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Einleitung Wo ist Leo?

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Wirklich alle stellten sich diese Frage in Leos Klassenzimmer an der Escuela Juan Mantovani in Las Heras im Süden von Rosario, ganz in der Nähe von Messis Zuhause. Der 13-jährige Leo war schon länger als eine Woche nicht zur Schule gekommen. So lange hatte er noch nie gefehlt. Sein Platz blieb leer, und in den Pausen klappte beim Fußballspielen gar nichts mehr. Die Escuela Juan Mantovani hatte keinen richtigen Fußballplatz, und auf ihrem viel zu kleinen Schulhof kickten immer zu viele Schüler. Da nun Leo nicht mehr da war, machte es erst recht keinen Spaß. Was war bloß passiert? Das wusste wohl allein der Schuldirektor.

Es war September, und bis zum Ende des argentinischen Schuljahres waren nur noch drei Monate Zeit. Man schrieb viele Klassenarbeiten, und Leo konnte nun nicht mitschreiben. Ein Mitschüler fragte stellvertretend, ob er sie vielleicht an einem anderen Tag nachschreiben dürfe.

»Nein, das geht leider nicht.«

»War Leo denn heute da?«

Seine Mannschaftskameraden von den Newell’s Old Boys (NOB), bei denen er im Verein von Rosario Fußball spielte, stellten sich diese Frage auch. Mittlerweile hatte er sogar schon einige Trainingseinheiten im Trainingslager Malvinas verpasst, und am Wochenende war er auch nicht zum Spiel erschienen. »Hepatitis«, mutmaßte ein Vereinskamerad. »Er hat bestimmt Hepatitis.« Das war es also. Niemand wusste recht, was das genau war, aber es klang fürchterlich. Wenn man sich das eingefangen hatte, dann konnte man auch nicht Fußball spielen.

Leo war der Maestro. In der Schule nannte man ihn manchmal auch El Piqui, den Kleinen. Für seine Mitschüler war er jedoch der »Maestro«. Andere wiederum hießen »Clark Kent«, »Galicier«, »Windhund« oder »Koreaner«. Bei Fußballern verzichtet man in Argentinien gerne auf Vor- und Zunamen. So sieht dann auch die offizielle Turnierliste aus: Rufname, Geburtsdatum, Größe und Spitzname: »die Maus«, »der Schwarze«, »der Kurze« …

Wo aber steckte Leo nun?

Adrián Coria, Leos erster A-Jugend-Trainer, wusste es leider auch nicht. Es war schon merkwürdig, dass er nicht zur Schule kam und niemandem etwas gesagt hatte. Das Problem war, dass man ohne ihn nicht gewinnen konnte. Ein Freund rief bei seinem früheren Trainer Quique Dominguez an. »Nein, keine Ahnung, wo er ist.« Aber Dominguez vermutete, dass irgendetwas geschehen sein müsse, denn Leo war ein sehr verlässlicher Junge. Als er vor einem Jahr bei River Plate zum Testspiel gewesen war, hatte er nichts von irgendwelchen Plänen erzählt. Hatte River ihn womöglich doch noch abgeworben?

Tatsächlich war es so, dass die Familie Messi einen Anruf bekommen hatte. »Kommen Sie sofort nach Barcelona, und bringen Sie den Jungen mit.« Auf genau diesen Anruf hatte die Familie schon lange gewartet. Jetzt war es endlich passiert. Alles ging blitzschnell. Sie musste nach Europa reisen.

Sie erzählten niemandem etwas davon, keinem Trainer und keinem Spieler im Verein – niemand wusste, was wirklich los war. Weder Leo noch sein Vater Jorge, immer um die sportliche Laufbahn seines Sohnes besorgt, wollten mit irgendwem darüber reden. Ihnen fiel das auch nicht schwer, denn beide sind sehr zurückhaltend. Vom selben Schlag eben.

Als hätte sie es geahnt, widmete La Capital, die Lokalzeitung von Rosario, Leo noch vor seiner Abreise eine ganze Seite. Die Aufmacherseite! Das war am 3. September 2000. »Ein besonderer kleiner Leproso«, lautete die Schlagzeile. Die Bezeichnung Leproso geht zurück auf ein NOB-Wohltätigkeitsspiel für eine Lepraklinik in den 1920er-Jah-ren, seit dem der ganze Verein Los Leprosos heißt. Rechts auf der Seite war ein Foto von Leo im NOB-Trikot. Er werde immer ein Leproso bleiben, ein leidenschaftlicher Anhänger von Newell’s, dem Verein, der ihm alles bedeute und mit dem er gerade für seine Altersgruppe den Titel geholt habe. Das mache ihn sehr stolz. Und mit leiser Stimme – es war schon schwierig genug, ihn für den Fotografen zum Lächeln zu bringen – vertraute Leo hier dem Journalisten, der ihn interviewte, seine Träume an. Er wolle Sportlehrer werden. Und natürlich in der ersten Liga spielen.

Und in die Jugendmannschaft des argentinischen Nationalteams. Der Traum, in der Nationalmannschaft zu spielen, war natürlich noch weit entfernt, aber ja, das wolle er unbedingt. Er esse gern Hühnchen. Sein Lieblingsbuch? Ähm … die Bibel. Das fiel ihm als Erstes ein. Er lese nicht gern. Wenn er nicht Fußball spielen würde, welchen Sport würde er dann bevorzugt ausüben? Er zögert mit der Antwort. Er weiß es nicht, Handball. Aber eigentlich könne er sich gut vorstellen, Sportlehrer zu werden. Nur der Sportunterricht mache ihm wirklich Spaß.

