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ZWEITER AKT

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Erste Szene

Auf einer Leinwand wird ein Film gezeigt. Es ist eine Adidas-Werbung, man hört Leos Stimme: www.youtube.com/watch?v=7U2k1EqZp68

Sinngemäß sagt Messi Folgendes: »Als ich elf Jahre alt war, stellte man fest, dass mir Wachstumshormone fehlten. Um normal weiterzuwachsen, brauchte ich eine Behandlung. Jeden Abend musste ich mir eine Spritze ins Bein stechen, jeden Abend, und das über drei Jahre.

Ich war mit elf Jahren so klein wie ein Acht- oder Neunjähriger oder sogar noch kleiner. Immer war ich überall der Kleinste, egal ob in der Schule, auf dem Spielfeld oder anderswo. Anders als die anderen. Bis die Behandlung beendet war und ich endlich von selbst weiterwuchs.

Ich glaube aber, gerade weil ich so klein war, war ich flinker und wendiger als die anderen. Beim Fußballspielen half mir das. Ich habe aus dieser Erfahrung gelernt, dass sich ein scheinbarer Nachteil in einen Vorteil wandeln kann. Ich habe sehr viel erreicht, und zwar durch harte Arbeit und großen Einsatz.«

Das Bild, das auf eine große Leinwand geworfen wird, zeigt zwei kurze Beine in kurzen Hosen. In einem Etui, das aussieht wie ein Mäppchen für Stifte, liegt eine Spritze. Diese wird in ein Bein gestochen. Es wird dunkel, dann wieder hell. Das ganze wiederholt sich am anderen Bein. Unterdessen liest ein argentinischer Junge Auszüge aus den folgenden Interviews vor:

Leo Messi in El Gráfico: Ich war immer kleiner als die anderen, aber auf dem Spielfeld bemerkte man das nicht mehr. Den Leuten war es unangenehm, wenn sie sahen, dass ich mir etwas spritzen musste. Mir hat das keine Probleme bereitet, und es tat auch nicht weh. Überall, wo ich hinging, nahm ich die Spritze mit und legte sie direkt irgendwo in den Kühlschrank, zum Beispiel, wenn ich zu einem Freund ging. Später holte ich sie heraus und jagte sie mir in den Quadrizeps. Ich machte das jeden Abend. Immer abwechselnd ins linke und ins rechte Bein.

Das Bühnenlicht geht wieder an, aber es wirft lange Schatten. Alle, die um den Tisch im Trainingscamp sitzen, wissen, es ist schon spät. Einige sind aber noch da und trinken ihr letztes Bier.

Nestor Rozín: Als wir alle auf dem großen Feld spielten, war der Größenunterschied eklatant. Newell’s ist dafür bekannt, Spieler vom Land zu rekrutieren, die groß und gut gebaut sind, und er war klein.

Gerardo Grighini: Er gab sich selbst diese Spritzen, als ob es das Normalste von der Welt wäre. Er hat nie gesagt, warum er das machen muss. Er hatte immer so eine kleine Kühlbox bei sich, und darin waren kleine Flaschen mit Flüssigkeiten. Jeden Abend, immer vor dem Schlafengehen, stach er sich ins Bein. Er war ganz cool dabei. Er schaute uns aber beim Spritzen nicht an, denn er wollte wohl nicht, dass wir Fragen stellten. Als wir als Elfjährige in der Pension waren, war das schon ungewöhnlich für uns, aber wir haben darüber nicht geredet.

Juan Cruz Leguizamón: Seine Beine waren voller roter Einstiche, aber wir wussten nicht, was das war. Wir waren Kinder und haben nicht auf so etwas geachtet. Wir wollten nur Fußball spielen.

Matiás Messi (Leos Bruder): Also, um ehrlich zu sein, war das schon ein wenig schwierig für die ganze Familie. Wir Brüder waren noch zu naiv, aber unsere Eltern hat das sehr belastet.

Gerardo Grighini: Das, was er ist, ist er durch sein Talent und seinen Glauben an sich selbst geworden. Ich glaube nicht, dass viele Elfjährige schon über solche geistige Reife und Stärke verfügen. Er sagte ganz klar, dass er sich die Spritzen geben müsse, weil ihm das in Zukunft helfen werde, Profifußballer zu werden. Sich in dem Alter schon selbst Spritzen zu geben, ist erstaunlich. Er glaubte fest an seinen Traum, einmal in der ersten Liga zu spielen.

Lucas Scaglia (Leos bester Freund, Fußballer): Er hat niemals rumgeheult, weil er sich diese Spritzen geben musste.

Zweite Szene

Die Familie Messi hat sich entschieden, einen Spezialisten aufzusuchen, und einen Untersuchungstermin vereinbart.

Das Bühnenbild zeigt ein Untersuchungszimmer in einem alten Haus. Das Haus gehört Dr. Diego Schwarzstein. Seine Praxis in der ersten Etage erreicht man über ein modernes, elegantes Treppenhaus. Der Raum ist sehr klein. Direkt davor befindet sich ein kleiner Wartebereich. Wir sehen Dr. Schwarzstein im weißen Kittel, wie er in einer Schublade seines Schreibtischs nach Papieren sucht. Er beginnt, Leos Geschichte zu erzählen.

Mir wurde gesagt, dass es einen Jungen gebe, der als Fußballspieler einzigartig sei, ein echtes Phänomen, der aber Wachstumsprobleme habe. Hin und wieder konsultierten mich die Verantwortlichen von Newell’s, wenn sie die Hilfe eines Endokrinologen benötigten. Deshalb saßen dann eines Tages Leo und seine Mutter bei mir im Untersuchungszimmer.

