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Treffen 2: Grau und Grau gesellt sich gern

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Eine Woche war schnell vergangen und das nächste Treffen im Landhotel stand bevor.

Sofort, nachdem der Wecker geklingelt hatte, schüttelte Frau Schaf sich ganz wach, stand auf und wusch sich die letzten Nachtschleier aus dem Gesicht. Für einen kurzen Moment dachte sie daran, ob wohl alles gut gehen würde, wenn sie ihre Schafszwillinge alleine zuhause lassen würde. Schließlich waren sie mitten in der Pubertät. Schnell verscheuchte sie diesen Gedanken und ersetzte ihn durch Bilder in Form von Vertrauensspots zu ihrer bereits geleisteten guten Erziehung. Sie huschte nach unten, aß und trank eine Kleinigkeit und eilte zu ihrem Auto, um sich erneut ins Landhotel Kringel, das Haus mit der überdimensionalen Bibliothek zu begeben.

Es war das zweite sBarcamp in diesem Monat, das sie besuchen würde, denn sie hatte inzwischen den phänomenalen Nutzen solcher Unkonferenzen schätzen gelernt. Sie hatte beim letzten Mal erkannt, dass es für die Entwicklung ihrer Kinder sowie für ihre Selbständigkeit als Frau wichtig war, ihre Zwillinge nicht ständig heimlich zu überwachen. Außerdem hatte auch der von ihr dort im Landhotel verfasste Artikel eine außerordentlich gute Resonanz gezeigt.

Während sie den nun schon etwas bekannter gewordenen Weg von ihrem Heimatort zum Treffpunkt zurücklegte, bemerkte sie, dass auch dieser Weg bald zur Routine für sie werden würde… Denn so wie auf den anderen vertrauten Pfaden, auf denen sie sich wissend fortbewegte, war ihr bewusst, dass ihre unbewusste Orientierungs-Kompetenz sie auch dieses Mal sicher ans Ziel geleiten würde… Es war so herrlich, dass sie so ganz ohne Kommentare der sonst sie umgebenden Herde ihren Träumen nachhängen konnte. Das genoss sie!

Am Haus angekommen eilte sie sofort in die Bibliothek in der Hoffnung, die Anderen dort zu treffen. Doch es kam anders:

Albert Muster war zusammen mit seiner Frau sehr früh erschienen und hatte Dr. Engström an der Bibliothek vorbeigeleitet. Den Delfinmenschen sowie Hugo Kirchheim, der sich ebenfalls zu einer Anreise im Boot hatte inspirieren lassen, hatte er direkt am Traumschiffanleger abgefangen und ihnen ein Kännchen Kaffee auf einem Sitzplatz im Garten spendiert. Dort begann Albert, zum Entsetzen seiner Frau Andrea, ungefragt von seinem gesellschaftlichen Engagement zu erzählen. Außerdem warb er für seine nächste Studien-Reise nach Kuba. Die sBarcamp-Teilnehmer hörten ihm höflich zu und blieben stumm. Seine Absichten waren eigentlich klar. Am heutigen Tag wollte er seine mitgebrachten Zeitschriften studieren und sich auf gar keinen Fall einbringen. Vor allem wollte er vermeiden, dass sich neue Sichtweisen für ihn ergeben. An seinem soziologisch fundiertem Weltbild sollte keinesfalls gerüttelt werden. Er war durch die eigenartigen Ereignisse während des letzten sBarcamps insgeheim verunsichert und verband den Raum der Bibliothek mit Erinnerungen, die ihm Unbehagen einflößten. Was wäre, wenn es so etwas gäbe wie eine unkontrollierbare nicht einschätzbare Kraft, die Besitz von ihnen, vor allem seiner Frau, ergreifen könnte? Da, so fand er, wäre es sicher besser für ihn persönlich, diesen Ort zu meiden.

Frau Schaf, die niemanden in der Bibliothek angetroffen hatte, beschloss, die anderen sBarcamp-Teilnehmer zu suchen. Spontan nahm sie das vertraut aussehende Buch mit dem großen Fleck aus dem Regal direkt vor ihr. Darauf stand: Die Lösung steht an der Decke / Kapitel: Haus der Sinne – inspiriert durch die Ideen im Buch: Dann trägt mich eine Wolke von Maureen Murdock: – erweitert und ergänzt … Beschwingt eilte sie damit nach draußen in der Gewissheit, die anderen dort anzutreffen. Sie versorgte sich auch mit einer Tasse duftenden Kaffees und setzte sich zu ihrer Gruppe. Dann begann sie mit den Worten: „Verehrte Club-Mitglieder, das könnte uns alle interessieren. Im Buch gibt es eine Geschichte, in der geht es um das Haus der Wahrnehmung. In diesem Haus werden alle Sinnes-Räume gereinigt. Dadurch soll sich die Wahrnehmung verbessern.“

Andrea, Dr. Engström, Hugo Kirchheim und der Delfinmensch waren durch ihr Erscheinen sehr erleichtert, weil sie dadurch Herrn Muster nicht weiter zuhören mussten.

