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Ich liebe Sie (Großbeken, Januar 1979)

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„Ich liebe Sie.“

„Oh“, sagte er.

Schweigen. Ich schaute ihn an.

„Wieso?“, fragte er.

Und schon war ich aus dem Konzept, da ich diese Frage nicht beantworten konnte. Ich war zu verliebt in ihn, um an der Sinnhaftigkeit seiner Frage zu zweifeln.

„Keine Ahnung“, meinte ich.

„Das kann nicht sein.“

„Ist aber so.“

„Ich bin dein Lehrer.“

„Ich weiß.“

„Ich darf keine Beziehung zu einer Schülerin haben.“

„Schon klar.“

Wir gingen unserer Wege.

Die Schule war ein unangenehmer Ort. Unangenehm, weil sie von intoleranten Frühaufstehern, geistesabwesenden Schülerinnen und unbeholfenen Lehrern bevölkert war. In Französisch und Mathe unterrichteten mich zerstreute Spätrentner, ein tschechoslowakischer Aussiedler mit rustikalen Sprachkenntnissen übernahm den Deutschunterricht,

inoffizielle Sadisten traktierten mich in Englisch und Sport. Ganz ohne Staatsexamen und bar jeglicher didaktischer Basis, aber auch nicht schlechter als die anderen, lehrten Mitarbeiter des ortsansässigen Schwefelsäurewerkes Chemie und Physik. Dieser Schauplatz pädagogischen Brachlands und menschlicher Abgründe hat mich in vieler Hinsicht auf das Leben vorbereitet.

Mein Kunstlehrer war gut. Meinen Geschichtslehrer liebte ich.

Zum Beginn meines vorletzten Schuljahres auf dem Gymnasium begann er als neuer Referendar für Geschichte. Es war ihm vor Dienstantritt sicherlich nicht klar gewesen, was es bedeutete, an einem Mädchengymnasium zu unterrichten. Er war mit seinen siebenundzwanzig Jahren der jüngste Lehrer an unserer Schule. Das wäre er auch mit neunundvierzig Jahren gewesen. Er brachte uns bei, was im Falle eines Atomunfalls in der Nähe zu tun sei, ein Thema, das sicherlich nicht zu seinem Lehrplan gehörte. Ich war beeindruckt. Der Übergang in den unübersichtlichen Zustand des Verliebtseins fand in den fünf Minuten statt, in denen er zur Veranschaulichung der Organisation des Reichstages des Heiligen Römischen Reiches Strichmännchen auf die Tafel malte. Hätte ich ihm das auf seine Frage antworten sollen?

Ich setzte mich in die erste Reihe, neben Eva Maul, eine spitznäsige Streberin. Der Platz neben Eva war immer frei. Mit seinem schwermütigen Blick schaute Peter mich öfter an als Eva, aber darauf gab ich nichts. Ich wollte seine Aufmerksamkeit durch Leistung auf mich lenken, wusste jeden Schlachtverlauf des 'Siebenjährigen Krieges' wiederzugeben und war auf Detailfragen zum 'Wiener Kongress' vorbereitet. Ich meldete mich andauernd, was zum Ergebnis hatte, dass er mich nie dran nahm. Ich ließ meine Tasche liegen, in der ein passables Foto von mir strategisch gut platziert lag. Er gab sie Eva, die meine Sachen durchwühlte und das Foto klaute. Bei einer Exkursion zum ehemaligen KZ-Außenlager Buchenwald in Witten-Annen dackelte ich die ganze Zeit neben ihm her. Ich sagte ihm, wie toll ich es fände, dass er uns diesen Teil der deutschen Geschichte näher brachte und sonst noch jede Menge blah, blah. Er brummte so was wie 'hmh' und starrte ständig woanders hin.

Ich bin nicht so der extrovertierte Typ. Niemals würde ich mit einem anderen Mädchen über meine Gefühle reden oder überhaupt mit jemanden. Wenn ich sie schon sehe, diese tuschelnden und kichernden Mädchen, was für eine gigantische Verschwendung von Lebenszeit, was für ein Akt der Entblößung und Entzauberung, mit jemand anderem über seine Liebe zu reden. So musste ich also alleine darauf kommen, wie diese sehr einseitige Zuneigung zu einer erfüllten Liebesbeziehung werden konnte. Ich entschied mich für die Flucht nach vorne.

Ich bat Peter um einen Termin. Referat, äh, Thema unklar und so. Da er keinen eigenen Raum hatte, gingen wir nach Schulschluss in das Lehrerzimmer. Er hatte eine enge Jeans und ein rostfarbenes Sakko an, das leider spacko aussah. Glatte braune Haare bis zum Kinn. Nickelbrille.

War klar, dass meine Offenbarung alles komplizierte. Gar nichts zu unternehmen wäre eine denkbar gute Alternative gewesen.

Ich musste ihn abhaken. Vergessen. Zu Geschichte atomisieren.

Meinem Herzen waren seine Worte egal. Meinem Herzen war nicht beizukommen, trotz der sicheren Prognose, als staubige Stinkmorchel zu verkrumpeln. Er oder keiner, sagte es. Ich setzte mich wieder in die letzte Reihe und liebte ihn von dort aus.

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