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MX-80 SOUNDHard Attack [Island, 1977] Roger Behrens

Musikhistorisch ist es wenig interessant, ich gebe es gleich zu, weil es überhaupt nicht systematisch oder klug oder sonst wie überlegt und elaboriert und reflektiert ist − aber: Mein Weg zum Punk hatte mit dem, was offiziell Punk hieß oder heißen darf, wenig zu tun. Was irgendwelche Leute in irgendwelchen Magazinen an Programmen formulierten, was Punk zu sein hat und vor allem: was nicht, oder was irgendwelche schicken Modepuppen (allerlei Geschlechts) an korrekter Punkmode vorführten, mit dem ebenso korrekten Verhalten dazu und selbstredend den korrekten Sprüchen, dieses ganze Subkulturgetue, diese jugendlich-ästhetizistische Wichtigmacherei − dafür hatte ich keinen Sinn, genauer gesagt: auch keinen Geschmack, überhaupt keine Stilsicherheit. Sicher: Punk, das war laut, das war irritierend, das störte die anderen, das sollte auch die anderen stören − und das konnte Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger eine ganze Menge sein. Da reichte eigentlich noch immer: lange Haare, eine kreischige Stimme, eine verzerrte Feedback-Gitarre, da reichte zumindest in meiner kleinen Welt durchaus schon Jimi Hendrix oder »Smoke on the Water«. Musikalisch war hier einiges kompatibel, und was nicht passte, wurde passend gemacht − beziehungsweise passend gehört. Herauskam eine krude Mischung aus Trio, The Stranglers, Hans-A-Plast, Rainbow, Brainticket, Crass, The Clash, Einstürzende Neubauten und Pink Floyd, und zwar sogar The Wall, obwohl mir Relics und der Soundrack zu More schon immer besser gefielen als zum Beispiel Dark Side of the Moon oder Wish You Were Here. Es war die Stumpfheit von Grand Funk Railroad, nicht der stupide Rock’n’Roll von den Sex Pistols, woran ich meine Kategorien von Punk erprobte. Und die Schülerpunkband, die wie alle Schülerpunkbands Abschaum hieß.

Darüberhinaus war ich mir sicher, dass Punk vor allem eine politische Haltung ist, ein musikalisches Statement zur Notwendigkeit und Lust, Anarchist zu sein. Und was Punk ist, lässt man sich dann freilich nicht von irgendwelchen Musik- und Modespezialisten erklären, die mit Politik nichts zu tun haben, außer dass sie glauben, alles, was irgendwie wichtig ist und man über die Welt wissen muss, in ihrem Platten- und Kleiderschrank zu finden. Mein über Odd Jobs zusammengekratztes Taschengeld reichte eh nur für zwei Dutzend Platten, der Rest waren Kassetten.

Mein Punk, das war ein Klang, den ich erst recht spät als Punk entdeckte, bei Lard etwa, oder Sylvia Juncosa, oder John Zorn, oder Stormy Six und Soft Machine. Das ging dann alles ziemlich nahtlos in privatistische Beschäftigung mit Gustav Mahlers Sinfonien oder mit Bootlegs von Herbie Hancock aus der Headhunter-Phase über, vom »echten« Punk jedenfalls war immer weniger zu hören. Ich schoss mich dann kurze Zeit sowieso auf Progrock, Art Rock, Yes und frühe Genesis ein.

Jahre vergingen. Einmal war ich u. a. mit Martin Büsser ichweißnichtmehrwo, jedenfalls gab es da Schallplatten (Flohmarkt, Plattenladen, keine Ahnung). Ich bilde mir ein, dass es Martin war, der Hard Attack von MX-80 Sound aus einer Kiste zog und mir gab: »Kennst du die?« − Nein, woher auch (siehe oben) − »Das ist so eine Mischung aus Progrock und Punk, wird dir gefallen.« − Und überdies: das meiste, was für mich musikalisch auszuprobieren im Zusammenhang mit Punk Sinn macht, ist auf dieser Platte: zwölf Songs (bei neueren Veröffentlichungen noch ein Bonus-Track, oder mit der EP Big Hits: Hard Pop from the Hoosiers von 1976 vorneweg), zwischen 1:47 und 5:16 Minuten Länge. So fängt es an: »Man on the Move« − das Schlagzeug wird geschlagen, die Becken scheppern, der Bass treibt kreisend auf einem Ton in Sechzehnteln durch, die Gitarre grätscht mit nur wenigen (zwei?) schrägen Akkorden darüber, übernimmt den Rhythmus vom Bass, Gesang ist vor allem Sprechgesang: »You never really know what’s gonna come up next …« Dann gibt es ein paar Breaks, Bridges, Fills und ein Solo, der Song fällt auseinander, wird aber schnell wieder zusammengesetzt. Das ist gut so. Und dann: »Kid Stuff« − tatsächlich ein solides Punkstück, Pogo-tauglich, plus quietschender Orgel, die eine Karikatur auf alles ist, was jemals Jon Lord, Keith Emerson oder Rick Wakeman gespielt haben. Und so weiter. Saxophon gibt es auch noch.

