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2. Anspruch auf behördliches Einschreiten

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Wie die Kontrollpflichten der Bauaufsichtsbehörden – zumindest traditionell – mit der präventiven und der repressiven Bauaufsicht zweigleisig verlaufen, so hat auch der Nachbar herkömmlich zwei Ansatzmöglichkeiten, gegen das Bauen des Bauherrn vorzugehen: Einerseits kann er die Baugenehmigung anfechten (präventiver Rechtsschutz), andererseits kann er das repressive Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde beantragen. Dabei hat die repressive Kontrolle durch den Abbau der Eröffnungskontrolle im Rahmen der Deregulierung nicht nur für die Bauaufsichtsbehörde, sondern auch für den Nachbarn an Bedeutung gewonnen[863]. Bedarf es für den Bauherrn wie beim Anzeigeverfahren oder der Verfahrensfreistellung keiner Baugenehmigung mehr, ist für den Nachbarn der präventive Nachbarschutz verloren. Für ihn hängt dann alles vom repressiven Nachbarschutz ab.

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Im Einzelnen stehen folgende vier Konstellationen im Vordergrund, in denen der Nachbar auf das Einschreiten durch die Bauaufsichtsbehörde dringen möchte: Erstens ist an den Fall zu denken, in dem der Bauherr zwar eine Baugenehmigung erteilt bekommen hat, sich aber beim Bau nicht an deren Vorgaben hält. Zweitens sind Konstellationen vorstellbar, in denen der Nachbar bereits präventiv erfolgreich gegen die Baugenehmigung vorgegangen ist, nun aber auf das Einschreiten der Behörde gegen den Bauherrn angewiesen ist, weil dieser bereits mit dem Bau begonnen hatte; denn wegen der Regelung in § 212a BauGB hatten Widerspruch und Anfechtungsklage des Nachbarn keine aufschiebende Wirkung. Drittens existiert der typische Fall des Schwarzbaus, bei dem der Bauherr formell (und materiell) baurechtswidrig eine bauliche Anlage errichtet hat. Hinzu kommen – viertens – die nunmehr in den Vordergrund getretenen Fälle, in denen der Bauherr zwar keiner (bzw. keiner vollumfänglichen) Baugenehmigung mehr bedarf, sein Vorhaben aber dem materiellen öffentlichen Baurecht widerspricht.

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Die Eingriffsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden wurden bereits ausführlich dargelegt (siehe Rn. 111 ff.). Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass sämtliche Eingriffstatbestände im Ermessen der Behörde stehen (Opportunitätsprinzip). Aus Sicht des Nachbarn stellt sich typischerweise zunächst die Frage, ob er überhaupt, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden gegen den Bauherrn verlangen kann. Gedanklich ist hier in drei Schritten vorzugehen:

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Die Beantwortung dieser Frage hängt in einem ersten Schritt davon ab, ob die Eingriffsbefugnisse dem Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht, also einen Anspruch – zunächst einmal auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – vermitteln können[864]. Antwort auf diese Frage gibt die bereits erwähnte Schutznormtheorie, wonach es darauf ankommt, ob eine Norm nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch den Belangen des Einzelnen zu dienen bestimmt ist[865]. Während die individualrechtliche Schutzrichtung der (bau)polizeilichen Generalklausel (anhand derer exemplarisch der Anspruch auf Einschreiten gezeigt werden kann) früher bestritten wurde, ist sie heute allgemein anerkannt[866]. Damit steht bislang aber nur fest: Eine bauaufsichtliche Eingriffsbefugnis kann unter gewissen Voraussetzungen eine Anspruchsnorm darstellen.

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Das ist freilich nur dann der Fall, wenn – zweitens – ein individualisiertes Schutzgut des Nachbarn auch wirklich in Rede steht, denn einen abstrakten, also vom materiellen Recht losgelösten Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung gibt es nicht[867]. In baurechtlichen Nachbarstreitigkeiten ergibt sich die individualschützende Wirkung der Eingriffsbefugnis typischerweise aus ihrer Verbindung mit einer weiteren Schutznorm[868]. Es ist daher stets zu fragen, ob in dem „Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften“, den die bauordnungsrechtlichen Befugnisse regelmäßig tatbestandlich voraussetzen, gerade ein Verstoß gegen nachbarschützende Bestimmungen liegt. Denn nur dann dient das behördliche Einschreiten wirklich gerade auch dem Schutz des Nachbarn. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass bei den Nachbarrechtsstreitigkeiten zwei Schutznormen vorliegen müssen.

