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PATTI SMITHHorses [Arista, 1975] Klaus Walter

Es gibt zwei konkurrierende Erzählweisen von Punk. Patti Smith steht zwischen diesen beiden Versionen. Die erste besagt, dass Punk in den Metropolen der USA und Englands 1976/77 der Rockmusik in den Arsch getreten und sie so wieder ins Laufen gebracht hat. Punk als Jungbrunnen und Frischzellenkur für den alt und träge gewordenen Rock. Nach dieser Definition ist Punk ein in den späten Siebzigern neu entstandenes Sub-Genre des Rock, auch bekannt als: Punkrock.

Die zweite Definition versteht Punk als historischen Bruch. Die alten Lieder sind gesungen, die alten Haltungen haben abgewirtschaftet, die alten Lügen sind durchschaut − Tabula rasa. Punk als nicht mehr hintergehbarer Point of Desillusionierung, wer einmal in dieses Nichts geschaut hat, kann sich nicht mehr abfinden mit dem faden Ersatz, der sich da Leben nennt, ohne den eigenen Selbstbetrug zu spüren, als Stachel im Alltag der Kompromisse. Punk wäre danach ein internalisierter Lügendetektor, oder, man muss ja nicht gleich von Stahlbad reden, aber doch ein Säurebad: Wer einmal da durchgegangen ist, der ist imprägniert gegen gewisse Versprechungen und Verführungen. In terms of pop ist Punk nach diesem Verständnis die Lizenz, das Alte wegzuhauen und selber was zu tun. Do it yourself. Selbstverständlich lässt sich Punk als ästhetische und politische Tabula-rasa-Haltung zwischen Frühstück und 24/7-Job nicht widerspruchsfrei durchziehen, schon gar nicht im digitalen Kapitalismus, es sei denn, man nennt Punk Hardcore, verzichtet auf Drogen, Alkohol und Sex, und modifiziert das Ganze zu einer synkretistischen Religion, wie es die Straight-Edge-Bewegung in den USA in den Achtzigern getan hat. Für den großen agnostischen Rest bleibt Punk der einsilbige Nenner einer irgendwie auch Bartleby’schen Skepsis, die leicht in Antriebsschwäche ausartet und von Tocotronic auf einen brauchbaren Begriff gebracht wurde: Im Zweifel für den Zweifel. Dieser dem Zweifel verbundene Begriff von Punk gründet keine neuen Genres, schon gar keinen Punkrock, stattdessen entdeckt er in neuen Sounds Spurenelemente einer dekonstruktivistischen, destabilisierenden Ästhetik, die Punk und Postpunk in the first place so attraktiv gemacht hatte.

Auftritt Patti Smith. Horses, erstes Album, 1975. Das Cover! Das Schwarzweißfoto ihres geliebten Freundes Robert Mapplethorpe, Patti, Frida-Kahlo-Style.

Viv Albertine: »Auf dem Cover inszenierte sie sich halb männlich, halb weiblich. Ich dachte sofort, genauso fühle ich auch. Dadurch wurde mir klar, wie wichtig selbstausgedachte Musik ist. Patti klang so freizügig und selbstbestimmt wie keine zuvor. Damals sollten Mädchen beim Sex keinen Mucks machen, über Menstruation schweigen. Und sie schrie es einfach raus.«

Ian Penman: »If you were a young woman looking for a sympathetic figure to embody various inchoate feelings, the choice at the time was almost non-existent. Smith was a tiny echo from the future. White shirt, dark hair; white background, dark eyes; tiny white equine jewel, dark tie; hands in a cagy gunfighter’s arch over her wide-open heart: this hauntingly simple image anticipated so much to come in fashion, and helped launch a whole new pared-back aesthetic. Watch any BBC4 repeat of Top of the Pops from the mid to late 1970s and it seems inconceivable that the Smith of Mapplethorpe’s photo belongs to the same blithe, peppy era. She seems more real than the crinkly tinfoil stars of the time, but also a thousand times more fantastic. Think of all those 1970s prog rock sleeves and their multicoloured worlds of sauciness and sorcery − then switch to the stark monochrome field of Horses, and other images waiting in the wings: Richard Hell, Iggy Pop, the Ramones. It really was, as the old cliché has it, that black and white.«

Tabula rasa, kommende Images & Styles vorwegnehmen, aber auch: zurückgreifen auf Images & Styles einer verschütteten Vergangenheit, Sinatra, Beatniks, Kahlo. Gilt auch für die Musik, produziert von John Cale.

