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Der alte Adam

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Die Tage vor Mittsommer vergingen mit Arbeit und Hochzeitsvorbereitungen für uns alle wie im Flug – wenn ich mich aus den Hochzeitsvorbereitungen auch konsequent heraushielt. Sie durften sich ruhig ohne meinen Enthusiasmus verheiraten. Nicht, daß das eine Rolle gespielt hätte. Alle hatten genug zu tun.

Der folgende Sonntag war aber trotzdem für die allgemeine Planung reserviert, die wir bei dem schönen Sommerwetter an den Strand verlegten. Wir hatten gebadet und geplant und waren weit geschwommen und hatten noch viel mehr geredet, als Inga uns mit der folgenden Tatsache konfrontierte: »Verdammte Pest, da sitzt so ein verdammter Spanner hinter dem Nachbarsteg. Ich hab ihn eben schon mal gesehen. Ein echter Spanner!«

Wir waren ja wie gewöhnlich nackt, und das hatte wirklich ein neugieriges Gesicht herbeigelockt, das am Nordende des Strandes zu sehen war. Inga erhob sich in all ihrer Pracht und Kraft und rief: »He, du da! Wenn dich das so interessiert, dann komm doch einfach! Komm her und sieh dich gründlich um. Wie du siehst, sind wir ganz unbewaffnet, und wir beißen auch nicht.«

Und dann geschah das Erstaunliche, daß wirklich ein Typ zum Vorschein kam. Zögernd und unsicher zuerst, dann kam er aber ganz munter über den Strand auf uns zu. Sofort wurde ich innerlich zum Rasierapparat, denn irgendwas stimmte hier einfach nicht. Er trug Shorts und ein T-Shirt, war kräftig und gut gebaut, war in unserem Alter und hatte kurze dunkle Haare. Damals kannte ich niemanden mit kurzen Haaren. Er blieb zehn Meter von uns entfernt stehen und glotzte, und jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Mit diesem Menschen stimmte einwandfrei etwas nicht. Inga war immer immun gegen schlechte Vorzeichen gewesen, und sie behielt ihre überschwengliche Einladung einfach aufrecht: »Setz dich doch zu uns, Genosse, aber dann mußt du dich auch ausziehen. Wir haben hier keine Geheimnisse voreinander, verstehst du?«

Ich konnte gerade noch denken, daß sie vergessen hatte, daß diese Aussage sich auf physische Angelegenheiten begrenzte, als etwas Verblüffendes passierte. Der Junge grinste plötzlich breit und stieß einen gutturalen Laut aus, der zweifellos »vielen Dank für diese nette Einladung« bedeuten sollte. Dann zog er sich sein Hemd über den Kopf, warf die Schuhe beiseite, ließ Shorts und Badehose fallen und erhob sich mit einem entzückenden Lächeln und einer großen, kräftigen Latte, die genau auf uns zeigte. Die Szene hatte etwas Phantastisches. Mir war sofort klar, daß die Frauen jetzt Angst bekamen, aber ich sah ihm gleichzeitig an, daß er nicht gefährlich war. Er stand einfach vertrauensvoll und munter und im wahrsten Sinne des Wortes entblößt da und zeigte uns, was er für uns empfand: Er fand uns einfach toll! Und deshalb war ich dieses eine Mal derjenige, der die Situation rettete – ich prustete los. Jetzt begriff auch Ragnhild, und sie lachte ihr warmes, beruhigendes Lachen, in das unser feuriger Gast mit einer unbeschreiblich hemmungslosen und ohrenbetäubenden Atemübung einstimmte. Er lachte immer weiter, während er die letzten Meter bis zu uns hinter sich brachte, und dann setzte er sich im Schneidersitz mit aufragendem Schwanz auf den Steg und lächelte uns alle der Reihe nach an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich musterte ihn ausgiebig, um festzustellen, was ihm fehlte, anzusehen war es ihm nämlich nicht. Er war ein bißchen zu dick und hatte bleiche Winterhaut, aber er hatte ein hübsches Gesicht mit einem strahlenden Lächeln und braune Augen – und jetzt sah ich es. Er hatte einen etwas fremden und verwirrten Gesichtsausdruck. Er gab sich schreckliche Mühe, um zu begreifen, in was für eine Situation er hier geraten war. Ich ertappte mich dabei, daß ich nach dem Wort suchte, dem richtigen Wort, dem Etikett, und endlich konnte ich aus meiner überlegenen Schädelfüllung »Gehirnschaden« herausfischen. Auch Inga hatte die Diagnose gestellt – mit Hilfe ihrer sozialwissenschaftlichen Studien –, und deshalb eröffnete sie das Gespräch mit einer überraschend professionellen Kinderfunkstimme: »Hallo! Wie heißt du denn eigentlich?«

»Børre!« Wie schön er das R rollen konnte!

