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Das Cabinet des Dr. Caligari

D 1919 s/w 56 min

R: Robert Wiene

B: Hans Janowitz, Carl Mayer

K: Willy Hameister

M: Peter Schirmann (Neufassung)

D: Conrad Veidt (Cesare), Werner Krauss (Dr. Caligari), Lil Dagover (Jane), Friedrich Fehér (Francis)

Francis, Insasse eines Irrenhauses, erzählt einem Mitpatienten seine Geschichte: In der Kleinstadt Holstenwall will der obskure Dr. Caligari auf dem Jahrmarkt den Somnambulen Cesare ausstellen. Der Gemeindesekretär weist ihn zurück – und wird in der darauf folgenden Nacht ermordet. Jetzt ist der Weg für Caligari frei. Unter den Massen, die in die Schaubude des unheimlichen Doktors strömen, befinden sich auch Francis und sein Freund Alan, die beide in die schöne Jane verliebt sind. Alan fragt Cesare provokativ, wie lange er noch zu leben habe. »Bis zum Morgengrauen«, lautet dessen Antwort. Und wirklich: In derselben Nacht wird Alan getötet. Die Polizei verhaftet einen Verdächtigen, Francis aber sieht in Caligari den wahren Täter. Während er ihn beobachtet, merkt er nicht, dass dessen somnambuler Mordvollstrecker Cesare bei der schlafenden Jane einbricht. Sie töten, wie ihm von Caligari befohlen, kann er jedoch nicht – die Sinnlichkeit des Opfers hemmt seinen Antrieb – und entführt sie stattdessen auf die Dächer der Stadt. Zur gleichen Zeit hat Francis Caligari bis zu seinem Domizil, einer Irrenanstalt, verfolgt. Hier endet sein Bericht. Kurz darauf macht der Direktor der Anstalt die Visite und wird von Francis lautstark als Dr. Caligari attackiert. Der junge Mann wird in eine Zwangsjacke gesteckt, während der Direktor dessen Wahn begreift: »Er hält mich für jenen mystischen Caligari. Und nun kenne ich auch den Weg zu seiner Gesundung.«

Das Cabinet des Dr. Caligari ist als erster expressionistischer Film weltberühmt und zum Gegenstand endloser Analysen geworden. Dabei bezieht sich sein Expressionismus weitestgehend auf den Dekor. Auch wenn es Bezüge zum literarischen Expressionismus gibt, wie das Vorkommen von Wahnsinnigen, Irrenanstalten und ›Tyrannenfiguren‹, so kommt Wienes Stummfilm inhaltlich wie motivisch aus der schwarzen Romantik, beruft er sich – wie sein Produzent Erich Pommer selber zugab – auf das Pariser ›Grand Guignol‹, jenes berühmte Splatter-Theater, das während des Ersten Weltkrieges seinen künstlerischen wie kommerziellen Höhepunkt erreichte. Dort war nämlich nicht allein der Wahnsinn das vorherrschende Thema, sondern Anstalten und Psychiatrien gehörten zu den bevorzugten Schauplätzen, z. B. in der berühmten Poe-Adaption Le système du Docteur Goudron et du Professeur Plume (1909, Maurice Tourneur). Mit dieser Verfilmung sowie mit dem Hypnotisieurspektakel Trilby (1915) brachte Tourneur die ›Grand Guignol‹-Ästhetik in der Filmwelt zur Wirkung und hatte damit auch direkten Einfluss auf Das Cabinet des Dr. Caligari. Nachdem Wienes Film in die Kinos gekommen war, erkannte das ›Grand Guignol‹-Theater dessen Stoff sofort als seinesgleichen und revanchierte sich 1925 mit der blutigen Bühnenadaption »Le Cabinet de Docteur Caligari«, für die André de Lorde, der Starautor des Hauses, höchstpersönlich verantwortlich zeichnete.

Aber Das Cabinet des Dr. Caligari ist nicht nur ästhetisch von Wahn und zerstörter Seele beeinflusst, sondern auch biographisch, liegt ihm doch ein reales psychisches Leiden zugrunde. Die direkte Idee zu diesem Film wurzelt keineswegs allein in der – so oft beschriebenen – Intention, Macht und Autorität in der Weimarer Republik zu denunzieren, sondern nicht minder in einem Trauma des Co-Drehbuchautors Hans Janowitz, das selbst die schlimmste ›Grand Guignol‹-Präsentation hinter sich lässt: Janowitz war überzeugt, in der Hamburger Holstenwall-Anlage Zeuge eines nächtlichen Sexualmordes gewesen zu sein. Holstenwall heißt deshalb auch die Stadt im Film. Und ein Höhepunkt der dortigen Vorkommnisse ist Cesares Attacke auf die schlafende Jane, die einen eindeutig auf Vergewaltigung weisenden Subtext enthält. In seiner fiktionalen Drehbuch-Verarbeitung versucht Janowitz, das real erlebte Schreckliche imaginär ungeschehen zu machen: Denn der Somnambule wird von Skrupeln gebremst, Jane zu töten, während in der späteren ›Grand Guignol‹-Adaption die weibliche Hauptfigur tatsächlich umgebracht wird.

