Читать книгу Messi - Guillem Balague - Страница 9
ERSTER AKT
ОглавлениеErste Szene
Man hört Stimmen im Hintergrund. Nur ein Spot erhellt die Bühne.
– Wo ist Leo?
– Ich hab gehört, er hätte Hepatitis.
– Oh!
Das Licht geht aus, und die Worte: SECHS JAHRE ZUVOR werden auf die Bühnenwand projiziert. Dann wird folgender Film gezeigt:
www.youtube.com/watch?v=9GFeiJEGjUo
Im Film sieht man, wie der fünfjährige Leo den Ball gekonnt annimmt. Er gibt ihn nicht ab, sondern steuert direkt aufs Tor zu. Seine Gegner umdribbelt er rechts und links, bis er in der richtigen Position für einen Torschuss steht. Er schießt. Tor! Leo dreht sich um und läuft langsam, mit kleinen Schritten, auf seine Hälfte des Spielfelds zurück. Dann wartet er darauf, dass das Spiel weitergeht. Die gegnerische Mannschaft hat Anstoß, aber Leo erobert den Ball. Er nimmt erneut Kurs aufs Tor und umdribbelt dabei jeden, der ihm in die Quere kommt. Der Ball reicht ihm fast bis zu den Knien.
Dieses Video wird im Trainingslager Malvinas gezeigt. Dort spielen die kleinen Nachwuchstalente bei den Newell’s Old Boys 7 gegen 7, abwertend auch als »Baby-Fußball« bezeichnet. Neben den beiden Fußballplätzen des Trainingscamps verläuft die Avenida Vera Mújica. Das bessere Spielfeld ist eindeutig die Nummer eins, weil dort Tribünen vorhanden sind. Deshalb finden die meisten Spiele auch hier statt.
Die Strecke von seinem Wohnhaus bis zum Trainingsplatz der Newell’s Old Boys ist für Leo zu Fuß zu weit. Manchmal fahren ihn deshalb seine Mutter, sein Vater oder der Vater seines Freundes Agustin in seinem weißen Renault 12 dorthin. Ihr Weg führt über die Avenida Uriburu bis zum Boulevard Oroño. Dann fahren sie durch den Parque de la Independencia mit dem Stadion der Newell’s Old Boys und weiter bis zur Avenida Pellegrini. Vor der Avenida Francia muss man links abbiegen und zwei Straßen weiter wieder links auf die Calle E. Zeballos. Dort bei Nummer 3185 liegt die Fußballschule der Newell’s Old Boys. Direkt am Eingang hängt ein Wandbild mit allen Namen der Spieler, die es in die erste Mannschaft geschafft haben. Leos Name steht nicht darauf.
Zwischen dem Eingang und dem Tor von Spielfeld eins stehen zwei kleine Gebäude: die Cafeteria und ein Bürogebäude. Irgendwo sitzen da immer Väter, deren Söhne das NOB-Trikot tragen, mit einem Kaffee oder einem Bier in der Hand und unterhalten sich über Fußball, oder ältere Männer, ehemalige Vereinsmitglieder, die sowieso immer da sind. Es herrscht geschäftiges Treiben …
Eine paar Freunde sitzen an einem Tisch in der Cafeteria, unterhalten sich und achten dabei auf die Jungen, die auf dem angrenzenden Platz Fußball spielen. Es ist Nachmittag. Vor Kurzem hat jemand das Schild »Malvinas« am Eingang entfernt. Jetzt steht es unbeachtet in einer Ecke und rostet vor sich hin. Auf der Rückwand des Bühnenaufbaus ist ein zweistöckiges Gebäude aufgemalt. In seinem Erdgeschoss führt eine Tür zu den Büros. Dort liegen Briefe auf dem Boden verstreut umher und einige Pokale, andere stehen noch aufgereiht im Regal. Im ersten Stockwerk ist eine weitere Tür, die nirgendwohin führt. Niemand kann sich erklären, warum das so ist. Aber ohnehin geht kaum jemand ins erste Stockwerk, denn das Vereinsbüro ist unten. Am Bühnenrand liegen zwischen den Schauspielern und dem Publikum einige Tornetze.
Gabriel Digerolamo (Trainer bei Newell’s): Als sie mir Leo vorgestellt haben, meinte ich: »Also, der ist ja wirklich mal anders, als erwartet.«
Ernesto Vecchio (Trainier bei Newell’s): Er hatte eine Wahnsinnstechnik drauf. Die war nicht erlernt, die war angeboren, das sah man sofort.
Gabriel Digerolamo: Von einem so kleinen Kerl erwartete man einfach kein so großes Spiel. Man sah bei jedem Spielzug genau, was er vorhatte und das auch umsetzte. Er lief von rechts nach links, von links nach rechts, dann in die Mitte und quer übers ganze Feld. Und immer nur eines im Sinn: das nächste Tor.
Ernesto Vecchio: Bevor er zu uns kam, war er in Rosario schon Stadtgespräch. Alle redeten von diesem talentierten Jungen, der vorher für Grandoli gespielt hatte.
Diego Rovira (Nummer 9 der Junioren bei NOB): Ich habe im Sommer 1998 bei Newell’s angefangen. Mein erstes Spiel fand in Bella Vista statt, wo die erste Mannschaft normalerweise trainiert. Es war ein Freundschaftsspiel gegen Renato Cesarini. Das gewannen wir 7:0 oder so. Drei der Tore gingen auf das Konto eines sehr kleinen, sehr schnellen und technisch sehr geschickten Jungen. Ich kannte damals noch niemanden bei Newell’s, aber dieser Junge erregte sofort meine Aufmerksamkeit. Das war Leo.
In Rosario ist Leo weithin bekannt, nachdem er bei den Turnieren zwischen den Fußballschulen, zum Beispiel in der berühmten Alfi-Liga, für Aufsehen gesorgt hatte. Bei diesen Spielen sind auch Scouts, Sportdirektoren und Trainer dabei, die die jungen Spieler genau beobachten. Rodrigo und Matías spielen schon länger bei den NOB-Junioren, und es ist Rodrigo, der vorschlägt, Leo zu den Newell’s zu holen. Anfang 1994, als er sechs Jahre und sieben Monate alt ist, spielt Leo einige Wochen nachmittags und abends mit den Newell’s-Jugendmannschaften.
Roberto Mensi (Direktor bei NOB): Wenn man sich einen potenziellen neuen Spieler ansieht, dann konzentriert man sich zunächst auf seine technischen Fähigkeiten, dann auf seine körperliche Verfassung und zuletzt auf seine häusliche Umgebung.
Quique Domínguez (Trainer bei NOB): Jorge Bernardo Griffa, ein früherer Spieler von Atlético Madrid, hatte zu Newell’s Philosophie gemacht, dass wir hier die besten Spieler versammeln müssten und es uns nicht leisten könnten, Talente zu übersehen. Also nahm ich mir immer die Zeit, auch die Kleinsten fünf Minuten konzentriert zu beobachten. Wenn mir ein Junge auffiel, dann fragte ich die Mutter, ob er nicht zu Newell’s kommen wolle. Wir holten uns die Talente, bevor andere sie uns wegschnappten. Durch dieses Auswahlverfahren hat Leo von Anfang an immer nur mit den Besten der Region gespielt.
Gabriel Digerolamo: Claudio Vivas, der Assistent von Marcelo Bielsa, kam zu mir und verkündete: »Ihr bekommt einen neuen Spieler, der überirdisch gut ist.« Er spielte drei oder vier Spiele mit meiner Mannschaft, aber auch bei anderen Trainern des Vereins, wie zum Beispiel Walter Lucero.
Quique Domínguez: Verglich man Leo mit seinen Gegnern, dann war der Qualitätsunterschied immens. Und wenn ich immens sage, dann meine ich das auch so. Bei zehn Versuchen schaffte er es achtmal, die Verteidigung auszuspielen. Wenn ein Verteidiger ihm einmal den Ball abnahm, dann schaffte er das anschließend garantiert nicht noch einmal. Der Unterschied war einfach eklatant. Heute spielt Leo immer noch genauso herausragend, nur dass jetzt seine Gegner aus Vereinen wie Real Madrid kommen, aus der italienischen Serie A und der englischen Premier League.