Es war am 31. Januar 1997, meinem Geburtstag, wenn ich mich recht erinnere. Leo kam in Begleitung seiner Mutter … Ich eröffnete ihm, dass ich nicht allen beim Wachsen helfen konnte, nur denjenigen, bei denen das Wachstum auf bestimmte Weise gestört war. Es gibt nämlich keine »Wachstumsmedizin«. Wir würden also versuchen herauszufinden, ob solche Wachstumsstörungen vorlägen und welche Gründe das hätte. Wenn wir diese fänden, könnte ich ihm auch helfen, betonte ich und schlug einige Tests vor.

Wenn es jedoch genetisch bedingt ist, dass jemand klein bleibt, dem kann auch die Medizin nicht helfen – man kann dann nur entweder zufrieden oder unzufrieden damit sein.

Ich erklärte das Kindern immer auf diese Weise, damit sie nicht dachten, ich könnte ihnen eine Wunderpille geben, und dann könnten sie bald in der NBA Basketball spielen. Sie sollten sich keine falschen Hoffnungen machen. Dann begann ich mit den Tests. Ich erinnere mich an Leo als sehr introvertiert und reserviert. Nicht unbedingt schüchtern. Er war nicht arrogant oder verklemmt oder so. Eher misstrauisch.

Aber das Eis war schnell gebrochen, weil wir uns über Fußball unterhalten konnten. Ich fragte ihn, wer sein Idol war, wen er mochte, wo er spielte und so weiter. Er taute sichtlich auf. Und sehr bald merkte ich, dass es nur eines gab, was für ihn eine Rolle spielte: Er wollte Fußballer werden. Und dafür musste er wachsen.

Es ist oft mühselig, bis zu einer genaueren Diagnose vorzudringen, aber in seinem Fall ging es doch relativ schnell. Ende der 1990er-Jahre gab es bestimmte biochemische Diagnosemethoden noch nicht, deshalb dauerte es länger als heute. Und mitunter war es in Argentinien schwer, die gesetzliche Krankenkasse zu überzeugen, solche Tests zu genehmigen. Liegt ein Hormondefizit vor, dann muss man erst noch weitere sogenannte Verifizierungstests abwarten. Ein wichtiger Parameter ist die Wachstumsgeschwindigkeit. Dazu muss man die betreffende Person erst einmal messen und dann einige Monate später noch einmal. Also dauert der Diagnoseverlauf immer drei bis vier Monate. Ich glaube, bei Leo waren es sogar sechs.

Und es stellte sich heraus, dass ihm tatsächlich ein Hormon fehlte, das sein Körper nicht selbst produzieren konnte. Man kann das fehlende Hormon identifizieren und es jeden Tag injizieren. Aber das kostet freilich.

»Du musst dir selbst Spritzen geben«, sagte ich zu Leo.

Dr. Schwarzstein nimmt ein kleines Kästchen aus seinem Schrank und öffnet es, während er weiterspricht.

Wie er darauf reagiert hat? Ich weiß es nicht mehr. Ich denke, so wie alle unter diesen Umständen reagieren. Ich erinnere mich jedenfalls an nichts Ungewöhnliches.

Ich erklärte ihm, dass dieser Stift eine Spritze ist. Die Tinte ist die Hormonflüssigkeit, die Feder die Nadel. Zuerst muss man die Flüssigkeit aufziehen, dann kann man sie injizieren. Normalerweise zeige ich es den Patienten einmal in meiner Praxis und helfe ihnen dabei. Dann schaue ich zu, wie sie es selbst versuchen, und berichtige, wenn nötig. Sie können sich ins Bein oder in den Bauch spritzen oder auch in den Arm. Es ist mit Insulinspritzen vergleichbar. Jeder kann sich aussuchen, wo er sich spritzen will und wo es am einfachsten klappt. Leo suchte sich also die Beine aus.

Wenn ich die Spritze meinen Patienten gebe, dann beruhige ich sie und betone, dass es nicht wehtut. Alle wundern sich darüber: »Wirklich? Es tut nicht weh?« Wenn ich die Spritze verabreiche und der Betreffende woanders hinschaut, dann merkt er es nicht einmal. Ein Mückenstich tut mehr weh. Die Nadeln kann man fast nicht sehen, so dünn sind sie. Man muss sie natürlich jedes Mal auswechseln. Aber sie brechen nie ab, da sie sehr kurz sind, nicht länger als drei Millimeter.

Die Patienten kommen in bestimmten Abständen zur Kontrolle. Während der Diagnosephase untersuchte ich Leo in sechs Monaten vier- oder fünfmal. Danach etwa alle drei Monate. Da entwickelt man schon eine Beziehung zueinander und fängt an, auch über anderes zu sprechen als über die Spritzen. Weil er bei Newell’s spielte und ich Fan des Vereins war, fragte ich ihn immer, wie es lief, wer sein Trainer war und ob er der ersten Mannschaft beim Training zuschaut. Ich fragte auch immer nach seinen Eltern und ihrem Befinden. Darüber haben wir einen Bezug zueinander gefunden.

Er sagte immer wieder, dass er nichts anderes wollte als Fußball spielen.

Und ich erklärte ihm – wie auch den anderen Patienten –, dass die Behandlung nichts damit zu tun habe, ob er Profifußballer werden könnte oder nicht. Es ging einzig darum zu wachsen. Wenn er also Taxifahrer werden wollte, müsste er sich derselben Behandlung unterziehen. Es sei denn, er wolle ein sehr kleiner Taxifahrer werden. Sehr klein zu sein und Fußballspieler werden zu wollen, war natürlich viel schwieriger, das ist klar. Aber nur die Behandlung allein hilft einem dabei nicht weiter. Letztlich war es so, dass die Behandlung ihm half zu wachsen, und das wiederum half ihm beim Fußballspielen. Das war es, was er wollte, und da war er sich ganz sicher.

