Читать книгу Damaged Goods - Группа авторов - Страница 21

Оглавление
RICHARD HELL & THE VOIDOIDSBlank Generation [Sire, 1977] Klaus Bittermann

Punk begann, wie viele andere Bewegungen, in Hinterzimmern, Kellern, Absteigen, in kleinen Schuppen, in üblen Gegenden. In New York hieß dieser Ort CBGB. Er lag in der verrufenen und heruntergekommenen Lower East Side und war eine dunkle Schnapshöhle, die vorher Palace Bar hieß, und eine zeitlang gehörte die alte hoffnungslose Stammkundschaft noch zum Publikum, als dort die ersten Live-Acts stattfanden. Die erste Band, die das CBGB als Auftrittsort etablierte, war Television, und ihr erster Auftritt war am 31. März 1974.

Richard Hell hatte zusammen mit Tom Verlaine, der später Television ohne ihn weitermachte und noch im April 2016 ganz unspektakulär im Berliner Huxleys auftrat, die Band gegründet und damit angefangen, nicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, sondern das, was später als Punk gelten sollte, seine Erscheinungsform, wesentlich und vor allem stilbildend zu prägen. Anthony Bourdain behauptete sogar, Richard Hell hätte Punk fast im Alleingang erschaffen. Bevor Richard Hell mit den Voidoids 1977 schließlich »Blank Generation« gelang, ein gequälter und zugleich wütender Song der Unzufriedenheit mit sich und der Welt, die eine empfindungslose Generation hervorgebracht hat (ein ambivalenter Song, wie Richard Hell behauptet), war er vielleicht der erste, der Punk als Gesamtkonzept betrachtete. Punk bestand für ihn nicht einfach darin, auf die Bühne zu gehen und loszulegen, es ging ihm auch um Stil, um Haltung und um die Lyrics. Es ist kein Zufall, dass Malcolm McLaren, für den diese Dinge ebenfalls eine Rolle spielten, Richard Hell fragte, ob er der Frontmann der Sex Pistols werden wolle. Aus den Sex Pistols wäre dann allerdings etwas ganz anderes geworden, denn Richard Hell strahlte nicht das Aggressiv-Diabolische eines Johnny Rotten aus, das die Sex Pistols ausmachte. Weil er bereits früh Heroin konsumierte, traten schon bald andere Gefühle wie Qual, Langeweile, Angewidertheit in den Vordergrund, die in das Universum Richard Hells wie böse Geister eindrangen und verhinderten, dass er zu einer Berühmtheit werden konnte.

Aber vielleicht wollte er das auch gar nicht, denn als Jugendlicher, der schon früh nach New York abgehauen war, liebte er die französische Lyrik von Rimbaud, die Prosa von Lautréamont und Nietzsche und avantgardistische Dichtung wie »Howl« von Allen Ginsberg, während ihm die Stones, Bob Dylan und die Kinks nur als Soundtrack dienten, um die Zeit totzuschlagen. Er hielt sich mit Aushilfsarbeiten in Antiquariaten über Wasser und gab kleine Literaturhefte mit Gedichten heraus. Dabei hatte er, bevor er mit Verlaine (benannt nach dem Dichter Paul Verlaine) Television gründete, mehr zu tun mit Leuten wie Andrew Wylie, der später einer der bedeutendsten Literaturagenten wurde, und mehr auch mit Pop-Künstlern wie Claes Oldenburg, mit dessen Frau er eine zeitlang zusammen war, als mit den New York Dolls, die als Proto-Punkgruppe schon seit 1971 unterwegs waren.

Kaum jemand hat hellsichtiger über Richard Hell geschrieben als Lester Bangs. Er hat besser herausgearbeitet, welche Empfindungen jemand haben muss, der sich »Hölle« nennt, von welchen Gefühlen er getrieben wurde und wie jemand an der Empathielosigkeit der anderen und seiner eigenen leidet, als es Richard Hell in seiner Autobiographie geschafft hat: »In dieser Zeit eines hedonistischen Faschismus wagt es keiner, aufzuschreien, nimmt sich keiner heraus, das pathetische Etwas, das da in der Luft hängt, nämlich das Leben, anzuzweifeln − wenigstens bis jetzt keiner. (…) Aber wenn du den Dichtern zuhörst, wirst du deinen Zorn hören und ihn ausspeien. Richard Hell ist einer der Dichter. Es wäre verdammt hart, darzustellen, warum ich wenigstens teilweise an das glaube, was Richard Hell von sich gibt; ich will mir lieber nicht das Herz rausschneiden. (…) Ich liebe seine Musik leidenschaftlich, obwohl ich befürchte, dass diese Musik und alles, was wir für sie empfinden, eine unangebrachte Leidenschaft wiedergibt. Ich hatte vor, ein Buch über die heutige Empfindungslosigkeit zu schreiben, und weil er einer der wenigen Köpfe ist, die ich respektiere, zeigte ich Richard vor rund einem Jahr ein paar Auszüge aus dem Manuskript. Er las diesen Kassandraruf einige Male mit stiller, starrer Intensität, dann sagte er: ›Der Haken ist, dass die Leute nicht mal mehr versuchen müssen, nichts mehr zu empfinden; sie können nichts mehr empfinden …‹«

Das allerdings leugne ich heute noch, und um mich davon zu überzeugen, brauche ich nur Richard Hell auf der Bühne zu sehen: wie er sich windet, sich einen abbricht, rumfetzt und wie ein angestochener Derwisch in seine Gitarristen kracht. Nichts ist von der Leere weiter entfernt als seine Augen, diese zersplitterten Bienenstöcke, die in ihren Sockeln hängen und heulen: Lasst mich hier raus! Wie immer wir dieses Hier verstehen mögen. Aber wir verstehen es ja nicht, und deshalb gibt es für uns keine Connection damit, und deshalb ist eine Figur wie Richard Hell, zumindest zeitweise, absolut notwendig.

Die einzige Schwierigkeit (und zugleich das Limit seiner Notwendigkeit) liegt darin, dass seine Intelligenz, in ihren Möglichkeiten so beeindruckend, sich doch schließlich nur auf die Art Hölle fixiert, in der sie schwelgt. Das nähme ich ihm übel; aber der ursprünglichen Intelligenz muss ich meine Reverenz erweisen. Richard Hell ist der wahre Verbannte, der über die Hauptstraße läuft, ein verletzter Liebhaber, der über sich selbst gern gnadenlos richten und urteilen und Hand in Hand mit sich selbst hinausgehen würde. Warum schon schreibt einer einen Song, in dem es heißt: »Ich könnte mit dir leben in einer anderen Welt«? Nicht, weil er in dieser nicht funktionieren kann − das kann jedes Arschloch −, sondern weil ein Leben, das auf den Kommunikationsformen dieser Welt basiert, bestenfalls nicht zu ertragen, schlimmstenfalls der Anlass für eine extreme Art von Gewalt ist, eine Gewalt, die, meine ich, in Richards Fall implosiv, bei den Sex Pistols explosiv ist.

Damaged Goods

Подняться наверх