Читать книгу Die besten Interviews aus der WELT und WELT am SONNTAG - Группа авторов - Страница 6
ОглавлениеGiorgio Armani
"Ich bin Mitarbeiter von Giorgio Armani"
Fashion Designer Giorgio Armani umringt von seinen Models (Luca Bruno/AP/dapd)
Der Gründer und Besitzer eines der berühmtesten Modehäuser ist jetzt 77 Jahre alt. Er ist immer noch sehr streng mit sich selbst - dazu gehört auch, dass er tatsächlich schon über die Nachfolge nachdenkt
Paris, die Haute-Couture-Schauen im Frühjahr 2012: Keine "Privé"-Robe schwebt über den Laufsteg, ohne dass Giorgio Armani genickt hat. Überhaupt ist er über jedes Detail in seiner Multimillionen-Weltmarke informiert. Der Italiener ist einer der letzten großen Modeschöpfer, denen nicht nur der berühmte Name, sondern das ganze Unternehmen persönlich gehört. Inmitten des Backstage-Bereich im Grand Palais, zwischen Kleiderständern und Runway-Ordnung, ist ein kleiner Container aufgebaut, alles in Schwarz gehalten, auf dem Tisch stehen prächtige weiße Rosen. Giorgio Armani kommt rein und gleich zur Sache, also ins Gespräch. Er hat keine Zeit zu verlieren. Auch weil er dadurch Zeit für Auszeiten gewinnt. Das hat er verinnerlicht, seit eine schwere Hepatitis ihn Anfang 2009 schwer zeichnete. Doch längst sieht Signore Armani tatsächlich wieder aus wie auf den vielen Fotos: braun gebrannt und fit. Er ist freundlich und konzentriert, trägt, klar, ein nachtblaues Langarm-Shirt. Im Container ist es sehr warm. Mitten im Gespräch - er spricht fließend Französisch - gibt er fast unmerklich ein Zeichen; ihm fiel auf, dass ich kein Wasser hatte. Wie gesagt: jedes Detail zählt.
Was halten Sie von der Mode von heute?
Giorgio Armani: Sie ist zu oft zur reinen Kommunikation geworden und lässt dabei die Kleider in den Hintergrund treten oder kreiert Kleider, die mit der wirklichen Welt wenig zu tun haben. Ich glaube nicht, dass dies langfristig förderlich ist, weil man so Gefahr läuft, dass das Publikum sich entfernt. Ich habe stets meinen eigenen Weg verfolgt, in der Überzeugung, dass das Kleid Ausdruck einer Haltung ist. In meiner Welt ist die Ästhetik das Ergebnis von Ethik und Passion. Zu viel Mode richtet sich heute nur an sich selbst oder an die, die sie machen.
Und was ist mit der Haute Couture?
Es hat schon immer Frauen gegeben, die sich durch die Arbeit eines Couturiers hervorheben wollten, der Kleider exklusiv, nach ihren individuellen Maßen herstellt. Denn Frauen lieben es sehr, sich von anderen Frauen zu unterscheiden: "Ich habe dieses Kleid, und du hast es nicht. Ich bin also wer und du nicht." Seit der Erfindung der Couture hat sich daran wenig geändert. Die Couture dient derzeit aber auch dazu, einem Namen Glanz zu verleihen, um Produkte zu verkaufen, die nichts mit Couture zu tun haben. Parfüms, Schmuck. Und auch die Prêt-à-Porter.
Wäre es an der Zeit, auch Männern Haute Couture zu bieten?
Männer brauchen solche Besonderheiten nicht. Sie sind zufrieden, wenn sie einen Anzug in guter Qualität haben. Männer unterscheiden sich voneinander, aber nicht durch ihre Kleidung.
Apropos eitle Männer: Sorgen Sie sich um die wirtschaftliche Situation in Italien?
