­schen und Or­ga­ni­sa­tor, der ein Produzent nun einmal auch sein muss, und den Künstler in sich in der Balance?

Daran denke ich überhaupt nicht. Mein größter Ba­lan­ce­akt besteht darin, wie ich Filme machen und gleich­zei­tig ein guter Vater von sieben Kindern sein kann. Vor allem wenn die Kinder größer werden und ihren eigenen Kopf bekommen.

Sie haben sieben Kriegs­filme gedreht, mehr als in jedem anderen Genre. Mit welchem würden Sie die "Ge­fähr­ten" am ehesten ver­glei­chen?

Ich glaube, dass ich noch nie einen Film dieses Stils gedreht habe. Aber ich wage einen Ver­gleich: Was die Stimmung angeht, habe ich mich an John Ford ori­en­tiert, an "Der Sieger" oder "Der Ver­rä­ter". Auch "Ge­fähr­ten" handelt viel von dem Charakter des Landes, in dem er spielt, und das war immer die Domäne von Ford, dem das Land so wichtig war wie die Ge­schich­te, ob im Monument Valley oder in Irland. "Ge­fähr­ten" war die wohl einzige Chance, die wun­der­bare Land­schaft von Dartmoor und Devon in einem meiner Filme un­ter­zu­brin­gen.

Versuchen Sie bewusst, sich nicht zu wie­der­ho­len?

Das ist keine bewusste Ent­schei­dung. Ich habe mir vor "E.T." nicht überlegt, dass ich nur ein paar Jahre zuvor mit "Un­heim­li­che Begegnung der dritten Art" bereits einen anderen Film über Au­ßer­ir­di­sche gedreht hatte. Die "E.T."-Idee war mir sogar am Set von "Be­geg­nung" gekommen. Man kann über Ideen auch zu lange nach­den­ken. Für all meine Filme gilt: Es hat immer eine Million Gründe gegeben, jeden einzelnen von ihnen nicht zu machen.

Man sagt von Spiel­berg-Fil­men, sie ver­zau­ber­ten ihr Publikum. Welche Filme ver­zau­bern Sie?

Als ich "Avatar" sah, habe ich mich wieder wie ein Zwölf­jäh­ri­ger gefühlt. Ich dachte, ich fliege mit den Na'vi. Einen solchen Film, der mich für zwei­ein­halb Stunden in meine Kindheit zu­rück­ver­setzt, hatte ich jahrelang nicht gesehen. Ich war zwar am Set gewesen, aber als ich bei der Team­pre­miere die 3-D-Brille auf­setz­te, hatte ich keine Ahnung, was mir be­vor­stand. Das war mir zuletzt mit "Krieg der Sterne" passiert.

Leben wir an der Wende zu einer völlig neuen Ära des Kinos?

Was sich nie ändert, ist die Wich­tig­keit einer guten Ge­schich­te. Alles andere ist ein Werkzeug, mit dem diese Ge­schichte erzählt wird, und auch 3-D ist ein Werkzeug aus dieser Kiste. Es stellt den Re­gis­seu­ren eine neue Wahl­mög­lich­keit zur Ver­fü­gung, wie in den 40er-Jah­ren, als zum Schwarz-Weiß die Farbe hinzukam. Oder wie in den Fünf­zi­gern: Drehen wir in Ci­ne­mas­cope oder auf Nor­mal­brei­te? Oder wie in den Neun­zi­gern bei "Jurassic Park": Mache ich die Saurier mit dem bewährten Stopp­trick-Ver­fah­ren, oder gehe ich das große Risiko ein, com­pu­ter­ge­ne­rierte Saurier zu ver­wen­den? Wenn ich etwas gelernt habe, dann dies: Man sollte nie einen Film mit der einzigen Absicht drehen, ein neues Werkzeug zur Schau zu stellen.

Das Interview führte Hanns-Georg Rodek. Es wurde am 29. Januar 2012 veröffentlicht.

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