Ian Penman: »Horses betrays a love of early Kinks, Them, Who, but reframes their riffy aesthetic with studied artfulness. How much credit should go to the producer, John Cale, isn’t clear. Smith never sounded this weightlessly witchy and lustful again. It’s surely no coincidence that the same thing happened with another artsy New York chanteuse: Cale’s productions for Nico were similarly intimate and askew, while left to her own devices the German diva’s default setting was a one-dimensional gothic mope. Gossip suggests that there were big disagreements between Smith and Cale during the recording of Horses, and in Just Kids he’s the only wild boy from that time who doesn’t get his long-overdue gold star.«

Der erste Satz des ersten Songs, einer für die Ewigkeit: »Jesus died for somebody’s sins but not mine.«

Tabula rasa par excellence. Da ahnt niemand, was später kommen wird an Zumutungen, die es einem schwer, wenn nicht unmöglich machen, Horses als grandioses Debüt herauszulösen aus dem Lebenswerk der Patti Smith. Ein Werk, das mit zunehmendem Alter und auch selbsterklärend in ihren Memoirs Just Kids und M Train kenntlich macht, dass die Künstlerin viel weniger geprägt ist von Punk im Sinne des nicht mehr hintergehbaren Point of Desillusionierung als von vibrations die around waren, als Patti, Jahrgang 1946, jung war. Horses kann ich nicht hören, ohne an ein Konzert vor ein paar Jahren in der Frankfurter Jahrhunderthalle denken zu müssen.

Mit bloßen Händen Gitarrensaiten zerreißen und sich in eine Tibetfahne wickeln, das geht eigentlich nicht zusammen. Sich outside of society zu verorten, als »Rock’n’Roll-Nigger«, und den Erniedrigten, Beleidigten, Benachteiligten, Tibetern, Teheranern und anderen Problemfällen des Universums eine Bergpredigt widmen, mit weit ausgebreiteten Armen, das geht eigentlich nicht zusammen. Es geht nicht zusammen, weshalb die 80 Prozent des Konzertes, die aus Kirchentag und Dalai Obamalama bestehen, auch dann schwer zu ertragen sind, wenn man Patti Smith zugesteht, dass sie sich an der Unvereinbarkeit von großer (Punk-)Distinktionsgeste und großer (Hippie-)Vergesellschaftungsmission schon abgearbeitet hatte, als Bono noch nicht Oma sagen konnte. Dass zum einzigen Deutschlandkonzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle vor allem Menschen angereist sind, die höchstens zwei, drei Konzerte pro Jahr sehen, für die das also ein Höhepunkt in der Lebensplanung ist, dass solche Höhepunkte in großen Hallen stattfinden müssen, dass sich hier Menschen versammeln, die das jugendlich widerspruchsfreie Acting Out von Smith-Songs auf die alten Tage noch mal re-en-acten wollen, all das liegt in der Logik des Groß-Memorials. Zum Memorial gehört das Testimonial und das Einschwören von Leuten, die Zeugnis ablegen für irgendwas, das beherrscht Patti Smith. So vergeht die erste Stunde wie der Karfreitag in der katholischen Kirche. Im festen Glauben, Gutes zu tun, quält man sich durch eine Meditation über Hendrix’ »Are you experienced« und Patti Smith wäre nicht Patti Smith, würde sie dieser Frage nicht die eine oder andere metaphysische Komponente abgewinnen. Nach der Tibetfahne kommt die libanesische Zeder dran, die hat Jay Dee Daugherty um seine Bassdrum gewickelt. Alleine zur Akustischen berichtet Patti Smith von ihrem Besuch im Goethe-Haus, wo ihr der Geist des großen Dichters begegnet ist. Auch dem Mond wird ein Lied gewidmet, es ist Mondlandungsjubiläum. Es folgt ein Song für die Kinder von Palästina: »Eure Tränen waren nicht umsonst.« Tapfer absolvieren die Smithianer das Fürbitten-Programm, aber so richtig los geht’s erst mit »Dancing Barefoot«. Wie auf Kommando tanzen alle barfuss los, auch wenn die meisten die Schuhe anbehalten. Mit dem Barfußtanzlied, das auch U2 mal gecovert haben, wird Pattis Hippieschlagseite übermächtig. »We Shall Live Again« ist auch nicht besser als »We Shall Overcome« und »We Are the World«. Songs, die mit »We« anfangen, ist generell zu misstrauen.

Ian Penman: »For a while now, Smith has been the sort of feel-good, feels-real celeb who gets invited to ›guest edit‹ Vogue when the Dalai Lama is resting. But it’s hard to know how much anyone likes any of her post-Horses work, or what ›popular‹ really signifies in her case. Smith isn’t Bruce Springsteen or Beyoncé popular; but neither is she some divisive figure out on the blasted perimeter, like Scott Walker. Devoted fans prize her as one of our culture’s great ungovernable Outsiders. This fan club includes the grandees of the French establishment, who in 2005 named her a commander of the Ordre des Arts et des Lettres, making Smith about as much of an insider as it’s possible for an outsider to be.«

Aber dann wieder Horses, die Initialzündung.

Viv Albertine: »I saw a picture of her in NME, I think it was a Charles Shaar Murray piece or something, before the album came out. And I saw this picture of her and I almost had a little jump in my throat. I thought; ›My God, I think I might have seen, for the first time, a female whose music is going to resonate with me.‹ I was scared.

