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4. Klöster als Kulturträger – die Skriptorien
ОглавлениеZwischen dem 7. und 9. Jahrhundert erlebten die irischen Klöster als geistige und geistliche Zentren ihre größte Blüte. Sie schlug sich in schriftlichen und handwerklichen Erzeugnissen nieder; die englischen Klöster folgten. Neben Gebet und Gottesdienst waren die Mönche zu regelmäßigem Studium und zur Arbeit verpflichtet. Das bedeutete auch, dass die irischen Klöster Schulen einrichteten, in denen dafür ausersehene Mönche Lesen, Schreiben und natürlich Latein lehrten. Es wird immer wieder betont, dass das irische Mönchtum insbesondere rezeptive Studien betrieb und sich v. a. dem Abschreiben vorhandener Texte widmete. Die Klosterschulen stellten einen Lehrplan auf, der die artes liberales, also die freien Künste – Rhetorik, Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik – zur Voraussetzung für weitere Studien erhob. Kenntnisse in den artes liberales sollten garantieren, dass sich beim Kopieren von Texten keine Fehler einschlichen, denn jeder sollte in der Lage sein, Latein so gut zu lesen, zu sprechen und zu schreiben, dass Verballhornungen lateinischer Texte nicht möglich sein würden. Dies galt insbesondere für das Abschreiben liturgischer Texte, für die man eine größtmögliche Einheitlichkeit anstrebte. Das Kopieren von Handschriften wurde mit Fleiß, Sachkenntnis und großer Kunstfertigkeit betrieben. Die besondere Qualität, die irische Mönche beim Kopieren und Illuminieren erreichten, erklärt man mit der Ehrerbietung, die sie dem Buch als einem fast heiligen Gegenstand entgegenbrachten. Ein Buch strahlte offenbar für sie geradezu charismatische Kraft aus und war quasi Reliquien vergleichbar, so dass man einem Buch auch die Wunderkräfte von Reliquien zuschreiben konnte.
In den irischen Skriptorien, den Schreibstuben der Klöster, entstanden neben Abschriften und Kommentaren der Bibel, Annalen (knapp gefasste Jahrbücher) sowie Texten zum weltlichen und kanonischen Recht als besondere Gattung zahlreiche Pönitentiale, Bußbücher, die man als eine Art geistliches Strafgesetzbuch auffassen kann. Geahndet wurden gedankliche ebenso wie tatsächlich begangene Sünden, z. B. sexuelle Vergehen, heidnische Zauberpraktiken oder Gotteslästerungen. Als Strafen verhängten die Seelsorger verschiedene Grade des Fastens, die Ableistung von Gebeten, körperliche Züchtigung oder eine Geldbuße. Manche auf lange Dauer angelegte Strafe konnte der Büßer durch extreme Selbstkasteiung verkürzen. Entsprechend der Funktion der irischen Klöster galten die Bußkataloge gleichermaßen für Kleriker wie für Laien, wobei dem Kleriker bei gleichem Vergehen in der Regel eine strengere Strafe drohte als dem Laien.
Aus den unzähligen Schriften, die in den irischen und angelsächsischen Klöstern entstanden, ragen einige deutlich hervor: Der Abt von Iona etwa schrieb um 700 einen Pilgerführer, De locis sanctis, über die heiligen Orte in Jerusalem und dem übrigen Palästina. Zwar war er selbst nie dort gewesen, doch er informierte sich über sein Thema mit Hilfe von Augenzeugenberichten und literarischen Quellen, die ihm zur Verfügung standen. Ebenfalls um 700 erarbeitete der Angelsachse Aldhelm von Malmesbury (ca. 650 – 709, ab 679 Abt) eine Abhandlung über Metrik und eine Sammlung von 100 Rätseln in Hexametern, die offenbar für den Schulunterricht konzipiert waren, damit die Schüler die lateinische Sprache mit größerer Sicherheit beherrschen lernten, wozu wohl auch die von ihm verfasste Grammatik diente. Des Weiteren schrieb er ein Werk über die Keuschheit als wichtigste Tugend von Mönchen und Nonnen.
Der sicherlich bekannteste Literat eines angelsächsischen Klosters war der Gelehrte Beda, mit dem Beinamen Venerabilis, der Ehrwürdige (672 – 735). Als sein wichtigstes Werk gilt die Geschichte der englischen Kirche, Historia ecclesiastica gentis anglorum. Dazu kamen Bibelkommentare, eine Vita des Bischofs von Lindesfarne, und zwar in der Doppelfassung einer prosaischen und einer hexametrischen Version, ein Gedicht über die Schrecken des Jüngsten Gerichtes, Schriften über Metrik und rhetorische Figuren, eine Kosmologie, De natura rerum, und ein Buch über die Zeitrechnung, Liber de temporibus, bzw. ein zweites Buch mit ähnlichem Thema über die Prinzipien der Zeitrechnung, De ratione temporum. Diese beiden Abhandlungen in Verbindung mit einer Weltchronik und der üblichen Einteilung in sechs Zeitalter zeichneten sich dadurch aus, dass sie zum ersten Mal die Datierung nach Christi Geburt praktisch anwandten, d. h. also Christi Geburt tatsächlich als den Beginn einer „modernen“ Zeitrechnung setzten. Besonders interessant ist Bedas Arbeitsweise bei der Zusammenstellung seiner Geschichte der englischen Kirche. Er arbeitete nämlich wie ein moderner Historiker, in dem er Quellen recherchierte, sie korrekt benannte und seine Aussagen darauf stützte: „Alles ist systematisch und mit großer Mühe und Aufwand nicht literarischen Quellen abgewonnen, Urkunden aller Art, mündlicher Tradition und Berichten von Zeugen. Ein Brief an Albinus, Abt von Canterbury, und v. a. die Dedikationsepistel an den König von Northumbria geben Auskunft über die Entstehung des Werkes. Albinus übermittelte Beda, was immer sich an Dokumenten und mündlicher Überlieferung im Sprengel von Canterbury auftreiben ließ. Ein Londoner Priester besorgte aus den päpstlichen Archiven zu Rom Briefe Gregors und seiner Nachfolger, und ringsum wurden die Äbte, Bischöfe und Mönche aufgefordert, Material zu schicken. Beda zählt in der Dedikationsepistel alle Männer auf, die ihm geholfen haben. Ein moderner Historiker könnte kaum besser verfahren – er würde lediglich in anderer Weise Sachkritik üben. Bedas Werk strotzt von Mirakeln“ (Manfred Fuhrmann, S. 366).
Trotz aller Mirakel blieb Beda auch für die nächsten Jahrhunderte eine wichtige Informationsquelle für viele Historiographen, insbesondere für solche, die Beziehungen zu England pflegten. Auch seine moderne Zeitrechnung, die Datierung von Ereignissen nach Christi Geburt, wurde immer wieder aufgegriffen und abgeändert, bis sich allein diese Zeitzählung bei allen Geschichtsschreibern durchsetzte.