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WIREPink Flag [Harvest, 1977] Rosina Brunner

Diese Geschichte beginnt 1976 in London: Die Band, um die es hier geht, bestand damals aus vier Kunststudenten plus George Gill, einem Sänger und songschreibenden Gitarristen, der bekannt dafür war, immer gleiche Soli (in jedem Song) und betrunkene Machismen − eine ordentliche (Pub-)Rock-Show also − abzuliefern. So weit, so fad. Dann brach sich Gill ein Bein, woraufhin die restliche Band ohne ihn weiterprobte, neue Lieder schrieb und dabei herausfand, dass weder in den Songs noch in der Band Platz für Gill geblieben war. Das war allerdings kein Beinbruch, sondern Möglichkeit zum Aufbruch − durch die personelle Verkleinerung passierte nämlich folgendes: Zwei (von drei) Gitarren, die Rockismen und andere Klischees flogen raus, übrig blieb erstaunliche, sehr konzentrierte Musik. Diese neue Frische fiel auch dem Musikproduzenten Mike Thorne auf. Er war sogar so begeistert, dass er die Gruppe bei seinem Arbeitgeber EMI unterbrachte, wo im Dezember 1977 (interessanterweise auf deren Prog-Rock-Sublabel Harvest) schließlich Pink Flag erschien.

Bereits die Plattenhülle gab der geneigten Hörer_in wertvolle Hinweise auf den Inhalt: Auf der Vorderseite die pinke Flagge, der Bandname, kein Albumtitel. Auf der Rückseite die Songtitel, vier seltsame (dem Insistieren der Plattenfirma geschuldete) Einzelfotos und folgende biografische Daten: »Vocals − Colin (Black Hair), Drums − Robert Gotobed (6’3’’), Guitar − B.C. Gilbert (Blue Eyes) & Bass − Lewis (9st. 6lbs.)«. Die Musik wurde diesem idiosynkratischen Minimalismus voll gerecht. Obwohl Wire freilich auch die erste Punkwelle Englands und die kulturellen Veränderungen hautnah mitbekamen, blieben sie skeptisch. Colin Newman fand, dass Punk schon 1977 anfing, sich wie die Rolling Stones anzuhören und dass für seine Musik nur eine einzige Überzeugung gelten konnte: »It didn’t matter what I was doing, it shouldn’t be rock’n’ roll«. Wire verstanden sich auch nicht als Band, sondern vielmehr als lebendes Kunstwerk, was zu einem sehr überlegten Umgang mit ihren begrenzten musikalischen Fähigkeiten führte. Sie arbeiteten hart an ihren möglichen Stärken: der Konzeption und den Anfängen und Enden der Songs. Dazwischen setzen Wire auf radikale Reduktion. Lieder bekamen ein minimales Rahmengerüst, Vers-Strophe-Vers-Konstruktionen und Blues-Schemata flogen raus. Ein fast zen-artiges Schlagzeugspiel hält alles zusammen, an falsche Stellen gesetzte Einzählcouplets betonen das Unauthentische des »Materials«. Jedes Lied dauert exakt so lange wie es braucht, um seine Stimmung zu erklären. Wenn der Text gesungen ist, ist das Lied zu Ende. Auf Pink Flag dauert das mal 28 Sekunden, längstens aber 3 Minuten 58. Es gibt kein Füllmaterial, keine Gitarrensoli. Wire wollten genuin neue Kunst schaffen. Dass es ihnen dennoch gelang, catchy Songs wie »Fragile« oder »Mannequin« zu schreiben, ist erstaunlich. Dass diese nicht aus der sehr dichten Gesamtdramaturgie (21 Songs in 36 Minuten) von Pink Flag fallen, zeigt wie gewissenhaft auch an der Reihenfolge der Songs gearbeitet wurde. Es entstand eine einmalige Platte, die sowohl als ein langer Song als auch fragmentarisch gehört werden kann.

Der ökonomische Umgang mit Ressourcen lässt Pink Flag auch als musikalische Einlösung eines knapp siebzig Jahre zuvor von Adolf Loos geäußerten Wunsches lesen: Der Architekt und Kulturkritiker betrachtete bereits 1908 in Ornament & Verbrechen »das Ornament als vergeudete Arbeitskraft« und wünschte sich einen »modernen Menschen mit modernen Nerven«, denn dieser brauche »das Ornament nicht, er verabscheut es«.

Nach einer Eröffnungsserie dreier unglaublicher Alben (eben Pink Flag, Chairs Missing, 154) in 22 Monaten verloren Wire Anfang der 1980er zuerst ihr Label, dann Ende des Jahrzehnts einen Musiker (und damit einen Buchstaben, sie nannten sich dann Wir), gewannen aber mit ihrer frühen Musik an unerwarteter, anderer Stelle Einfluss: Die jungen Hardcore-Punks in den USA (frag nach bei Steve Albini, Henry Rollins oder natürlich den Minutemen) nahmen ganz deutlich Anleihen bei den Briten. Später gingen Wire wieder als Quartett auf Tour. Weil sie nur neue Lieder spielten, luden sie sich mit den Ex-Lion Tamers eine (nach dem Lied von Pink Flag benannte) Wire-Coverband ein − so viel zum Leben (und der Befriedung von Serviceerwartungen) im Showgeschäft. Außerdem veröffentlichten die vier Mitglieder von Wire zwischen den Bandalben unzählige Solo- und Kollabo-Arbeiten, als plötzlich ihr frühes Schaffen im Britpopnationalwahn der frühen 1990er als Stichwortgeber anerkannt wurde, die Band Elastica hatte 1994 einen Wire-Pastichehit. Wire gaben auch (viel) später noch inspirierende Konzerte, mit ihren Alben bewiesen sie laufend, dass Kunstakademien durchaus auch mal Mehrwert für alle liefern können.

Für mich waren Wire nach dem Erstkontakt übrigens Ausstiegsdroge aus der AC/DC-Welt (und der »Band«, die ich mit einem Schulkollegen darob unterhielt) − der Weg zurück war nach Pink Flag für immer verschütt, was natürlich kein Problem war, denn nach dieser Übung in anderem Hören öffneten sich musikalische Wege zuhauf. Außerdem war der Name Robert Gotobed immer mein Lieblings-Punk-nome-de-guerre. Dass sich später herausstellte, dass jener keine Erfindung, sondern tatsächlich der (später aus Gründen der Seriosität in Grey geänderte) Taufname seines Großvaters war, macht die Sache noch schöner.

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