Gabriel Digerolamo: Nach den Vorturnieren baten wir Leo, zu uns zu kommen.
Ernesto Vecchio: Nachdem wir ihn spielen gesehen hatten, sprachen wir mit den Eltern und konnten uns einigen. Also kam er zu Newell’s. Daher sind heute alle aus der Familie Messi Newell’s-Fans.
Nun ja, außer Matías. Der ist Fan von Rosario Central.
Am 21. März 1994, kurz vor seinem siebten Geburtstag, wird Leo Mitglied bei Newell’s. Damals misst er 1,22 Meter. Drei Monate zuvor hat Diego Maradona, der sich schon auf die Fußballweltmeisterschaft 1994 vorbereitete, sein letztes Spiel mit den Ñuls bestritten.
Jorge Valdano (ehemaliger Spieler bei NOB): [Newell’s] hat eine sehr gute Fußballakademie. Rosario selbst lebt ja förmlich für den Fußball. Die Stadt ist eigentlich ein einziger großer Fußballplatz.
Quique Domínguez: Ich habe meine Schüler immer ermuntert, das zu tun, was sie am besten konnten, und es dann versucht zu perfektionieren. So habe ich mir meinen Ruf als Fußballtrainer erarbeitet. Ich habe sie nie angeschrien, ihnen nie mit Strafen gedroht, sie nie ausgeschimpft, gedemütigt oder Druck auf sie ausgeübt, so wie mein Vater das mit mir und meinen Brüdern gemacht hat. Wenn jemand Bockmist gebaut hatte, dann sollte er verstehen, was daran falsch gewesen war und es nicht noch einmal machen. Die Jungs sollten keine Angst haben, sondern ein Gefühl dafür entwickeln, was richtig und was falsch ist.
Gerardo Grighini (ehemaliger Juniorspieler bei NOB): Die Sieben-und Achtjährigen haben wir noch auf dem kleinen Spielfeld trainiert: Wir machten Schnelligkeitsübungen und trainierten, den Ball in der Luft zu halten. Das Wichtigste war, den Ball beherrschen zu lernen. Wir hatten dienstags, donnerstags und freitags Training. Spiele waren samstags und sonntags.
Quique Domínguez: Ja, wir hatten ganz normale Trainingseinheiten, in denen wir geübt haben, den Ball zu passen und zu stoppen. Einmal fragte ein Trainer die Jungen, wie viele Arten der Ballberührung es ihrer Meinung nach gibt, und sie antworteten: vielleicht zehn, zwölf oder fünfzehn. Tatsächlich gibt es über 200. Man kann den Ball sogar mit dem Rücken annehmen. »Und wie viele Arten gibt es, einen Ball zu passen?« Wir wollen die Jungen zum Denken anregen: Sie sollen darüber nachdenken, was sie da auf dem Spielfeld machen, wie sie Pässe schlagen, wie sie den Ball aufhalten; sie sollen sich den Spielverlauf vorstellen, sich klarmachen, dass ein langer Pass nicht immer die beste Möglichkeit ist, das Tor zu erreichen und so weiter.
Gerardo Grighini: Wir hatten einfach Spaß, weil wir auch privat alle befreundet waren. Wir fühlten uns dort nicht wie in der Schule oder bei der Arbeit, sondern waren eben die besten Freunde und durften unsere Zeit zusammen verbringen. Nach Schulschluss aß ich zu Hause immer in Windeseile, weil ich es kaum abwarten konnte, zum Training zu kommen.
Quique Domínguez: Wir simulierten auch gern echte Spielsituationen. Manchmal wollten wir aber auch nur den Wettbewerb der Jungs untereinander fördern. Dann spielten wir Loco, was in Barcelona Rondo [in Deutschland Schweinchen in der Mitte] genannt wird. Der Spieler, der in die Mitte musste, protestierte immer. Wir wollten, dass sie lernten, raffiniert zu spielen. Obwohl man sagen muss, dass die Argentinier es in dieser Hinsicht ja manchmal übertreiben. Wie man an Diego Maradonas Tor mit der Hand sieht, das dann zur »Hand Gottes« erklärt wurde. Aber bei den Übungsspielen sollte man ruhig zeigen, wie gerissen man sein kann.
Im Trainingscamp Malvinas werden die Sechs- bis Zwölfjährigen in sechs Kategorien eingeteilt. Heute sind circa 300 Spieler dort angemeldet, in Spitzenjahren waren es bis zu 800. Auf dem Fußballacker von einst, der heute ein Rasenplatz ist, haben schon Marcelo Bielsa, Roberto Sensini, Abel Balbo, Gabriel Batistuta, Jorge Valdano, Mauricio Pochettino und Santiago Solari gekickt. Und Newell’s ist nur eine von unzähligen Fußballschulen in Argentinien. Tausende von Jungen melden sich in der Hoffnung an, es eines Tages bis ganz nach oben zu schaffen. Solche Träume von der großen Karriere platzen jedoch für die meisten irgendwann.
Jorge Valdano: Ich habe mein Zuhause verlassen und mich auf einem 1.000 Quadratkilometer großen Fußballareal wiedergefunden. Es schien mir unendlich riesig, hier und da stand ein Baum oder eine Kuh; der Rest war Fußballspielwiese. In der Gegend hier sind alle gut ernährt, was sehr wichtig ist. Es gibt ärmlichere Gegenden mit schlechter Ernährung, aus denen dann für gewöhnlich keine wirklich großen Spieler hervorgehen.
Leidenschaft, Hoffnung, Frust – das ist Rosario, wie es leibt und lebt. Man kann hier viel über Fußball lernen, wenn man möchte. Am meisten erfährt man aber über die Bedeutung von Freundschaft und Gemeinschaft; hier lernt man Dinge, die man sein Leben lang nicht vergisst. Das ganze Image Argentiniens dreht sich um den Ball. Hier spielt man buchstäblich um sein Leben. Hier lernt man zu siegen. Das hilft den Kindern, ihr Können zu steigern. In diesem zarten Alter ist Fußball noch rein, real und unberührbar von Marketingtricks und Kommerz. Später ändert sich das unweigerlich. Legendäre Trainer wie Jorge Griffa wollten nie Fußballspieler zur Vermarktung, sondern vielseitig begabte, komplexe Spielerpersönlichkeiten hervorbringen.
Quique Domínguez: Es ist für Kinder und Jugendliche wichtig, sich dem Wettbewerb zu stellen. Vier Tore zu kassieren macht weniger Spaß, als vier zu schießen. Letztendlich sollte man aber den Sportsgeist fördern und die Einstellung, dass es nur ein Spiel bleibt. Wir halten die Kinder an, sich die Hand zu geben und dem Gegner zu gratulieren, selbst wenn sie 10:0 verloren haben. Auch wenn man gewonnen hat, reicht man den Verlierern die Hand. Sollten die das nicht wünschen, auch gut. Dann geht man eben einfach. Aber das Angebot muss da sein.
Jorge Valdano: Jorge Griffa hat den Fußball in Argentinien enorm vorangetrieben. Er war ein wahrer Fußballguru, und Newell’s übernahm seine Ideen. Nur so kamen wir im Ranking der Fußballakademien bis ganz oben.
Quique Domínguez: Leo hat bei Newell’s seine Technik erlernt, das Handwerkszeug eines jeden guten Spielers, und an seiner Einstellung zum Siegen gearbeitet. Ich habe meinen Jungs immer gesagt: Wenn wir auf den Platz gehen und es steht 1:0, dann wollen wir so schnell wie möglich das 2:0 machen, danach das 3:0, 4:0 … immer so weiter, bis der Schiedsrichter abpfeift. Wir haben hier schon mit Mannschaften 10:0, 15:0 gewonnen. Beim 10:0 wollten die Spieler des gegnerischen Teams oft nicht mehr weiterspielen. Schließlich wurde eingeführt, dass das Spiel bei 6:0 zu Ende ist.
Jorge Valdano: Irgendwie ging eine Ära zu Ende, als Griffa aufhörte. In den letzten Jahren ist hier so einiges schiefgelaufen. Zum Beispiel haben die Barras Bravas [»Wilde Horde«], das waren heftige Ultras, tatsächlich die Jugendmannschaften übernommen. Das sagt schon viel über den moralischen Verfall aus, der den Verein überrollt hat. Das neue Management hat das aber zum Glück wieder in Ordnung bringen können.