Hugo Kirchheim begrüßte Frau Schaf mit den Worten: „Wie schön, dass Sie da sind, Frau Schaf, was halten Sie davon, wenn wir uns zunächst über die Sinnessysteme austauschen, bevor wir mit der Geschichte im Buch beginnen?“

Der Delfinmensch bat noch um eine kleine Pause. Er holte sich an der Bar eine weitere Tasse Kaffee und ein Power-Food-Energieklößchen. Danach kam er wieder zurück, aber nicht alleine. Er hatte Egbert von Greifenklau freundlich eingeladen, in seinen freien Stunden mit zur Gruppe zu kommen, weil er sich offensichtlich sehr für die Themen interessierte.

Egbert fühlte sich geehrt und war als Reinigungs-Experte und neues Mitglied in der Runde willkommen.

Der Delfinmensch begann die Sinnes-Besonderheiten seiner Angehörigen mütterlicherseits zu schildern: „In der Alltagssprache gibt es so viele Beispiele, die zeigen, welch hohe Bedeutung die Sinnesorgane haben… Ein wenig schwirrt es mir noch im Kopf, denn mir wird gerade so Vieles bewusst: Nur ein einziges Flossenheben oder ein Schnauzenrümpfen können in der Kommunikation mit anderen eine enorme Wirkung hervorrufen… Meine Verwandten, die in den Meeren leben, kommunizieren untereinander ja ebenfalls sehr erfolgreich mit ihren Hauptsinneskanälen, zum Beispiel erzeugen sie über weite Entfernungen hinweg mit Hilfe von Pfeif- und Klick-Lauten 3-D-Bilder von Gegenständen, über die sie sich verständigen möchten. Delfine bilden meist Sätze mit 5 Wörtern bevor der Kommunikationspartner, der zugehört hatte, antwortet. Menschen benötigen viel mehr Worte, um sich klar auszudrücken, weil sie in ihrer Sprache viele beschreibende Adjektive benötigen, um die Informationen zu übermitteln. Und wenn ich mich nicht irre, haben Wissenschaftler in den letzten Jahren enorm viele neue Dinge über die Sinnesleistungen bei Menschen und Tieren herausgefunden. Biomediziner und Neurobiologen geben uns hierzu Einblicke in ihre Erkenntnisse. Für die Abrichtung von Hunden gibt es zum Beispiel Übungen zum körpersprachlichen Einsatz des Menschen. Der Hund achtet auf seinen Menschen und auf dessen Körpersprache. So kann das Tier lernen, sich ohne gesprochene Sprache führen zu lassen, das nennt man Longieren“.

Albert Muster wurde zusehends unruhig und unterbrach ihn unfreundlich: „Jetzt kommen auch noch Hunde ins Spiel – was soll das denn? Bleiben Sie doch beim verabredeten Thema!“ Albert Muster holte einen Feld-Flipchartblock aus der Rolle und befestigte ihn an der rustikalen Halterung am dicksten Mammutbaum. Darauf war zu lesen: Darüber wollen wir heute sprechen: Darunter waren auf der linken Seite Spiegelstriche mit den Worten: - sehen, - hören, - riechen, - schmecken, -fühlen zu sehen. Unter den Spiegelstrichen war jeweils etwas Platz für individuelle Fragen und Interessensschwerpunkte. Auf der rechten Seite war Platz für Zeitfenster.

Dr. Engström war empört. Er ärgerte sich, weil sich Albert Muster schon wieder so aufspielte. Er sprach: „Lassen Sie den Delfinmenschen doch ausreden, ich finde es sehr interessant, was er zu berichten hat und Ihnen würde es auch nicht schaden, mal Zuhören zu lernen anstatt immer nur das Wort zu führen.“

Der beginnende Konflikt war Andrea Muster-Caro äußerst unangenehm. Sie wies Dr. Engström zurecht, indem sie ausrief: „Ihre Einmischung macht es auch nicht besser! Halten Sie sich doch bitte aus dieser Diskussion raus!“

Albert Muster, der in letzter Zeit immer deutlicher die sich anbahnende Ehekrise spürte und langsam auch keine Lust mehr verspürte, abzuwiegeln, fuhr seine Frau Andrea an: „Ich brauche deine Unterstützung übrigens auch nicht! – Ich bin ein erwachsener Mann, der sich selbst zu behaupten weiß!“

Zuletzt pfiff der Delfinmensch Dr. Engström zusammen und solidarisierte sich mit Albert Muster: „Ich bin übrigens ebenso wenig hilfsbedürftig wie Herr Muster!“

Daraufhin …rief Frau Schaf: „Herrschaften, jetzt brauche ich eine Pause!“

Egbert von Greifenklau bejahte ebenso und fügte hinzu: „Haben Sie übrigens die famosen Soft- Hot-, Long-Drinks und Cocktails schon probiert, die das Hotel ab 10.30 Uhr anbietet? Unter anderem gibt es Kir mental, Sex on the Beach, Kuba libre und alle möglichen anderen fitz, spritz, tonic und royals sowie Smoothies aus biologischem Anbau.“

Daraufhin eilten die sBarcamp-Teilnehmer zur Hotelbar und bestellten die gewünschten Getränke.

