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THE UNDERTONESTeenage Kicks EP [Good Vibrations Records, 1978] Jan-Niklas Jäger

»The Clash would have killed to come from Derry.«

(Undertones-Bassist Michael Bradley)

Auf dem Cover des ersten Albums der Undertones sitzen die Bandmitglieder auf einer Mauer in ihrer Heimatstadt Derry. Kurz nach Veröffentlichung der LP sprayte ein Fan den Namen der Band auf diese Mauer. Wenige Tage später hatte jemand das Wort »Hang« davor geschrieben. Eine krasse Reaktion auf eine Musikgruppe, die die Frage aufkommen lässt: Reaktion worauf genau? Auf gewagte politische Statements vielleicht oder auf konfrontative Provokationen des Establishments? Weit gefehlt. Die Undertones waren weder Stiff Little Fingers noch die Sex Pistols, sondern eine eigentlich unkontroverse, aus dem Punk stammende Pop-Band. Sie kamen allerdings aus einer Stadt, durch deren Rolle im Nordirlandkonflikt Kontroversen quasi angelegt waren. Als Ort des »Battle of the Bogside« (1969) und des »Bloody Sunday« (1972) war die Lage in der zweiten Hälfte der 1970er, in die die Anfangsjahre der Undertones fallen, immer noch höchst angespannt. Einen »oppressed and oppressive place« nannte Journalist Eamonn McCann die Stadt, in der es schon als politisches Statement gilt, ob man den seit dem 17. Jahrhundert offiziellen Namen Londonderry oder das gebräuchlichere Derry benutzt. Gewalt sei dort an der Tagesordnung gewesen, Konformität ein Ideal, so McCann. Wenn junge Männer eine Band gründeten, erwartete man eine wütende, toughe Rockband und diese Erwartung hatte erfüllt zu werden. Nun waren die Undertones aufgrund verzerrter Gitarren zwar im weitesten Sinne eine Rockband, aber weder wütend noch tough, und so wurde die berühmte Frage aus »Teenage Kicks« zum Stein des Anstoßes: »Are teenage dreams so hard to beat?« Die Antwort lautet natürlich: Ja, das sind sie. Und dass dieser Song über jugendliche Sehnsucht und Unschuld von Teenagern aus Derry stammte, führt umso dringlicher vor Augen, dass jene im Pop als Status quo der Adoleszenz geltenden »Teenage Dreams« für diese nordirischen Kids noch einmal von ganz anderer Qualität waren, weil das unbeschwerte Teenager-Leben zwischen Fußballplatz, erster Liebe und Keine-Lust-auf-Schule in ihrer Heimatstadt quasi unmöglich war. Während The Clash einen »White Riot« forderten und die nordirischen Kollegen von Stiff Little Fingers von einem »Alternative Ulster« sangen, sehnten sich die Undertones nach ganzen anderen Dingen: »I wanna hold her, wanna hold her tight. Get teenage kicks right through the night«. Statt die extremen Umstände ihres Heranwachsens in aufwühlende Bilder zu packen und sich politisch zu positionieren, fanden sie eine eigentümliche Art des Protestsongs: Eine, die unverfängliche Pop-Themen bedient, um ihr Recht auf Normalität einzufordern. »’cause everybody hates an emergency case«.

Dabei wäre eine politische Ausrichtung nicht nur aufgrund ihrer Herkunftsstadt naheliegend gewesen. Mit Ausnahme von Feargal Sharkey entstammten alle Bandmitglieder der Arbeiterklasse, von der sie sich niemals bewusst distanziert haben, denn auch der Pop-Band The Undertones merkte man ihre Herkunft an. Die Undertones wirkten in ihrem Auftreten eher wie die Jungs von Nebenan, eine Pop-typische Überhöhung ihres Images fand nicht statt. Die Band war erkennbar Working Class, doch sie schrieb es sich nicht groß auf die Brust. Das Bild, das sie abgaben, war frei von den arroganten wie scheinheiligen Ehrlichkeitsidealen des Rock, wo jede Extravaganz durch Gleichsetzung mit Unehrlichkeit als künstlerische Ausdrucksform delegitimiert wird, was in etwa dem eingangs besprochenen Konformitätszwang hinter dem Widerstand entspricht, den die Band in ihrer Heimat erfuhr: Wer sich abgrenzt, hält sich für etwas besseres, und wird dementsprechend mit Verachtung bestraft. Dass sie sich für etwas besseres hielten, ist dabei ironischerweise so ziemlich der letzte Vorwurf, den man den Undertones machen könnte. »Harte Musik« wurde von ihnen verlangt; dem verweigerten sie sich. Dabei wird »harte Musik« wiederum gemeinhin als »Jungs-Musik« verstanden. Das bedeutet nicht nur Musik, die in ihrer Ästhetik durch Härte männliche Geschlechterrollen reproduziert, sondern auch Songs mit Themen, die auf männliche Jugendliche zugeschnitten sind. In letzterem Sinne machten die Undertones durchaus »Jungs-Musik«, eben weil sie genau die Themen behandelten, die Jungs ihres Alters normalerweise so beschäftigten: Mädchen, frecher Humor, Spaß mit den Kumpels. »Boys will be boys«, wie sie auf ihrer zweiten LP Hypnotised sangen. Doch entschieden sie sich dazu, die Männlichkeit ihrer Musik − ähnlich wie ihren Arbeiterklasse-Hintergrund − eben nicht hochzustilisieren. Im Gegensatz zu den oft mit ihnen verglichenen Buzzcocks spielten sie auch nicht mit sexueller Ambiguität. Die Erfahrungen, die sie beschrieben, waren im Großen und Ganzen durchaus heteronormativ, ohne jedoch irgendwelchen Wert darauf zu legen (weswegen es sich von selbst verstehen sollte, dass ich den Begriff hier völlig wertungsfrei verwende). Kommen in der Regel selbst gute »Jungs-Bands« nicht umhin, hier und da den Dicken zu markieren, war es bei den Undertones eher eine kindliche Unschuld, von der aus die Maskulinität ergründet wurde. »Songs about chocolate and girls« eben, aber solche, die in ihren konkreten Umständen zur Protestmusik wurden, während sie losgelöst von Zeit und Ort wie fast alle großen Pop-Songs als Reflexionen ebenjener »Teenage Dreams« weiterleben, von denen sie handeln.

Damaged Goods

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