Die weltweite ungebrochene Rezeption des Film als Aushängeschild des deutschen Expressionismus haben den Blick für seine Bedeutung als einer der Begründer des klassischen Horrorfilms der späten zwanziger und der frühen dreißiger Jahre verstellt. Durch Wienes Meisterwerk fanden die Motive romantischer Horrorstoffe eine neue Form. Wie Das Cabinet des Dr. Caligari spielen die Horrorfilme der späten Stumm- und frühen Tonfilmära meist in bühnenhaften Dekors, die durch schatten- und silhouettenbetonte Ausleuchtung verfremdet sind. Auch wenn die Rückkehr in die Filmateliers durch die Anforderungen der neuen Tontechnik bedingt waren, empfanden sich diese Horrorfilme noch als theatralisch, was auch die Wahl ihrer Vorlagen beweist, bei denen es sich meist um Bühnenstücke handelte. Intelligente Regisseure wussten jedoch frühzeitig mit dieser Bühnendramatik zu spielen. James Whale beispielsweise ließ in seinem besonders deutlich an Das Cabinet des Dr. Caligari orientierten Frankenstein – The Man Who Made a Monster (Frankenstein, 1931) die Kamera wiederholt durch die Dekoration fahren, um zu zeigen, »dass hier nichts real ist, sondern alles eine Fingerübung in Bühnendramaturgie« (Everson). Oder Karl Freund, der seinen Horrorfilm Mad Love (1935) mit einer Folterszene im Pariser ›Grand Guignol‹ beginnen lässt: Hier wird die theatralische Abstammung des Horrorgenres unmittelbar beschworen.

Aber auch Robert Wiene selbst experimentierte weiterhin mit dem Caligari-Stil. Hier ist vor allem Orlacs Hände (1924) zu erwähnen, den Freund mit Mad Love neu verfilmte. Der Film setzt die Errungenschaften des expressionistischen Kinos derart subtil und differenziert ein, dass er alle Behauptungen widerlegt, Wiene sei ein zweitklassiger Regisseur gewesen, der den expressionistischen Stil seines Caligari nicht selber intendiert, sondern nur aufgeschwatzt bekommen habe. Bis an sein Lebensende plante Wiene ein Tonfilm-Remake seines berühmtesten und erfolgreichsten Films, Jean Cocteau hatte bereits für die Rolle des Cesare zugesagt. Als die Realisation zum Greifen nah war, starb Wiene. Ob er mit diesem Remake, dessen Drehbuch sich erhalten hat, sein Original unterboten oder eine originelle Weiterentwicklung vorgelegt hätte, muss offen bleiben.

In der Nachfolge von Wienes Film fand das caligareske Drama des besessenen ›Mad Scientist‹, des mit hypnotischen Kräften begabten Unholds, endlose Varianten. Dieser Schurkentypus war vor Dr. Caligari eine eindimensional-dämonische Randfigur, wie beispielsweise der ihm in der Erscheinung ähnliche Scapinelli in Der Student von Prag (1913, Stellan Rye). Erst Das Cabinet des Dr. Caligari gab der Dämonie des Bösewichts soviel Plastizität, dass das Publikum dessen Machtbesessenheit identifizierend miterleben konnte. Gleiches gilt für die Gegenüberstellung des guten Liebhabers Francis und des bösen Verehrers Cesare, die im Grunde als zwei Seiten einer Figur zu verstehen sind, denn Letzterer repräsentiert als Somnambuler überdeutlich das schlafende Unbewusste Francis’ – auch dies eine Konstellation, die den Horrorfilm nachhaltig prägte. Bei de Lordes Bühnenadaption wurde dies noch deutlicher, denn niemand anders als der hypnotisierte Francis entpuppt sich als somnambuler Mörder. Selbst einzelne Bildmotive wurden zum Standard, beispielsweise die Entführung der bewusstlosen Heldin auf die Dächer der Stadt durch das Monster wie z. B. in King Kong (1933, Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack) oder der an Alan verübte Messermord, der noch über vierzig Jahre später in der zweiten Mordsequenz von Psycho (1969, Alfred Hitchcock) nachwirkt. Unnötig zu sagen, dass Hitchcock zeit seines Lebens ein Fan des Cabinets des Dr. Caligari war.