Ich kann mich nicht daran erinnern, ob er je geweint hat. Ich denke nein. Auf jeden Fall nicht in meinem Behandlungszimmer. Ich glaube, wenn man ihn fragen würde, was die schlimmsten Momente in seinem Leben waren, die ihn am meisten getroffen haben, dann würde er nicht auf seine Behandlung zu sprechen kommen. Sie war nicht traumatisch für ihn. Wenn man einem so jungen Menschen sagt, dass er eine Krankheit hat und sich Hormone spritzen muss, dann zeigt er für gewöhnlich zwei Reaktionen: Zuerst ist er erleichtert, wenn man ihm versichert, dass das Problem leicht zu lösen ist. Er erfährt, dass er nach der Behandlung normal weiterwachsen und dass er mit seinem Defizit gut leben kann. Aber dann muss man ihm sagen, dass er sich spritzen muss, und zwar die nächsten drei bis vier Jahre … Klar, das mag niemand gern hören, wer hätte darauf schon Lust? Aber Leo hat trotzdem nicht geweint.

Wenn man sich Profifußballspieler anschaut, dann findet man nicht oft welche, die besonders groß und besonders talentiert sind, so wie Cristiano Ronaldo. Die guten Spieler sind eigentlich immer klein. Ariel Ortega, der für Valencia spielte, oder Maradona oder auch Neymar da Silvo Santos, das sind alles kleine Spieler. Ich denke mit einer niedrigen Schwerpunkthöhe und der entsprechenden Beweglichkeit haben sie erhebliche Vorteile.

Dr. Schwarzstein ordnet wieder seine Papiere auf dem Schreibtisch. Er zieht seinen Arztkittel aus. Das Gespräch neigt sich offenbar dem Ende zu.

Um es anders auszudrücken: Leos Therapie hat eine gesunde emotionale Entwicklung nicht behindert. Aber ganz klar hatte seine Körpergröße manchmal auch Nachteile für ihn. Jungen geraten über die unsinnigsten Dinge in Streit, und schnell kann es zu einer Prügelei kommen. Wenn man dann klein ist, muss man viel einstecken. Die Großen haben die Oberhand. Und in puncto Mädchen auch. Mädchen mögen große Männer. Und bei Leo war es ja eine ernsthafte Krankheit. Sein Körper bildete ein Hormon nicht, dadurch war er wesentlich kleiner als der Durchschnitt, und so etwas kann auch die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen, etwa zu Unsicherheit und Hemmungen führen. Wenn jemand ohnehin schon introvertiert ist, dann macht ihn eine kleine Statur noch unsicherer.

Ob man das, was wir gemacht haben, Doping nennen kann? Nun ja, dieses Hormonpräparat ist auch schon von Erwachsenen ohne Wachstumsdefizite eingenommen worden, die sich dadurch einen Vorteil verschaffen wollten. Solche Einnahmen geschehen oft in viel zu hoher Dosis und können dann gefährliche Nebenwirkungen haben. Aber hier geht es ja um etwas völlig anderes. Leo war damals elf Jahre alt, und ihm lag eine solche Motivation total fern. Ihm ging es darum, normal wachsen zu können, und nicht um Vorteilsnahme oder Betrug. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich schließlich nicht gerade in den Kopf gesetzt, der beste Fußballspieler der Welt zu werden, koste es, was es wolle. Als ich in dem Alter war, träumte ich davon, einmal das Newell’s-Trikot zu tragen. Natürlich stellte ich mir vor, wie ich in den letzten fünf Minuten das entscheidende Tor für eine Meisterschaft schoss und Ähnliches. Aber ich dachte dabei ganz sicher nicht an Drogen, und Leo ebenso wenig. Die Behandlung hatte also definitiv nichts damit zu tun, dass er so gut war. Leo liebte es einfach, Fußball zu spielen, so wie 99 Prozent aller elfjährigen Argentinier. Angenommen 100 junge Spieler von Newell’s hätten damals eine Wachstumsbehandlung bekommen, hätten wir dann heute 100 Messis? In La Masía, in Barcelona mit all den wirtschaftlichen Möglichkeiten und einer viel besseren Jugendmannschaft, dort müsste man dann ja glatt zehn bis zwölf Messis pro Jahr hervorbringen!

Ich habe auch einen Sohn, und als ich Leo behandelte, war er manchmal dabei. Wenn diese Behandlung jemanden zum besten Spieler der Welt machen könnte, dann hätte ich sie vermutlich meinem Sohn zugutekommen lassen und nicht Leo.

Die Behandlung wurde unterbrochen, als Leo knapp 15 war. Da spielte er schon für Barcelona. Manche behaupten, dass man dem Körper mit einer solchen Hormonbehandlung zu viel zumutet und Muskelprobleme bekommen kann, so wie Leo sie hatte. Aber die hatten nichts mit den Spritzen zu tun. Die Behandlung gleicht nur den Mangel aus, bis dem betreffenden Kind keine Hormone mehr fehlen, und dann wächst es ganz normal wie alle anderen. Das ist keine Zumutung für den Körper.

Die Hormongabe war folglich kein Doping. Wer einen solchen Mangel hat, ist im Vergleich zu anderen im Nachteil. Gleicht man diesen aus, dann hat der Betreffende aber noch lange keinen Vorteil. Die anderen konnten dieses Hormon ja von selbst in ausreichender Menge bilden.

Die Therapie war natürlich sehr teuer. Die Stiftung, die Jorge ins Leben gerufen hatte, und die gesetzliche Krankenversicherung halfen ihm lange Zeit finanziell über die Runden. Bis nichts mehr ging. Das Land ging in den Jahren 2000 und 2001 den Bach runter. Das gesamte Sozialsystem brach zusammen. Auch in vielen anderen Fällen konnte die Wachstumshormonbehandlung nicht weiter finanziert werden und wurde abgebrochen. Das stürzte damals alle Betroffenen in große Sorge. Newell’s hätte in dieser Situation sicher mehr für Leo tun können.

