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KIEV STINGLTeuflisch [Philips, 1975] Ingo Techmeier

»Du bist noch schrecklich jung

Und doch schon Dämmerung

Du bist der Ozean,

der unterging

Mit 15 Jahren«

»Morgen komm ich« (Teuflisch, 1975)

Kiev Stingl (*1943) in einem Punk-Reader, das ist so abwegig wie naheliegend. Abwegig, da seine musikalischen Wurzeln hörbar in einem Rock lagen, den Punk überwinden wollte. Selbst hinter Kiev verbirgt sich eine eingedeutschte Version des Vornamens von Keith Richards. Naheliegend dagegen, weil Kiev Stingls Attitüde eine deutliche Nähe zum frühen Punk hatte.

Ende der 1970er-Jahre wohnte er im Hamburger Karolinenviertel und damit in unmittelbarer Nähe zu verschiedenen Treffpunkten der Hamburger Punkszene, wie dem Einzelhandel Rip Off und der Marktstube (heute an dieser Stelle: der Bioladen Lollo Rossa). Eine Subkultur, über die er mit Sympathie aber mit deutlicher Außenperspektive sprach. Er selbst war damals neben seiner Lyrik offenbar sehr mit Alkohol- und Drogenkonsum beschäftigt. Anlässlich einer Livesendung im November 1979 auf radio aktiv warf er mit einer Bierflasche und dumpfen sexistischen Sprüchen um sich.

Wer seine Platten kennt, weiß um die Konsequenz seiner lyrischen Behandlung von Frauen. Es waren oft gängige, stereotype Lolita- und Vamp-Topoi, die seine Texte prägten. Insofern passt der Titel seines zweiten Albums Hart wie Mozart: Hat doch der österreichische Komponist in seinen Briefen an Maria Anna Thekla Mozart mit »sexualisierten« Zeilen eine behauptete »Hochkultur« in so genannte »Niederungen« geführt. Kiev Stingl dagegen hat seine Lyrik konsequent in der Subkultur angesiedelt und ist dabei keineswegs zu unterschätzen. So ärgerlich einige und so unfreiwillig komisch andere Zeilen sind, seine Reduktionen sind durchaus mit Bedacht gewählt.

Dazu eine Selbsteinschätzung als »fast genial« oder als »das größte Arschloch des Jahrhunderts«, was nach einem Größenwahn klingt, der sich eine Hintertür ins Scheitern offenhält. Dies alles in Texten, die der Lyrik näher stehen als dem Liedtext der Rockmusik − er hat auch einige wenige Gedichtbände veröffentlicht − und von eigenartigen Bildern leben. Diese Texte waren jedoch von der Auffassung bestimmt, dass es keine gesellschaftlichen Alternativen und keine Utopien mehr gebe. Doch eine Lyrik, die weitgehend um Frauen und damit um das vermeintlich Geschlechtliche kreist, führt beim Fehlen von Alternativen und Utopien schnell ins Rollenklischee. Bei Stingl so konsequent, dass eine andere Lesart (vor-)schnell ausgeschlossen wird.

So sind viele seiner Texte bestimmt durch einen Geschlechterkampf, in dem der Mann das Opfer ist. Zwar ist die Begleitmusik des ersten Albums Teuflisch (1975) fast archetypischer Rock der 1970er, jedoch schon soweit reduziert, dass er kurz vor einem another kind of Blues stand. Dennoch passt das Label Proto-Punk nur halb − nicht nur wegen der auch zu hörenden Balladen −, da der entscheidende Schritt fehlte. Dieser hätte mit dem Nachfolgealbum, Hart wie Mozart (1979), kommen können, doch bietet dieses den zwar eigenständigeren, aber letztlich solideren Rock. An Gitarre und Geige ausgerechnet Holger Hiller.

Produziert sind beide Platten von Achim Reichel, der auf Teuflisch auch die Gitarre spielt. Wer bei ihm lediglich an Ü50-Parties mit dem Gassenhauer »Klabautermann« denkt, kennt weder die Rattles noch A. R. & Machines. Tatsächlich ist Teuflisch das musikalisch interessanteste Album von Kiev Stingl. Der hat noch in einigen Filmen wie Gibbi Westgermany (1980) als Schauspieler mitgewirkt und mit Ich wünsch’ den Deutschen alles Gute (1981) und Grausam das Gold und jubelnd die Pest (1991) zwei weitere Alben veröffentlicht. Doch die Originalität, die noch Teuflisch auszeichnet, verliert sich in zunehmendem Maße auf den folgenden Platten. Trotz der Beteiligung von unter anderem Dieter Meier (Produktion), FM Einheit und Axel Hacke an der letzten Veröffentlichung.

Wer Teuflisch mit Distanz hört, hat ein Zeitdokument vor Ohren, bei dem sich Ärger und Faszination die Waage halten. Es ging Kiev Stingl um »reine Emotionen« und damit um einen künstlerischen Ausdruck, der nie Gesellschaftsentwurf sein wollte. Geblieben ist im Guten, wie im Schlechten ein »Ausnahmealbum«, das am Umbruch vom Rock zum Punk steht und dort eine ziemlich einmalige Stellung haben dürfte. Für seinen ausbleibenden kommerziellen Erfolg dürfte neben dem sonst angeführten Drogen- und Alkoholkonsum auch seine Vorliebe für Lyrik verantwortlich gewesen sein − und sein Desinteresse an Musik: »Ich bin kein Musiker und der ganze Dreck interessiert mich überhaupt gar nicht.«

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