Für den tiefgreifenden Einfluss des Caligari-Stils auf den klassischen Horrorfilm spielt Paul Leni eine entscheidende Rolle, der nach seiner Arbeit als Szenenbildner bereits in Deutschland mit seinem Wachsfigurenkabinett (1924) einen expressionistischen Gruselklassiker abgeliefert hatte. Er und andere Emigranten transportierten das caligareske Erbe nach Hollywood. Dort suchte Leni »nach populären Ausdrucksformen und war daher geradezu prädestiniert, die Errungenschaften des filmischen Expressionismus in ein populäres, der Unterhaltung dienendes Genre, den Horror-Film, zu überführen« (Everson). Dies tat er mit The Cat and the Canary (Spuk im Schloss, 1928) und The Man Who Laughs (Der Mann, der lacht, 1928). Nicht minder wichtig ist Karl Freund, der Kameramann von Wiene, Fritz Lang und F. W. Murnau, der später Tod Brownings Dracula (1931) fotografierte und selbst die beiden Horrorklassiker The Mummy (Die Mumie, 1932) und Mad Love (1935) inszenierte. Auch Edgar Ulmer lieferte mit The Black Cat (Die schwarze Katze, 1934) eine originelle, einflussreiche Adaption des Caligari-Stils. Und last but not least der französische Emigrant Robert Florey, der für James Whales Frankenstein das Treatment nach Mary Shelleys Roman verfasste und dessen Experimental- und Horrorfilme wie die Poe-Adaption Murder in the Rue Morgue (Mord in der Rue Morgue, 1932) dem Caligari-Stil am getreuesten folgen. Denn vor allem für die Wahnsinns-Welt eines Edgar Allan Poe war die Caligari-Ästhetik wie geschaffen. So spielen neben Floreys Film Charles Kleins The Tell-Tale Heart (1928) und James S. Watsons The Fall of the House of Usher (1928) in caligaresken Kulissen. Letzterer, ein Kurzfilm, versuchte zudem, den Dekorstil mit filmtechnischen Mitteln umzusetzen: durch Zerrlinsen, Prismengläser, Mehrfachbelichtungen, die die Protagonisten regelrecht zerteilen, fragmentieren. Das Spiel der Akteure ist wahrlich expressiv, wie der Verzweiflungsschrei der wiederauferstandenen Madeline Usher. Es ist übrigens ein schweres Versäumnis der Filmgeschichte, Watsons Poe-Adaption ausschließlich als Avantgarde- und nicht auch als Horrorklassiker rezipiert zu haben.

Doch die Entwicklung der Ästhetik des klassischen Horrorfilms beruht keineswegs nur auf der Beeinflussung durch die formale Radikaliät von Wienes Klassiker, auch inhaltlich ist kaum ein Film mehr so weit gegangen. So wagte es z. B. fast kein Horrorfilm in den darauf folgenden fünfzig Jahren, den Helden, den guten Liebhaber als wahnsinnig und zuletzt in einer Pose völliger Hilflosigkeit darzustellen. Ebenso wenig riskierte es kaum ein Regisseur oder Autor mehr, die Liebe dieses Helden als pure Projektion eines Geisteskranken auf eine kommunikationsunfähige Mitinsassin zu entlarven. Diese Radikalität ist untrennbar mit der lange Zeit geschmähten Rahmenhandlung verbunden, die später hinzugefügt wurde und in vergleichsweise zurückhaltendem expressionistischen Dekor spielt. Im Mikrokosmos des Irrenhauses herrscht Melancholie, Ausweglosigkeit und Asexualität unter der Aufsicht eines zweifelhaften Direktors. Dagegen in den expressiv verschobenen, schrägen Orten geisteskranker Phantasie, da sind sie plötzlich, die vitalen Triebe: Geilheit, Hass, Mordgier, Machtwille. Die Wahrheit des Wahns steht gegen die Depressivität der naturalistischen Realwelt. Deshalb wirkt das Ende so beängstigend, deshalb misstraut man ihm, ohne dies inhaltlich fixieren zu können: weil diese Realwelt letztlich die Welt des seelischen Todes ist.

Wie stark hier eine Kritik der wahnsinnigen Vernunft stattfand, spürte Sergej Eisenstein nur zu gut, als er Das Cabinet des Dr. Caligari voller Abscheu als »barbarische Orgie der Selbstvernichtung gesunden Menschentums in der Kunst«, als »Massengrab aller gesunden Prinzipien des Films« denunzierte, obwohl sein ›gesunder‹ Stalinismus kaum als Alternative zum caligaresken Wahn in Frage kommen dürfte. Die Fundamentalkritik an der ›gesunden‹ Weltwahrnehmung, das tiefe Misstrauen gegenüber Welt und Ordnung, das nietzscheanische Spiel mit der Alternative Wahnsinn ist notwendiger Bestandteil eines jeden Horrorfilms. In Das Cabinet des Dr. Caligari erlebt man all das in bis heute unübertroffener Konsequenz.

Harald Harzheim

Literatur: Fernan Jung / Claudius Weil / Georg Seeßlen: Enzyklopädie des populären Films. Bd. 2: Der Horror-Film. München 1977. – William K. Everson: Klassiker des Horrorfilms. München 1979. – Norbert Stresau / Claudius Weil / Georg Seeßlen: Kino des Phantastischen. Hamburg 1980. – Ronald Hahn / Volker Jansen: Lexikon des Horror-Films. Bergisch-Gladbach 1985. – Peter Weiss: Avantgarde Film. Frankfurt a. M. 1995. – Mel Gordon: The Grand Guignol – Theatre of Fear and Terror. New York 1997. – David Robinson: Das Cabinet des Dr. Caligari. London 1997.

Filmgenres: Horrorfilm

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