Ich habe ihn nie in einem Newell’s-Trikot spielen sehen. Ich hoffe, irgendwann wird es einmal soweit sein, und ich kann ihn in Rot-Schwarz bewundern. Wenn er damals von Zweifeln geplagt wurde, sagte ich zu ihm: »Nur die Ruhe, du wirst mir eines Tages ein Tor widmen. Ich werde dir sagen, wo ich dann bin, wo ich sitze, und du wirst zu mir kommen und mir das Tor widmen.« Wenn ich ihn einmal wiedersehe, werde ich ihn daran erinnern. Er schuldet mir dieses Tor. Am besten im Trikot von Newell’s, im Estadio El Coloso del Parque, auf unserem eigenen Grund und Boden.

Dr. Schwarzstein macht alle Lichter bis auf eines aus und bleibt vor einer Tür stehen, die zu einem Ausgang führt. Er setzt seinen Hut auf.

Einmal schaute er mich an, als ob er sagen wollte: »Das ist also der Arzt, der mir beim Wachsen helfen wird.« Ich muss ihn damals sehr beeindruckt haben. Doch heute bin ich es, der ihn bewundert und der sagt: »Das ist der beste Fußballspieler der Welt.«

(Man hört eine Kinderstimme): »Werde ich wachsen?« »Du wirst größer als Maradona werden. Ich weiß nicht, ob besser, aber auf jeden Fall größer.«

Genau das habe ich zu ihm gesagt.

Dritte Szene

Die Stimme eines argentinischen Radiokommentators, vielleicht die von Gazzo, ist zu hören, er spricht über »Baby-Fußball« bei Newell’s. Auf der Wand erscheinen, zuerst einzeln und dann im Ganzen, die folgenden Sätze:

Im Januar 1997 war Leo zehn Jahre alt und nicht einmal 1,30 Meter groß. Er hatte Wachstumsstörungen.

Als er zwölf Jahre alt war, war er kaum 1,40 Meter groß.

Heute ist er 1,69 Meter groß, zwei Zentimeter größer als Maradona.

Eine Familie mit drei Söhnen und einer kleinen Tochter sitzt um einen Tisch und unterhält sich. Der Vater dominiert die Unterhaltung, aber alle beteiligen sich.

In einem klobigen Fernseher (einem Röhrenapparat, die es 2000 noch gab) sind Bilder vom krisengeplagten Argentinien zu sehen.

Plötzlich gehen alle Lichter bis auf eines aus. Der eine Scheinwerfer ist auf den Vater der Familie gerichtet, der sich dem Publikum zuwendet und Fragen beantwortet. Es folgt ein Interview zwischen dem deutschen Magazin Kicker und Jorge Messi.

Kicker: Sie hatten früher sicher viele Sorgen und Ängste?

Jorge Messi: Ich hatte immerhin meine sichere Arbeit bei Acindar. Dort lief es gut. Es war gerade die Zeit, in der ein Peso einen Dollar wert war, und mein Gehalt von 1.600 Pesos im Monat war nicht schlecht. Schwierig wurde es nur, weil die Hormonbehandlung von Leo 900 Pesos pro Monat verschlang, mehr als die Hälfte meines Verdienstes. Meine Versicherung zahlte nur zwei Jahre lang, das dritte war also schwer zu meistern.

Kicker: Und wie der Endokrinologe Dr. Schwarzstein erklärt hat, sollte die Behandlung über drei bis vier Jahre erfolgen, also sogar noch länger.

Jorge Messi: Ja. Und es stimmt nicht, was die Leute sagen, dass der Staat dafür aufgekommen wäre. Der Staat hat mir nie etwas geschenkt, und ich habe ihn um nichts gebeten. Vielleicht wenn ich Kontakte nach ganz oben gehabt hätte … Aber ich war nur ein ganz gewöhnlicher Bürger. Niemand kannte mich.

Kicker: Sie sagten einmal, dass Sie das nicht noch mal durchstehen könnten. Was meinen Sie damit?

Jorge Messi: Wir hatten alles auf eine Karte gesetzt. Bei der Arbeit war alles okay, ich wurde für die Zeit der Reise freigestellt. Aber dort in Spanien war es nicht leicht. Viele Leute kamen und gingen, keiner konnte Genaueres sagen, diese ganze Unsicherheit – es war nicht leicht.

Kicker: Und was sagte man bei Newell’s dazu, dass Sie mit jemandem von River gesprochen hatten?

Jorge Messi: Als wir nach Rosario zurückkamen, sagten die bei Newell’s: »Macht euch keine Sorgen, wir zahlen schon für die Behandlung.« Aber nichts geschah. Ich sprach wieder mit ihnen, musste regelrecht betteln. Da gaben sie mir 300 und keinen Peso mehr. Aber nicht die von der Fußballakademie oder vom ganzen Verein haben uns im Stich gelassen. Das waren ganz speziell diejenigen, die gerade im Vorstand waren.

Kicker: Kurzum, wenn Newell’s bezahlt hätte, dann hätte Leo Argentinien nie verlassen?

Jorge Messi: Natürlich wäre er dann bei Newell’s gebieben.

Kicker: Und was hat Leo dazu gesagt?

Jorge Messi: Er brannte darauf, nach Barcelona zu gehen.

Die Lichter gehen aus.

Vierte Szene

Der, Autor, Soziologe und Journalist Sergio Levinsky spricht mit dem Publikum, während im Hintergrund Bilder aus Argentinien in den Jahren 1999 bis 2001 zu sehen sind: Jugendliche beim Fußballspielen, Großväter verlangen vor geschlossenen Banken ihr Geld zurück, wütende Fans. Die Bilder illustrieren, was Sergio berichtet.

Sandra Commisso und Carlos Benítez schreiben in ihrem Buch La Infancia Hecha Pelota (Die fußballgeprägte Kindheit): »Wenn ein Kind Fußball mag und gut spielt, dann ist das eine Sache, aber eine völlig andere ist es, einen Fußballstar aus ihm zu machen – mit allem, was dazugehört.« Das Erscheinungsjahr dieses Buchs (2000) ist nicht zufällig, und es verwundert auch nicht, dass das Vorwort vom großen Schriftsteller und realistischen Erzähler Robert Fontanarrosa verfasst wurde, der wie Lionel Messi aus Rosario stammt.

