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THE VELVET UNDERGROUNDWhite Light/White Heat [Verve, 1968] Didi Neidhart

Es gibt so Tage, da passieren Dinge, die wie erfunden klingen. An so einem Tag brachte ich, gerade in einer »Sweet Little Sixteen«-Umbruchphase, wieder mal einen Stapel Platten zum Verkauf bzw. Tausch in den örtlichen Secondhandladen, wo sich die dort versammelte Belegschaft diesmal echt Sorgen um mich zu machen schien. Ob ich denn das Geld wirklich so unbedingt brauchen würde? − Nein! Ob ich eventuell, vielleicht, möglicherweise ein, ähem, Problem mit Drogen oder so hätte, weil darüber könne ja offen gesprochen werden? − Nein! Aber wenn Geld und/oder Drogen keine Rolle spielen, wieso ich denn gerade DIESE Platten verkaufe? Gemeint war der noch übrig gebliebene Teil meiner in den letzten Jahren sorgfältig und mit Hilfe des Rowohlt-Rocklexikons zusammengestellten Plattensammlung, die sich dem quasi klassischen Kanon der 1960er und 1970er verschrieben hatte. Musik von Gestern, eher zum Erwachsenwerden, als zum Jungbleiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Punk (etwas zeitversetzt und von daher eher in Form von Postpunk) mir, dem einst glühenden Sixties-Rockfan, jedoch schon von einer Sinnkrise zum Lebenswandel verholfen. Und wie das immer so ist, wenn es zu einem radikalen Ideologiewechsel kommt, musste der auch in diesem Fall radikalst umgesetzt werden. Hatten nicht auch The Clash gemeint »No Elvis, No Beatles, or The Rolling Stones in 1977«? Eben! Also weg mit all dem Scheiß (Elvis blieb jedoch)! Und was konnte die Attitüde eines angehenden Punks besser zum Ausdruck bringen als eine »Punk Gesture«, die sich direkt vor den Augen langhaariger Hippieüberbleibsel abspielte? Nein, weder um Geld, noch um Drogen ging es, sondern einzig darum, dass ich all diese Musik scheiße fand, weil ich von nun an »different« war. Hab ich so natürlich nicht gesagt, aber gemeint. Jedenfalls ging’s dann Richtung Tausch und privater Legendenbildung. Zuerst fischte ich aus der Plattenkiste Raw Power von Iggy & The Stooges (im originalen CBS-David-Bowie-Mix), dann Discreet Music von Brian Eno, gefolgt von Evening Star von Fripp/Eno (beide übrigens noch Jahre danach übelst nach Patschuli stinkend) und dann White Light/White Heat von The Velvet Underground. Eigentlich wollte ich bei den Velvets ja mit ihrer ersten LP anfangen. Aber zu Zeiten vor dem Internet und dem Reissue-Business, war das nicht ganz so einfach. Herumgespukt hatte der Name ja schon länger. Das Rocklexikon machte auf seine Art und Weise Lust darauf, indem es von »sinistrer Schönheit«, »paranoider Aggressivität«, »Rückkopplungen bis an die Schmerzgrenze«, »elektronischen Splitterbomben« und »klaustrophobischer Monotonie« schrieb. Durch Punk gab es zudem einen aktuellen Grund, sich all das zuzulegen, bei dem Punk schon avant la lettre auffällig geworden ist. Der Tausch kam zustande, der Bruch folgte wenig später. Was dann zu Hause aus der im Wohnzimmerschrank platzierten Stereoanlage meiner Eltern erschallte, war schlicht nicht zu packen.

Aus irgendeinem Grund hatte ich die Seiten der LP verwechselt und so ging es mit dem Feedback-Wahnsinn von »I Heard Her Call My Name« los. Damit war in Sekundenschnelle das Schicksal meiner noch verbliebenen und für mich zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise mit dem gerade Gehörten in Verbindung zu bringenden Plattensammlung besiegelt. Als dann »Sister Ray« losging, war der Bruch unumgänglich. Für Jahre sollte diese Nummer (abwechselnd mit der kompletten Raw Power) mein »Morgenradio« vor der Schule sein. Wenn die Eltern weg waren, wurde nicht nur voll aufgedreht, sondern auch die Ohren so dicht an die Boxen gelegt, dass sich die im Rocklexikon erwähnte »Schmerzgrenze« voll entfalten konnte. Kurz: Ich wollte regelrecht in den Track reinkriechen. Und daran hat sich im Grunde wenig geändert. White Light/White Heat ist ein »Hören mit Schmerzen«, aber eines, das befreit.

Gut, »The Gift« mit seinem radikalen Stereo-Splitting (in einem Kanal die Stimme, im anderen das Gitarren-Feedback) klingt unter Kopfhörer wie ein Migräneanfall, aber da ist dann ja auch noch das wunderschöne, geheimnisvolle und einen Strauß »Blumen des Bösen« ins Gesicht klatschende »Lady Godiva’s Operation« mit John Cales toller Viola.

Hier war er: Der Bruch mit den Sixties schon in den Sixties. Der Eintritt in die Welt des »Undergrounds«, von Warhol, John Waters, etc., von dem zwar noch nie etwas auf einer Leinwand, aber schon viel in Magazinen zu sehen gewesen war. Und weil die Platte damals schon sau-rar war, wurde sie quasi auch zu einem Ticket. Wir dürfen nicht vergessen, dass »anders sein« auch ziemlich elitär daherkommen kann. Frei nach dem Motto »Zeig mir deine Platten und wir bestimmen, ob du zu uns gehören darfst«, war es gerade zu Zeiten von Punk ja nicht immer ganz so easy, da aufgenommen zu werden. Zumal es bei jenen, die einem am coolsten vorkamen, immer auch um archäologisches wie genealogisches Wissen (frei nach, aber auch von Foucault) ging. Die erste Velvet Underground zu haben, war damals Pflicht, aber mit White Light/White Heat aufzukreuzen, war Kult. Erst über die Reaktionen anderer wurde hier gleichsam ein Heiliger Gral beschworen. Zusammen mit Raw Power war das lange Zeit »Mein Schatz« und ist es immer noch, nur nicht mehr in dieser Ausschließlichkeit. Denn so elitär, wie wir damals auch gewesen sein mögen, es ging uns auch darum, möglichst viele mit »Sister Ray« zu beglücken. Nur mochten das viele (auch solche, die sich »Punks« nannten) dann doch nicht. Als sich dann ab den 1990ern plötzlich scheinbar jede dahergelaufene Stromgitarren-Band als von den Velvets beeinflusst stilisierte, war White Light/White Heat jedoch erneut wieder die sprichwörtliche Gretchenfrage. Ding, Dong …

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