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JAMES CHANCE AND THE CONTORTIONSBuy [ZE Records, 1979] Thomas Meinecke

1977 zog ich von Hamburg nach München. Das war gleichsam ein Umzug von Punk nach Disco. Und also sah ich in Münchens von Koks und Champagner durchwehtem Hipster-Lokal Die Klappe den britischen Roxy-Music-Designer Anthony Price sowie Musiker wie die glamourösen Sparks aus den USA herumstehen, die von dem schnauzbarttragenden Südtiroler Giorgio Moroder einen grandiosen Munich Disco Sound verpasst bekamen, wie man ihn zuvor nur in »I Feel Love« für Donna Summer aus dem afrogermanischen Mannheim erlebt hatte (immerhin der zentrale Blueprint für das ein Jahrzehnt später aufkommende afroamerikanische Genre Techno).

Dass Disco und Punk beide gegen die Authentizitäts-Behauptungen der phallologischen Rockmusik antraten und feierlich auf ihre Künstlichkeit verwiesen, wurde noch 1980 in dem Sex-Pistols-Movie The Great Rock N Roll Swindle bestätigt, für den Malcolm McLaren ein Disco-Medley der größten Sex-Pistols-Hits in Auftrag gegeben hatte. Und in New Yorks Punk-/New-Wave-Underground hatte sich die Formel Disco-Punk über Combos wie Blondie und Talking Heads ebenfalls bereits etabliert.

Es war gar nicht einfach, damals etwas über die post-hippiesken Musikentwicklungen der USA zu erfahren, in der Bundesrepublik Deutschland. Ich hatte davon gehört, dass Glenn O’Brien in Andy Warhols Interview das aktuelle Geschehen verfolgte und zur idiosynkratisch empfehlenden Darstellung brachte. Dieses legendäre Magazin gab es zwar schon seit den frühen 1970er-Jahren, aber unsere Bahnhofs- oder Flughafen-Buchhandlungen hielten es keinesfalls vorrätig. Es war ein kleiner Ballett-Ausrüster in Münchens Zentrum, der es als einziger in der ganzen Stadt führte. Also pilgerte ich dort monatlich hin und zog mein Exemplar von Andy Warhols Interview zwischen Tutus und Talcum-Puder heraus.

Glenn O’Briens damaliger Kolumne verdanke ich die Entdeckung des gesamten P-Funk-Universums, der grandiosen Art-Disco-Formation Dr. Buzzard’s Original Savannah Band, Richard Hell and the Voidoids und eben die unglaubliche Welt des James Chance (auch James White genannt) und seiner Band The Contortions, ohne deren Errungenschaften viele spätere Postpunkbands (etwa die Goldenen Zitronen in ihrer eigenen Postpunk-Phase) gar nicht denkbar wären.

Zuerst 1978 auf der von Brian Eno völlig echofrei in einem wie an die Wand gefahrenen Sound produzierten No New York-Compilation (neben Lydia Lunchs neuheitlicher Autodidakten-Formation Teenage Jesus and the Jerks, Mars sowie Arto Lindsays DNA) gehört und sofort extrem fasziniert gewesen. 1979 dann das epochale und sensationell verpackte Buy-Album der Contortions, immer noch unbarmherzig spröde im Sound, aber zugleich voller, und dennoch einer innovativen Dekonstruktion verpflichtet, die durch das eklektische Addieren bekannter Musikrichtungen abfiel: Zunächst James Browns hypnotische Funk-Patterns, fragmentiert in den Gitarren-Licks von Jody Harris, dazu James Chances Plastik-Altsaxophon (wir denken an Ornette Coleman und Charlie Parker), auf dem er pseudo-harmolodische Free-Jazz-Figuren repetitiv intonierte, wenn er nicht in einem hysterischen Stil dissidente Sentenzen wie »Contort Yourself« (in Abwandlung der afroamerikanischen Losung »Respect Yourself«) herausschrie (und sich später dann auch gern trance-artigen Orgel-Sounds, wie sie Fela Kuti in Westafrika entwickelt hatte, widmete). Dazu harte Drum & Bass Lines, auch mal von Funk zu Disco transzendieren lassend, und das Ganze mit einer performativen Aggressivität verbunden, die schlichtweg Punk war. Und dabei, in Sophistication, böse wie Charles Baudelaire und The Velvet Underground blieb.

Auf der Cover-Rückseite sah man James Chance sich feindselig und blasiert zugleich über den Bühnenrand eines Clubs zu seinem Publikum beugen, das (in einer Art Heroin-Chic) teils paralysiert, teils mitgerissen wirkte. Das alles schien mir so weit entfernt zu sein von dem doch noch ganz im Pub-Rock verankerten europäischen Punk-Geschehen. (Aus dem sich allerdings auch bereits innovative Bands wie The Slits oder Gang of Four ästhetisch und auch geschlechterpolitisch emanzipiert hatten.)

Ich hätte nie gedacht, dass ein Künstler wie James Chance länger als ein paar Jahre eine derart expressive und exzessive Kunstform aufrechterhalten könnte. Eigentlich hatte ich angenommen, er würde nicht mehr am Leben sein. Doch vor wenigen Wochen (und auch schon vor einigen Jahren) sah ich ihn, mittlerweile 63-jährig, etwas chubby geworden, gewohnte Schnösel-Tolle, während der Show offenbar an einem (wie ich mit meinem Freundeskreis übereinkam) White Russian nippend, live in Wiens historischem Punk-Club Chelsea. Absolut überzeugend, ziemlich tight, in einem durch zwei jüngere (wahrscheinlich französische) Musiker am Schlagzeug und Bass sowie Jody Harris an der Gitarre (mit seinen unverwechselbar splitternden Sounds) besetzten Ensemble namens Les Contortions. Selbst meine von mir leichtsinnig mitgebrachten um dreißig Jahre jüngeren Freundinnen und Freunde waren stark begeistert. (Was mich über meine kastenförmige Jacken tragenden, jeglichen Stilbewusstseins verlustig gegangenen Altersgenossen hinwegtröstete.) Es kann ja auch schiefgehen (und tut es sehr oft), einer historischen Errungenschaft im Reenactment zu begegnen. Diese hier war aber bereits 1978 so unique, dass ich froh war, sie noch einmal in full effect erleben zu dürfen.

Ich konnte anschließend keine der angebotenen Schallplatten erwerben, da ich sie alle bereits besitze, und begründete meine Entscheidung, einen 5-Euro-Schein von James Chance signieren zu lassen, eben mit diesem Umstand. Ich lachte dabei etwas verlegen (ich hätte ja auch einen 50-Euro-Schein zücken können), doch der Künstler signierte ihn wortlos und in gekonnter Unfreundlichkeit.

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