Das Buch besteht aus sieben Kapiteln und gibt am Ende einige Tipps fürs Jugendtraining. Zum Beispiel wird erklärt, wie man ein gutes Training organisiert und durchführt oder wie man die Fitness jedes Kindes angemessen individuell fördert. Die Autoren betonen aber auch, dass Fußball mit Kindern auch schon zum Geschäft geworden ist, in das Eltern, Trainer und Agenten die Kinder hineinmanövrieren. Anstatt Spaß zu machen, wird der Fußball dann zu einer beruflichen Verpflichtung.

In seinem Vorwort schreibt Fontanarrosa ganz richtig: »Niemand hat das Recht, die Träume von Kindern zu zerstören.« Und doch stellt das Buch infrage, wie ethisch vertretbar es ist, einem nicht einmal zehnjährigen Kind die enorme Last aufzubürden, mit seinem Fußballspiel die ganze Familie zu ernähren.

Seit Beginn dieses Jahrtausends ist verstärkt zu beobachten, dass immer mehr argentinische Jugendliche eine Fußballkarriere anstreben, weil sie darin den Ausweg aus einem Dilemma sehen, in dem die ganze Familie steckt. Denn ein großer Teil der argentinischen Bevölkerung (die 2011 immerhin ca. 40 Millionen Menschen umfasste) muss mit einer enorm frustrierenden sozio-ökonomischen Situation fertig werden.

Wie konnte es so weit kommen? Argentinien stand zwischen 1999 und 2001 in der letzten Phase einer wirtschaftlichen Entwicklung, die schon ein Vierteljahrhundert zuvor eingeleitet worden war. Diese Wirtschaftspolitik hatten Finanzoligarchen mit Unterstützung der Kirche im Land durchgesetzt. Am 24. März 1976 kam es dann zu einem blutigen Aufstand, in dessen Folge 30.000 Menschen spurlos verschwanden.

Zum argentinischen Plan gehörte es, sich Geld von US-Banken zu leihen, und zwar zu sehr hohen Zinsen, wie es alle Länder Südamerikas taten. Das Land war irgendwann so hoch verschuldet, dass es faktisch Bankrott ging, während die steigenden Zinsen die Überwachung durch den Internationalen Währungsfonds IMF auf den Plan riefen.

In der letzten Woche des Jahres 2001 brach schließlich die Mittelinks-Koalition unter Fernando de la Rúa auseinander. Die von der geballten Finanz-Inkompetenz gebeutelte Bevölkerung verlangte den sofortigen Rücktritt aller Regierungsmitglieder, nachdem sie sage und schreibe fünf Wechsel der Regierungsspitzen innerhalb einer Woche hatte erleben müssen. Zu Beginn des Jahres 2002 wurde dann der nicht öffentlich gewählte Peronist Eduardo Duhalde von einflussreichen Kräften an die Macht gebracht …

Vor der Krise hatten die großen ausländischen Banken ihre Mittel noch schnell zurückgezogen, sodass es jetzt unmöglich war, an Dollars heranzukommen, was aber gerade die bevorzugte Währung in Argentinien war. Niemand traute dem Peso mehr.

Während dieser Phase des totalen Chaos wurden die Banken außerplanmäßig geschlossen. Danach war ein Peso nicht mehr einen Dollar, sondern nur mehr ein Drittel davon wert. Das Vermögen der Menschen war über Nacht also um zwei Drittel geschrumpft, und sie konnten nichts dagegen tun.

In anderen Worten: Die hohe Wirtschaftskriminalität hatte den Menschen ihre Ersparnisse geraubt. Das führte zu Massendemonstrationen vor den Banken. Rentner zerstörten mit Hämmern und Stöcken die Fenster der Bankhäuser. Jegliches Vertrauen der Bevölkerung in das argentinische Bankensystem war geschwunden.

Da kaum mehr Geldscheine im Umlauf waren, druckte die Regierung Notgeld. Das waren Coupons, die in den verschiedenen Provinzen unterschiedlich genannt wurden: Patacones, Lecor, Lecop oder Tucumano-Dollar. Sie notierten unter dem Peso, und nur einige Geschäfte zeigten in ihren Schaufenstern an, dass sie bereit waren, Coupons anzunehmen. Vielen Argentiniern klingen heute noch Duhaldes leere Versprechungen von monetärer Gerechtigkeit im Ohr. Er tat nichts.

In dieser schlimmsten Krise, die das Land je erlebt hatte, wurde der Lieblingssport der Argentinier zum Allheilmittel erhoben.

Die Triumphe, die der argentinische Fußball feierte, waren häufig der einzige Lichtblick für die Menschen, die durch die nicht enden wollenden Probleme des Alltags vollkommen demoralisiert waren. Für viele lag die große Hoffnung darin, dass ein Mitglied der Familie es als Profifußballer schaffen und den Rest der Familie damit vor dem finanziellen Ruin retten würde. Ein gängiger Spruch in dieser Zeit war »Yo soy yo y mi tío de América«, was so viel heißt wie: »Ich bin ich plus mein Onkel aus Amerika.« Vielen Argentiniern halfen nur noch solche Verbindungen, die andernorts ihr Glück versucht hatten und nun ihre Familienmitglieder unterstützen konnten.