Ernesto Vecchio: Ja, es ist schon möglich, dass sich die Maßstäbe für den »Baby-Fußball« verändert haben, aber das hat auch mit den sozialen Veränderungen zu tun. Es gibt viele Jungen, die hier gar nicht erst mit dem Training beginnen, weil ihre Eltern die Mitgliedschaft nicht bezahlen können. Die Kinder von heute sind auch anders als die von früher, sie sind rebellischer. Sie geben freche Antworten und hören nicht auf ihre Trainer. Früher konnte man sie leichter handhaben, jetzt ist es schwerer geworden. Eine andere wichtige Sache ist die, dass es nicht mehr so viele Fußballplätze gibt wie früher. Wir haben einfach nicht genug Plätze. Die Faszination von Computern, von Playstations und dem Internet tut ein Übriges. Die Jugend von heute hat weniger Interesse am Sport. Das ist leider so.
Zweite Szene
Auf das abgedunkelte Bühnenbild wird ein Film projiziert, in dem der achtjährige Messi mit beiden Füßen abwechselnd Tore schießt und den Ball kaum je abgibt. Hier zeigt sich deutlich sein außergewöhnlicher Kampfgeist. Wird er von einem Spieler umgerannt, dann steht er gleich wieder auf und läuft weiter. Auch darin unterscheidet er sich von den anderen Spielern.
Nach fünf Minuten ereignet sich ein Zwischenfall, ganz typisch für den Fußball hier in Rosario: Messis Mannschaft, die gerade dabei ist, das Spiel zu gewinnen, erhält vom Trainer die Anweisung, zu den Verlierern zu gehen. Leo läuft zu einem seiner Gegner, der am Boden liegt und wegen der Niederlage weint. Das hätte Leo niemand erst sagen müssen. Es hatte auch sicher niemand explizit verlangt, er solle sich hinknien und den Arm um den Jungen legen. Was er tut. Von Herzen und ungeheuchelt: Sportsgeist in Reinform.
Die Gruppe in der Cafeteria schaut in die Zeitung Olé. Einer liest laut vor: »Lionel Messi ist ziemlich sicher, dass er kein Trainer werden will. Er sieht sich nicht auf einer Bank sitzen und den Spielern Anweisungen zurufen. Wenn er sich über Fußball äußert, fordert er immer dasselbe: eine Mannschaft, die gern angreift, aber auch gut in der Defensive arbeitet, viel Druck auf den Gegner ausübt und die viele Tore erzielt. Sehr viele Tore. Ist Peps FC Barcelona gemeint? Nein, Leo spricht hier von den ’87ern, dem unschlagbaren Team der Newell’s-Infantiles, bestehend aus: Leguizamón, Pecce, Casanova, Scaglia, González, Giménez, Ruani, Mazzia, Bravo, Miró und anderen.«
Gerardo Grighini: Sie tauften uns später die »’87er-Maschine«. Aber so hießen wir noch nicht, als wir dort spielten.
Diego Rovira: Die ’87er-Mannschaft von Newell’s war Quiques Mannschaft. Quique Domínguez war der Vater von Seba, dem Verteidiger bei Vélez. Torwart war Juan Cruz Leguizamón, der heute bei Central Córdoba spielt. Lucas Scaglia war die Nummer fünf, ein regelrechtes Monster. Sie nannten ihn damals Pulpo (Tintenfisch). Heute spielt er bei Once Caldas in Kolumbien. Rosso ist heute bei Brescia. Grighini, du hast in Italien gespielt. Dann noch Leandro Giménez, der später zu River wechselte, und ein weiterer Leandro mit Nachnamen Benítez. Dann Leo, Roncaglia und ich. »Die ’87er von Newell’s sind unschlagbar«, sagten alle. 1999 haben wir alle Turniere gewonnen und fast jedes Spiel im Jahr danach. Die Spielstände lauteten immer 8:0 oder so ähnlich.
Gerardo Grighini: In Rosario hat man viel über uns gesprochen, weil wir Leo, Juan Cruz und Lucas hatten … Das waren alles sehr gute Spieler. Anfangs spielten wir 7 gegen 7, Leo gelangen immer drei oder vier Tore.
Diego Rovira: Die Stürmer waren einfach sagenhaft gut. Leo hatte die Nummer 10, Roncaglia die 7. Er war sehr schnell und hatte tolle Flanken drauf, das weiß ich noch. Ja, und dann gab’s da noch Bergessio. Was für ein Typ, was für ein toller Spieler! Und ganz vorn mit der Nummer 9, das war ich.
Einer aus der Gruppe fängt wieder an, mit lauter Stimme aus der Olé vorzulesen: »Die Mannschaft arbeitete mit der vereinten Solidarität einer Ameisenkolonie, um ihr Potenzial voll auszunutzen. Aber Leo war mit knapp acht Jahren bereits der herausragende Spieler. Sozusagen die Antriebsfeder einer gut geölten Maschine.«
Diego Rovira: 1999 haben wir drei Turniere gespielt und sie allesamt gewonnen. Ich glaube, wir haben auch alle anderen Spiele gewonnen, an die 45, und insgesamt circa 15 Turniere. Das war schon verrückt. Central war der einzige Verein, der für uns überhaupt eine Herausforderung darstellte. In einem Spiel haben sie uns besiegt, im Rückspiel waren wir aber wieder Sieger und gewannen 4:0. Keine der anderen Mannschaften ist auch nur in die Nähe unseres Tores gekommen.
Quique Domínguez: Als Argentinier verfügt Leo über die angeborene Technik der Lateinamerikaner, so wie Neymar, Ronaldinho oder Riquelme … Er machte alles genauso wie sie, die Ballannahmen mit ganzem Körpereinsatz, die Kontrolle über den Ball, die Führung. Newell’s hat ihm dann die Siegermentalität eingepflanzt.
Leandro Benítez: (ehemaliger Juniorspieler bei NOB): Leo war eine Sensation. Wenn wir am gegnerischen Platz ankamen, hörten wir regelmäßig: »Auf den würde ich keine zwei Pesos wetten.« Aber sobald Leo den Ball hatte, hat er sie fertig gemacht.
Diego Rovira: Einmal wollte uns ein Co-Trainer gegeneinander antreten lassen. Bis zur Halbzeit führte meine Teamhälfte 3:0. Perfekt. Danach gewann die andere Hälfte noch mit 4:3. Das war echt witzig. Es hat viel Spaß gemacht, mit Leo zu spielen.
Ernesto Vecchio: Er war ein wahres Wunder. Er war clever, seine Ballberührungen waren kurz und gut, und er spielte für seine Mannschaftskollegen. Einmal gab der Torhüter den Ball an ihn, und Leo rannte von einem Tor zum anderen und schoss ein sagenhaftes Tor. Ihm konnte man einfach nichts mehr beibringen. Was kann man einem Maradona oder einem Pelé schon beibringen? Der Trainer vermochte höchstens noch Kleinigkeiten zu korrigieren.
Juan Cruz Leguizamón (ehemaliger Juniorspieler bei NOB): In Europa hat er mit seinem Tor gegen den FC Getafe richtig Aufsehen erregt, aber für uns war das normal. Hier hat er am laufenden Band solche Tore geschossen.
Diego Rovira: Immer, wenn ich Leo im Fernsehen sehe und an ihn denke, muss ich über die verrückten Dinge lachen, die er gemacht hat. Er ist ein Teufelskerl. Fünf Tore hat er gegen Bayer Leverkusen geschossen. Wer außer ihm schafft schon fünf Tore in einem Spiel der Champions League? Wie macht er das nur? Genauso war er schon bei Newell’s. Damals war er etwas weniger schnell und weniger explosiv als heute, aber sonst genauso.
Quique Domínguez: Für einen Spieler in seinem Alter hatte er einfach eine fantastische Koordination. Für Leo ist der Ball ein Teil seines Körpers. Wenn er hoch ankommt und er ihn mit dem Kopf annehmen muss, dann benutzt er seine Wange, weil das die beste Möglichkeit ist, ihn abzufedern. Ein anderer würde die Stirn hinhalten, weil die fester ist und der Aufprall weniger weh tut. Aber Leo ist eben anders.
