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STICKS & STONESThe Optimist Club [1994] Jonas Engelmann

»We are part of a self-destructive division proponents of a policy of fission« (Sticks & Stones: »Policy of Fission«)

Die melancholischen Optimisten aus New Jersey haben es 1994 schon gewusst: Punk wird sich irgendwann selbst zerstören, und die Band Sticks & Stones hat sich als lustvoller Teil dieser Mission verstanden. Womöglich lässt sich mit diesem Bild auch der Streit auflösen, der Punk seit Anbeginn verfolgt hat: Während die einen Punk schon früh für tot erklärt haben, stemmten sich die anderen nostalgisch gegen dessen Sterben und haben sich für ein in den Rückspiegel blickendes musikalisches Stagnieren entschieden, für das Herumreiten auf den ewig gleichen Provokationsgesten. Dabei hat Punk von Anbeginn ein selbstdestruktives Element innegewohnt: Nicht nur die Gesellschaft, die man vorfand, wurde hinterfragt und angegriffen, sondern immer wieder wurde auch skeptisch auf die eigene Szene geblickt. Sticks & Stones etwa standen für die Dauer ihrer Existenz für das Prozesshafte, das Punk innewohnen kann, für die Suche nach neuen musikalischen Formen, um die Kritik an gesellschaftlichen Strukturen zu verpacken. Am besten gealtert wirken heute nicht zuletzt die Alben der Punkgeschichte, die sich musikalisch am weitesten aus dem Fenster gelehnt, die Idee von Punk am weitesten gedehnt und Punk damit in den Augen ihrer ZeitgenossInnen ebenso gehörig falsch verstanden haben, wie mein jugendliches Ich: als musikalischen Ort der Verweigerung nämlich, der gleichzeitig eine Offenheit in sich trägt, eine Lust am Experiment. In meinem Missverständnis war und ist Punk bis heute ein Ort, an dem die Monks ebenso Platz haben wie Phranc und John Zorn, die Holy Modal Rounders und Wild Man Fischer, Mission of Burma und Team Dresch, God Is My Co-Pilot und Selvhenter, Datashock, EA80 und die Big Boys. Ein politischer Ort, der sich an die Musik nur lose klammert, aber dennoch nicht ohne die subkulturelle Geste zu greifen ist. Punk als widerspenstige Idee voller popkultureller Referenzen, ein Spiel mit der eigenen Geschichte, mit Brüchen und Kontinuitäten, die Politisches immer mitdenkt, eine Idee, die für mein jugendliches Ich Ausgangspunkt sein konnte für die Formung einer verspielten Identität. Ohne ein »Wir« einzufordern, denn abschreckende »Wirs« gab es auf dem Dorf zur Genüge, hat Punk mein »Ich« zu formen geholfen, war Hilfestellung, mich irgendwie da draußen zu orientieren. Deswegen mache ich heute, was ich mache. Da bin ich ziemlich sicher.

Die große Erzählung von Punk ist schon viel zu oft kolportiert worden, mal als Geschichte des Bruchs mit der Musiktradition und mal als Geschichte der Traditionspflege, sei die Referenz nun Rock’n’Roll oder Dada. Die große Erzählung hält sich an Orten und Zeiten fest (NY 1974 oder GB 1976), aber um Verortungen und Verwurzelungen soll es hier nicht gehen. Im Gegenteil, dieses Buch feiert Punk als ortlose Musik, als zeitlose Musik, als politische Musik, als Musik persönlicher Politik: lauter lose Enden von den Fugs über Ton Steine Scherben bis zu Death, die alle der Anfang sein könnten. Aber auch: Patti Smith, Stooges, oder, wie es die Punk-Historie will, Sex Pistols oder Ramones. In diesem Buch bleiben diese losen Enden als Möglichkeiten und Einstiegsangebote hängen, wo sie sind, und bleiben die Lücken als Lücken bestehen: Denn eine Punk-Geschichte als große Geschichte soll hier gar nicht erzählt werden. Sondern etwas mehr als 150 Punk-Geschichten, biografische Einstiege in Punk, die individuell geprägt sind, weil sie individuell geprägt haben. Die Erinnerungen und kleinen Geschichten in diesem Buch bilden schlussendlich dann doch eine vielstimmige Geschichte von Punk, wenn auch eines oftmals übersehenen und randständigen Punk, eines Punk, den andere womöglich gar nicht so nennen würden. Es finden sich Stimmen von MusikerInnen, AutorInnen, politischen AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, Fanzine-MacherInnen und JournalistInnen, solchen, denen Punk zum Beruf geworden ist, zu früh und zu spät Geborenen und viel zu früh Verstorbenen, die alle vereint, dass Punk irgendetwas mit ihnen angestellt, ihr Denken mitgeprägt hat.

