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HANS-A-PLASTHans-A-Plast [Lava Records, 1979] Flávio Bacon

Mitte der 1990er war ich 16, sehr schlecht frisiert, übel gelaunt, schwer mit meinem entmenschlichenden Drogenkonsum am Kämpfen, adoleszent und damit sexuell hochgradig verwirrt, aber vor allem eines: Die-Hard-Fanboy von US-amerikanischem Hardcore/Punk der frühen 80er. Jede Minute und jede D-Mark wurde ins Aufspüren, Beschaffen und klägliche Übersetzen dieser nihilistisch-elektroschockartigen Musik aus der Reagan-Ära investiert. Deutschsprachiger Punk erschien im Gegensatz dazu völlig abstoßend, da unerreichbar, unbekannt und vergraben unter einem riesigen, dampfenden Misthaufen namens Schlachtrufe BRD, dem lästigen letzten Japsen von Slime und den Kampftrinker Stimmungshits. Eben die stumpfe und durstige Resteverwertung zum Kassettenrecorder-Soundtrack der Teenpunks in meiner Kleinstadt-Nachbarschaft. Aus meiner Sicht war deutschsprachiger Punk eine rückwärtsgewandte und bierkonservative Tragödie, die mit dem Schützenfest ins Bett ging, aber nicht Hand in Hand mit der Weltrevolution. Meine Kritik stand felsenfest, war unwiderruflich für mein sechzehnjähriges Ich: Mit so einer Schlappiro-Gülle können wir dieses Monster namens Deutschland sicher niemals besiegen. Bis zu dem Tag, als ein Jugendfreund seinen eindrucksvoll mit dem Dead-Kennedys-Logo bemalten Bundeswehr-Rucksack bei mir im Kinderzimmer vergessen hat.

Auf der räuberischen Suche nach Weed stieß ich in seinem Gepäck auf eine mir unbekannte CD, die mich in einen zornigen Selbstdialog katapultierte: Was ist das für ein Klischee eines schwarz-weißen Cover-Artworks? Eine Ratte vor Feuer, die die Flucht ergreift? Wie dümmlich ist der Bandname, Hans-A-Plast? Und was sind da für deutschsprachige Songs mit so lächerlichen Titeln wie »Lederhosentyp« oder »Hau ab du stinkst« drauf? Prost Mahlzeit, was für ein Bullshit − wirklich nur die Onkelz, Hamburger-Schule-Bands und J.B.O. sind noch schlimmer! Völlig entschleunigt vom schließlich doch aufgestöberten und missbräuchlich konsumierten Gras und neugierig geworden, legte ich skeptisch Hans-A-Plast in den CD-Player ein. Play. Dann nur noch Spucken, Backpfeife, Spucken, Backpfeife. Die ersten Textzeilen hackten wie ein Beil auf mich ein: »Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich weiß nicht, wohin! Es ist wiedermal Freitag, und da muss doch was passiern!« Bevor ich den Song überhaupt ganz gehört hatte, musste ich immer wieder auf Anfang drücken. Unfassbar, ist diese Frau am Mikrofon ein menschliches Maschinengewehr? Jedes Wort ein Kopfschuss, jede Phrase sitzt. Bäm! Sie gibt Energie, Dynamik und Geschwindigkeit vor, und der Rest der Band erfüllt mit Bravour ihre Maximalforderung. Annette Benjamin scheint beim Singen treffsicher aus einem Düsenjäger auf unsere erhobenen Köpfe zu spucken. Sie spuckt auf monotone Alltagsrituale, sie spuckt auf eingespielte Rollenmodelle, sie spuckt auf die gesellschaftliche Ordnung, sie spuckt auf männlich dominierten Sex, sie spuckt auf die Exekutive, sie spuckt auf den Zeitgeist der BRD in den späten 70ern. Unter der angepissten Patina aus Spucke und Ablehnung tobt ein Wettkampf im Armdrücken zwischen Kultur und Geschlecht. Ein Armdrücken gegen die Wand, bei dem Zeile für Zeile jede Metaebene brennt wie einreißende Haut. Eine durch und durch kraftvolle Kritik, die dieses No-Future-Attitüden-Wirrwarr zugunsten einer Selbstermächtigung zielsicher überwunden hat und jeden klebrigen Pathos ausgrenzt, der nur zu gerne den Machismo im Punk unterstreicht. Mein sechzehnjähriges Ich war nachhaltig beeindruckt, textlich begeistert und hatte Lust darauf, weitere deutschsprachige Punk- und Postpunk-Perlen zu finden. Und in einem Punkt bin ich mir mit meinem sechzehnjährigen Ich noch immer einig: Musikalisch sprengt die Platte vordergründig zwar nicht die Ketten zwischen frühen The-Clash-LPs oder Germfree Adolescents der X-Ray Spex, überträgt aber diesen Sound in Perfektion in die verstaubte BRD des Jahres 1979 und ist voller Hits, Hits, Hits. Ihre wirkliche musikalische Eigenständigkeit erlangt die Platte allerdings durch die fordernde Verschmelzung der Gegensätzlichkeit zwischen Punkrock-Hits und einer Sängerin, die völlig out of step immer kurz davor ist, am Überdrehen der eigenen Energie zu explodieren. So wurde 1980 die erste Hans-A-Plast-LP von der Redaktion des Magazins Sound zu einer der 15 international wichtigsten Platten der 1970er ernannt. Bis 1983 veröffentlichten Hans-A-Plast drei LPs und eine 7", die sich auf ihrem eigenen, unabhängig geführten Label No Fun über 130.000 Mal verkauften.

Die Hans-A-Plast-CD wurde noch schnell von mir auf Kassette überspielt und zusammen mit dem wieder aufgefüllten Rucksack zurückgegeben. Hans-A-Plast hin oder her − wichtig ist, sich die Kulturtechnik anzueignen, fremde Taschen nach Gegenständen zu durchsuchen, die nachhaltig das Leben verändern können.

Damaged Goods

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