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ADVERTSCrossing the Red Sea with the Adverts [Bright Records, 1978] Gerald Fiebig

Krisenstimmung, Ausnahmezustand, Frust und Langeweile, Ausrasten und Überdrehtheit, Panik vor der Zukunft (der gesellschaftlichen, aber auch der ganz persönlichen) an der Schwelle zum endgültig unleugbaren Erwachsenwerden − »no time to be 21, to be anyone« −, aber auch die Euphorie des Aufbegehrens, des Eine-eigene-Stimme-Findens im den Konsens verweigernden Anschreien gegen eine durchformatierte Welt, die einem als »Land of Milk and Honey« verkauft wird, wie es das sarkastische Cover-Artwork zeigt: Alle diese Zutaten des End-70er-Punk-Cocktails in seiner spezifisch britischen Ausprägung (nämlich grundiert von der politischen Endzeitstimmung zwischen Establishment in der Dauerkrise und National Front-Paranoia) sind auf diesem Album in maximaler Dosierung und zugleich perfektem Mischverhältnis vorhanden. Vermutlich ist es die Stimmung dieser Platte, die einem am genauesten erzählt, wie es sich angefühlt haben muss, zu jener Zeit an jenem Ort »dabei« gewesen zu sein. Diese Qualität macht das Album aber gerade nicht zu einem reinen Zeitdokument, denn was die Adverts hier formulieren, ist eine grundsätzliche emotionale Haltung zur Welt: Entsetzen und Wut angesichts der Gesellschaft, die einem da vorgesetzt wird; die Weigerung, sich ihr auszuliefern, sich zu integrieren; und zugleich Verwirrung in Bezug auf mögliche Auswege und Angst davor, dass der eigene Widerstand zum Scheitern verurteilt ist. Das fasst nicht nur die schillernde Komplexität der Punk-Revolte besser zusammen als die Provokations-Kalauer der Sex Pistols oder die selbstgewissen marxistischen Statements von The Clash & Co. Vielmehr bringt es auch eine Erfahrung auf den Punkt, die wohl jedes Leisten von Widerstand, jedes Sich-Engagieren gegen den Mainstream mit sich bringt: Es wird wahrscheinlich nicht funktionieren, machen muss man’s trotzdem, und zwar selber (»DIY or die«): Nichts erwarten und trotzdem sein Ding machen, und vor allem: sich nicht zufriedengeben. »Freiheit wird nicht kommen, Freiheit wird sich rausgenommen«, wie der Punk-Dichter Bert Papenfuß das formuliert hat. »I wonder how we’ll answer when you say: ›We don’t like you − go away. Come back when you’ve learnt to play‹«. Die Antwort der »One Chord Wonders« kann eben nur sein: »The Wonders don’t care. We don’t give a damn« − und diese Antwort wird auf dem Opener bis zur Ekstase (und/oder Erschöpfung) wiederholt.

Nun wäre die emotionale Haltung, von der hier so viel die Rede ist, ziemlich nutzlos, wenn sie auf dem Album nicht einen adäquaten musikalischen Ausdruck fände. Das tut sie allerdings, und wie! Die Qualitäten von T.V. Smiths Songwriting auf Crossing the Red Sea sind oft, und sehr zu Recht, hervorgehoben worden. Deshalb soll hier mal betont werden, dass kaum eine Punk-Platte der späten 1970er dermaßen stark mit Sound arbeitet. Die Texte transportieren Revolte und zugleich Zweifel nicht primär durch ihre Inhalte, sondern durch die Art, wie die Stimme des Sängers sich immer wieder in ihnen verläuft, sich überschlägt, anstatt selbstgewiss zu proklamieren. Die Gitarren haben häufig den Charakter von metallischen Klangtexturen, während das eigentliche Melodieinstrument der in bester Motörhead-Manier massiv vorantreibende Bass ist − gespielt von Gaye Advert, »one of punk’s first female icons«. Ihr Einfluss wird von Kommentatoren gerne auf die Optik von Augen-Make-up und Lederjacke reduziert; eine, um es höflich auszudrücken, fahrlässige Untertreibung. Und wie in »One Chord Wonders« und dem letzten Stück »Great British Mistake« minimalistische Schlagzeug-Patterns durch Wiederholung zu maximaler Intensität verdichtet werden, das gab es davor nur bei Velvet Underground (man vergleiche die Gitarren am Ende von »Great British Mistake« mit der Viola auf »Heroin«!) und danach erst wieder bei, sagen wir mal, Merzbow und Jeff Mills. Dass Punk eine ästhetische Haltung ist, die sich nicht nur in einem bestimmten Rockgenre manifestieren kann, sondern in den unterschiedlichsten musikalischen Formenwelten − dafür ist Crossing the Red Sea ein eindrucksvoller Beweis, weil es bereits inmitten des Punkrock-Booms die enge Rock-Form aufsprengte.

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