Prägend, wie für mich eben jene Sticks & Stones. Es hätte an dieser Stelle auch ein anderes Album hervorgehoben werden können, eine Flaschenpost aus den Jahren um meine Geburt, Germfree Adolescents der X-Ray Spex oder Zen Arcade von Hüsker Dü, oder auch ein Album der frühen Neunziger, Pussy Whipped von Bikini Kill, Fugazis Repeater oder Das bisschen Totschlag der Goldenen Zitronen − zusammen mit ein paar weiteren, von mir und der Zeit vergessenen Alben, mein Soundtrack des Jahres 1994, mit 15. Aber diese Bands waren für andere ebenso wegweisend, weswegen sie anderswo in diesem Buch gewürdigt werden. Dann also Sticks & Stones − von ihrem 1994er-Album The Optimist Club, als Vinyl only auf dem winzigen Nürnberger Label Tinnitus Records erschienen, ist selbst nach 20 Jahren noch jeder Moment präsent. Objektiv betrachtet ist es nur eine Fußnote der Punkgeschichte, aber um Objektivität geht es diesem Buch keineswegs, sondern darum, was Musik mit einem machen kann, wenn man sich denn darauf einzulassen bereit ist. Musikalisch ihrer Zeit voraus und gleichzeitig aus der Zeit gefallen, scherten sich die vier Musiker nicht um irgendwelche musikalischen Punk-Konventionen, erprobten auf Basis von Punk eine leise Revolution ohne Angst vor Kitsch und Pathos an den richtigen Stellen, erzählten kolossale, persönliche Geschichten jenseits von Phrasen und Parolen über das Scheitern, das prekäre Leben durch das Unterlaufen gesellschaftlicher Erwartungen und über das Politische im Alltagsleben, boten ein Modell von Männlichkeit an, das nichts zu tun hatte mit den abschreckenden Gesten der überwiegend männlichen Punks auf den Konzerten, vorgetragen mit einem von Melancholie geprägten Selbstbewusstsein, das auf die Meinung der anderen und deren Ablehnung schiss. Dabei war die Musik auf The Optimist Club durchzogen von einer Traurigkeit, weil sie eben doch besser wussten, wie eine bessere Welt möglich wäre, ihnen aber niemand zuhören wollte. »Erst hatten wir kein Glück … und dann kam auch noch das Pech hinzu« ist in die Auslaufrille des Albums graviert. Von der eigenen Szene mit der zunehmenden musikalischen Entfernung von den damals angesagten Hardcore-Strukturen abgelehnt, brannte auf ihrer Amerika-Tour der Leihwagen mit dem gesamten Equipment und Merchandise an Bord vollständig aus; die finale Tour durch Europa wurde wegen Krankheit abgebrochen, nach dem letzten Konzert in Berlin am 6. Januar 1995 löste sich die Band auf. Aber: »Cats always land on their feet«, wie es beim Nachfolgeprojekt der Band heißt. Manchmal hat Punk auch ein Happy End. Mit The World/Inferno Friendship Society ist Sänger Peter Ventantino bis heute unterwegs und predigt Konzert für Konzert die Bedeutung von Veränderung − dass auch da eine gewisse Stagnation zu spüren ist, gehört zu den Widersprüchen, die man aushalten muss −, Punk als lebenslangen Prozess, der nicht in festgefahrenen Strukturen steckenbleiben sollte, ebensowenig wie man selbst: »There’s much I don’t want to remember, there’s not a thing I would wish last forever. Or let me put this another way: I know you’re hoping for some permanence but there really is no truth to this. Your tattoos, they’re gonna fade.«

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