»Und wo wohnst du denn?«

»Dahinten.« Er zeigte unsicher so ungefähr in die Richtung, aus der er gekommen war.

»Machst du hier vielleicht Ferien?«

Er nickte eifrig und sagte: »Oma und Opa.«

»Aha. Du machst mit deinen Großeltern Ferien auf Nesodden?«

Er nickte und lachte, zeigte auf sich selber und sagte: »Børre. Sechsundzwanzig.« Dann zeigte er auf Inga, die uns alle der Reihe nach vorstellte: »Inga, einundzwanzig. Ragnhild, zweiundzwanzig, Kyrre, einundzwanzig, Yngve, vierundzwanzig und Øystein, zwanzig. Ja?«

Er tauschte mit uns allen ein Lächeln und Geräusche des Wohlbefindens, ehe er auf Inga zeigte und das umwerfende Kompliment brachte: »Schöne Titten!«

Wir lachten, und sie setzte den Kinderfunk fort: »Ach, tausend Dank, Børre. Da muß ich dir aber auch sagen, daß du einen hübschen Schwanz hast, ja? Der ist wirklich toll.«

Er gurgelte hingerissen und zupfte stolz an seinem Gerät. Und dann – mit einem einzigen langen Sprung – warf er sich auf sie. Es ging so schnell, daß alle einfach einige Sekunden wie gelähmt dasaßen, dann brüllte Inga los, und alles war nur noch wildes Chaos. Als ich wieder auf die Beine kam, stand Kyrre schon über ihnen und versuchte, den Typen von Inga herunterzuziehen, und Ragnhild schrie, und Kyrre brüllte: »Jetzt helft mir doch, zum Teufel! Der ist stark!«

Øystein war als erster bei ihnen und stürzte sich in das kurze Handgemenge, das damit endete, daß sie Børre von Inga weg- und ein Stück über den Steg zerrten. Inga setzte sich auf und schien einen leichteren Schock davongetragen zu haben, aber dann fand sie die Sprache wieder, und ich kann wirklich garantieren, daß der Kinderfunk unwiderruflich zu Ende war.

»Was zum Teufel erlaubst du dir, du verdammtes Schwein! Bilde dir bloß nicht ein, du könntest einfach herkommen und hier herumgrabschen, auch wenn du noch so schwachsinnig bist! Wir leben schließlich nicht in der Steinzeit!«

Da erlitt ich einen Anfall von totalem Durchblick und sagte:

»Vielleicht sehen wir so aus!«

In diesem Moment stieß unser spontaner Ehrengast ein herzzerreißendes Geheul aus, und dann riß er sich los und floh in die Richtung, aus der er gekommen war. Und weg war er.

»Was ist denn bloß passiert?« fragte Inga.

»Was hast du gesagt?« wollte Kyrre von mir wissen.

»Er hat gedacht, er wäre in der Steinzeit gelandet.«

»Was zum Teufel meinst du damit?« fragte Ragnhild.

»Hört mal. Er sieht fünf nackte Menschen in freier Wildbahn. So was hat er noch nie gesehen – im Heim, meine ich. Dann rufen wir ihn zu uns und laden ihn ein, und er strippt und hat einen stehen, was wir ohne saures Gesicht akzeptieren. Das hat er auch noch nie erlebt, das kann ich euch schwören. Und alles ist nur Lächeln und Idylle. Habt ihr sein Gesicht nicht gesehen? Er hat sich den Kopf zerbrochen, um zu kapieren, was hier eigentlich abläuft. Es war eine ganz neue Erfahrung, versteht ihr? Dann sagt er etwas Nettes über Ingas Busen, und du sagst, er hätte einen hübschen Schwanz – und das hat ihm jedenfalls noch nie jemand gesagt. Also hat er gedacht, es wäre vielleicht erlaubt, einen Versuch zu machen. Armer Teufel!«

»Ach, Gott! Immer soll ich an allem schuld sein!« Jetzt heulte Inga los, und Ragnhild tröstete, und während ich anfing, mich anzuziehen, war Kyrre derjenige, der nickte und meinte: »Ich glaube, da hast du die richtige Analyse gebracht.«

»Ja«, sagte ich und zog meine Schuhe an. »Aber jetzt müssen wir ihn finden und versuchen, ihm das irgendwie klarzumachen. Er hat ja seine Klamotten und Schuhe und alles hiergelassen. Wir können ihn hier nicht nackt durch die Gegend düsen lassen. Kommt irgendwer mit? Ich geh verdammt noch mal nicht allein!«

Øystein hatte sich schon angezogen, und so machten wir uns auf den Weg, um den armen Jüngling aus der Not zu retten.