I was at art school with Mick Jones in Chelsea. I didn’t know him very well but I was outside the HMV in Marble Arch on the day the record came out and lo and behold I saw Mick Jones there. He said; ›What the hell are you doing here?‹ I said; ›I’m waiting for the shop to open to get the Patti Smith record, Horses.‹ And he said; ›So am I.‹ And that totally bonded us.«

Michael Stipe: »Ich kaufte mir Horses an dem Tag als es rauskam, blieb die ganze Nacht auf und hörte es über Kopfhörer. Ich aß eine Schüssel Kirschen und musste kotzen. Dann beschloss ich, eine Band zu gründen.«

Später sollte Patti Smith bei R.E.M. einen Gastauftritt haben und einen ihrer Hits covern, »Everybody Hurts«. Wie sie überhaupt ein Faible für Leuchtturmsongs hat: »Drifters Escape« und »Wicked Messenger«, beide Dylan, Robert Johnsons »Come On in My Kitchen«, »Gloria«, »Hey Joe«, »When Doves Cry«, der arme Prince … »All the Young Dudes« von Bowie / Mott The Hoople, »So You Want to Be a Rock’n’Roll Star« von den Byrds. Im Rockpalast spielt sie 1979 »My Generation« und trägt ein MC5-T-Shirt, ein Jahr später heiratet sie Fred »Sonic« Smith, den ehemaligen Gitarristen von MC5. Später schreibt sie »About a Boy«, einen Song über Kurt Cobain. Über den wiederum Robert Forster schreiben sollte: »When she sang about a boy, Kurt Cobain, I thought what a shame it wasn’t about Tom Verlaine.«

Verlaine, der auf einem Horses-Song Gitarre spielt, auf einem anderen tut das Allen Lanier von Blue Oyster Cult, Patti Smiths langjähriger Partner vor Fred Smith.

Wir haben es also mit einem Paradox zu tun: Patti Smith versucht, sich in einen männlich dominierten bzw. ausschließlich von Männern repräsentierten Rock’n’Roll-Kanon einzuschreiben und wird so zum Role Model für viele junge Frauen im Punk.

Ian Penman: »Virginia Woolf and Frida Kahlo are on her itinerary, but you get the feeling she’d have no problem with a canon largely comprised of dead (cool) white guys; strangely, or possibly not, in both Just Kids and M Train other women are largely absent. It’s not just that rock’n’roll in general, and the Patti Smith Band in particular, is a very male affair, or that Smith likes metaphors about boys’ gangs and boys’ things; deeper down, on some murky psychological level, she sometimes comes across as though she takes herself for a special exception that proves the boys’ club rule. (If you were a certain kind of a shrink, you might wonder if it’s mere coincidence that when she finally got married, it was to someone also named Smith.)«

Viv Albertine: »Ich hatte immer gedacht, dass ich aufgrund meiner besonderen Umstände − aufgewachsen im Norden Londons, Gesamtschule, Sozialwohnung, Mädchen − nicht mit dem ausgestattet sei, was nötig ist, um Erfolg zu haben. Doch während ich mir die Sex Pistols ansehe, spüre ich zum ersten Mal keine Barriere mehr zwischen mir und der Band. Ideen, die ich seit Jahren im Hinterkopf habe, drängen nach vorne … John Lennon, Yoko Ono, die Kinks, die Frau in der Third Ear Band, die Schlagzeugerin bei Kokomo, die vorher gar nicht spielen konnte, Sandie Shaw, Suzi Quatro, Emma Peel, die beiden Mädchen in der Incredible String Band, Patti Smith, Mick Jones, Johnny Rotten, meine Liebe zur Musik … das ist es. Endlich sehe ich das Universum vor mir, dem ich immer angehören wollte − und dazu auch gleich die Brücke, die hinüberführt.«

Albertines Aufzählung aus ihrer tollen Autobiografie A Typical Girl widerlegt einmal mehr die Standarderzählung von Punk als dem großen Bruch mit der Vergangenheit. Für die junge Viv taugen in friedlicher Koexistenz so unterschiedliche Frauen wie Sandie Shaw, Suzi Quatro und Yoko Ono als Vorbilder, inklusive der beiden Mädchen in der Incredible String Band, der Hippieband schlechthin. In seiner hier zitierten Besprechung ihres Buches M Train weist Ian Penman zu Recht darauf hin, dass Patti Smith nach Horses nie mehr auch eine nur annähernd so unkonventionelle und darin aufregende Platte gemacht hat. Das trifft nun für viele Debütalben zu, gerade im Punk. Aber man(n) könnte auch auf den leicht blasphemischen Gedanken kommen, dass die besonderen Qualitäten von Horses mit den besonderen Qualitäten des Produzenten John Cale zu tun haben, der sich möglicherweise in den kolportierten big disagreements during the recording gegen Smith durchgesetzt und so verhindert hat, dass diese schon 1975 einen Hit von der Größenordnung »Because the Night« landet. Den Song schreibt sie gemeinsam mit Bruce Springsteen für ihr 1978er-Album Easter, das von dem versierten Produzenten Jimmy Iovine auf die Rock Values seiner Zeit getrimmt wird und für die Patti Smith Group den »commercial breakthrough« (Wikipedia) bedeutet.

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