Es führt zu nichts zu leugnen, dass wir eine Krise durchlaufen. Als Designer und Unternehmer weiß ich, dass diese Momente unvermeidbar sind, doch ich versuche, optimistisch zu sein. Ich vertraue in die Fähigkeiten und den Erfindungsgeist der Italiener: Wir sind ein Volk, das es versteht, bei Problemen das Beste zu geben.
Sie sind unter anderem der Erfinder des "Celebrity"-Dressings. Inzwischen machen es alle. Fühlen Sie sich kopiert?
Ich habe vor zwanzig Jahren damit angefangen, die Stars zu bekleiden. Aber es gab schon früher Modeschöpfer, die Stars für einen Film angezogen haben. Daraus haben sich freundschaftliche, man könnte sagen von Vertrauen geprägte Beziehungen ergeben. Audrey Hepburn wurde von Givenchy angezogen und wollte das sicherlich auch in ihrem Privatleben. Heutzutage ist das Ganze ein Spektakel geworden. Vor allem geht es ums Geschäft, weil die großen Couture-Häuser möchten, dass eine aufstrebende oder bereits etablierte Filmschauspielerin ihre Kleider trägt, denn dadurch bekommen diese einen symbolischen Charakter: Aus allen Möglichkeiten der Modewelt hat sie eine Wahl getroffen. Die meisten Häuser schließen allerdings mit diesen Frauen einen Vertrag darüber ab, was sie während der Abendveranstaltung der Oscar-Verleihung, bei den Golden Globes oder anderswo werbewirksam tragen. Als ich anfing, gab es diese Verträge nicht.
David Beckham war mit seiner Frau Victoria Ihr Testimonial für eine spektakuläre Unterwäsche-Kampagne. Jetzt entwirft er selbst Unterwäsche für H&M. Stört Sie das?
Überhaupt nicht. Zu David Beckham habe ich eine geschäftliche Beziehung. Er hat sich - fast - nackt ausgezogen, und das muss man bezahlen, weil er einen berühmten Namen hat. Und wir haben dadurch Kunden aus ganz unterschiedlichen Schichten direkt Unterwäsche verkauft. Und jetzt denke ich, dass Beckham mehr und mehr von seiner physischen Schönheit profitiert, und vielleicht geht es sogar auch um persönlichen Stolz.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Nutzt sich die nach all den Jahren nicht mal ab?
Erstens bin ich gezwungen, Neues zu finden. Ich kann nicht sagen: "Nein, ich habe keine Ideen im Kopf, ich sehe nichts um mich herum, ich mache Pause, lasse es." Ich bin gezwungen, Ideen zu haben. Die Ideen kommen oftmals dann, wenn ich ansehe, was ich gemacht habe, wenn ich daran denke, was die Leute von mir erwarten oder daran, was andere machen. Die Gesellschaft hat sich so sehr verändert. Die Quellen der Inspiration ebenfalls. Manchmal kann auch ein Film helfen, ein Buch, Erinnerungen.
Glauben Sie an einen globalen Stil?
Stil ist sicherlich eine globale Sprache, eine Synthese. Natürlich berücksichtige ich beim Entwerfen meine Bezugsmärkte, doch meine Kollektionen sind schon von ihrer Natur her immer sehr gegliedert und in den unterschiedlichen Ländern verkäuflich. Doch auch wenn man die unterschiedlichen Kulturen respektiert, dürfen der Kreativität nie Grenzen gesetzt werden.
Finden Sie Berlin inspirierend?
Ja. Ich kenne Berlin nicht gut, finde es aber eine fantastische Stadt, sehr modern. Unterschiedliche Realitäten treffen hier aufeinander. Man spürt, dass diese Stadt immer wichtiger werden wird. Es ist ein Ort, der mich denken lässt, dass alles möglich ist, man muss sich nur anstrengen, um es zu verwirklichen.
Sie sind ja in jeder Hinsicht Chef im Haus. Und auch noch Besitzer. Ist das ein Auslaufmodell?