Gabriel Digerolamo: Er war technisch begabter als jeder andere, den ich je gesehen habe. Er war so gut, dass ich ihn immer auf andere Positionen gestellt habe, damit er lernte, sich allen Spielweisen anzupassen. Einmal hatte ich ihn als Libero eingesetzt, und auch da gab er sich, als hätte er schon sein ganzes Leben so gespielt.
Quique Domínguez: Ich habe mich oft gefragt, wer von wem mehr gelernt hat: Leo von uns oder wir von ihm.
Adrián Coria (Trainer bei NOB): »Man muss die Mannschaft nicht coachen, wenn Leo mitspielt«, hieß es immer.
Diego Rovira: Leo hatte immer mehrere Gegenspieler. Ich stellte mich darauf ein und positionierte mich an der gegnerischen Strafraumgrenze. Falls es mal eng wurde, was allerdings selten geschah, hielt Leguizamón, der Torwart, nach mir Ausschau. »Mach ihn rein für mich«, rief Leo mir dann zu. Ich war einen Kopf größer als meine Gegner. Da hatte ich leichtes Spiel.
Juan Cruz Leguizamón: Bei einem unserer Turniere hatten wir als Siegesprämie für jeden von uns ein Fahrrad in Aussicht. Wir kamen bis ins Finale, aber das Spiel fing ohne Leo an, er war einfach nicht erschienen, und so lagen wir nach der ersten Halbzeit 0:1 zurück. Wo blieb er bloß? Er kam zu spät, weil er im Badezimmer zu Hause eingeschlossen gewesen war und das Fenster hatte einschlagen müssen, um rauszukommen. Aber pünktlich zu Beginn der zweiten Halbzeit kam er angehetzt, und wir gewannen am Ende noch 3:1 … alle drei Tore von Leo. Wir haben in unserer Kindheit so viel zusammen erlebt.
Bruno Milanesio (ehemaliger Juniorspieler bei NOB): Einmal saß ich wie ein begossener Pudel bei meiner Großmutter und erzählte ihr, dass sich ein Junge den Knöchel verstaucht hatte und deshalb am nächsten Tag nicht spielen konnte. Meine Großmutter kannte viele Heilmittelchen, und sie fragte, wer der Junge denn sei. Leo Messi, sagte ich. Sie hat mir nie erzählt, was genau sie dann unternommen hat, aber am nächsten Tag stand er wieder, und sein Fuß war in Ordnung. Die Schwellung war weg. Er hat mitgespielt, und wir wurden Turniersieger. Jahre später schaute ich mit meiner Großmutter im Fernsehen Fußball, Leo spielte für Barcelona. Ich fragte sie, ob sie sich an ihn erinnere. Als sie dies verneinte, erzählte ich ihr noch einmal diese Geschichte. Jedes Mal, wenn sie jetzt Messi sieht, dann lächelt sie und sagt: »Diesen Jungen habe ich einmal geheilt.«
Gerardo Grighini: Damals hatten wir als Trainer mit der Mannschaft leichtes Spiel. Es war ganz einfach. Wir gaben Leo den Ball und fertig. Der Sieg war uns sicher. Vielleicht wurde ihm der Ball ein oder zweimal abgenommen, aber spätestens beim dritten oder vierten Versuch schoss er dann sein Tor. Garantiert.
Ángel Ruani (Vater des ehemaligen NOB-Spielers »Luli« Ruani): Vielleicht glaubt man mir das heute nicht, aber Leo hat in jeder Saison etwa 100 Tore geschossen. Er kam 1994 zu uns und verließ uns 2000. Wir sprechen also hier über mehr als 500 Tore in seiner Zeit bei den Infantiles. Das ist sensationell.
Adrián Coria: Vielleicht war er sich zu der Zeit dessen nicht bewusst, aber es kann auch von Vorteil sein, wenn man klein ist – dann hat man bessere Ballkontrolle, man ist wendiger und flinker als die anderen.
Quique Domínguez: Wenn er den Ball passte, dann schob er ihn nicht einfach rüber, sondern er hob ihn etwas hoch und federte ihn auf seinen Fußspitzen ein wenig ab, bevor er ihn abgab. Solche Sachen machte er. Leo steht für Fußball in Reinform. Er ist auch absolut nicht hinter dem Geld her, er liebt den Fußball, weil er Spaß daran hat.
Gerardo Grighini: Die Direktoren bei Newell’s baten ihn, vor dem Spiel oder in der Halbzeit ein wenig den Ball in der Luft zu halten. Einmal zeigte er das vor dem Spiel in Mar del Plata, und die Fans warfen ihm dafür glatt Münzen zu. 15 Minuten hielt er ihn oben und verlor ihn nicht ein einziges Mal. In Peru schaffte er, glaube ich, sogar 1.200 Ballberührungen. Damals war er neun Jahre alt.
Franco Casanova (ehemaliger Juniorspieler bei NOB): Als wir im Sommer 1996 den legendären Newell’s-Spieler und heutigen Barcelona-Manager Gerardo Martino verabschiedeten, liefen die Spieler bei Newell’s zur Halbzeit eine Ehrenrunde für ihn. Sie waren gerade Meister geworden. Mitten auf dem Spielfeld hielten sie an und schoben Leo nach vorne. Die Menge tobte, dass die Wände wackelten. »Marado, Marado«, riefen sie, als Leo den Ball unzählige Male oben hielt.
Nestor Rozín (ehemaliger Direktor bei NOB): Für 100-mal den Ball hochhalten spendierten wir ihm ein Eis, und einmal bekam er für 1.100-mal zehn Eis auf einmal.
Gerardo Grighini: Als wir elf Jahre alt waren, spielten wir nicht mehr 7 gegen 7, sondern endlich auf dem großen Platz mit elf Spielern. Auf dem großen Feld brillierte Leo noch mehr als zuvor. Er hatte da einfach mehr Platz, um sich zu beweisen. Und er war schnell. Er manövrierte sich durch Lücken, die eigentlich zu eng waren. Es war einfach unglaublich.
Adrián Coria: Ich platzierte ihn direkt hinter den Stürmern, entweder als freier Mann oder als Enganche.
Quique Domínguez: Die Gegner wollten sich seine Wirkung auf sie nicht anmerken lassen, aber sie beäugten ihn doch recht ängstlich. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung für einen Jungen von zehn oder elf Jahren.
Diego Rovira: Die Unterhaltungen der Verteidiger in den gegnerischen Teams waren einfach köstlich:
– Den können wir nicht aufhalten. – Nein.
– Was machen wir denn jetzt?
– Woher soll ich das wissen? Hast du nicht gerade selbst gesagt, dass wir ihn nicht aufhalten können?
Sie hatten recht. Einmal setzte mich der Coach beim Training als Verteidiger ein.
– »Mama, ich musste heute als Verteidiger spielen und Leo decken«, beklagte ich mich nachher. »Ich bekam ihn noch nicht mal am Trikot zu fassen. Aber treten wollte ich ihn ja auch nicht.«
Meine arme Mutter. Daran erinnert sie sich heute noch.
– Hör auf, Leo, und halt endlich an, habe ich gesagt, während er sich ausschütten wollte vor Lachen. Leo ist echt lustig.
Quique Domínguez: Einmal spielten wir gegen Morning Star, und der Trainer des Vereins kam zu mir und bat mich, Leo nach der Halbzeit vom Platz zu nehmen. Natürlich habe ich das nicht gemacht. Ich habe weder Leo noch den Torhüter Leguizamón je ausgewechselt.
Gerardo Grighini: Einmal hat er einen Spieler mit fünf Hackentricks vorgeführt. Fünfmal hintereinander, das muss man sich mal vorstellen! Daraufhin warf sich der andere zu Boden und umschlang seine Füße. Leo war damals gerade mal 1,40 groß und der andere ungefähr 1,70. Das war Leos Art von Vergnügen. Er hat das aber nicht gemacht, um anzugeben. Er hat niemals laut geprahlt, wirklich nicht. In der Liga in Rosario waren Oriental und Rio Negro die Vereine, die dafür bekannt waren, aggressiv zu spielen und gern auszuteilen … Die haben ständig auf ihm herumgehackt und ihn beschimpft. Leo blieb stumm und reagierte nicht darauf. Stattdessen zeigte er es ihnen mit dem Ball.
