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MAGAZINESecondhand Daylight [Virgin, 1979] Hendrik Otremba

Secondhand Daylight ist ein Prototyp dessen, was retrospektiv unter dem notwendigerweise losen Dachbegriff Postpunk zu begreifen ist − hierfür jedoch könnte jedes der vier durchweg gelungenen Alben der Band Magazine um den androgynen Sänger Howard Devoto stehen. Der exzentrische Querkopf hatte 1978 zusammen mit dem Bassisten Barry Adamson die explosive Energie der Buzzcocks, die er mitgründete und mit radikaler Entschiedenheit gleich nach der Debüt-EP wieder verließ, in Magazine überführt, um sich dort musikalisch über das gängige Arsenal der Punks hinaus zu bewaffnen. Die Bedingungen also, etwas Einzigartiges zu erschaffen, waren äußerst gut. So wurde das Debüt Real Life aus dem selben Jahr ein Funke der Initialzündung des Postpunk, das dritte Album The Correct Use of Soap Soundtrack der Hochphase. Magic, Murder and the Weather schließlich läutete den Niedergang ein, Devoto verließ die Band passend zum Release. An Magazines Secondhand Daylight, dem zweiten Album der Gruppe, scheint etwas besonderes, es besitzt eine merkwürdige Anziehungskraft. Es lohnt sich, die neun Stücke in jenem Tageslicht zweiter Hand zu betrachten, dem es die Gruppe im Titel unterstellt. Bei genauerem Hinsehen nämlich wird ohne Zweifel klar: Secondhand Daylight ist ein Meisterwerk! Und: Es weiß einiges über den Geist des Punk zu erzählen.

Zunächst findet sich da in der konsequent durch die Platte mäandernden Stimmung jene typisch dunkle, destruktive Energie wieder, mit der sich der frühe britische Punk umgab − ebenso deutlich jedoch ist das Songwriting von einer deutlichen Absage an jeglichen Minimalismus dominiert, die Reduktion des Punk prallt vielmehr an einer musikalischen Offenheit und genau der Opulenz und Virtuosität ab, die doch unter der Jahreszahl 1977 so verpönt war. Devoto war ein Künstler, der keine Identifikation mit der immer schneller populär werdenden Subkultur Punk fand, er besaß sound and vision, suchte seine klangliche Inspiration im Krautrock und den Anfängen elektronischer Musik. Oder eben bei Bowies und Iggy Pops Zeit in Berlin: Der auch textlich stets das Abseitige erforschende Devoto rekrutierte Colin Thurston zur Aufnahme, einen Assistenten Tony Viscontis, nicht zuletzt, weil er Bowies Sound auf Low, in dem sich dessen stetiges Außenseitertum bei gleichzeitigem Starkult manifestierte, verfallen war − und weil er Punk überhaupt vielmehr als eine Kunstform verstand, die es großzügig zu interpretieren galt. Die aufwändige Produktion von Secondhand Daylight führte zu jener atmosphärischen Kälte, die zur Signatur des Genres der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre wurde − gleichzeitig jedoch ließ sie etwas Licht durch. Wie gesagt: zweiter Hand! Und das hört sich toll an.

»Feed the Enemy« beginnt mit einem progressiven Synthesizer, der Score zur Landung auf einem fremden Planeten, weit weg von der grauen Tristesse der englischen Thatcher-Ära, schnell wird der wohlklingende, runde Bass vorstellig. Erst nach zwei Minuten erklingt Devotos Stimme, »It’s always raining over the border« − da hat die Gitarre einen unlängst in die Tiefe des Songs gesogen. Wie ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-Film gondelt das Stück durchs All, immer wieder tauchen neue Sonnen auf. Es folgt eine schnelle Nummer, »Rhythm of Cruelty«, welche die Platte wieder erdet, dann »Cut-Out Shapes« mit einem Refrain, wie ihn nur Devoto erfinden kann, gefolgt von »Talk to the Body«, das völlig tanzbar gute Miene aufsetzt. Die A-Seite schließt mit »I Wanted Your Heart«, in dem deutlich wird, welchen Stellenwert der Bass bei Magazine hatte, wie musikalisch er sich verstand. »The Thin Air« auf der zweiten Seite dann offenbart Bowies erst zwei Jahre zuvor erschienene Low als Blaupause, zeigen sich hier doch deutliche Verwandtschaften zum sogar an gleicher Stelle gesetzten »Warszawa« auf, was sich im kühleren »Back to Nature« fortsetzt. »Believe That I Unsterstand« kommt freundschaftlich erzählend daher, um schließlich ins Finale überzuleiten, das wohl bekannteste Stück der Platte: »Permafrost«. Langsamer Takt, viel Raum für den Text. Irgendwann: »As the day stops dead, at the place where we’re lost, I will drug you and fuck you on the Permafrost.« Devoto befindet sich hier jenseits einer Grenze, ist ganz Kunst geworden.

Was im Punk nie ohne jugendliche Ironie auskam, findet sich auf Secondhand Daylight Hand in Hand, das Morbide in der Lyrik Devotos trifft auf eine musikalische Kitschaffinität, getragen von weiten Synthesizerflächen, dem signifikanten Bass, jenem virtuosen und gleichzeitig scharfkantigen Gitarrenspiel, einem sehr präsenten Piano, und − als ob das noch nicht schon genug wäre − einem äußerst ambitionierten Saxophon. Das Dialektische, das zwischen der dem Punk entstammenden (selbst)zerstörerischen Dynamik und jener sich in der musikverliebten Produktion wiederfindenden Hinwendung an ein musikalisches Virtuosentum entsteht, zeigt sich auf Secondhand Daylight somit als Konsequenz der programmatisch entworfenen Kunstfigur Howard Devotos. Äußerst inspirierend. Danke dafür.

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