Читать книгу Damaged Goods - Группа авторов - Страница 34

Оглавление
KLEENEXHedi’s Head / Nice / Ain’t You / Beri Beri EP [Sunrise, 1978] Fabienne Schmuki

Als die Kleenex-EP Hedi’s Head / Nice / Ain’t You / Beri Beri 1978 erschien, da gab es mich noch nicht. Ich war noch nicht mal in der Vorproduktion, um beim passenden Vokabular zu bleiben, denn ich bin Jahrgang 1983. Was mich dazu bewegt, über dieses 38-jährige Album zu schreiben, ist der Respekt vor einer Band, die den (Schweizer) Punk nachhaltig geprägt hat. Und außerdem auch die Tatsache, dass ich eine Frau bin, und Schweizerin, und mich tagtäglich mit (vorzugsweise widerspenstiger) Musik auseinandersetze.

Als Kleenex ihr erstes Konzert im Zürcher Club Hey spielten, wurde das Quartett von Gogi Meier und Rudolph Dietrich ergänzt. Kurz danach trennte sich die Band von ihrer »Verstärkung« und etablierte sich als reine Frauenband. Es war der Frühling 1978, das Frauenstimmrecht existierte in der Schweiz seit gerade mal sieben Jahren. Dies spiegelte sich auch im Schweizer Mainstream wider, der damals alles andere als progressiv gefärbt war. »Die anständigen und bürgerlichen Schweizer lachten damals über Emil oder das bieder-nationale Cabaret Rotstift und hörten Grüeziwohl Frau Stirnimaa. Das fand der Durchschnitt lustig«, erinnerte sich der Schweizer Künstler Lori Hersberger in einem Interview 2007. Kleenex, nun also bestehend aus Regula Sing, Marlene Marder, Klaudia Schiff und Lislot Ha, nahmen eine EP mit den vier Tracks »Hedi’s Head«, »Nice«, »Ain’t You« und »Beri Beri« in den Sunrise Studios (Kirchberg/Zürich) auf. Das Artwork stammte von Peter Fischli, der später gemeinsam mit seinem Partner David Weiss unter dem Namen Fischli/Weiss zu einer Größe in der internationalen Kunstszene wurde. »Die Singles brauchten halt noch eine Verpackung. Man bediente sich einfach bei dem, was herumlag. Für das Kleenex-Cover verwendete ich damals Spaghetti und Puppenstuben-Schallplatten aus dem Franz-Carl-Weber (Unternehmen im Schweizer Spielwaren-Fachhandel − Anm. der Autorin)«, berichtete Fischli später. Er orientierte sich bei der Gestaltung des Plattencovers an der Ästhetik der Dadaisten, allen voran Hugo Ball. Das engmaschige Konstrukt Kleenex-Fischli-Dada-Zürich sendete starke Signale. Hier stand der Punk nicht im Zeichen der destruction, sondern der deconstruction. Bestehendes wurde auseinandergenommen und neu zusammengefügt. Kontexte wurden verändert, Symbole neu aufgeladen. Die Kritik war, im Gegensatz zum vorherrschenden angelsächsischen Punk, subtiler. Diese Ebene der Reflexion war für Kleenex richtungsweisend.

Hedi’s Head / Nice / Ain’t You / Beri Beri prägte die Anfänge von Punk in der Schweiz, die Kunst in der Schweiz, die Wahrnehmung der Frau in der Schweiz − und legte letztlich auch den Grundstein für den Sprung aus der Schweiz: Die EP bildete die Basis für die Single You / Ü: Die Platte wurde in London von John Peel gespielt. Peter Fischli, der wiederum den Umschlag gestaltet hatte, schmuggelte die EP kofferweise nach England. Diese wurde daraufhin von der britischen Firma Rough Trade in den Katalog übernommen und nachgepresst. Die englische Musikpresse schwärmte von dem Schweizer Musikexport.

Spätestens da dämmerte es auch den Schweizer_innen: Kleenex machen Ernst. Kleenex machen Punk. Ihre Botschaften waren eindeutig, doch ihr Sound hatte etwas Verspieltes. Marlene Marder erinnerte sich: »We didn’t have songs like ›Fuck the system‹ like other bands did. We sang like la, la, la and di, di, di. At the end, it was also a political message on our situation in this town.« Kleenex bedienten sich an Klischees und verwendeten diese mit viel Humor so lange und konsequent, bis die Grenzen zwischen Ironie und Groteske gänzlich verschwommen waren: Haare wurden kurz getragen, Kleider lagen eng am Körper, die prägende Farbe des Artworks war weiß statt schwarz. Sie sangen, »Rosarot das mögen sie, oh oh oh, hellblau das tragen sie, die die die, die kleinen weichen Pudel, oh oh oh, Oh so naiv im Rudel.« Sie sangen über Menschen, Frauen, über eine Gesellschaft, von der sie Teil waren − und doch nicht waren. Kurz: Kleenex warfen fixe Erwartungen klug und spielend über den Haufen. Marlene Marder brachte es auf den Punkt. Als sie 2010 von einem Journalisten gefragt wurde: »Ihr habt euch stets als offene und authentische Band bezeichnet. Gibt es dennoch ein Geheimnis, das ihr nun, nach all den Jahren, unbedingt lüften wollt?«, antwortete sie: »Ja, da gibt es schon was. Eigentlich hätten wir schon immer gern eine Frauenband sein wollen.«

Damaged Goods

Подняться наверх