Das war nicht so leicht, obwohl wir ihn sofort fanden. Er hatte sich hinter dem Nachbarsteg versteckt. Dort saß er eingequetscht zwischen Beton und Fels, und als er uns erblickte, heulte er gleich wieder los. Er blutete an beiden Knien und hatte sich überall mit Blut eingeschmiert, so daß er aussah wie geschlachtet.

»Hallo, Børre. Wir tun dir doch nichts! Wir bringen deine Kleider!« Jetzt veranstaltete ich die Kinderstunde, und ich hatte das Gefühl, mich genauso falsch anzuhören wie die Kinderfunkonkel meiner Kindheit.

Børre heulte und schlug sich die Hände vors Gesicht, aber er schien weder fliehen noch angreifen zu wollen. Er saß einfach nur da und heulte. Ich sah Øystein an: »Geh den Erste-Hilfe-Kasten holen und bring auch ein Handtuch und einen Eimer mit sauberem Wasser mit. Und Seife. Ich versuche, ihn ein bißchen zu beruhigen. Und sag den anderen, sie sollen uns in Ruhe lassen.«

»Alles klar, ich beeile mich«, sagte Øystein und fuhr mir durch die Haare, ehe er ging.

Ich wandte mich wieder Børre zu, und nun musterte er mich sorgfältig durch seine Finger hindurch, ehe er rief: »Ihr schmust!« Und dann fing er an zu weinen. Ein piepsendes, wehes Weinen, bei dem ich mich innerlich krümmte.

»Aber Børre! Sei doch nicht so traurig. Niemand ist böse auf dich. Es war bloß ein Mißverständnis, weißt du. Ich verstehe das gut. Es ist doch kein Wunder, daß du gedacht hast, das wäre in Ordnung. Und jetzt macht es doch nichts mehr.«

Ich entdeckte zu meiner großen Freude, daß ich mich nicht mehr anhörte wie ein Kinderfunkonkel. Der Junge betrachtete mich durch seine Finger und sagte: »Ihr schmust – ich nicht!« und dann piepste er weiter. Ich setzte mich auf einen Stein und hätte am liebsten mit ihm zusammen geweint. Wie sollte ich sein Vertrauen erwecken, ohne allzu sehr in diese Geschichte hineinzugeraten? Denn ich wollte mit diesem Fall nichts zu tun haben. Meine Aufgabe und meine Verantwortung waren lediglich, ihn zu verbinden und nach Hause zu schaffen. Ich wollte mir kein lahmes Entlein aufhalsen, weil ich wußte, daß mich das binden würde. Ich mußte mich hart machen.

»Hast du denn keine anderen zum Schmusen, Børre?«

»Nein. Sagen Pfui, und ich krieg einen Klaps.«

»Ja, aber was willst du denn eigentlich?«

»Schmuuuuusen!« Ein gequältes Piepsen.

»Børre! Jetzt ist Øystein unterwegs und holt Pflaster und Salbe und so was. Wenn er zurückkommt, dann waschen wir dich und machen dich wieder richtig fein. Das ist doch fast wie Schmusen, meinst du nicht?«

Überraschenderweise schniefte Børre und nickte energisch.

Er gehorchte wie ein guttrainierter Musterpatient, während Øystein und ich ihn wuschen und verbanden. Als ich sein Gesicht wusch, lächelte er wieder und sagte: »Schmuuuus!« Ich setzte ihm einen kleinen Schmatz auf die Wange – worauf seine Latte sich gleich wieder hob. Darum kümmerte Øystein sich und sagte: »Du, Børre? Weißt du, daß wir dich anfassen und so, bedeutet nicht, daß wir Lust haben, irgendwas sexuell mit dir zu tun zu haben, weißt du. Das dürften wir auch gar nicht, selbst wenn wir Lust hätten. Jetzt kriegst du noch Pflaster auf die Knie – mach mal das Bein gerade –, und dann ziehst du dich wieder an, ja?«

Øystein war absolut kein Kinderfunk. Er war eher Volkshochschule. Børre beugte sich mit widerstrebendem Nicken der Autorität, und dann zog er mit unserer Hilfe Badehose und Shorts an.

»Und jetzt noch die Schuhe, und dann bringen wir dich nach Hause zu deinen Großeltern, ja?« sagte ich.