Es ist unfassbar, dass manche Anhänger bei Spielen der ersten Liga aus den Fanblocks den Spielern »Versager, Versager« zuriefen, nur weil diese es in Europa nicht geschafft hatten. Dennoch versteht man die Enttäuschung über dieses spezielle symbolisch aufgeladene Versagen besser mit dem Wissen über den Druck und Frust, die im Land herrschten. In den 1990er-Jahren pflanzten wir die Saat der Geldgier in unsere Kinder und machten uns so mitschuldig. Die Botschaft, die Präsident Carlos Menem durch sein skrupelloses Verhalten verbreitete, war, dass mit Macht Rücksichtslosigkeit einherginge. Dies wurde zur populären Ideologie. Auch den Fußball infizierte das neue Credo, was bei den Spielen dieser Zeit, die häufig Polizeieinsätze nach sich zogen, nur allzu deutlich wurde. 2000 schauten wir tatenlos zu, wie die Profispieler immer jünger wurden und tolerierten damit diese spezielle Form des Missbrauchs von Kindern. Die Eltern übten immer mehr Druck aus und wurden selbst von großen Sponsoren wie Nike bedrängt. Alle hatten Angst, etwas zu verpassen. Überall wimmelte es von Agenten, die Talente aufspüren wollten. Von diesem Wirbel verwirrt und verführt, flüchteten sich viele der Kinder in arrogante Posen.

Es kam zu Vorfällen, bei denen Väter die Trainer oder Schiedsrichter schlugen. Man warb die Spieler aggressiver ab als je zuvor, und Manager beuteten die Existenzängste von Familien schamlos aus.

Es wurde zu einem üblichen Phänomen, dass Kinder und Jugendliche ganze Familien ernährten, da sie ja von großen Unternehmen finanziell unterstützt wurden, wenn sie einmal Erfolg hatten. Und dass dies geschah, schien in direktem Zusammenhang mit dem Druck zu stehen, den Eltern auf ihre Söhne ausübten.

Nur wenige dieser Fußballkinder hatten das große Glück, mit exzellenten Trainern zu arbeiten, denen vor allem ihr Wohlergehen am Herzen lag. Einer von diesen Trainern war Carlos Timoteo Griguol, der unter anderem in den 1990er-Jahren die Gimnasia y Esgrima La Plata begründete. »Er gab uns den Rat, dass wir von unserem ersten selbst verdienten Geld das Haus kaufen sollten, in dem wir wohnten. Er wurde fast verrückt, wenn er uns in brandneuen Nobelautos herumflitzen sah«, berichten frühere Spieler. Griguol bestand auch als einer von wenigen darauf, dass die Spieler auch gute Noten in der Schule hatten, sonst durften sie nicht in seiner Mannschaft spielen. Das war sehr ungewöhnlich. Quique Domínguez und Ernesto Vecchio zeigten als Trainer ähnlich viel Umsicht und Einfühlungsvermögen.

Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde Diego Maradona zum Paradebeispiel: ein junger Mann, der am Ende seine gesamte Großfamilie ernährte. Sein Verein Argentinos Juniors kaufte ihm ein Haus, damit er aus der Barackenstadt Villa Miseria von Lanús wegziehen konnte. In seinem teuren Haus in Barcelona, in das er 1982 zur Miete gezogen war, lebte er mit seiner Verlobten Claudia und vielen Freunden. Und immer schickte er regelmäßig viel Geld nach Hause.

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Problem der Familie Messi, die teuren Hormonspritzen finanzieren zu müssen, noch drastischer dar. Ohne eine Behandlung konnte Leo nicht groß genug werden für diese Art von Plan. Die Eltern hatten volles Vertrauen in Leos fußballerische Fähigkeiten, aber als Newell’s sich weigerte, für die Kosten aufzukommen, nahmen sie ihr Schicksal selbst in die Hand. Wie Tausende andere Familien im Land hielten sie das Risiko für tragbar und entschieden, die Fußballkarriere ihres Sohnes mit allen Mitteln voranzutreiben, damit er es in dem Sport, den er liebte, so weit brachte, wie er nur konnte. Und so brachen Vater und Sohn Messi nach rationaler Abwägung voller Entschlossenheit und Gottvertrauen zu ihrem Abenteuer auf.

Fünfte Szene

Im 21. Jahrhundert wandern die argentinischen Fußballtalente reihenweise ins Exil und überqueren den Atlantik, um ihre Träume zu erfüllen. Die Krise in Argentinien machte die Fußballschulen im ganzen Land zu regelrechten Talentfabriken. Fußballspieler wurden zur Ware, zum Besitz und in vielen Fällen zur Haupteinkommensquelle der Vereine, deren Manager auch vor übler Ausbeutung nicht Halt machten. Das Auswandern wurde für die Spieler zur Regel. Zwischen 2009 und 2010 »exportierte« Argentinien fast 2.000 Fußballspieler, mehr als Brasilien, die bisherige Nummer eins in dieser Hinsicht.

Wir befinden uns in einem Café mit hohen Decken. Leute sitzen um einen Tisch herum und trinken Kaffee. In der Ecke steht ein Fernseher von der Jahrtausendwende, in dem dasselbe angeregte Familiengespräch wie vorher läuft. Auf der einen Seite befindet sich ein großes Glasfenster. Draußen regnet es.

Dr. Schwarzstein (Endokrinologe): In dieser Zeit wurde Argentinien zu einem »Vertreiberland«. Zwischen 2000 und 2003 stieg die Zahl derer, die zum Arbeiten nach Spanien gingen, drastisch an.

Liliana Grabín (Psychologin): Wir wurden wirklich buchstäblich aus dem Land vertrieben. Auch meine Tochter ist in die USA ausgewandert. Es war eine totale Katastrophe.

Sergio Levinsky (Soziologe): Jorge Messi arbeitete für Acindar, also für ein staatliches Unternehmen. Die Arbeiter waren in dieser Krise natürlich in Sorge um ihren Arbeitsplatz. Aber Leos Talent als Fußballspieler gab Jorge Hoffnung und ließ ihn an eine bessere Zukunft glauben.

Liliana Grabín: Was die Messis getan haben, war sehr mutig. Sie stellten sich der Herausforderung und entschieden: »Woanders können wir alles neu aufbauen und dabei mehr Glück haben.« Die Zahl der Menschen, die nicht weg wollten und die Angst vor der Fremde hatten, überwog. Andere aber ließen ihr altes Leben zurück und folgten ihren Träumen und ihrem Talent. Wahrlich nicht jeder ist bei so etwas erfolgreich.

