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X-RAY SPEXGermfree Adolescents [EMI, 1978] Christina Mohr

Als ich ein Kind war, war natürlich nicht alles besser − im deutschen Fernsehen liefen aber manchmal sonntagmorgens Sendungen, mit denen Otto Normalbürgerin nicht unbedingt rechnete: Der Film Rock’n’Roll-Highschool zum Beispiel, den ich zusammen mit meinem recht befremdeten Opa guckte. Die Ramones noch vor dem Mittagessen waren ja schon ziemlich super, noch mehr beeindruckte mich jedoch die Dokumentation Punk in London, die, wie ich inzwischen weiß, Wolfgang Bülds Abschlussarbeit an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen war − Büld sollte neben weiteren Musikfilmen später Manta, Manta drehen, aber wer kann schon von sich behaupten »für immer Punk« zu sein / sein zu wollen?

Zurück zu Punk in London: Neben Konzertausschnitten und Interviews mit The Clash, The Lurkers und The Adverts sah und hörte ich zum ersten Mal X-Ray Spex. Ich war geschockt und begeistert zugleich − so eine Band hatte es in Disco oder im Musikladen noch nicht gegeben. In den Siebzigern sahen Sängerinnen entweder aus wie Amanda Lear oder Tina Charles, trugen langes Haar und tiefe Ausschnitte − auf gar keinen Fall aber hatten sie Zahnspangen und schrien so laut rum wie Poly Styrene. »Some people think little girls should be seen and not heard but I think, OH BONDAGE UP YOURS!« − ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber das war auch völlig egal. Die Message war eindeutig genug, beziehungsweise: Poly Styrene war die Message. 1957 als Tochter somalisch-irischer Eltern geboren, aufgewachsen in Bromley und Brixton, verwirklichte sich Marianne Joan Elliott-Said, so Polys bürgerlicher Name, in den mittleren 1970ern zunächst als Hippie und betrieb einen Klamottenladen. Nachdem sie 1976 ein Konzert der Sex Pistols besucht hatte, nannte sie sich Poly Styrene und beschloss, eine Punkband zu gründen. Musik gemacht hatte sie schon vorher: Es gibt eine frühe Demoversion von »Oh Bondage up Yours!«, auf der Gary Moore (!) Gitarre spielt.

Doch erst mit X-Ray Spex fand Polys antikonsumistische, gesellschaftskritische, antisexistische Vision zur durchschlagenden Form. »Wenn man mich jemals zum Sexsymbol stilisieren sollte, rasiere ich mir eine Glatze«, verkündete Poly − und tat genau das wenig später aufgrund zweifelhafter Medienberichterstattung.

Zur Urbesetzung der X-Ray Spex gehörten Jak Airport (Jack Stafford) / Gitarre, Paul Dean / Bass, Paul »B.P.« Hurding / Schlagzeug, sowie Lora Logic (Susan Whitby) am Saxophon − richtig, Saxophon, das bei Punks so verhasste Instrument. Lora Logics (bei Bandgründung erst 15 Jahre alt) stakkatoartiges Spiel gab X-Ray Spex die unverwechselbare Note − bedauerlicherweise musste Logic noch vor Veröffentlichung des Debütalbums die Band verlassen; es hieß, dass Poly Styrene keine zweite starke Frau in der Band haben wollte. Ob das so stimmt, sei dahingestellt: Als Styrene 1995 X-Ray Spex für das Album Conscious Consumer reformierte, war Logic wieder dabei. Lora Logic veröffentlichte ihrerseits in den frühen Achtzigern mit ihrer neuen Band Essential Logic großartige Platten − aber das ist eine Story für sich.

X-Ray Spex’ Debüt Germfree Adolescents erschien 1978 und ist unstrittig eins der wichtigsten Punkalben überhaupt − obwohl »Oh Bondage up Yours!« gar nicht drauf ist, jedenfalls nicht auf der Originalversion; erst beim Re-Release 1991 wurde das Stück hinzugefügt. Die Songs von Germfree Adolescents sind allerdings so in your face, so gut und überzeugend, dass man den »Hit« nicht unbedingt vermisst: »Identity« und »I Live Off You« zum Beispiel − Riot-Grrrl-Hymnen bis heute. »I Am a Poseur« und »Art-I-Ficial« spielen mit (Anti-)Authentizismus; »Warriors at Woolworths«, »Plastic Bag«, »The Day the World Turned Day-Glo«: Konsumkritik auf den Punk(t) gebracht.

Wie viele andere Punkbands waren X-Ray Spex ein kurzlebiges Projekt: Während einer Tournee 1979 erlitt Poly Styrene einen Nervenzusammenbruch, verließ die Band und wandte sich der Hare-Krishna-Bewegung zu (wie übrigens auch Lora Logic). X-Ray Spex konnten ohne ihre charismatische Sängerin nicht an ihre Hochzeit anknüpfen und lösten sich Anfang der Achtziger auf. Poly Styrene brachte in den Achtzigern zwei Soloalben heraus (Translucence / 1980, Gods and Goddesses / 1986) und starb 2011 tragischerweise kurz vor Veröffentlichung ihrer Comeback-Platte Generation Indigo an Krebs.

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