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SWELL MAPSA Trip to Marineville [Rather Records / Rough Trade, 1979] Christoph Jacke

Eine seltsame Band, diese doch so britischen Swell Maps: Immer wieder wurden sie als Bezugsgröße erwähnt und zitiert, gerne übrigens von bekannteren US-amerikanischen Bands des Alternative-Bereichs oder College Rocks wie den Lemonheads, Mercury Rev, Pavement, Dinosaur Jr. oder Sonic Youth, aber auch von Acts wie Stereolab, Coco Rosie oder Urusei Yatsura. Selten habe ich die Swell Maps, ursprünglich aus Solihull/Midlands, danach immer wieder London und letztlich Birmingham, während der Indie-Discos meiner Clubs des Vertrauens zu Gehör bekommen. Live gesehen habe ich sie eigentlich auch nie. Denn dafür war ich als Jahrgang 1968 etwas zu jung. Eigentlich. Die Swell Maps haben zwar nur vier Singles und zwei Alben lang wirklich existiert, von 1977 bis 1981, gleichwohl gab es sie schon seit 1972 in Form diverser Zusammensetzungen und existieren sie bis heute durch die unzähligen Projekte der Ex-Mitglieder und diverse Compilations (deren erste, Whatever Happens next …, erschien im Grunde zum Split der Band 1981) weiter. Neben Richard Earl, David Barrington und John Cockrill zeichneten sich vor allem Stephen Bird aka Jowe Head und die Gebrüder Adrian und Kevin Godfrey, besser bekannt als Nikki Sudden und Epic Soundtracks, durch ihre schier unglaubliche Produktivität und kreativen Künstler-Pseudonyme aus.

A Trip to Marineville erschien als das Debüt-Album der Swell Maps 1979 und wurde in England zu einer Nummer eins in den Indie-Charts. Das Besondere war neben dem noch sehr jungen Alter der Mitglieder (Epic beschreibt in einem der Booklets, dass er im Grunde im Alter von 12 anfing, auf allem Möglichen herumzutrommeln und so die Swell Maps mitbegründete) eine seinerzeit ziemlich einmalige Mischung aus straighten krachigen Indie-Hits mit nasalem Bocklos-Gesang Suddens oder verrückt herumeierndem Geraune Heads, krautrockig repetitiven Ausuferungen, verschrobenen, gerne mal leiernden Piano-Versatzstücken und Industrial-artigen Klang-Collagen. Genau wegen dieser schillernden Vielfältigkeit, gewitzten Sperrigkeit und bunten Überraschungshaftigkeit gehört A Trip to Marineville einer Art beinahe zeitlosem Kanon an, kann immer wieder (auch etwa über diverse Re-Issues mit weiteren Stücken, Songs, Tracks, Soundscapes, Ja-was-eigentlichs) neu gehört werden und verweigert sich einer klaren Zuordnung. Neben all der Energie der eingängigeren Stücke wie »Another Song«, »Vertical Slum« oder »Spitfire Parade« sind es gerade die kleinen schrägen, oftmals mit Instrumenten aus Found Footage ausgestatteten Stücke (höre »Don’t Throw Ashtrays on Me!«), die aufhorchen lassen, angenehm irritieren. Die heimischen Wohnungen, Dachböden und PKW-Garagen bargen da für die Swell Maps offenbar einen unerschöpflichen Fundus an Spielzeug. Opulenz trifft Lo-Fi-Ästhetik, bevor es das Genre überhaupt gab. Ja, vielleicht waren die Swell Maps Anti-Punk-Punk, sophisticated genug für derartige Dialektiken und außerordentlich gelangweilt von professionellen Musikern waren sie laut Head in jedem Fall.

Uneigentlich habe ich die Swell Maps denn dann doch noch erleben dürfen: Aus dem traurigen Anlass des Todes von Epic Soundtracks (1997) fanden sie sich 1998 wieder zusammen und spielten auf Tribute-Shows zu Ehren ihres ehemaligen Mitglieds und Schlagzeugers im Londoner Garage und in der Berliner Volksbühne fulminante Sets. Vor allem beim Comeback im überfüllten Londoner Club flippten die Leute angesichts dieses schrägen Drucks, dieses irgendwie geordneten Chaos’ schon während der ersten Takte von »Midget Submarines« schier aus. Mit Nikki Sudden, Phil Shoenfelt und Jörg Dittrich wiederum lag ich im selben Jahr plötzlich gemeinsam auf dem Bühnenboden einer kleinen Münsteraner Eck-Kneipe und brüllte »Full Moon in My Pocket − BLAM!!« (die Großschreibung und das doppelte Ausrufezeichen waren Epic sehr wichtig) immer und immer wieder innerhalb eines sehr frei gestylten Medleys mit dem von Nikki so geliebten »Mother Sky« (Can). Nikki hatte uns zum Finale seines Solo-Konzerts zum Dazustoßen aufgefordert und wir spürten diese irre Energie, dabei und auch einmal Jowe Head sein zu dürfen. Die Swell Maps waren immer arty, experimentell und doppelbödig, aber nie ausgrenzend, versessen oder elitistisch, sie forderten auf, das scheint mir ihr Punk-Ansatz gewesen zu sein, und so ähnlich hat es auch Nikki in seiner 2011 posthum veröffentlichten Autobiographie The Last Bandit. A Rock’n’Roll Life beschrieben. Das Punkige war, sich als ganz junge Typen und Musik-Fans selbstbewusst eben aktiv und neugierig Versatzstücke aus Glam, Prog, Kraut, Punk, Avantgarde und Experiment zu nehmen und zusammenzubauen, das in den ausgelutschten Siebzigern Neue, Hybride an Bolan, Bowie und Faust zu mögen, Haken zu schlagen und einfach auszuprobieren − Spielzeug-Saxophon, Ballons, Staubsauger und Heads legendäres Bulbultarang inklusive. Spuren davon lassen sich an den vielfältigen Nachfolge-Projekten ablesen, vom hippiesken Drogen-Troubadourtum der Jacobites über düsteren Destruktions-Blues mit Rowland S. Howard oder ein Beinahe-Country-Album mit R.E.M. als Backing Band (Nikki Sudden), über wuchtig-ausgemergelten australischen Swamp Blues bei Crime & The City Solution, These Immortal Souls bis zu phantastischem Indie-Soul mit Psychedelia der Pet Sounds- und Smile-Phase der Beach Boys auf drei sehr prominent unterstützten Solo-Alben (Epic Soundtracks) oder nur scheinbar niedlich-verworrenem Indie-Polter-Punk der Palookas oder Television Personalities, einst auch mal als Grebo tituliert (Jowe Head). Dass freilich nicht nur auf der Konzert-Bühne und im Studio, sondern auch im alltäglichen Leben experimentiert wurde, hatte leider offenbar die zu frühen Tode von Epic und Nikki (2006) zur Folge und ließ ein immer wieder aufflackerndes und diskutiertes Anknüpfen an den Swell Maps hinfällig werden. Ihre musikalisch-progressiven Ausflüge werden bleiben.

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