Sergio Levinsky: In der Vergangenheit gab es drei Stufen der Vertreibung aus Argentinien. Zuerst La Noche de los Bastones Largos (die »Nacht der langen Knüppel«), in der Wissenschaftler 1966 das Land verließen. Diese Periode wird auch »Milstein« genannt, nach César Milstein, der 1984 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Er lebte dann in London, und als die Regierung ihm später endlich erlaubte zurückzukehren, war es zu spät für ihn. Die zweite Exilgeneration, die großteils politisch motiviert war, ging während der Zeit der Militärdiktatur von 1976. Der Journalist Ernesto Ekaizer zum Beispiel verließ in dieser Zeit sein Land. Und die dritte Welle, über die wir hier sprechen, fand 2000/2001 statt. Eine wirtschaftlich motivierte Emigration, zu der auch die Messis gehörten.

Liliana Grabín: Argentinien vertreibt seine Landsleute etwa alle zehn bis 15 Jahre. Das Land, in das unsere Vorfahren einst aufbrachen, um ihr Glück zu finden, ist heute definitiv ein Land, aus dem man wieder verschwindet. Zwei bis drei Generationen haben so viele miese Regierungen aushalten müssen, dass sie lieber wieder nach Europa zurückkehren wollten.

Federico Vairo (Betreuer des River-Plate-Probetrainings): Ich suchte immer nach guten jungen Spielern, und davon gab es zahlreiche in Rosario. Ein Freund nahm mich mit, damit ich mir Messi ansehen konnte. Ich dachte, dass er sehr klein ist. Sein Vater bat mich, ihn anzusehen. Der Junge war nicht mal zwölf Jahre alt, und ich betreute ein Probetraining für 16-Jährige. Das sagte ich ihm dann auch, aber sein Vater antwortete, er sei es gewohnt, mit Älteren zu spielen.

Eduardo Abrahamian (ehemaliger Direktor von River, mittlerweile verstorben): 2000 war Messi zwölf Jahre alt, und seine Eltern brachten ihn und einen anderen Jungen namens Leandro Gimé-nez zu River, mit dem er bei Newell’s als Sturmduo spielte. Als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich begeistert und holte Delem dazu, den Sportdirektor der Junioren, der ihn sich auch ansehen sollte.

Leandro Giménez (Exspieler): Wir sind zusammen zum Probetraining gegangen und fuhren im Auto mit Federico Vairo. Unsere Eltern fuhren zusammen in Jorges Wagen. Wir waren sehr angespannt. Wir hatten tatsächlich ein Probetraining bei River! Ich war so nervös, dass ich sogar meine Fußballschuhe zu Hause vergessen hatte. Glücklicherweise kam mein Vater ein wenig später nach und brachte sie mir. Wir bekamen einen gehörigen Schreck, als wir hörten, was der Fitnesstrainer seinen Spielern zurief. »Diese Idioten sind hergekommen, um euch euren Platz streitig zu machen. Also macht sie fertig.«

Auf dem Fernsehbildschirm läuft jetzt die Sendung Informe Robinson über Messi. Jemand ruft: »Seht mal, da ist Jorge Messi.« Alle wenden sich zum Bildschirm und hören Jorge zu.

Jorge Messi (bei Informe Robinson): Er reihte sich bei den Fußballspielern ein, die zum Probetraining gekommen waren. Als die Trainer sahen, wie klein er war, schickten sie ihn ganz nach hinten. Er war der Letzte, der zum Probetraining auf den Platz kam, und sie forderten ihn gar nicht auf zu spielen. Ich stand am Zaun und drängte ihn: »Sorg dafür, dass sie dich spielen lassen, das Probetraining ist bald vorbei.« Aber nichts geschah, bis sich der Betreuer plötzlich umdrehte, ihn ansah und fragte: »Auf welcher Position spielst du?« Leo antwortete: »Hinter dem Stürmer« (Enganche). »Okay, dann rein mit dir jetzt.« Er entschied das ohne großes Aufheben. Zwei Minuten vergingen, vielleicht drei, bis Leo den Ball bekam, und als er ihn hatte, zeigte er ihnen zwei oder drei Dinge, die er draufhatte und die für uns ganz normal waren.

Leandro Giménez: Sobald er den Ball hatte, tunnelte er den Mittelfeld-Verteidiger, der etwa zwei Meter groß war. Und als er wieder am Ball war, tat er es noch einmal.

Jorge Messi: Und der Trainer schaute ihn an und fragte: »Wer ist sein Vater?« Also drehte ich mich um und antwortete: »Das bin ich.« Er sagte: »Wir wollen ihn haben!« Er hatte den Ball nur zweimal berührt! Nur, weil er ein wenig gedribbelt und dann aufs Tor geschossen hatte und so den Torwart gezwungen hatte, den Ball zu halten. Sie fragten mich, ob ich ihn bei River anmelden würde, und ich erwiderte: »Nein … er spielt schon bei Newell’s. Aber wenn Sie sich um den Wechsel kümmern und mit Newell’s reden wollen, ist das kein Problem.« Er sagte: »Nein, das geht nicht, weil die dann Geld von uns wollen.« So ging es noch eine Weile hin und her. Letztlich kamen wir nicht weiter.

Leandro Giménez: Abrahamian bat uns, am folgenden Dienstag wiederzukommen. An dem Tag spielten wir beide. Wir traten gegen eine Gruppe Jungen an, die auch zum Probetraining gekommen waren …

Federico Vairo: Nach zehn Minuten rief ich ihn zu mir. Leo dachte, ich wollte ihn tadeln, weil er alle umdribbelte, aber ich sagte zu ihm: »Gib den Ball niemals ab, und selbst wenn ich dir persönlich im Weg stehe, dann lauf auch um mich herum.«

Leandro Giménez: Wir gewannen 15:0. Leo hatte circa zehn Tore geschossen. Abrahamian verkündete bei Spielende, dass er uns beide haben wollte.

