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ALTERNATIVE TVThe Image Has Cracked [Deptford Fun City Records, 1978] Thomas Schwebel

Alternative TV war die Band von Mark Perry, der im Jahr 1976 das erste englische Punk-Fanzine gründete, Sniffin’ Glue. Berühmt wurde Mark Perry durch seinen Punk-Katechismus, den er in der dritten Ausgabe veröffentlichte: Zeichnungen der drei Grundakkorde und die Aufforderung: »Now form a band«. Die ersten Punks waren im Hard- und Glamrock aufgewachsene Mädels und Jungs, denen Sicherheitsnadeln noch ziemlich egal waren. Mark Perry gab der ganzen Bewegung eine Stimmung und er definierte für einen kurzen, aufregenden Moment, was Punk eigentlich sein und bewirken wollte: Freiheit und Unabhängigkeit, keine Uniformität, kein Gruppenzwang.

Damit war Mark Perry die Aufnahme in die Hall of Fame der großen Missverstandenen sicher. Denn nichts lag ihm ferner als den Startschuss zu geben für eine Legion und mehr drittklassiger Rock’n’Roll-Bands, die nun, mit neuen Klamotten und einem schnelleren Schlagzeuger, neue Klischees erfanden, wie Punk zu klingen habe. Um das alles zu ändern, und inspiriert von sich selbst und dem Aufbruch, den er in Punk erhoffte, gründete Perry seine eigene Band: Alternative TV, kurz ATV. Der gleiche Furor und Enthusiasmus, der ihn zum Schreiben von Sniffin’ Glue getrieben hatte, trieb ihn nun an, mit seiner Band die Idee von Punk zu retten, die für ihn das Entscheidende war. Die erste Handvoll Singles und das Album erfüllten alle Erwartungen. Perry machte alles richtig und lag damit ziemlich falsch. Seien wir mal ehrlich: Die ersten englischen Punk-Platten waren ziemlicher Mist. Okay, das erste Damned-Album war lustig, aber für die angestrengte Rock’n’Roll-Pose der Clash galt schon immer, dass sie schrecklich altern würde. »Career Opportunities« − ich muss schon bitten. »How much longer will people wear nazi armbands and dye their hair«, singt Mark auf seiner zweiten Single, und wir spüren: Perry hatte große Hoffnungen und wurde massiv enttäuscht. Diese ganze Wut, Enttäuschung, aber eben auch die Begeisterung eines Fans, der neue Ausdrucksformen für sich entwickelt, spürt man in jedem Ton und in jedem Aspekt von The Image Has Cracked. Schauen wir einfach mal auf das Cover. Mark Perry liegt dort inmitten seiner Lieblingsplatten: Wir sehen unter anderem Zappa, Neil Young, Love, Thelonious Monk. Alles Punk, klar. Und rechts oben, auf der Rückseite der Hülle, sieht man die Zeichnung einer Seifenkiste, das Symbol des Speaker’s Corner, an dem jeder seine Meinung loswerden kann. Jeder Song wird durch ein Bild symbolisiert, und die Seifenkiste steht für das erste Stück, »Alternatives«. Das Album beginnt mit einem Monster, einem dicken fetten 70er-Prog-Rock-Synthie-Riff, ganz viel billige Synthesizer, die Geräusche der ersten Daddelhallen-Spiele (Space Invaders) und dann geht’s in ein kurzes Bassriff über von der Art, während dem Sänger normalerweise ihre Mitmusiker vorstellen. Gespielt von Jools Holland als Gast, sind schon diese ersten Takte ein veritabler Schock. Natürlich stellt Mark Perry seine Band nicht vor. »Alternatives« ist Musik als soziales Netzwerk, aufgenommen 1979. Neun Minuten lang hören wir Mark dabei zu, wie er Leute auf die Bühne holen will − jeder darf seine Meinung sagen, seine Alternative zu unserem Leben erklären, whatever. Man ahnt es schon: Konfrontiert mit der Möglichkeit, sich selbst zu ermächtigen, die Freiheit anzunehmen, sich selber auszudrücken, sich darin zu finden, etwas völlig Neues zu tun, passiert − nichts. Alternatives, my ass. »The image has cracked«, wahrlich. Mark Perry und John Lydon sind Brüder im Geiste. Die ganze Haltung der Metal Box und auch die ganzen Themen sind auf dieser Platte bereits angelegt. In »Viva la Rock’n’Roll« besingt er Paris als Hauptstadt der Rockmusik und dass er Rimbaud in der New Yorker New Wave wiedergehört hat. »Nasty Little Lonely« nimmt die »Poptones« von Lydon vorweg.

Gottseidank gibt’s ja heute Streaming und so haben wir die Chance, das gesamte Frühwerk von ATV hintereinander zu hören. Die Reggae-Singles »Love Lies Limp« und »Life After Life« genauso wie die bereits erwähnte »How Much Longer«-Single. Und dann war’s vorbei mit der Band. Völlig desillusioniert feuerte Perry seine ganze Gruppe und ging free-form auf endgültigen Konfrontationskurs mit der Punk-Orthodoxie. Was als ehrenwertes Ansinnen durchgehen könnte, war aber leider nur aufgeblasene Langeweile. Ich sah ihn 1980 in London als Vorprogramm der Pop Group und selbst das sehr tolerante Publikum in der Halle drehte sich fremdschämend zur Seite. Später gab’s diverse Reunions, auch poppigere Platten, doch nichts wird jemals wieder die Bedeutung, den Einfluss dieses Albums erreichen.

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