Quique Domínguez: Ich habe schon Spiele der unteren Ränge im argentinischen Fußball gesehen, die in regelrechte Kämpfe ausarteten. Die Spieler denken sich: »Okay, diesmal bist du um mich herumgedribbelt, aber noch mal machst du das nicht mit mir, und wenn ich dafür vom Platz gestellt werde.« Das passiert leider oft hier. Das hätten sie auch mit Leo gemacht, wenn er hiergeblieben wäre. Ich habe ihm immer gesagt, dass er den Ball schnell abgeben müsse, denn sobald er ihn hatte, versuchten die gegnerischen Verteidiger alles, um ihn aufzuhalten. Manchmal wurden die Kinder von ihren Eltern regelrecht angestachelt, ihn mit dem Ellbogen zu rammen oder von hinten zu treten, weil er wieder und wieder an ihnen vorbeikam. Ich sagte ihm immer wieder, er müsse früh abgeben. Aber da er damals schon so spielte wie heute, tat er das natürlich nicht. Den Ball zu behalten, war einfach sein Ding. Er hat aber sehr darauf geachtet, ob ihn jemand foulen wollte. Deshalb schafften sie es meist erst gar nicht.
Adrián Coria: Im Gegenteil, ich würde sagen, das hat seinen Kampfgeist geschürt. Je mehr sie ihn foulen wollten, desto offensiver wurde sein Spiel.
Ángel Ruani: Einmal, auf dem Fußballplatz von Adiur, wurden wir Eltern richtig wütend und verlangten von seinem Trainer Gabriel, ihn auszuwechseln, weil die Gegner nicht aufhören wollten, ihn zu treten. Bei einem anderen Spiel gegen Vélez Sarsfield setzten sie ihm so hart zu, dass er unglücklich stürzte und sich am Arm verletzte. Seine Mutter und meine Frau fuhren damals mit ihm ins Krankenhaus.
Quique Domínguez: Einzig die Schiedsrichter konnten Leo beschützen. Weil er niemanden trat und auch nie schimpfte oder einen Spieler am Trikot festhielt, weckte er Beschützerinstinkte – er war so zart, hatte so ein kleines Gesicht und ein verschmitztes Lächeln … Noch dazu hatte er eine so geniale Spieltechnik und eine großartige Arbeitsmoral. Er rannte am meisten von allen.
Gerardo Grighini: Leo war aber auch sehr stark. Viele warfen sich gegen ihn, um ihn zu Fall zu bringen, aber er blieb standfest und hielt dagegen. Wenn er doch fiel, dann stand er sofort wieder auf. Unglaublich. Wenn einer von uns hinfiel, dann blieb er erst mal liegen und beklagte sich. Er nicht. Er fiel hin, stand auf und lief weiter. Ich weiß nicht, woher er all die Kraft nahm.
Quique Domínguez: Er hat sich nie beschwert. Ich weiß noch, beim Umziehen drehte er sich immer prüfend um, bevor er sein schwarzrotes Trikot mit der Nummer 10 überstreifte … Ich dachte, es sei ihm vielleicht peinlich. Aber als ich ihn einmal ohne Trikot sah, war ich sehr überrascht. Er hatte ein richtiges Loch zwischen den Rippenbögen. Knochenprobleme. Seinen Oberkörper zu sehen war fast ein wenig angsteinflößend. Er hatte sehr zarte Knochen. Aber er zeigte niemals, dass er Schmerzen litt. Einmal fiel er hin und brach sich das Handgelenk. Er hätte eigentlich bei unserem folgenden internen Wettkampf, dem »Mini-Worldcup«, nicht mitspielen können. Am ersten Turniertag sahen wir ihn mit einer Tasche. Ich fragte die Mutter eines anderen Spielers, was darin war. Sie sagte, darin seien seine Schuhe und Schienbeinschoner, damit er doch mitspielen konnte. Dabei musste er seinen Gipsverband noch 15 Tage tragen! Er dachte, ich würde ihn vielleicht spielen lassen, wenn ich ihn bräuchte. Natürlich hätte ich das auf gar keinen Fall getan. Ein paar Tage später fragte ich ihn aus Spaß, ob er in der zweiten Hälfte spielen wollte. Er sagte ja. Natürlich habe ich das nicht zugelassen. Aber er wäre ohne zu zögern auf den Platz gegangen. So zerbrechlich er wirkte, so stark war er doch innerlich.
Leo Messi sagte einmal: »Das letzte Mal, dass ich wirklich unter Druck stand, war bei Newell’s, als ich acht Jahre alt war. Danach habe ich nur noch aus purer Freude gespielt …« Als er das sagte, war er 23 und hatte bereits an zwei Champions-League-Finalen, zwei Weltmeisterschaften und Pokalfinalen teilgenommen. Aber die fielen nicht ins Gewicht – echten Druck gab es für ihn nur damals in Rosario.
Gazzo (Journalist): Rosario Central und Newell’s spielten im Finale eines Turniers gegeneinander, das nach meiner Radiosendung Baby Gol benannt war. Am Ende stand es 2:2, und beim Elfmeterschießen kam es zu einem Stand von 22:22. Dann verschoss ein Spieler von Central den Ball. Jetzt hing alles an Leo. Wenn er jetzt ein Tor schoss, dann hatte Newell’s gewonnen.
Quique Domínguez: Sie fragten mich einmal, was seine herausragendste Eigenschaft sei. Ich antwortete: seine Natürlichkeit. Alles an ihm ist authentisch und natürlich. Auch wenn er zurückhaltend war, blieb er doch immer er selbst. Mit zwölf verbrachte er nach einem Spiel oft das ganze Wochenende bei seinem Freund, Antonellas Cousin Lucas. Manchmal ging er auch donnerstags nach dem Training dorthin; es schien, als verbringe er dort seine ganze Freizeit. Natürlich behandelte ihn seine jetzige Frau damals noch mit demonstrativem Desinteresse. Heute hat er einen Sohn mit ihr, mit der Frau, die er sein ganzes Leben lang geliebt hat, vom ersten Augenblick an. An einer pompösen Hochzeitsfeier liegt ihm nichts. Er ist ein sehr natürlicher Mensch, und alles geht seinen normalen Gang. Die argentinische Nationalelf spielt deshalb so gut, weil sie sich so ins Zeug legt und sich an Leo orientiert. Meine Mutter sagte immer, dass ein wahrer Anführer im Unterschied zu einem Diktator jemand ist, dem man gern und freiwillig folgt. Und Leo, der nie Aufhebens von etwas macht, ist so einer. Wenn er damals ein Tor geschossen hat, dann haben ihm die Gegner gratuliert. Und er tat dasselbe für sie. Und das, obwohl Leo mit zwölf Jahren in Rosario schon so etwas wie ein Star war, ein Fußballidol auf Juniorlevel, so wie er das heute als Profispieler ist. Es ist nicht leicht, in so jungen Jahren schon so hohe Erwartungen zu erfüllen. Für Leo war das Laufen mit dem Ball, das Dribbeln und Toreschießen aber einfach die selbstverständlichste Sache der Welt, also nahm er es hin.
Gazzo: Leo schoss natürlich sein Tor, und Newell’s gewann das Turnier im Elfmeterschießen.
Im Januar 1996 spielte Leos Mannschaft zum ersten Mal beim International Friendship Cup in Lima, sein erstes Spiel im Ausland. Damals war er neun. Er verblüffte alle mit seinen Ballkünsten, seiner Technik und seiner Ausgeglichenheit. Schon in so jungen Jahren beherrschte er den Ball perfekt. Natürlich hat Newell’s damals den Wettbewerb gewonnen. Aber Leo ging es beim ersten Spiel des Turniers gar nicht gut.
Gabriel Digerolamo: Als wir am Flughafen ankamen, standen dort die Eltern einiger peruanischer Spieler. Wir wurden dann auf die Familien aufgeteilt. Es war Glückssache, ob man in eine nette Familie kam oder nicht.
