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Der Untergang des Hauses Usher

La chute de la maison Usher

F 1928 f 55 min

R: Jean Epstein

B: Jean Epstein, nach Erzählungen von Edgar Allan Poe

K: Georges Lucas, Jean Lucas

M: Gerhard Gregor (Neubearbeitung)

D: Marguerite Denis Gance (Madeline), Jean Debucourt (Roderick Usher), Charles Lamy (Freund)

Von Anfang an wurde der Horrorfilm entscheidend von literarischen Stoffen geprägt. Neben Mary Shelleys Frankenstein, Robert Louis Stevensons Erzählung Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Bram Stokers Dracula und den Erzählungen H. P. Lovecrafts ist vor allem das Œuvre Edgar Allan Poes auf die große Leinwand gelangt: Die Geschichte des Horrorfilms ist durchzogen von Adaptionen seiner Werke, wobei die meiste Aufmerksamkeit der Kurzgeschichte Der Untergang des Hauses Usher (The Fall of the House of Usher, 1839) zuteil wurde. Deren erste Adaption durch den französischen Regisseur Jean Epstein ist bislang unübertroffen: In diesem Stummfilm bewohnt Roderick Usher zusammen mit seiner Frau Madeline das alte Stammschloss seiner Familie, das als verflucht gilt. In der großen Halle arbeitet Roderick an einem Gemälde, für das ihm Madeline Modell steht. Während das Gemälde der jungen Frau immer lebensähnlicher wird, verlassen Madeline ihre Lebenskräfte mehr und mehr, bis sie beim letzten Pinselstrich leblos zu Boden sinkt. Sie wird in der Familiengruft beigesetzt, doch Roderick weigert sich, die Grabkammer zu verschließen, weil er fest davon überzeugt ist, dass Madeline noch lebt. Einige Tage später tobt ein Sturm und bei Roderick machen sich Anzeichen extremer nervöser Anspannung sichtbar. Plötzlich erscheint Madeline, die wirklich nur scheintot war und sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus dem Sarg befreien konnte. Das Schloss gerät durch das Unwetter in Brand. Roderick und Madeline retten sich ins Freie, bevor das Gebäude hinter ihnen zusammenstürzt.

Epstein übernimmt aus der Vorlage nur den äußeren Handlungsumriss und einige zentrale Motive und verknüpft sie mit einer Vielzahl von Anlehnungen aus Poes übrigem Werk. Die Bezüge reichen von kurzen Zitaten – etwa aus Die Maske des Roten Todes (The Mask of the Red Death, 1842), Berenice (1835) und Ligeia (1839) – bis zur vollständigen Integration einer weiteren Poe-Geschichte, der Künstlererzählung Das ovale Porträt (The Oval Portrait, 1850). Er führt überdies eine Reihe von Nebenfiguren ein und bricht die Fixierung der Handlung auf das Innere des Schlosses durch verschiedene Außenaufnahmen. Infolge dieser Eingriffe löst sich die dramatische Geschlossenheit der Erzählung auf und weicht einer lyrischen Grundstimmung. Schon Béla Balázs lobte Epsteins freien Umgang mit der berühmten Vorlage als eine wesentliche Voraussetzung dafür, Poes literarischen Imaginationen auf genuin filmische Weise gerecht zu werden: »Es ist wie die Bildessenz der dunklen Ballade. Unverständlich, aber unheimlich wirkend. Nicht die Begebenheit erscheint, sondern die Reaktion einer Psyche. Nicht das Gedicht, sondern die Flut der Vorstellungen, die es entfesselt.«

Epstein ging es – im Gegensatz zu Baudelaires Poe-Interpretation – darum, das Werk des amerikanischen Schriftstellers sowohl vom Geruch des Makabren und Morbiden als auch von der Bindung an das Thema des schuldigen Bewusstseins zu befreien. Anders als in der Kurzgeschichte sind die beiden Ushers deshalb keine Geschwister, sondern Gatten. Nicht die Andeutung einer schuldbeladenen inzestuösen Beziehung, sondern die innere Verbundenheit zweier Liebender und die Intensität ihrer romantischen Empfindung füreinander bilden das zentrale Thema des Films. Das Geschehen spielt sich in bewusster Abgrenzung zur literarischen Vorlage in großen, ausladenden, kaum möblierten Räumen ab, eine klaustrophobische Atmosphäre, wie sie die Kurzgeschichte bestimmt, stellt sich nicht ein. Auf die furchteinflößenden Requisiten klassischer Schauergeschichten wird überdies ganz verzichtet.