Dr. Engström orderte einen Sex on the Beach und lud Albert Muster zu einem Kuba libre ein. Alle anderen Teilnehmer blieben trocken und bedienten sich an Softdrinks und Smoothies.

Nachdem alle zurück an ihrem Sitzplatz im Freien waren, informierte Hugo Kirchheim die Gruppe: „Ein Großteil der Kommunikation geschieht nonverbal. Albert Merhabian fand heraus, dass die Wirkung einer Mitteilung über das eigene emotionale Empfinden von Mögen / Ablehnung zu 7 % durch den sprachlichen Inhalt, zu 38 % durch den stimmlichen Ausdruck und zu 55 % durch die Körpersprache bestimmt wird. Diese Erkenntnis können wir in allen Bereichen des Lebens einsetzen.“

„Hunde haben einen ausgezeichneten Geruchssinn oder auch Spürsinn genannt, aber wie viele Sinne der Mensch hat, ist etwas umstritten,… die Meinungen hierzu gehen auseinander“, ergänzte Frau Schaf, die wieder ganz in ihrer Rolle als Wissenschaftsjournalistin war, „Sehen und Hören sind vor allem wichtig in der Kommunikation, da mehr als 60 Prozent in diesen Kanälen abläuft, …aber Riechen, Schmecken und Fühlen spielen ebenso eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung.“

Herr Muster zischte vor sich hin: „Hunde gehören an die Leine oder in den Zwinger!“

Hugo Kirchheim trug begeistert vor: „Im 19. Jahrhundert entdeckten Forscher den Gleichgewichtssinn, er wird gerne dem Gefühl oder Fühl-Sinn zugeordnet. Zu den erweiterten Sinnen gehören neuerdings der Temperatursinn und der Stereognostische Sinn zum Erfassen von Formen. Schon Maria Montessori entwickelte hierzu spezielles Sinnes-Material für Vorschulkinder. Aber auch das Erfassen und Wahrnehmen von Bewegungen und die Selbstwahrnehmung im Raum mit Hilfe der sog. Ortszellen wird weiter von Wissenschaftlern untersucht. Auf jeden Fall hat der Mensch unterschiedliche Aufnahmemöglichkeiten und das Wissen über unsere eigenen bevorzugten Hauptsinneskanäle können wir bei Lernprozessen bewusst nutzen.“

„Stimmt“, warf Andrea ein, „mein Bewegungsgefühl ist, glaube ich, ganz gut ausgebildet und ich kann Turnübungen am besten ausführen, wenn sie mir die Trainerin vormacht. Ich beobachte ihre Bewegungen so lange, bis ich einen vollständigen inneren Film von ihr habe. Danach ersetze ich im Film meine Trainerin durch meine Person und sehe mir den Film, wie ich die Übung mache, so lange an, bis er komplett ist und richtig aussieht. Dann schlüpfe ich in den Film hinein und spiele mit. Ich sehe aus meinen eigenen Augen und spüre aus dieser neuen Perspektive, wie es sich genau anfühlt, die Übung zu machen, was ich aus meinen eigenen Augen heraus sehe, was ich höre, usw. Das tue ich so lange, bis es sich richtig anfühlt. Erst dann beginne ich mit der wirklichen Ausführung der Übung und ahme sie nach. So fällt mir z.B. Yoga und Poledance, meine heimliche Leidenschaft, viel leichter, auch wenn mir ungewohnte Dehnungen und Streckungen von bestimmten Muskelregionen zunächst etwas schwerfallen. Beides sind Sportarten, bei denen es um Stretching und Muskelaufbau geht. Ausdauer ist nicht mein Ding. Gerne möchte ich wissen, wie es in meinen Sinnesräumen aussieht.“

Albert Muster, der befürchtete, schon wieder reinigen zu müssen …stöhnte: „Mir ging die Putzerei in der Bibliothek schon auf die Nerven, was soll das jetzt schon wieder? Für Putzaktionen gibt es doch Personal! Ist das nicht Ihr Ressort, Herr von Greifenklau? Mentales Putzen halte ich außerdem für total durchgeknallt, davon hat die Gesellschaft gar nichts!“ Er stand auf und verließ die Runde ohne weiteren Kommentar.

Andrea blieb sitzen, als wäre alles ok und bat Frau Schaf mit sanfter Stimme, mit dem Vorlesen zu beginnen. Die Zuhörer hörten die Trance Haus der Sinne…



… Sie fielen sehr zügig in einen veränderten Bewusstseinszustand …

… nach dessen Ende sie erfrischt und munter erwachten, sich reckten und streckten …

… und sich wieder ganz im Hier und Jetzt orientierten …


DIE LÖSUNG steht an der Decke

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