Kevin Méndez (Sohn der Gastfamilie): Abends haben wir bei uns zu Hause Grillhähnchen gegessen, und daran hat er sich wohl den Magen verdorben. Ihm wurde furchtbar übel. Am nächsten Tag konnte er sich kaum bewegen, und einen Tag später sollte das erste Spiel stattfinden.
Gabriel Digerolamo: Leo weinte fast. Er wirkte krank und dehydriert.
Kevin Méndez: Als Leo am Spielfeld ankam, fiel er in Ohnmacht, und der Trainer sagte zu mir: »Spielt ihr; ich fahre mit Leo ins Krankenhaus.« Als Leo das hörte, rappelte er sich sofort hoch.
Gabriel Digerolamo: Er bekam ein isotonisches Getränk, und innerhalb einer halben Stunde war er auf dem Spielfeld und machte seine üblichen Ballübungen.
Kevin Méndez: Er trank eine Gatorade und wollte mitspielen. Newell’s gewann an dem Tag 10:0, er schoss acht Tore; nur für den Fall, dass irgendjemand bezweifeln wollte, dass er der beste Spieler von allen war. Bevor er wieder abreiste, schenkte er mir sein Trikot.
William Méndez (Kevins Vater): Einmal beim Essen fragten wir ihn und einen anderen Jungen, was sie im Leben für Ziele hätten. Wir sind Argentinier: Wo wir hingehen, da siegen wir, und dann fahren wir wieder nach Hause.
Gerardo Grighini: Wenn wir mal verloren, was nicht oft vorkam, dann schmollte Leo. Er konnte einfach nicht verlieren. Er wollte so unbedingt gewinnen, dass es manchmal auf dem Spielfeld Streit gab. Waren wir im Rückstand, dann verwandelte er seine Wut darüber in neuen Siegeswillen. Er holte sich den Ball und setzte alles daran, das Spiel noch zu wenden. Das gelang ihm auch oft.
Adrián Coria: Er war sehr stolz.
Gerardo Grighini: Ein Turnier auf dem Land habe ich noch gut in Erinnerung. Wir fuhren nach Pujato, und nach etwa 15 Minuten stand es 2:0 für die Gegner. Leo wurde sehr nervös. Innerhalb der nächsten zehn Minuten schoss er drei Tore. Einfach so. Vor Kurzem erst sah ich mir ein Spiel von Barcelona an, und der Verein lag im Rückstand. Ich sagte laut: »Leo, jetzt wirst du aber sauer.« Ich konnte mich gut an seinen Gesichtsausdruck als Kind erinnern, er sah genau so aus wie damals. Es blieben noch vier Minuten Spielzeit. Er nahm also jemandem den Ball ab, und man konnte ihn förmlich denken sehen: »Ich bring das jetzt wieder in Ordnung, verdammt!« Er war zu allem imstande, wenn er verlor. Unerträglich war er dann.
Adrán Coria: Er musste jedem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Er stellte gern selbst die Mannschaften zusammen. Wenn er verlor, schmerzte ihn das fast körperlich. Aber jeder Spieler auf Top-Niveau zeigt diesen Siegeshunger und sehnt sich nach dem Ruhm.
Gerardo Grighini: Einmal verloren wir beim Arteaga-Turnier, so etwas Ähnliches wie eine Mini-Weltmeisterschaft für Elfjährige. Es war meine Schuld. Wir hatten alle anderen Teams 8:0, 9:1 und so weiter geschlagen. Beim Halbfinale spielten wir gegen eine Mannschaft, die von der Ardyti-Liga ausgewählt worden war, einer lokalen Liga in Rosario aus acht oder neun Teams. Das Spiel fing an, und der Torhüter schoss den Ball weit aufs gegnerische Tor zu. Damals spielte ich als Verteidiger im Mittelfeld. Aber er hatte ihn weiter geschossen, als ich dachte, und ich köpfte den Ball versehentlich direkt auf den Stürmer des gegnerischen Teams, der hinter mir lief. Der schoss dann ein Tor. Wir verloren im Halbfinale 1:0. Leo war außer sich vor Wut. Zwei oder drei Tage lang hat er nicht mit mir gesprochen. Das zeigt wohl ungefähr, wie ungern er verliert.
Quique Domínguez: In der ’87er-Mannschaft, die auch ’87A genannt wurde, hatte ich den Eindruck, dass Mazzia, ein anderer Stürmer, der manchmal mit Leo spielte, auch ein Individualist war. Ich kannte ihn damals nicht gut genug, um entscheiden zu können, ob er ein echter Konkurrent für Leo war. Auch er hatte eine herausragende Technik und eine gute Ballkontrolle. Ich musste aber für klare Prioritäten in der Mannschaft sorgen. Ich wollte, dass Leo das ganze A-Team schulterte und Mazzia dasselbe in einer anderen Kategorie leistete. Also versetzte ich Mazzia in die ’87B-Mannschaft, damit er sich entwickeln konnte. Wenn er reif für die A-Mannschaft wäre und sich etwa zeigen würde, dass er Leo überholen könnte, müssten die beiden ein Jahr später auf dem Spielfeld herausfinden, wer tatsächlich der Bessere war. In solchen Momenten ist Fußball hart und unerbittlich, die Kindheit ist vorüber. Und da ist auch kein Vater mehr, der die Jungen beschützen könnte. So ist das halt mit der natürlichen Auslese: Wer überlebt, darf aufsteigen. Leo stieg auf, Mazzia nicht.
Gerardo Grighini: Die Stürmer stritten am Ende eines Spiels immer mit Leo, weil der die meisten Tore schießen wollte, sie aber auch. Er liebte es, im Ballbesitz zu sein. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er immer mit zwei Bällen gespielt: mit einem für sich und einem für die restliche Mannschaft. Wir bekamen vom Trainer oft Anweisungen, die uns nicht passten, aber Leo schien alles tun zu dürfen, was er wollte. Da wurden wir eifersüchtig. »Warum darf er das und wir nicht?«, fragten wir. »Weil es am einfachsten ist, wenn er bekommt, was er will, also lasst ihn«, hörten wir dann.
Quique Domínguez: In Malvinas hieß es immer: »Hi Leo, wie geht’s?« Man umarmte und küsste sich oder schüttelte sich die Hand. So machten wir das mit allen Jungs. Nach Trainingsende wollte Leo nie nach Hause. Das machte mich natürlich sehr froh. Selbst wenn wir schrecklich von Mücken zerstochen wurden oder erst mitten in der Nacht fertig waren, wenn es kalt und feucht war: Leo wollte immer weiter Fußball spielen.
Claudio Vivas (Trainer bei NOB): Wenn wir ein Spiel in der Nachbarschaft hatten, dann kam er anschließend zum Trainingslager zurück. Hinter dem Spielfeld eins gibt es einen Quincho, einen kleinen Verschlag, der häufig für Grillpartys genutzt wurde. Daneben stehen ein paar Tische, an denen man essen und trinken und sich unterhalten kann. Dann hieß es oft: »Leo, hier kannst du nicht spielen, die Leute essen hier, du machst noch etwas kaputt«. Immer wieder wurde ihm das gesagt, aber es half nichts. Wenn das Spiel zu Ende war, dann reichte ihm das noch nicht. Manchmal bat er seinen Vater, mit ihm zu den zwei Plätzen zu gehen, die etwas weiter entfernt lagen, damit er mit seinen Freunden weiterspielen konnte.
Adrián Coria: Er kickte immer den Ball gegen eine Wand. Immer wieder ermahnten sie ihn: »Wir mögen diese Wand, wir streichen sie, wir wollen nicht, dass sie schmutzig wird, verstehst du das? Beruhige dich, du kannst ja gleich aufs Spielfeld.« Aber er machte weiter. Ein anderer Trainer sagte mal zu mir: »Man kann ihn einfach nicht abstellen. Er spielt den ganzen Tag, und abends will er immer noch weiterspielen. Auch ohne Licht, auch nachts, wenn alle schlafen.«
Ernesto Vecchio: Und wenn er krank war, war es genauso. Einmal war er auf dem Fußballplatz von Adiur. Obwohl er krank war, wollte er auf jeden Fall mitspielen. Ich hatte ihn auf die Reservebank gesetzt, es stand 1:0 für die anderen, und es blieben nur noch fünf Minuten Spielzeit. Also fragte ich ihn, ob er wirklich spielen wollte. Natürlich wollte er. Ich sagte: »Dann geh raus und gewinn das Spiel für uns.« Selbstverständlich haben wir gewonnen.
