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THE SLITSCut [Island, 1979] Didi Neidhart

Es gibt Platten, die scheinbar nie wirklich altern, weil sie sich über die Jahre durch diverse »neue Hörerfahrungen« (Dub, Bass Culture) stets reaktualisieren. Weit davon entfernt, alle (bewussten wie unbewussten) Effekte, die dadurch generiert wurden (und sicher noch werden) überhaupt benennen zu können oder zu wollen, stellt Cut das dar, was der Titel verheißt: einen Schnitt/Einschnitt. Einen Bruch, nach dem es kein Zurück mehr gab. Zu einem Zeitpunkt, als sich die Kontakte mit Reggae vor allem auf bei Schüler-Partys zwischen Pink Floyd und The Police gespielten Bob-Marley-Songs beschränkte, waren The Slits fast wichtiger (und provokativer!) als etwa Public Image Limited. Zwar glotzten alle wie blöde auf das Cover mit den (schlammgeborenen) Musikerinnen (inklusive ebenso grenzdebiler Kommentare), aber irgendwie war das vielen auch ungeheuer. War Nina Hagen (auch wegen ihrer Band aus Profimusikern) okay, so war bei The Slits Schluss mit lustig. Allgemeiner Tenor: Die können ja nicht spielen! Umso besser!!!

Gleich der Opener »Instant Hit« entführt mit unprätentiös angeschlagenen Akkorden und einer Kinderflöte in eine von einer verschworenen Gemeinschaft erfundene, fremde Welt, bei der die Leichtigkeit der Musik im krassen Kontrast zum Junkie-Thema des Songs steht. Wie Cut überhaupt von einer (musikalischen) Diversität geprägt ist, die jedoch noch keine Anzeichen des Auseinanderfallens und Wegdriftens der einzelnen Partikel aufweist. Vielleicht lässt sich das Nichtfassbare der LP auch als Art skeptischer Optimismus beschreiben. Als kurzer Moment einer Aufbruchstimmung vor dem nächsten Backlash.

Zwar entging mir durch das Schulenglisch damals vieles, was Sängerin Ari Up artikulierte, aber Zeilen wie »I need something new, something trivial would do. I want to satisfy this empty feeling« (»Spend, Spend, Spend«) oder »Newtown where everybody goes around sniffing televisena, or taking footballina« (zusammen mit dem Super-Refrain »I’ll be sick sick sick sick«) brachten das Pubertäts-Paradigma »brennende Langeweile« in einer Art und Weise auf den Punkt (und darüber hinaus), dass hier am Ende des »No Future«-Tunnels doch so etwas wie Licht zumindest zu erahnen war (und dieses Licht kam nicht von einem anderen, entgegenfahrenden Zug). Gerade »Newtown« mit seinem gelangweilten, aber scharf beobachtenden Flanieren, erwies sich dabei als idealer Soundtrack und Kommentar zu fast allem, woran nun auch schon verhaltensauffällig gezweifelt wurde. Und auch wenn Begriffe wie »kognitive Dissonanz« erst viel später in den Wortschatz schlüpfen sollten, wurden sie, auch der Slits wegen, quasi sofort verstanden. Denn was war die Gegenüberstellung von »Frequent Mutilation transmits over the air, serving for the purpose of those who want you to fear.« (»FM«) mit »Again another evening without falling in love, so I listen to the radio.« (»Ping Pong Affair«) anderes, als genau das: ein komisches, zerrissenes Gefühl zwischen Ideologiekritik und the thing called Begehren, ohne dies damals schon so benennen zu können. Wie es überhaupt schwer fällt, Cut in Worte zu fassen.

Vielleicht kann der Stil der Slits daher auch am besten als »Shoplifting« (mit der tollen Zeile »Babylonian won’t lose much, and we’ll have dinner tonight«) bezeichent werden. Denn neben den Reggae/Dub-Einflüssen, stehlen sie sich ihre Riffs und Melodien vor allem aus dem nicht gerade unambivalenten Girl-Group-Genre zusammen. Exemplarisch dafür etwa »Love und Romance« mit seiner subtilen Shangri-Las-Paraphrase (inklusive eines den Lead-Text konterkarierenden Chors).

Mit Dennis Bovell saß zudem ein versierter Dub-/Reggae-Producer an den Reglern, der schon The Pop Group in andere Sphären katapultiert hatte und zudem maßgeblich für den Sound von Linton Kwesi Johnsons »Bass Culture« (1980) zuständig war. Während es bei der Pop Group jedoch um apokalyptisch-dystopische Dub-Dekonstruktionen geht, klingen The Slits auf Cut geradezu leichtfüßig verspielt UND heavy UND (in gewissen Momenten) elegant. Wesentlichen Anteil daran hat das von Bassistin Tessa Pollitt und dem späteren Siouxsie-and-The-Banshees-Drummer Budgie gelegte Rhythmusfundament. Angelegt zwischen schweren Riddims (»Spend, Spend, Spend«) und einer Art New Wave-Zickigkeit in Dub (»Love und Romance«) konnte dabei auch die nicht ganz unwichtige Frage »Wie dazu tanzen?« verhandelt werden. Denn im Gegensatz zu The Pop Group oder Public Image Limited ging es bei The Slits immer auch um den Dancefloor als Frei- bzw. Experimental-Raum (vergleiche etwa »So Tough«). Vielleicht hat Viv Albertine ja genau das gemeint, wenn sie in der YouTube-Zusammenstellung »SLITS Clips 1978−2007« davon spricht, auf alle Fälle keine »male rhythms« verwenden zu wollen.

The Slits sind Musik von/für jene, die J. Jack Halberstam in The Queer Art of Failure (2011) als »losers, failures, dropouts, and refuseniks« beschreibt. Auch Cut sprüht über vor einer »undisciplined knowledge« und stellt jene »counterknowledge« in den Raum, von der Halberstam in Gaga Feminism: Sex, Gender, and the End of Normal (2012) als »improvisational feminism« schreibt und dessen Äquivalent in der »selbst ausgedachten Musik« von der Viv Albertine in einem taz-Interview mit Julian Weber anlässlich des Erscheinens ihrer Autobiografie Clothes Music Boys (2014, dt. A Typical Girl, 2016) spricht, zu finden ist.

Mit Zeilen wie »Who invented the typical girl? Who’s bringing out the new improved model?« lässt Cut aber auch an die Schriften von Laurie Penny (etwa an Unspeakable Things. Sex. Lies and Revolution, 2014) denken. Nur kennen The Slits noch nicht deren Melancholie durch all die Backlashes der letzten Jahrzehnte, die auch zur Formierung der Riot-Grrrl-Bewegung geführt haben. Zum »So Tough« der Slits zurückzukehren ist so gesehen auch keine »Retromanie«, sondern permanentes Nachjustieren im Dienste aktueller und zukünftiger Kämpfe.

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