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BLONDIEBlondie [Private Stock, 1976] Hans Peter Frühauf

Vierzig Jahre ist es nun her, dass Punk die Bühne betrat und vierzig Jahre wird darüber gestritten, was er letztlich sei. Wer dazu gehört und wer nicht, ist die dauernd auflodernde Frage, die sich Fans, Kritiker_innen und Wissenschaftler_innen stellen. Punk ist alles, das provoziert, aneckt, sich abgrenzt, aber er ist auf keinen Fall blond. Die Blonde, die Epochen überdauernde Schönheit, im Nationalsozialismus pervertiert und in Hollywood glorifiziert, eine solche Schönheit betritt Ende 1976 die Manege und lässt fragen: Ist das noch Punkrock? Blondie, die Band um Deborah Harry und Chris Stein, präsentierte eine Melange unterschiedlicher Stile in der Zeit, als sich die Musikszene selbst ausdifferenzierte. Blondie waren respektlos und erfolgreich, und Hits wie »Denis«, »Picture This«, »Hanging on the Telephone« und »Heart of Glass« stürmten die Charts, jenes Folterinstrument der Musikindustrie, das der Punk bekämpfte und dessen Opfer er selbst wurde. Sind Blondie nun Punk? Einige meinten, die Band sei nach Hitlers Schäferhündin benannt, aber, so lässt uns Debbie Harry wissen, geht der Name auf die Hey-Blondie-Rufe zurück, die Truckfahrer ihr lüstern zuriefen. Also auch im Bandnamen kein Hinweis auf Punk, der gerne mit nationalsozialistischen Symbolen spielte. »X-Offender«, der erste Song auf ihrem 1976er-Debütalbum Blondie, greift die Geschichte um den Bandnamen auf. Der Text stammte ursprünglich vom Bassisten Gary Valentine und erzählt die Geschichte eines Achtzehnjährigen, der wegen Sex mit einer Minderjährigen verurteilt und eingesperrt wird. Debbie Harry überarbeitete den Text und schrieb ihn sich als Frontfrau der Band auf den Leib. »X-Offender« handelt nun von einer Prostituierten, die sich zu dem Polizisten, der sie verhaftet, sexuell hingezogen fühlt. Groß und gutaussehend steht er da, liest ihr ihre Rechte vor und nimmt sie mit, in eine Gefängniszelle. Die Erzählerin ist sich sicher, dass sie den Polizisten, den »marksman«, noch rumkriegen wird: »And when I get out, there’s no doubt I’ll be sex offensive to you«. In diesem Song, der, um radiokompatibel bleiben zu können, von »Sex-Offender« in »X-Offender« umbenannt wurde, werden die Machtverhältnisse umgedreht und die Geschlechterbeziehungen neu geordnet. Im Video sehen wir eine Frau, die mit weiblichen Attributen spielt und diese zugleich bricht. Ihr blondes Haar, die vollen Lippen, das rosarote Outfit erinnern uns an Bekanntes, wäre da nicht die im Hintergrund überdimensional thronende Schwarzweißfotografie, die Debbie Harry zu einer Ikone stilisiert. Ihre Präsenz war (und ist) so dominant, dass die Bandmitglieder einmal mittels Buttons am Revers darauf aufmerksam machten, dass es sich bei Blondie um eine Band handelt. Ihr Stil sei aus Comicbüchern, Hollywoodfilmen zusammengeschustert, gemixt mit etwas englischem Punk und den Ideen des New Yorker Designers Stephen Sprouse, erzählte Harry dem Telegraph im Frühjahr 2016. Ähnlich wie David Bowie präsentierten Blondie dem Hörer und Zuschauer mehr als bloße Zitate unterschiedlicher Stile und Genres. Blondie etablierten eine neue weibliche Choreografie in der Popkultur und ebneten Jahre später Madonna den Weg zum Superstar. Auf dem 1980er-Album Autoamerican präsentierte die Band den ersten Rap-Song (»Rapture«), der von einer weißen Frau gesungen wurde und Platz eins der Charts erreichte. Auffällig ist, dass Blondie die schwarzen Rap- und HipHop-Pioniere Grandmaster Flash und Fab 5 Freddy besingen. Letzterer hat, gemeinsam mit Jean-Michel Basquiat, einen Cameoauftritt im gleichnamigen Video. Lange bevor MTV Videos schwarzer Musiker_innen zuließ, haben Blondie die Wurzeln ihres Schaffens in der schwarzen Kultur visuell freigelegt. Im Video »Rapture« ist ein in Weiß gekleideter Schwarzer (William Barnes) zu sehen, der in einer Seitengasse tanzend in das Video einleitet. Mit goldenem Zylinder und schwarzer, blinkender Sonnenbrille nähert er sich einem vergitterten Fenster und blickt in einen Raum. Die Kamera schwenkt auf Debbie Harry, die einer Statue gleich dasteht. Sie bedeckt ihr Gesicht halb mit dem Kragen ihrer Chiffon-Weste und setzt sich langsam in Bewegung. Sie zieht die Weste aus, beginnt zu singen und läuft vorbei an erstarrten Personen. Debbie Harry lässt die Leblosen aufwachen. Musik und Stimme beleben die Situation und versetzen die Menschen in Verzückung: Rapture. Die Personen im Raum tanzen linkisch zum Disco-Beat, den ein schwarzer DJ vorgibt. Der »Man from Mars«, der Eingangs in den Raum blickt, sowie der DJ, sind die eigentlichen Protagonisten des Songs. Sie liefern den Weißen den Sound, die ihn aufgreifen ohne ihn zu be-greifen. In dem Moment, als uns die Kamera wieder nach draußen führt, wird klar, dass uns Blondie die Geschichte der Ausbeutung der schwarzen Kultur vor Augen führten. Neben schwarze Graffiti-Künstler und Tänzer gesellen sich Uncle Sam, eine kleine Ballerina sowie ein Nervenarzt, die dem Geschehen kaum folgen können. Und der Man from Mars zieht mit den Weißen weiter, vermutlich in den nächsten blutleeren Club. Dies ist die Geschichte von Disco, einer anfänglich schwulen und schwarzen Clubkultur, die vom weißen Markt verschluckt und ihrer eigentlichen Identität beraubt wurde. Das ist es, was Blondie zu Punk macht: eine subversive und tiefe Kritik an den Mechanismen des Marktes, der kulturellen Ausbeutung und der Geschlechterpolizei, versteckt in eingängigen Melodien, die auf mehr als drei Akkorden beruhen.

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