Claudio Vivas: Er liebt den Fußball als Spieler, aber auch als Zuschauer. Seine Familie wohnte in der Nähe des Córdoba-Stadions, und ich ging da oft hin, um meinem Schwager zuzusehen. Leo habe ich häufig dort angetroffen. Central Córdoba ist eine Bezirksmannschaft, zweite oder dritte Liga.
Quique Domínguez: Also, wir hatten schon Spieler hier bei uns in der Akademie, die waren phänomenal, und trotzdem sind sie am Ende in den unteren Ligen gelandet und haben es nicht bis an die Spitze geschafft. Leo war mit zwölf Jahren schon ein unglaublich exzellenter Spieler und kam bis nach ganz oben. Das schafft kaum einer. Ich hatte das Glück, drei ganz fantastische Spieler coachen zu dürfen: Maxi Rodríguez, »Billy« Rodas und Leo Messi. Billy hatte auch unglaubliches Potenzial.
Ernesto Vecchio: Leos Eltern waren immer bei ihm. Sein Vater stand immer hinter dem Tor. Er sagte nie etwas und unterhielt sich auch selten mit den anderen Vätern.
Quique Domínguez: Leo war sozusagen wie ein Sohn für alle Väter und wie ein Bruder für alle Spieler. Und nicht nur in meinem Team, sondern auch in allen vorherigen. Leos Mutter unterhielt sich gern mit anderen Müttern und Vätern, aber sein Vater Jorge stand immer abseits.
Ernesto Vecchio: Einmal fuhren wir zum Cantolao-Turnier in Peru. Im 1987er-Team hatten wir Leo und im 1986er-Team Gustavo »Billy« Rodas, der später dafür berühmt wurde, schon mit 16 Jahren in die erste Mannschaft von Newell’s zu wechseln. Aber er war ganz anders als Leo. Es tut mir leid zu sehen, wo Rodas gelandet ist; ich glaube, er spielt in Peru. Er hatte wirklich ganz außergewöhnliches Talent und hätte es bis ganz oben schaffen können.
Quique Domínguez: Mein Verdienst war es, und damit werde ich immer prahlen, echte Talente gefördert und weiterentwickelt zu haben. Leo ist, wie soll ich es sagen … wie ein Kunstwerk von berühmter Provenienz. Er kann nur Erfolg haben im Leben, Versagen ist unmöglich. Es gibt auch Fußballspieler, wie unser aller Idol Diego Maradona, die dem Alkohol, den Drogen oder einem aufgeblasenen Ego verfallen … So ist Leo aber nicht.
Dritte Szene
Auf einer Leinwand wird ein Film gezeigt:
www.youtube.com/watch?v=I2rpU8AIKN0
Leo ist jetzt zehn Jahre alt. Er trägt die Nummer 10 auf dem rot-schwarzen Trikot. Die Ziffer bedeckt fast seinen ganzen Rücken. Er bekommt einen Pass zugespielt und schießt ihn ins Tor. Er platziert ihn genau, obwohl es ein langer Pass ist. Dann wirft er den Ball ein, um ihn wieder von einem Mitspieler zugepasst zu bekommen. So wie er es schon unzählige Male getan hat und noch unzählige weitere Male tun wird. Vom Anstoß weg dribbelt er an einem Spieler vorbei, an einem zweiten, dann an einem dritten und schließlich hat er wieder die Chance, aufs Tor zu schießen. Eine scheinbar endlose Serie von Toren aus mehreren Spielen folgt. Einmal kann der gegnerische Torhüter den Ball halten, doch danach gibt es einen Freistoß und ein weiteres Tor. Leo wird von seinen Mitspielern stürmisch gefeiert. Beim Schlusspfiff kommen die Gegner auf ihn zu und bitten um ein Foto mit ihm. Am Ende zeigt er, mit welcher Leichtigkeit es ihm gelingt, den Ball immer und immer wieder mit Knie oder Fuß oben zu halten.
Quique Dominguez: Wir machten mit den Jungs immer Aufwärmübungen. Manchmal sollte sich Leo die Übungen ausdenken. Ich machte in der Zeit den Papierkram, und Leo musste sich um seine Mitspieler kümmern. Sobald Leo seine Beine in eine bestimmte Richtung bewegte, machten es ihm die anderen nach. Sie gingen in die Hocke, wenn Leo es tat. Das hatte ich ihnen nicht befohlen; es klappte deshalb so gut, weil sie ihn einfach kopieren wollten. Das Bild erinnerte mich immer an eine Entenmutter mit ihren Küken.
Gerardo Grighini: Wir hatten nicht nur einen Anführer. Wir waren 16 Spieler, und mehrere von uns trafen Entscheidungen. Allen voran Leo, das ist klar, aber ich hatte auch viel zu sagen, auch Leandro Benítez … und Leos Freund Lucas, aber der vielleicht nicht so sehr, der folgte eigentlich uns dreien. Es gab noch einen Spieler namens Juan, der auch gern das Sagen haben wollte, aber unter uns Jungs führte das schon mal zu Streit … Wir wollten einfach nicht, dass er etwas zu sagen hatte, also kam es auch nicht dazu. Leo hat uns seine Ideen nie aufgenötigt, er war einfach der beste Spieler, und daher wollten wir ihm folgen.
Adrián Coria: Er hörte den Anweisungen des Trainers immer aufmerksam zu und war sehr respektvoll. Leo befolgte alles, was man ihm sagte. Er gab nie damit an, der Beste zu sein. Seine Mannschaftskollegen mochten ihn. Aber die Übungen mochte er nicht. Er liebte nur das Fußballspielen. Und manchmal übte ich deshalb beim Training ein wenig Druck aus. Ich bin kein Menschenschinder, aber ich mag es, wenn die Jungs mit Ernst bei der Sache sind. Einmal spielten wir gerade Rondo, als er begann, selbst mit dem Ball herumzuspielen. Ein- oder zweimal habe ich ihn zur Ordnung gerufen, aber er ignorierte mich einfach. Dann sagte ich zu ihm: »Gib mir den Ball, zieh dich um und geh nach Hause.« Zehn Minuten später sah ich, wie er uns, gegen eine Wand gelehnt, beobachtete. Das hat mich traurig gemacht, wie er da so allein stand. »Du willst doch wohl nicht gehen, ohne mir Auf Wiedersehen zu sagen«, rief ich ihm zu. Er kam zu mir herüber, dann durfte er sich wieder umziehen und mittrainieren. Er war schüchtern, aber stur. Das war aber der einzige Zwischenfall dieser Art mit ihm.
Quique Domínguez: Kennen Sie die Spieler, die einen Doppelpass üben sollen, aber der Ball wird wie ein Stein gespielt und nicht wie ein Ball? Leo nahm jeden Ball an, den er bekam, egal wie hart. Viele andere Spieler hätten sich beklagt oder aufgehört.
Ernesto Vecchio: An einem sehr heißen Nachmittag gab es in Malvinas einen Zwischenfall mit dem gegnerischen Torhüter von Pablo VI. Leo hatte den Ball vom ihm angenommen, war aus unserer Spielfeldhälfte losgelaufen, hatte Spieler ausgedribbelt und war um den gegnerischen Torhüter herumgelaufen. Der stürzte bei dem Versuch ihn aufzuhalten und verstauchte sich den Knöchel. Er schrie vor Schmerz auf, was Leo hörte. Anstatt nun den Ball ins leere Tor zu schießen, hielt Leo inne, lief zurück, half dem Torwart und bedeutete dem Schiedsrichter, dass er behandelt werden musste. Das hab ich mir bis heute gemerkt.
