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CHELSEARight to Work 7" [Step-Forward Records, 1977] Oliver Tepel

Wann war es vorbei? Vielleicht als Ray Lowry 1984 dieses dystopische Panel für seinen Comic im NME schuf: Ein älterer Herr mit Hut und zu großem Trench angetan, steht im strömenden Regen. »I am an antichrist«, grummelt er vernehmlich, dabei sich eine Zigarette anzündend. Seien wir ehrlich, eigentlich zeigt es eine Utopie: den Unbeugsamen. Öffnen wir doch das enge Panel ein bisschen, ja schaut her, wer kommt da? − Familie October auf dem Weg nach Hause vom wöchentlichen Treffen der Socialist Workers Union, sie haben damals gewonnen, Thatcher gestürzt, die Deregulierer entmachtet. Herr October blickt auf den verlorenen Alten, er kennt ihn von früher. »Having no future is a terrible thing«, sagt er, still bewegt, zu Frau und Kind. Wo im utopischen Heute Mitleid ist, war früher Widerspruch. Damals, als ein Feuer in Gene October loderte, jung, wütend, zur rechten Zeit am rechten Ort.

Alles Unsinn. Gut, das mit dem Feuer nicht. Doch leider erwies sich Chelsea als unstete Band in unruhigen Zeiten, ein Trainingscamp zwischen London SS und Generation X, welches bald den halben Londoner Punk Family Tree bestückte. Aber während die Ex-Bandmitglieder, inklusive Billy Idol, gen Rockkarriere wuselten, wandte sich October an Johnny Rottens »no future in England’s dreaming« und schrieb »Right to Work«, eine so pushende wie aufwühlende, ja sogar rührende Hymne der Arbeiterklasse. Ein Meisterwerk, wie es, die Faust reckend, einen Moment aus Sorgen und Aufbruch in einen geshouteten Refrain fasst.

Auch Quatsch, wir sind immer noch im Mythos.

In einem Interview, das Gitarrist James Stevenson Anfang der Nullerjahre für punk77.co.uk gab, merkte er an, dass »Right to Work« falsch interpretiert worden sei. Gene October sang in Wirklichkeit gegen die Gewerkschaften, da er keinen Job als Schauspieler bekommen konnte, solange er nicht Mitglied der Union wurde. Also Protest wegen eines Zuviel an Regulierung.

Ob er sich dennoch einschrieb war nicht zu ermitteln, doch irgendwie klappte es dann mit der Schauspielerei und October spielte, nun ja, Gene October in Derek Jarmans Jubilee. Jarman mag auf October aufmerksam geworden sein, als Chelsea unter dem Namen LSD in ihrer Urbesetzung vor Throbbing Gristle im Londoner ICA auftraten. Gene hatte keine Berührungsängste mit der Art School, doch seine Band wurde bald zur Fraktion des sozialrealen Punk gezählt und bei den Düsseldorfer Jungs, aus denen die Toten Hosen werden sollten, hochverehrt. Der Vers »I don’t take drugs and I don’t drink beer« verlieh ihm zudem einen gewissen Ruhm in der aufkommenden US-amerikanischen Straight-Edge-Bewegung. Doch arg enttäuscht war Henry Rollins, als October ihn 1981 wissen ließ, wie wenig er von Punk aus L.A. hielt. Rollins rächte sich mittels übler Nachrede und einer tatsächlichen kleinen Karriere als Mime. October blieb derweil einer der sexy Jungs aus Jubilee.

Der Boy hätte für die Vision als gewerkschaftlich tätiger Familienvater eh nicht zur Verfügung gestanden. Wie so viele fand er in der Szene die Ersatzfamilie. Bald schmiedete er im Realen einen Bund, welchen die Tom of Finland-Motive auf Vivienne Westwoods Shirts nur symbolisch andeuteten. Im Londoner Gay-Club Chaguaramas überredete October Ende 1976 den Besitzer, ihm für zwei Nächte die Woche seinen schlecht laufenden Laden zu überlassen − das Roxy war geboren.

Mit ihrer furiosen Debütsingle in der Tasche hätte für Chelsea ab Anfang 1977 alles viel besser laufen sollen. Doch eine LP erschien erst 1979, Punk-Hymnen, insbesondere im nun angenommenen Arbeiterklasse-Sujet, waren passé, die Wahlfamilie längst zerfallen und auch die Leinwand ließ October kaum erstrahlen: Mini-Rollen in Das Omen und der TV-Serie Minder, als Model in Jarmans Caravaggio und als Mönch im Video zu Black Sabbaths »Headless Cross«. Aber als sich Punk zum 20sten revivalte, sollen die Chelsea-Auftritte zu den besseren gehört haben.

Doch eigentlich schrammten Chelsea mit ihrem offenbar aus einem Missverständnis geborenen Image − gleich den Protestsängern einst − am Herz der von Rock’n’Roll bewegten Popkultur vorbei. Im Gegensatz zu John Lydon, Stefan Effenberg oder Dieter Bohlen durfte Gene October nie rebel without a cause sein. Dabei war er einer! Doch er trug sein etwas aufoktroyiertes Anliegen mit Würde. Recht hatte er eh und für die Geschichtsbücher passte es besser so. »Without a cause« ist Punk längst nicht mehr, auf seinem Podest vor dem Portal der Universität. Wann war es vorbei?

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