»Neeeein«, widersprach Børre. »Selber gehen.«

»Aber wir bringen dich gern hin. Ich möchte sehen, wo du wohnst, und ich würde auch gerne deinen Großeltern guten Tag sagen und so.«

»Nein, schaff ich selber. Wiedersehn!« sagte Børre und stürzte davon. Oben auf dem Felsen drehte er sich um und rief: »Ihr seid lieb!« Wir ließen ihn laufen, sahen uns an und atmeten auf.

»Wir haben wahrscheinlich noch mehr Grund, froh zu sein, als uns klar ist«, sagte Øystein. Ich nahm seine Hand, und dann schlenderten wir zu unserem eigenen Steg zurück.

Am nächsten Morgen mußten alle anderen in die Stadt, und deshalb hatte ich am Vormittag den Strand für mich. Das Wetter hatte sich definitiv zu einem anhaltenden Hochdruck stabilisiert, und ich beschloß, mit gutem Gewissen faul zu sein. Also machte ich es mir unten am Steg mit allem gemütlich, was das Herz an Eistee, Lektüre und Mozarts Klavierkonzerten begehrte, legte mich nach einer langen Runde Schwimmen in die Sonne und ließ mich wärmen.

Ich zuckte schrecklich zusammen, als sich plötzlich ein Mensch über mich beugte. Im scharfen Sonnenlicht war ich fast blind, und im folgenden Angstanfall konnte ich nicht atmen. Dann aber sagte die Person: »Hallo! Mach Besuch bei dir.«

Als ich begriff, daß es Børre war, stieß ich ein erleichtertes Keuchen aus, dem sofort akute Gereiztheit folgte.

»Was willst du denn jetzt schon wieder? Du willst ja wohl nicht jeden Tag zu Besuch kommen? Und du darfst dich nicht so anschleichen wie eben – du hast mir ja einen Todesschrecken eingejagt! Das ist gefährlich, verstehst du?«

»Nicht gefährlich. Børre ist lieb.«

Er setzte sich neben mich und nickte so überzeugend, daß ich es einfach nicht über mich brachte, ihn abzuweisen.

»Ja, ja. Aber wenn du hier sein willst, dann darfst du nicht zuviel quatschen. Ich will meine Ruhe haben und es mir in der Sonne gemütlich machen.«

»Schmuuuusen?«

»O nein! Kein Schmusen. Geh und spring in den Fjord, das kühlt dich ein bißchen ab. Das Wasser ist herrlich.«

Er nickte energisch und zog sich im Nu aus – und tatsächlich prunkte er auch heute wieder mit seiner Latte. Und genau das gefiel mir überhaupt nicht. Er mußte ja schließlich als Kind betrachtet werden, und ich finde nun wirklich, daß Kinder mit ihrer Sexualität in Ruhe gelassen werden sollen.

»Zeig mal, ob du dich traust zu springen. Nimm Anlauf und rein mit dir!«

Er warf mir ein strahlendes Lächeln zu, als er ungefähr wie Inga losrannte und mit einem Riesensprung im Wasser landete. Mir fiel ein, daß ich überhaupt nicht wußte, ob er schwimmen konnte, aber dann sah ich ihn mit kräftigen Zügen davonkraulen. Im nassen Element war er jedenfalls nicht beschränkt. Ich versuchte, die Situation abzuschätzen. Natürlich konnte ich ihn verjagen und ihm das Wiederkommen verbieten, aber das wäre einfach herzlos. Er brauchte doch nicht unbedingt eine Plage zu sein, wenn wir lernten, ihn richtig zu behandeln. Er tat ja immer, was man ihm auftrug. Ich mußte ihm eben zu verstehen geben, daß bei uns von »Schmus« nicht die Rede sein konnte, dann würde er vielleicht von selber verschwinden. Ich legte Mozarts Klavierkonzert Nummer vierundzwanzig in c-Moll ein – das gehört zum Schönsten, das ich mir vorstellen kann – und legte mich bequem auf den Bauch. Ich wollte mich jedenfalls von einem zudringlichen Bengel nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen.

Kurz vor Ende des zweiten Satzes kam er aus dem Wasser – und, Gott soll mich schützen, er hatte immer noch einen stehen. Die Großeltern hatten wohl vergessen, ihn mit Salpeter zu füttern, was sie in Pflegeheimen ins Essen mischen, um die Potenz der glücklich Unwissenden zu verringern. Ich wußte, daß das üblich war, und deshalb hielt ich seine Erektion für eine natürliche Reaktion, die ich ihm gönnen mußte. Also lächelte ich und reichte ihm das Handtuch. Er bedankte sich und trocknete sich Haare und Schritt – und dann holte er sich vor meinen Augen einen runter. Das war gelinde gesagt verwirrend. Es war sogar entsetzlich aufregend – nicht nur, weil er sexy und gutgebaut war, wie es in Kontaktanzeigen heißt. Aber ich durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren und mich mit diesem großen Kind einlassen. Reiß dich zusammen, Yngve! Sieh in eine andere Richtung ...