Quique Domínguez: Darüber hinaus war er sehr taktvoll. Er schrie nicht herum und war nie besonders überschwänglich, auch dann nicht, wenn er anderen einen Streich spielen wollte. Einmal gab Newell’s den Trainern ein rot-weiß gestreiftes Vereinstrikot fürs Training. Leo fragte mich, ob ich als Weihnachtsmann arbeiten wolle, denn ich sähe so aus. Mein Bauchumfang hatte ihn wohl dazu animiert. Der kleine Frechdachs!
Diego Rovira: Um diese Zeit begannen wir, nach dem Training zu mir nach Hause zu gehen und dort eine Kleinigkeit zu essen. Scaglia, Benítez, Leo und ich. Wir spielten außerdem ein bisschen Nintendo und hatten viel Spaß dabei. Während meine Mutter uns etwas zu essen machte, zogen wir uns um. Wir öffneten meine Schubladen und streiften uns verschiedene Trikots von Fußballmannschaften aus ganz Europa über, die ich besaß. Mein Vater ist Arzt. Er musste oft zu Kongressen und brachte mir immer ein Trikot mit, zum Beispiel von Barcelona, Manchester United oder Real Madrid. Ich habe sie nie getragen, sondern nur als Souvenirs verwahrt. Ich hatte zwei Schubladen voller Trikots. Vorm Computerspielen suchten wir uns oft jeder eins aus. Grighini zum Beispiel wählte das Real-Madrid-Trikot. Leo Barcelona. Er mochte besonders das halb rote und halb blaue, das sie zu ihrem 100-jährigen Bestehen hatten anfertigen lassen. Es trug Rivaldos Namen und Nummer auf dem Rücken. Wenn Leo zu mir kam, lief er immer zuerst in mein Zimmer und suchte das Barcelona-Trikot. Es war ihm viel zu groß und sah wie ein Nachthemd aus, echt lustig. Er wollte es immer behalten und machte Scherze darüber, ob er es mitnehmen dürfte. Das war mein einziges Barcelona-Trikot. Als ob ich es ihm einfach gegeben hätte …
Gerardo Grighini: Er hat immer gesagt, dass er ein Newell’s-Fan sei, aber als Kind war Leo River-Fan. Ich auch, Lucas war Newell’s-Fan und Leandro Fan von Boca. Leo war auch ein leidenschaftlicher Anhänger von Pablo Aimar, der zu der Zeit bei River spielte, und wir gingen zusammen zu seinen Spielen. So wurden wir auch River-Fans. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Wenn wir Spiele am Wochenende hatten, dann übernachteten wir in der sogenannten Pension.
Nestor Rozín: Um die Leistungen der Spieler zu verbessern, hatten wir eine Pension, wohin die Auswärtsspieler kommen konnten, um vernünftig zu essen und zu schlafen.
Gerardo Grighini: Leo, der kleine Affe, wollte immer auf dem obersten Bett der Stockbetten schlafen, es waren drei Betten übereinander. Wir hatten echt Spaß und amüsierten uns prächtig. Damals kostete eine Flasche Coca-Cola 1,25 Pesos. Das war im Jahr der Arteaga-Mini-Weltmeisterschaft 2000. Zu der Zeit wohnten wir seit 20 Tagen zusammen in unserer Pension. In der Nacht zuvor hatte es heftig geregnet. Wir wollten alle gern Coca-Cola trinken, aber keiner von uns hatte Geld. Damals tauchten die Gestalten auf, die an den Ampeln während der Rotphase die Autofenster putzten. So wollten wir auch ein wenig Geld dazuverdienen. Leo hatte außerdem die Idee, sich mit Matsch einzudrecken und vor dem Supermarkt ein wenig Geld zu erbetteln. Das hat wirklich funktioniert! An dem Tag konnten wir uns 56 Flaschen Cola kaufen! Wenn ich mal Kinder habe, dann erzähle ich ihnen, dass ich mit dem besten Fußballspieler der Welt befreundet war, mit ihm zusammen in einer Mannschaft gespielt und jede Menge lustigen Quatsch angestellt habe.
Quique Domínguez: Ich habe meinem Sohn Sebastián einmal gesagt, dass ich ihm meinen Ford Sierra schenken würde, wenn er sein Debüt als Profifußballer schaffte, selbst wenn es bei Boca wäre (ich bin River-Fan). An dem Tag, als es wirklich so weit war, war ich sehr gerührt, deshalb kam ich auch zu spät zum Training. Nach dem Training suchte ich meine Autoschlüssel, die ich ja meinem Sohn versprochen hatte. Besorgt lief ich in die Umkleide zurück. Dort saßen die Jungs mit Leo in der Mitte, der vorgab, Auto zu fahren und dabei die passenden Geräusche von sich gab. Die Schlüssel für den Sierra hielt er in der Hand. »Suchst du die hier, Weihnachtsmann?«, fragte er mich.
Gerardo Grighini: Damals waren wir noch zu jung, um in die Disco zu gehen. Wir trafen uns also bei einem Freund und luden die Mädchen aus unserer Klasse ein. Zu meinem Geburtstag zum Beispiel lud ich meine Mannschaftskameraden und meine Schulfreunde ein, und dann versuchten wir, uns mit den Mädchen in Paare aufzuteilen. Die drei Cousinen von Lucas waren immer dabei. Leos Frau Antonella, Carla, die Jüngste, und Paula, die Älteste. Leo war mit zehn oder elf Jahren schon in Antonella verliebt. Schon immer nur in sie. Zu der Zeit beruhte das aber noch nicht auf Gegenseitigkeit. Ich schätze, sie haben sich erst später besser kennengelernt, als Lucas seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte. Auf den Partys war Leo immer still und schüchtern. Wir feuerten ihn an: »Los, Leo, geh ran, warum hast du nicht ein bisschen Spaß mit den Mädchen wie wir? Auf dem Platz bist du aber mutiger, Alter!« Er blieb nur stumm sitzen. Richtigen Unsinn haben wir aber nie gemacht, wir waren brave Jungs. Außer uns Geld zu erbetteln, haben wir nie etwas angestellt. Meist saßen wir bei jemandem zu Hause vor der Playstation. Oder wir waren bei Lucas, der einen kleinen Fußballplatz zu Hause hatte. Dann spielten wir bei ihm.
Gerardo Grighini: Mir war klar, dass Leandro Benítez, Lucas und Leo alle das Zeug hatten, in der ersten Liga zu spielen. Dass Leo einmal der beste Spieler der Welt werden würde, habe ich aber doch nicht geahnt. Wir fragten uns gegenseitig nach unseren Lebensträumen, und Leos Antwort war stets: »In der ersten Liga spielen.« Er wollte für Newell’s spielen. Später ergab es sich, dass er nach Barcelona ging. Aber ich glaube, er bleibt höchstens noch fünf Jahre da und kommt dann zurück zu Newell’s, vielleicht wenn er 30 ist. Nachdem er einmal bei der Weltmeisterschaft gewonnen hat. Wir gewinnen ja hoffentlich die nächste WM! Dann wird er das Gefühl haben, dass er es wirklich geschafft hat, und nach Hause kommen. Das glaube ich jedenfalls.
Ernesto Vecchio: Ich habe ihm immer eine glorreiche Zukunft prophezeit, und da lag ich wohl nicht verkehrt. Ich hätte es toll gefunden, wenn Rodas es auch geschafft hätte oder Depetris, Jungs mit einer super Technik. Aber nun gut …
Adrián Coria: Ich sollte die Jungen eine Zeit lang auf dem großen Spielfeld beobachten. Leo hatte Wachstumsprobleme. Niemand konnte das Geld für die teure Behandlung aufbringen. Ich sagte immer zu Pepeto [Roberto Pupo, dem Sportdirektor der Junioren von Newell’s]: »Du hast doch so gute Kontakte, warum kannst du ihm nicht helfen? Wenn Leo einmal besser als Diego Maradona ist, dann wird er sich revanchieren.« Ich glaube, die Kosten für die Spritzen betrugen fast tausend Pesos monatlich. Ich habe Zeugen, die bestätigen können, wie ich mich für ihn eingesetzt habe. Ich glaubte daran, dass er so groß wie Maradona werden konnte. Ich habe das auch Tata Martino und anderen Freunden aus dem Fußball-Business gesagt. Leo würde es schaffen, das war klar.