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Als Rechtsfolge sehen sämtliche bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse Ermessen vor[869]. Der Nachbar hat dementsprechend nur dann einen Anspruch auf Einschreiten, wenn sich – drittens – zumindest das Entschließungsermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert. Ob dies der Fall ist, richtet sich grundsätzlich nach Landesrecht[870]. In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen eine solche Ermessensreduktion angenommen werden muss[871]. Nach häufig vertretener Auffassung führt nicht jede Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften automatisch zu einer Ermessensreduktion auf Null. Vielmehr müsse es sich um einen erheblichen Verstoß handeln oder eine schwere Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut des Nachbarn bestehen[872]. Begründet wird diese Ansicht zumeist mit einem Vergleich mit dem Allgemeinen Polizeirecht und dem Hinweis, das Opportunitätsprinzip dürfe nicht unterlaufen werden[873].

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Diese Sichtweise gerät zunehmend in die Kritik. Auffallend ist der Widerspruch zur Argumentation in derjenigen Konstellation, in der die Bauaufsichtsbehörde von Amts wegen einschreiten will. Hierfür verlangt die Rechtsprechung für den Regelfall von der Bauaufsichtsbehörde keine Ermessenserwägungen, weil die Behörde grundsätzlich einzuschreiten habe (intendiertes Ermessen)[874]. Unklar bleibt nun, warum das nicht auch in der Nachbarkonstellation gelten soll[875]. Konsequenterweise muss auch hier von der Bauaufsichtsbehörde regelmäßig ein Einschreiten verlangt werden können[876].

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Bewegung in diesen Streit hat vor allem die Verfahrens- und Genehmigungsfreistellung im Zuge der Deregulierung gebracht. Vermehrt wird es als wenig überzeugend empfunden, dem Nachbarn keinen Anspruch auf Einschreiten, sondern nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zuzubilligen, obwohl ihm bereits wegen des Abbaus der präventiven Eröffnungskontrollen die Möglichkeit der Anfechtung einer Baugenehmigung genommen wurde. Deshalb soll das Ermessen in diesen Fällen regelmäßig auf Null reduziert sein, um einen Ausgleich für die weggefallene präventive Kontrolle zu schaffen[877]. Diese Argumentation beruht also letztlich auf einem Kompensationsgedanken[878]. Denn hätte der Nachbar noch die Möglichkeit der Anfechtung einer Baugenehmigung, wäre lediglich die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und Rechtsverletzung des Nachbarn entscheidend (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO); in der Anfechtungssituation ist kein Raum für ein Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Die neue Regelungstechnik – von der Baugenehmigung zur Freistellung – habe aber nicht die Schlechterstellung des Nachbarn bezweckt[879].

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Freilich sind diese Argumente zugunsten eines effektiveren Nachbarschutzes ihrerseits nicht ohne Widerspruch geblieben. Einerseits sehen manche den für den Nachbarn durch die Deregulierung ausgelösten Wechsel von der Anfechtungsklage zur Bescheidungsklage als durchaus gewollt an. Teilweise wird deshalb gefordert, den Nachbarn in diesen Fällen gerade auch vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Ziels der Entlastung der Verwaltung auf den Zivilrechtsweg zu verweisen[880]. Andererseits wird darauf hingewiesen, dass der Nachbar auch früher schon für die Durchsetzung seiner Position auf das Einschreiten der Behörde angewiesen war. Denn durch erfolgreiches Anfechten einer Baugenehmigung verschwindet ja noch nicht der illegale Bau[881].

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Dennoch besteht – schon wegen des Arguments des intendierten Ermessens – zunehmend Einigkeit, dem Nachbarn einen Anspruch auf Einschreiten zuzubilligen. Die genaue dogmatische Begründung fällt im Hinblick auf die vier oben genannten Konstellationen allerdings unterschiedlich aus[882]. Wie bereits dargestellt, steht bei fehlender Eröffnungskontrolle (vierte Konstellation) der Kompensationsgedanke im Vordergrund[883]. Ähnlich liegt es beim Schwarzbau (dritte Konstellation), bei dem der Nachbar ebenfalls vollständig auf das repressive Einschreiten angewiesen ist[884], sowie beim Überschreiten der Baugenehmigung durch den Bauherrn (erste Konstellation). In der zweiten Konstellation (aufgehobene rechtswidrige Baugenehmigung) steht dem Nachbarn nach dogmatisch zutreffender Ansicht gegen die Behörde zwar ein Folgenbeseitigungsanspruch zu[885]. Um diesen zu erfüllen, bedarf die Behörde allerdings einer Ermächtigungsgrundlage gegenüber dem Bauherrn, die wiederum regelmäßig im Ermessen steht. Hier ist es dann die Folgenbeseitigungslast, die die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig zu einem Einschreiten verpflichtet[886].

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