Der Schrecken der von Epstein gezeichneten Welt der Ushers liegt nicht wie bei Poe im Phantastischen und in dem Einbruch des Übernatürlichen in eine intakte Weltordnung, sondern in der Organisation der physischen Realität, die dem Individuum keinen Halt mehr bietet. Zeit und Raum erweisen sich als trügerische Kategorien. Der unvermittelte Wechsel von Slow Motion und Normalzeit signalisiert die Unverfügbarkeit der Zeit, das durchgängige Motiv der abbrennenden Kerzen und das wiederholt gezeigte Pendel einer Standuhr ihr unerbittliches Fortschreiten. Eine bewegte Kamera sorgt für beständige räumliche Desorientierung. Die langen Schwenks und Fahrten, der häufige Wechsel der Perspektive sowie die zahlreichen Überblendungen und Mehrfachbelichtungen entziehen dem Betrachter den Fluchtpunkt und erzeugen so eine tiefer greifende Verunsicherung. In dieser orientierungslos gewordenen Welt können auch die Schönen Künste und die Wissenschaften keinen Rückhalt mehr geben: In einer Laute, deren Saiten gerissen sind, in Büchern, die aus dem Schrank fallen, und in dem Vergrößerungsglas, mit dem Roderick einem Buch seine Geheimnisse abzutrotzen versucht, manifestiert sich eine aus den Fugen geratene, nicht dechiffrierbare Welt, in der alles, was Halt versprechen könnte, instabil geworden ist. Der hochphilosophische Horror von La chute de la maison Usher liegt in dem isolierten Dasein des Einzelnen, der mit der ihn umgebenden Objektwelt keine Beziehung mehr eingehen kann. Demgegenüber hat das Übernatürliche erlösende Kraft, da es die Möglichkeit einer Befreiung von den Schrecken des Alltäglichen ermöglicht. Madelines Auferstehung – in der Vorlage ein Höhepunkt des Grauens – wird bei Epstein zu einer positiven emotionalen Klimax, zu einem Zeichen für die Intensität des romantischen Bewusstseins, das der Realität zu widerstehen vermag.

Nach La chute de la maison Usher diente Poes Erzählung noch sechs Mal als Grundlage für Filme, die sich allesamt enger an ihre Vorlage anlehnten, aber die poetische Kraft von Epsteins Meisterwerk nicht erreichten. Von ihnen verdient Roger Cormans House of Usher (Die Verfluchten, 1960) als bemerkenswerter Genrefilm besondere Beachtung. Er bildete den Auftakt zu einem siebenteiligen Poe-Zyklus des Exploitation-Filmers, zu dem auch The Pit and the Pendulum (Das Pendel des Todes, 1961), Tales of Terror (Der grauenvolle Mr. X, 1962) und The Raven (Der Rabe – Duell der Zauberer, 1963) gehören. Cormans Version, die die Handlung in die USA verlegt, markiert einen Einschnitt in der Geschichte des amerikanischen Horrorfilms, nicht nur weil er in Farbe und dem genreunüblichen Scope-Format gedreht wurde, sondern auch weil er auf ein Monster als Zentralfigur verzichtet. Das damals ungewöhnliche Konzept eines monsterlosen Horrorfilms wird allerdings dadurch aufgeweicht, dass Madeline sich am Ende zu einer verrückt gewordenen Rächerin wandelt und Roderick von Beginn an mit dämonischen Zügen ausgestattet ist: Anders als in der Vorlage begräbt er seine Schwester mit voller Absicht bei lebendigem Leib. Er und seine Ahnenreihe entpuppen sich als eine Bande pathologischer Verbrecher und Irrer. Überdies wird ihm mit Madelines Verlobtem Philip Winthrop ein positiver Held gegenübergestellt, der als junger Rebell mit Traditionen brechen und Madeline aus dem Schloss holen will. Dass Roderick dennoch nicht vollends zu einem Monster gerät, ist dem überzeugenden und ungewohnt zurückhaltenden Spiel von Vincent Price zuzuschreiben, der ihn mit einer tragischen Aura und mit leichenblassem Antlitz als fatalistischen Sachwalter des Untergangs seines eigenen Geschlechts darstellt.

Cormans Film verdankt seine atmosphärische Dichte vor allem einer ausgefeilten und sehr dynamischen Kameraführung. Floyd Crosbys Kamera begleitet Winthrops Expeditionen durch das alte Gemäuer mit weich gleitenden Fahrten und vielen subjektiven Einstellungen und unterstreicht unvermittelte Schockmomente durch eine Kombination von schnellen Schwenks und Zooms. Den Eindruck stilistischer Geschlossenheit erzielt der Film durch eine differenzierte Farbdramaturgie: Roderick ist die Farbe Rot zugeordnet, Winthrop die Blautöne, auf Grün verzichtet Corman fast ganz. Die Nähe der intensiven Farbgebung zur Pop Art und zum psychedelischen Film wie auch die auffällige Kontrastierung der beiden männlichen Protagonisten zeigt Corman einmal mehr als Seismographen der US-amerikanischen Jugendkultur der frühen sechziger Jahre. Das imposante Domizil der Ushers wurde aus England herübergebracht und Stein für Stein jenseits des Atlantiks wieder aufgebaut. Die Botschaft ist eindeutig: Das Böse kommt aus der Alten Welt, der gegenüber Poes Vorlage deutlich gealterte Roderick Usher ist ihr letzter Repräsentant, während Philip Winthrop als positiver Gegenentwurf das junge Amerika vertritt, das den Niedergang des überkommenen Gestrigen in die Wege leitet.

Guido Bee

Literatur: David Pirie: Roger Corman’s Descent Into the Maelstrom. In: Paul Willemen [u. a.] (Hrsg.): Roger Corman. Edinburgh 1970. – Jean Epstein: Quelques notes sur Edgar A. Poe et les images douées de vie (1928). In: Jean Epstein: Écrits sur le cinéma 1921–1953. Bd. 1. Paris 1974. – Béla Balázs: Schriften zum Film. Bd. 2. Budapest 1984. – Eva-Maria Warth: The Haunted Palace. Edgar Allan Poe und der amerikanische Horrorfilm (1909–1969). Trier 1990.

Filmgenres: Horrorfilm

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