Zu meiner Zeit war das möglich. Heutzutage gibt es internationale Organisationen mit viel Macht, die starke Verbindungen zu den Banken und den Börsen haben. Das war damals ganz anders. Ich habe wie andere auch - das gilt besonders für die Italiener - alles innerhalb der Familie gemacht. Das lässt sich so nicht wiederholen.
Kamen Sie je in Versuchung zu verkaufen?
In den 90ern hatte ich eine schwere Zeit. Mein Partner, Sergio Galeotti, der sich im Hause Armani vor allem um organisatorische, finanzielle und ähnliche Fragen kümmerte, starb, und ich musste diese Dinge in die Hand nehmen, weil ich zu dieser Zeit der Einzige war, der das konnte. Ich habe viel gelernt, denn ich konnte ja auf keine Ausbildung in den Bereichen zurückgreifen.
Sie sind offensichtlich wieder in Hochform. Woher nehmen Sie die Kraft?
Ich habe im Sommer lange Urlaub gemacht. Und Weihnachten war ich zum ersten Mal 18 Tage in meinem Haus auf Antigua und habe darauf geachtet, meine Kräfte beieinanderzuhalten. Ich hatte die Arbeit so organisiert, dass das tatsächlich möglich war. Auch die Sonne hilft sehr. Alle um mich herum sind weiß, aber ich bin noch gebräunt, und zwar ohne Solarlampe. Und ich mache jeden Morgen anderthalb Stunden lang Gymnastik. Wenn ich das auslasse, fehlt es mir sehr. Ich pflege meinen Körper gut, denn ich fühle mich verpflichtet, dass die Leute sagen: "Sie sehen gut aus!" Stellen Sie sich vor, sie würden sagen: "Der arme Armani, er wird ein bisschen schwach." (Sein amüsiertes Lachen erklingt.)
Eine Zeit lang gab es ja durchaus Anlass.
Das ist vorbei.
Könnten Sie überhaupt eine Auszeit nehmen?
Ich kann! Aber ich habe nicht die Möglichkeit. Ich muss mich dem System anpassen, das ich selbst persönlich geschaffen habe. Ich bin einer der Mitarbeiter von Giorgio Armani.
Karl Lagerfeld hat gesagt, dass er Mode machen wird, bis er umfällt, bis zum Schluss.
Er hat recht. Aber er hat eine Art von Energie, Mut an sich. Dafür braucht man nur zu sehen, wie er sich anzieht. Können Sie sich vorstellen, dass ich mich so anziehe wie Karl Lagerfeld? Ich denke nein. Und er betrachtet das Leben, seine Arbeit ein bisschen so wie eine Art Theater. Er kleidet sich wie ein Schauspieler, ein Filmcharakter. Bis zum Ende weitermachen - das gehört zu dieser Strategie. Ich dagegen habe eine Art Strenge gegen mich und andere in mir. Ich habe in manchen Momenten Angst, ein bisschen, sagen wir: nicht lächerlich, aber pathetisch zu werden. Davor habe ich Angst. Ich möchte, dass man sich an mich auf eine Weise erinnert, die sich natürlich von der, als ich dreißig war, unterscheidet. Aber die Erinnerungen sollten nicht grotesk sein.
Haben Sie Ihre Nachfolge schon geregelt?
Es gibt Gedanken in Richtung einer Armani-Stiftung, denn niemand ist unsterblich, und man muss an die Zukunft denken
Gibt es jemanden, dem Sie so sehr vertrauen, dass er Ihren Platz einnehmen könnte?
Das Team der Personen, die mich umgeben und an meiner Seite arbeiten und mit mir Tag für Tag Passion und Opferbereitschaft teilen.
Armani darf nicht mit Armani enden?
Ganz genau. "Diese Arbeit macht keinen Sinn" - wenn ich das gedacht hätte, dann hätte ich das Haus schon vor mindestens 20 Jahren verlassen.
Was bedeutet Familie für Sie?
Sie ist das Gleichgewicht, ein Fixpunkt, auf den ich einfach nicht verzichten kann.
Das Interview führte Inga Griese. Es wurde am 19.Februar 2012 veröffentlicht.