MX-80 Sound gehen auf die Bühne, als die erste Welle, auf der Punk angerauscht kam, schon vorüber war. Nun kam New Wave, die neue Welle, und mit ihr MX-80 Sound. Wir sind nicht in Großbritannien, sondern in den USA, und es gibt im durch und durch republikanischen Indiana kaum etwas, was zum Ende des Vietnam-Kriegs und am Vorabend der Reaganomics hier sinnvoll gemacht werden konnte, außer Musik. In Bloomington, einer kleineren Stadt mit gerade mal knapp über 80.000 Einwohnern, wo sich die Band 1974 um Gitarrist Bruce Anderson formiert, entsteht damals − nicht zuletzt durch den nachhaltigen Einfluss von MX-80 Sound − eine rege Independent-Musikszene. Vom Punkrock ist das alles ziemlich weit weg, und ohnehin ist es schwer, MX-80 Sound als originäre Punkband zu hören; sie haben Ende der 1970er-Jahre Möglichkeiten ausprobiert und auch ausgespielt, die einiges musikalisch-expressiv vorausnahmen, was dann erst in den 1980er-Jahren als Postpunk-Avantgarde sich formierte. Allein dafür ist das erste Longplay-Album Hard Attack legendär. Mit diesem Album bewegen sich MX-80 Sound, so die Kritik, »in einer merkwürdigen Zone, wo Punk, Art Metal und affektierter Humor es gut und zufrieden miteinander aushalten«.

Zusammen mit »Punk« ist am häufigsten von »Metal« die Rede – und Kunst (Glenn O’Brien damals in seiner Interview-Punk-Kolumne über Hard Attack, zitiert nach Wikipedia: Das Album »should establish MX-80 as either the most Heavy Metal Art Band or the most Arty Heavy Metal Band.«). Die Band beschreibt sich selbst als eclectic Art-Metal-Rock Band; Julian Cope mutmaßt in seiner Rezension der Wiederveröffentlichung von Out of the Tunnel und Crowd Control (unter dem Titel Out of Control, 1993), dass MX-80 Sound »were a main influence on Sonic Youth, the Swans and Live Skull among others. MX-80 played rather dissonant, discordant heavy-rock. The main influence you hear is Captain Beefheart and the Stooges, although with some elements of Pere Ubu, Television and even early Siouxsie and the Banshees, and sometimes even managing to sound uncannily like Joy Division.« Wenn man will, kann man noch Devo oder sogar The Fall hinzufügen. Discogs nennt als Genre »Rock« und als Stil »New Wave, Art Rock, Punk«; in der Kommentarspalte schreibt jemand von Prog-Punk-Tradition. Auch von experimentell ist die Rede. Auf einer russischen Seite wird die Musik als »Instrospazz« bezeichnet.

Hard Attack klingt 1977 nach New York, nach London. MX-80 Sound gehen 1978 nach San Francisco. Dort gibt es sie heute noch, dort haben sie 2005 ihre letzte Platte gemacht: We’re an American Band, inklusive Song »We’re an American Band«. Verwurstet wurde dafür auch »We’re an American Band« von Grand Funk Railroad. Wahrscheinlich ist meine letzte Punkplatte auch meine erste, jedenfalls die erste Platte, auf der ich alles das zusammen hören kann, ohne Abstriche und Auslassungen, was mir einmal vor Jahrzehnten Punk bedeutete.

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