»Du auch! Schmuuusen!« sagte er plötzlich. Er hatte wohl mitbekommen, daß ich ein immer mehr zum Bersten bereites Geheimnis ausbrütete.

»Nein, bleib weg. Das mußt du schon allein schaffen.«

Da erschien in seinem Gesicht ein nahezu triumphierendes Lächeln, das ganz deutlich sagte, daß er mich durchschaute und genau wußte, was von mir zu halten war. Und er tat etwas, das ziemlich ernste Folgen haben sollte. Er nahm die Sonnencremetube, gab sich eine große Portion auf die rechte Hand, kniete sich hin und schmierte sich von hinten ein, glatt und routiniert mit zwei Fingern im Enddarm. Mein Gehirn war so blockiert, daß es sich weigerte zu begreifen, was er da machte. Aber dann legte er sich mit gespreizten Beinen auf den Bauch und sagte mit seinem entzückten Lächeln: »Jetzt kannst du schmuuusen. Ficken!«

In diesem Moment schien etwas in mir zu platzen, und nachher begriff ich, daß es Über-Yngve gewesen war, der die Kontrolle verloren hatte. Daß er, den ich als eine Art infantiles und unterentwickeltes Wesen betrachtete, dort lag und sich anbot, machte mich wahnsinnig geil. Es weckte in mir etwas Uraltes und Unwiderstehliches, von dessen Existenz ich bisher nichts gewußt hatte. Es war der Alte Adam, dessen sabberndes Grinsen zum ersten Mal in meinem Bewußtsein auftauchte. Daß Børre mich aufforderte, mit ihm zu machen, was ich wollte, verschaffte mir die bohrende Lust, in einem wütenden Egotrip über ihn herzufallen. Er machte sich zu meinem Sklaven – und deshalb mußte ich sein Herr werden. Ich versank hilflos in einem Abgrund tierischer Lust, ihn zu ficken, und kniete schon neben ihm, als Über-Yngve es schaffte, mir die große und grundlegende Frage einzuhämmern, die mich wieder in die Wirklichkeit riß: Wo hat er das gelernt? Wer hat ihn bisher benutzt?

Damit konnte ich mich losreißen, und im nächsten Moment rannte ich über den Steg und sprang ins Wasser.

Ich schwamm lange und länger als lang in dem Versuch, meine neue Erkenntnis über mich selber abzuschütteln – was natürlich nichts half. Als ich die Treppe zum Steg hochkletterte, hatte ich mich aber doch genügend gesammelt, um mein eigenes Chaos ordnen zu können. Børre saß immer noch da und sah mich ein bißchen ängstlich an, und ich ergriff die Gelegenheit zusammen mit dem Handtuch.

»Was du eben gemacht hast, darfst du nicht tun, Børre! Hörst du?«

Er krümmte sich wie ein gescholtenes Kind.

»Ich bin nicht böse auf dich, aber du mußt doch begreifen, daß du bei anderen Menschen Dinge auslösen kannst, über die niemand Kontrolle hat, und das kann gefährlich sein. Deshalb darfst du es nie wieder tun. Verstehst du das?«

Jetzt nickte er widerwillig, sah aber immer noch nicht auf. Seine Erektion war jetzt verschwunden.

»Dann finde ich, wir sollten beide unsere Hosen anziehen, und dann gebe ich dir ein Glas Eistee.«

»Børre jetzt nach Hause«, sagte er und zog sich an.

»Du brauchst nicht zu gehen, weißt du. Ich will dich doch nicht verjagen.«

»Doch!« sagte Børre mit einem Blick, der alles andere war als kindlich. Es war der Blick eines abgewiesenen und verletzten jungen Mannes. Ich erkannte ihn, weil ich ihn vor nicht allzu vielen Jahren im Spiegel gesehen hatte.

Und dann ging er – und ich hatte zwei neue Lasten auf meinem Gewissen. Nicht genug, daß ich im tiefsten Innersten ein stinknormales Schwein von einem Chauvi war. Jetzt trampelte ich auch schon auf den Gefühlen junger Knaben herum.

Jaja. Wenn ich mit den Neuerwerbungen dieses Tages leben konnte, dann würde ich wohl alles überstehen.

Sternschnuppen

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