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BUZZCOCKSSingles Going Steady [I.R.S. Records, 1979] Jan-Niklas Jäger

Die Karriere der Buzzcocks lässt sich in drei Phasen aufteilen. Die erste davon hielt ziemlich genau ein Jahr, von der Gründung bis zur ersten EP »Spiral Scratch« nämlich, der wenige Wochen später der Ausstieg von Sänger Howard Devoto folgte. Devoto, der sich im Anschluss einen Namen als Kopf von Magazine machen sollte, hatte die Band zusammen mit Pete Shelley gegründet, auch die Songs schrieben die beiden zusammen. Shelley musste sich also umorientieren. Er übernahm die vakante Stelle am Mikro, öffnete den rumpelnden Punk der Ur-Buzzcocks für offensivere Pop-Einflüsse und läutete damit Phase zwei ein. Von 1978 bis ’79 erspielten er und seine Mitstreiter Steve Diggle, John Maher und Steve Garvey sich den Ruf einer der besten Singles-Bands im Punk, dessen Vokabular sie dabei um neue Impulse bereicherten. Diese Phase ist dementsprechend am besten dokumentiert auf der Compilation Singles Going Steady von 1979, die alle bis dahin erschienenen Singles mitsamt B-Seiten versammelt. Mit der Punk-Ära endete jedoch auch die Erfolgssträhne der Buzzcocks, die durchaus mit der Zeit gegangen waren, auf ihren letzten Veröffentlichungen ganz im Geiste des Postpunk Experimente wagten und gerade Synthesizer-lastige Demos für ihr viertes Album produzierten. Die EMI jedoch hatte kein Interesse daran, löste den Vertrag auf und besiegelte damit vorerst ihre Geschichte. Shelley bestritt die 1980er als Solokünstler, ehe die dritte Buzzcocks-Phase durch deren Reunion 1989 eingeleitet wurde. Seitdem wird die Band von ihm und Steve Diggle konsequent weitergeführt, das Motto lautet aber eher Erbverwaltung als kreative Weiterentwicklung.

Shelleys Stimme allein bildete bereits den ersten Kontrastpunkt zu den meisten anderen Punkbands. Sie klang eher verletzlich als angreifend, doch implizierten seine Songs, dass beides nur unterschiedliche Seiten derselben Medaille seien. Frustration und Unangepasstheit blieben auch dem Pop-Punk der Buzzcocks als kreative Triebfeder erhalten, führten aber zu anderen Ergebnissen. Anhand kleiner persönlicher Dramen näherten sich ihre Songs ganz existenziellen Problemen. Shelley schrieb zum einen wortgewandte, pessimistische Texte aus der Sicht introvertierter Außenseiter, denen der Spagat zwischen Herz und Hirn nicht gelingen möchte, doch ließ er sie auch die Umstände ihrer Situationen hinterfragen oder direkt mit ihnen kämpfen. In »Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn’t’ve)?« etwa, dem größten Hit der Band, wird der love interest vorgeworfen, die »natural emotions« des Erzählers zu stören, die folglich im Konflikt stehen mit seinen tatsächlichen Emotionen. Die Beziehung ist zum Scheitern verurteilt, »unless we realize that we are the same«. Nicht davon, das gleiche zu fühlen, ist die Rede, sondern davon, das gleiche zu sein. Hier wird nach sexueller Identität gefragt, und damit öffnet sich das Fenster für sexuelle Ambiguität, die dann auch erklärt, warum von natürlichen Gefühlen die Rede ist, die durch das Liebesverhältnis − vermeintlich − gefährdet würden. »Ever Fallen in Love« ist also nicht einfach nur ein Song über unerwiderte Liebe. Es geht auch um repressive Erwartungshaltungen, entstanden durch gesellschaftlichen Normativismus. Auf ähnliche Weise kann man der Forderung in »What Do I Get?« (»I just want a lover like any other«) die Frage folgen lassen, weswegen es so unmöglich scheint, einen »lover like any other«, also wie ihn/sie sonst jeder hat, zu finden. Auch »I Don’t Mind« handelt vom Kleinen im Großen: Shelley beginnt den Song mit einer philosophischen Grundpositionierung seines Ich-Erzählers: »Reality’s a dream, a game in which I seem to never find out just what I am«. Dieses Dilemma wird existenzialistisch aufgelöst: »If you don’t mind, I don’t mind«. Ist die absurde Unverlässlichkeit des Lebens erst akzeptiert, kann sie durch Apathie entschärft werden. In den persönlichen Rahmen des Stückes eingebettet, wird diese Haltung zum zweischneidigen Schwert. Unverlässlich sind nämlich auch die Gefühle des Partners und so gilt auch für dieses ungesunde Beziehungsverhältnis: »I don’t know if I should be believing deceptive perceiving, but if you don’t mind, I don’t mind«. »Everybody’s Happy Nowadays« (mitsamt seiner Krautrock-beeinflussen B-Seite »Why Can’t I Touch It?«) treibt diese Haltung auf die Spitze. Wir befinden uns in einer von Aldous Huxleys Brave New World inspirierten Welt (der Titel ist ein Zitat daraus), deren Bewohner keine andere Emotion als Glück kennen, weil sie sich um alle anderen Emotionen betrügen. Doch dieses Glück ist falsch, eine Illusion, und so kämpft der Protagonist des Songs mit dieser Erkenntnis, ehe er seinen Frieden ebenfalls in der Selbsttäuschung findet. Wie durch Zufall stößt Shelley in seinen Geschichten zwischen Lust und Einsamkeit auf eine Philosophie hinter der Melancholie, in der er dann das passende Ventil findet, um den Zorn des Punk in Pop-gewordenen, reflektierten Weltschmerz zu übersetzen. Natürlich führt dieser Reflexionsprozess nicht zum Glück, sondern − hier wird schließlich mit den Prämissen des Punk operiert − zur Aussichtslosigkeit. »There is no future in England’s dreaming« hatten die Sex Pistols gesungen und so beenden die Buzzcocks selbst einen euphorischen Song über das Frischverliebtsein wie »Love You More« nicht mit dem erträumten Happy End, sondern mit dem Schnitt einer Rasierklinge. Dass sich zu ihren Fans auch der junge Morrissey zählte, dürfte in dem Kontext kaum jemanden verwundern. Der gibt an dieser Stelle tatsächlich ein gutes Stichwort: Der Single-Output der Buzzcocks illustriert wunderbar, wie die Konsequenzen aus Punk weitere Kreise zogen, als eine oberflächliche Betrachtung seiner Geschichte allein offenbaren würde. Die vordergründige Abkehr vom Pop und Rock vor ihm ermöglichte neue Impulse, die dann auch außerhalb seiner direkten Wirkungsstätten genreübergreifend ihre Wurzeln schlugen. So greift auch die pophistorische Einsortierung der Buzzcocks als Pop-Punk-Pioniere zu kurz. Schließlich findet sich in deren Werk ein Popverständnis, dessen Gespür für die großen Fragen hinter kleinen Songs zum Missing Link zwischen zwei derart unterschiedlichen Bands wie den Pistols und den Smiths werden konnte.

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