Federico Vairo: Bei seiner Spielweise hatte der kleine Leo gute Aussichten, ein River-Plate-Spieler zu werden. Aber die Jugendabteilung hatte Bedenken wegen seiner Größe. Wir hätten ihm auch eine Unterkunft besorgen müssen, und so etwas machten wir nicht bei Junioren.

Leandro Giménez: Bevor wir wieder nach Rosario fuhren, bevor wir wussten, ob wir nun bei River angenommen worden waren oder nicht, war Messi schon besorgt: Er war erst zwölf, und nur Jungs ab 13 Jahren waren in den Unterkünften bei River vorgesehen. »Könnte ich bei dir wohnen?«, fragte er mich. Wir hatten schon entschieden, dass ich bei meinen Großeltern leben würde, wenn ich ein River-Spieler in Buenos Aires werden würde. Aber er hatte keine Verwandten in der Hauptstadt. Ich sagte ihm, das wäre kein Problem. Im Auto haben wir uns dann aber gestritten: Vairo saß mit seinem Assistenten vorn, und hinten saßen Leo, ein anderer Junge aus Rosario und ich. Keiner von uns wollte in der Mitte sitzen, aber irgendwie hatte Leo es sofort geschafft, einen Fensterplatz zu ergattern. Ich war ziemlich sauer. Ich sagte damals zu ihm: »Okay, sitz du nur am Fenster, aber dann kannst du dir in Buenos Aires eine andere Wohnung suchen.« Also nahm sich Leo den anderen Jungen vor, obwohl er ihn gar nicht kannte, und fragte ihn direkt: »Dann wohne ich in Buenos Aires bei dir, ja?« Tage später hatte ich meine Meinung längst geändert, aber Leo ist nie mehr auf mich zugekommen. Ich fand dann über meinen Vater heraus, der mit Jorge gesprochen hatte, dass Leo nicht zu River wechseln würde. Den Grund dafür verrieten sie nicht.

Federico Vairo: Ich bestand darauf, Leo auf jeden Fall zu uns zu holen, aber die vom Jugendfußball sagten mir, dass River so viele junge Spieler zur Probe eingeladen hatte, dass dieser eine Junge nun wirklich keinen Unterschied machte. Ich beharrte darauf, dass er anders war, eine Mischung aus Sívori und Maradona, aber sie hörten nicht auf mich. Ich glaube, die Situation war entstanden, weil ein paar ehemalige River-Spieler mit dem Verein Renato Cesarini zu tun hatten. So nahmen wir viele Spieler von dort an und nicht so viele von Newell’s. Ich glaube, deshalb kam Messi nicht zu River.

Jorge Messi hatte Leo zu Rivers gebracht, um Druck auf Newell’s ausüben zu können, damit der Verein doch noch die gesamten Kosten der Hormonbehandlung übernahm. Sie wollten ihm nur 300 der 900 benötigten Pesos geben. Es war demütigend. Also wurde Jorge in Buenos Aires bei River vorstellig, um zu sehen, wie Newelll’s darauf reagieren würde. Es stimmt nicht, dass El Pipita Gonzalo Higuaín irgendetwas mit diesem Probetraining, das in der Hauptstadt stattfand, zu tun hatte.

Als die Direktoren bei Newell’s herausfanden, dass die Messis nach Buenos Aires gereist waren, besuchten Almirón, der damals den »Baby-Fußball« im Trainingslager von Malvinas leitete, und ein anderer Coach die Familie zu Hause. Sie bekräftigten, dass Leo Newell’s nicht verlassen müsste und versprachen noch einmal, dass sie seine Behandlungskosten übernehmen würden. Sie gaben ihr Wort darauf. Also blieb Leo bei Newell’s, und Jorge kam jeden Abend und fragte nach der versprochenen Unterstützung. Aber oft trafen sie Almirón gar nicht an, oder es hieß, er habe gerade kein Geld. Die Familie fragte sich verständlicherweise, warum sie sich das gefallen lassen sollte.

Sechste Szene

Man sieht nur einen kleinen Tisch und ein Telefon. Von links erscheint Jorge, den wir vorher schon auf der Bühne und im Fernseher sahen. Er sieht erschüttert aus. Endlich hat er begriffen, dass er aus der Zwangslage seiner Familie so nicht herauskommt. Sein Sohn, der doch so ein talentierter Fußballspieler ist, kann in seinem eigenen Land nicht weiterspielen.

Wochenlang hat er darüber mit seiner Frau Celia und auch mit seinen Söhnen diskutiert, aber der letzte Entschluss steht noch aus. Das Land zu verlassen, kann einen doppelten Vorteil bringen: Es kann Leo gesundheitlich helfen und der Familie ein besseres Leben ermöglichen, nachdem die Wirtschaftskrise ihr Einkommen so geschmälert hat. Die endgültige Entscheidung fällt jedoch schwer und wird daher immer wieder aufgeschoben. Am Ende bleibt ihnen aber keine andere Wahl. Leos Weg führt ins Ausland. Wenn ein Verein bereit ist, ihn aufzunehmen, ihm gute Konditionen bietet und die Hormonbehandlung bezahlt, dann wird er dorthin gehen und die nächsten Jahre im Ausland verbringen. Italien kommt kurz ins Gespräch (allerdings hat Leo niemals ein Probetraining bei Como absolviert, wie ein besonders fantasiebegabter Verantwortlicher einmal behauptet hat). »Sollen wir nach Italien gehen?« Die Frage wird diskutiert, aber verneint.

Denn nach dem Probetraining bei River haben einige Mittelsmänner mit guten Verbindungen zu dem berühmten katalanischen Agenten Josep María Minguella mit Jorge Kontakt aufgenommen.

Jorge schaut sich ihre Visitenkarten an.

Und greift entschlossen zum Telefonhörer.

Messi

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