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Pragmatik der Aufforderung

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Als Oberbegriff für eine ganze Reihe von direktiven Sprechhandlungen (befehlen, bitten, vorschlagen, abraten …) lässt sich die Aufforderung relativ gut definieren. Schwieriger gestaltet sich die Aufgabe, wenn es darum geht, die Vielfalt ihrer sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten pragmatisch zu erklären.

In der einschlägigen Literatur werden verschiedene Faktoren genannt, die bei der Wahl der Formulierung eine entscheidende Rolle spielen (cf. Weigand 1984; Wunderlich 1984; Herrmann 2003; Graf/Schweizer 2003). So sollte genau darauf geachtet werden, welches hierarchische Verhältnis zwischen den Kommunikationsbeteiligten besteht, ob sie auf Kooperation oder Konkurrenz eingestellt sind, in wessen Interesse die intendierte Handlung ausgeführt werden soll, inwiefern die besagte Handlung einen dringenden, bindenden Charakter hat, ob die Aufforderung explizit an eine bestimmte Person adressiert ist oder sich an ein breiteres Publikum wendet usw. Werden die genannten Faktoren miteinander kombiniert, ergibt sich ein extrem komplexes Bild. Es kann zum Beispiel sein, dass Sprecherin X angesichts ihres Alters oder ihrer sozialen Stellung über eine höhere Position verfügt, die es ihr erlaubt, wenig Rücksicht auf Adressaten Y zu nehmen, und sich trotzdem für eine diplomatischere Vorgehensweise entscheidet, ohne Imperativmodus. Direkte Aufforderungen können nämlich leicht „Reaktanz“, d.h. „aversive Reaktionen“ auslösen (cf. Herrmann 2003: 725) und sind keine Garantie für eine höhere Effizienz. Differenzierte sprachliche Mittel sind umso mehr angesagt, als die Aufforderung für beide Beteiligten ein Risiko bedeutet, schließlich setzen sie ihr „Gesicht“ aufs Spiel:

Bei einer expliziten Aufforderung kann der Sprecher sein Gesicht verlieren, wenn der Adressat ihr nicht folgt; und der Adressat kann sein Gesicht verlieren, wenn er seine Handlungen nicht mehr selbst bestimmt. Daher folgen die Sprecher in der Wahl der Äußerung einer Strategie, die die Effektivität so groß wie möglich und den Gesichtsverlust so niedrig wie möglich macht. (Wunderlich 1984: 112)

Laut Fandrych und Thurmair hat sich sogar das besondere Risiko, das mit diesem im zwischenmenschlichen Austausch unumgänglichen Sprechakt prinzipiell verbunden ist, auf die Sprachentwicklung ausgewirkt:

Das große formale Spektrum für Aufforderungshandlungen ist vermutlich deshalb entstanden, weil eine Aufforderung, die ja vom Angesprochenen eine Handlung verlangt, immer potenziell gesichtsbedrohend ist. Also haben sich sehr viele unterschiedlich direkte (und unterschiedlich höfliche) Formen herausgebildet. Welche Form im konkreten Fall adäquat ist, hängt vom Kontext, den an der Kommunikation Beteiligten und insbesondere von der Textsorte ab. (Fandrych/Thurmair 2018: 276)

Seit Mitte der 1970er Jahre ist die Pragmatik der Aufforderung ins Interesse der Forschung gerückt und in ihrem Facettenreichtum untersucht worden. Dennoch ist die emotionale Komponente bis jetzt kaum explizit herangezogen worden, wenn auch die immer wiederkehrende Frage des Höflichkeitsgrads der Aufforderung ein Zeichen dafür ist, dass Empfindungen hier eine besondere Rolle spielen. Dass eine sprachliche Handlung, die so tief im menschlichen Zusammenleben verankert ist, nicht nur distanziert und emotionslos realisiert werden kann, scheint in der Tat naheliegend. Dabei kann es sich um den nicht intentionalen Ausbruch eines realen Affekts handeln (emotional communication), oder aber um das intentionale, strategische Signalisieren einer wahren bzw. gespielten Empfindung (emotive communication)1.

Empörung, Revolte, Emotion

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