Читать книгу Damaged Goods - Группа авторов - Страница 19

Оглавление
RAMONESRamones [Sire, 1976] Jan-Niklas Jäger

Mit dem Einzug von Punk in den Popkanon ist so viel über die Ramones geschrieben worden, dass manche Leser_innen in Versuchung kommen könnten, diese Seiten zu überblättern. Das hier ist allerdings nicht der zehntausendste Text über den immensen Einfluss, den die bloße Idee, Rock’n’Roll bis auf die Knochen zu reduzieren, um dem vorherrschenden Bombastrock Einhalt zu gebieten, auf die Popgeschichte hatte. Diese Geschichte ist derart zu Tode erzählt, dass die pophistorische Stellung der Ramones geradezu darauf reduziert wurde, durch ihren minimalistischen Stil andere dazu inspiriert zu haben, sich auch mal an Musik zu versuchen. Dabei ist das noch nicht einmal der originellste Aspekt dieser Band, denn auch ein Johnny Ramone musste laut eigener Aussage erst die New York Dolls live erleben, um sich darüber klar zu werden, dass Rock’n’Roll auch dann richtig gut sein kann, wenn die Möglichkeiten der Musiker_innen eher limitiert sind. Stattdessen kommt man ihnen besser auf die Spur, wenn man den Blickwinkel von der Art, wie sie ihre Songs spielten, auf die Songs selbst verlagert. Das macht ohnehin mehr Sinn, schließlich wurde durch die starke Reduzierung der Musik das Songwriting − Worte und Melodien − wieder in das Zentrum gerückt, aus dem es vom Progressive Rock verdrängt worden war. Punk bedeutete eben nicht nur eine neue, aggressivere Spielart des Rock’n’Roll, sondern auch die Rückkehr zum Zwei-Minuten-Popsong, wie er in den 1960ern noch Gang und Gäbe war. Das selbstbetitelte Ramones-Debüt ist in dieser Hinsicht ihr radikalstes: 14 Pop-Songs, brutal auf ihren Kern reduziert. Man kommt in Versuchung zu sagen, dass sie es ja nicht besser wussten, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Ramones kannten die Pophistorie. Der Kontakt zwischen den Bandmitgliedern war zustande gekommen, weil sie alle große Fans der Stooges waren, doch neben den offensichtlichen Vorbildern aus dem Garagerock waren sie mit den Beach Boys aufgewachsen, mit Girl Groups wie den Ronettes und den Shangri-Las, mit Buddy Holly und Elvis, der British Invasion und Glam Rock. Diese »Vorbildung« nutzten sie für eine reductio ad absurdum des Pop-Songs, in der sie klassische, adoleszente Pop-Motive auf ihre Essenz herunterbrachen und in ihre eigene, ungewöhnliche Welt setzten.

Im Kern jeder ihrer (frühen) Platten steckt das Prinzip der teen angst. Ramones-Songs richten sich an den desillusionierten Teenager aus Mittel- und Unterschicht, der frustriert ist von der Erwachsenenwelt, in der er seinen Platz nicht findet, und der Gesellschaft, die sie beherbergt, misstraut. Ein ganz klassischer Ausgangspunkt also, von dem aus schon der Rock’n’Roll der 1950er einen gegenkulturellen Anspruch formulierte. In »Judy Is a Punk« etwa begleiten wir zwei Jugendliche, die von zu Hause weglaufen; erst um sich einer Eis-Revue in Berlin anzuschließen, später um Teil der linksextremen S.L.A. (Symbionese Liberation Army) in San Francisco zu werden. Die Austauschbarkeit dieser gegensätzlichen Ziele rückt dabei den inhaltlichen Ausdruck hinter dem Rebellionsgedanken in den Hintergrund. Egal ob in einer Entertainment-Show inmitten des Establishments oder in politischem Radikalismus: Wichtig ist es, der banalen Welt der Bürgerlichkeit zu entfliehen. An anderer Stelle wird das durch Intoxikation erreicht. »Now I Wanna Sniff Some Glue« tut so, als wäre es hip, Klebstoff zu schnüffeln. Eine Slackerhymne, die klingt wie ein unangemessenes Titelthema einer Kindersendung: »All the kids wanna sniff some glue. All the kids want something to do«. Auf den Folgealben Leave Home und Rocket to Russia wurden die Betäubungsmethoden dann noch krasser, wenn zu Elektroschocktherapie (»Gimme Gimme Shock Treatment«) und Gehirnoperationen (»Teenage Lobotomy«) gegriffen werden muss, um in der Gesellschaft funktionieren zu können. Hier trifft die teen angst auf die Dystopie, deren Abschreckungsmechanismen entfremdet und glorifiziert werden. Aus ihrem Potpourri popkultureller Referenzen greifen die Ramones dabei gerne auf Horror- und B-Movie-Kultur zurück. Die in »I Don’t Wanna Go Down to the Basement« thematisierte Furcht vor dem Alltäglichen etwa mag in der Wirklichkeit irrational wirken, im Horrorkontext aber ist sie angebracht. Über popkulturelle Referenzialität entsteht damit ein Rahmen, der solche Ängste legitimiert. Dabei einen moralisierenden Standpunkt einzunehmen, etwa indem der Jungnazi aus »Today Your Love, Tomorrow the World« verteufelt würde, wäre jedoch fatal, denn der Pop mit sozialem Gewissen war der Pop der Elterngeneration und als subversives Prinzip längst gescheitert. Stattdessen wird die Welt der Freaks zum Fixpunkt des Rock’n’Roll erklärt. Diese Welt wird ungeschönt dargestellt, etwa wenn in »53rd & 3rd« ein Vietnam-Veteran auf den Strich geht und seinen ersten Freier ermordet, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht schwul ist, wohl weil das dem Ideal widerspräche, das einem Soldaten anhaftet. Ein anderes Extrem ist die Apathie, die sich in der mit einem Schulterzucken gerechtfertigten Gewaltfantasie »Beat on the Brat« äußert: »With a brat like that always on your back what can you do?« Sinnlose Gewalt ist in dieser dystopischen Welt nichts besonderes und selbst der alte Rock’n’Roll-Standard der Tanzhymne erhält in »Blitzkrieg Bop« einen sinisteren Twist, indem er nach einer von den Nazis popularisierten Kriegstaktik benannt wird. Sonderlich ernst nehmen sich diese Songs bewusst nicht, Ramones ist eine Platte voll mit (meist schwarzem) Humor. Die Außenseiter-Thematik wird nicht instrumentalisiert, sondern spielerisch in adoleszenten Pop in dystopischem Umfeld gepackt. Damit finden Ramones-Songs zugleich innerhalb und außerhalb klassischem Pop-Songwritings statt. In dieser Dialektik finden sie eine Möglichkeit, gleichzeitig an die Jugendkulturen vor Punk anzuknüpfen und sich von ihnen zu distanzieren. So konnte sich Punk schließlich zwischen den Stühlen positionieren, der geeignete Ort für seine respektlose Verherrlichung des Inakzeptablen, die sich im Nihilismus der Sex Pistols ebenso findet wie in den linkspolitischen Satiren der Dead Kennedys. Mit ihrer Kombination aus clever dekonstruiertem Pop, teen angst und Dystopien stießen die Ramones so auf eine Art von Rock’n’Roll, die der in ihrer Ausrichtung auf Virtuosität und Coolness festgefahrenen Rockmusik ein neues Vehikel für subversiven Pop entgegenstellte.

Damaged Goods

Подняться наверх