Der Artikel erschien in der Zeitungsbeilage und war den Rojinegros gewidmet, denen mit den rotschwarzen Farben auf den NOB-Trikots. Der Artikel begann mit den Worten: »Lionel Messi ist ein Spieler der zehnten Liga, und er ist der Enganche [der Spielmacher] des Teams. Er ist nicht nur einer der erfolgreichsten Spieler der Leprosa-Akademie, sondern hat auch eine glänzende Zukunft vor sich. Trotz seiner Größe schafft er es, einen, zwei oder mehr Spieler zu umdribbeln und jede Menge Tore zu erzielen. Vor allem aber hat er einfach Spaß mit dem Ball.« Gambetear, dribbeln, Enganche – diese Ausdrücke waren typisch argentinisch. Eine Schwarz-Weiß-Kopie dieses Artikels sollte es über den Atlantik schaffen.

Jorge, Leo und ein Freund, der sie zum Flughafen Ezeiza begleitet hatte, sprachen auf der Fahrt von Rosario nach Buenos Aires über den Artikel. Die dreieinhalb Stunden kamen ihnen auf der schnurgeraden Straße unendlich lang vor. Leo saß auf dem Rücksitz und schaute aus dem Fenster auf die öde Gegend.

Es war Sonntag, der 17. September 2000.

Von Ezeiza aus flogen sie nach Barcelona. Nur ihre Familie und der Schuldirektor waren eingeweiht.

Eine 24-Stunden-Reise lag vor ihnen.

»[Meine erste Reise] war spannend, weil es für mich eine neue Erfahrung war. Ich war noch nie geflogen, hatte noch nie eine Fernreise gemacht. Ich fand alles toll, bis das Flugzeug ein wenig wackelte …« (Leo Messi in Revista Barça).

Der Flug war tatsächlich sehr turbulent. Als die erste Mahlzeit serviert wurde, aß Leo nichts. Stattdessen legte er sich über drei Sitze ausgestreckt hin und schlief. Ihm war übel, er schlief unruhig und fühlte sich krank.

Jahre später befiel ihn noch oft die gleiche Übelkeit, bevor er aufs Spielfeld lief, und es fragt sich, ob die Übelkeit damals wirklich nur auf die Turbulenzen zurückzuführen gewesen war.

Am Montagmittag kamen Leo und sein Vater in Barcelona an. Es war der 18. September, sieben Monate nachdem die Familie das Video, das Messis Können zeigte, aufgenommen hatte. Darauf spielte Leo wie ein zweiter Maradona. Er würde es schaffen, Profi zu werden, denn er war ein Naturtalent – davon war seine Familie überzeugt.

Jemand brachte Messi ein Kilo Orangen und ein paar Tennisbälle. Er sollte eine Woche damit trainieren. Sieben Tage später konnte man ihn auf einem Video bewundern, auf dem er 113-mal eine Orange mit Knien und Füßen in der Luft hielt. Mit dem Tennisball war es noch leichter: Er schaffte 140 Jueguitos, wie sie in Argentinien sagen. 140-mal hielt er den Ball hoch, ohne dass er zu Boden fiel.

Auch ein Tischtennisball war in Reichweite. »Gebt ihn Leo.« Er schaffte es 29-mal hintereinander. Gewöhnlichen Menschen gelingt das kaum dreimal. Aber Leo war es gewohnt, den ganzen Tag mit dem Ball zu verbringen: zwischen den Fußballspielen, während der Fußballspiele, zu Hause, auf dem Schulhof. An jedem Tag, den Gott erschuf.

Acht Jahre später brachte die Kreditkartenfirma MasterCard einen Werbespot mit diesen Bildern heraus, den man sich noch immer auf YouTube ansehen kann.

Und seit dem Februar, als dieses Video aufgezeichnet wurde, fragte sich die Familie Messi: »Wann gehen wir endlich? Wohin gehen wir? Gehen wir wirklich?« Täglich wurden diese Fragen diskutiert; man schwankte zwischen Vorfreude und Unsicherheit.

Das Video landete zusammen mit einigen weiteren, die Leos beste Spielzüge und Slaloms zeigten, auf dem Schreibtisch von Josep María Minguella, einem bekannten Fußballagenten mit viel Einfluss in Barcelona. Am Anfang war er sich noch nicht ganz sicher; Leos zartes Alter und sein weit entfernter Wohnort ließen ihn zögern. Aber nach Monaten der Unentschlossenheit entschied er sich für Leo. Teils hatten ihn dessen spieltechnische Fähigkeiten überzeugt, teils die Argumente von Kollegen, die auf die große Zukunft des Jungen setzten. Minguella setzte sich bei Barcelona endlich für Leo ein und erwirkte ein Probetraining.

Von seinem Büro aus rief Minguella in Argentinien an und beorderte die Messis so schnell wie möglich nach Barcelona. »Bringt den Jungen hierher.«

Und Leo überquerte zum ersten Mal den Atlantik.

Aus dem Flugzeug stieg ein 13-jähriger argentinischer Junge mit viel Talent und einem Traum. Er wollte erfolgreich sein und sich mit neuen Freunden gegen neue Rivalen durchsetzen. Er wollte in einem großen Verein spielen, weit weg von zu Hause.

Wer die schmächtige Gestalt dort zum ersten Mal sah, glaubte, der FC Barcelona mache einen großen Fehler. Dieser ganze Aufwand – für so einen kleinen Jungen? Konnte jemand, der so zierlich war, denn jemals ein guter Fußballspieler werden?

»Seit Ronaldos Zeit war ich Fan von Barcelona. Schon bald darauf hatte ich Gelegenheit, hierherzukommen. Ich war damals sehr aufgeregt und brannte darauf, zu sehen, wie es beim Verein wirklich zuging, denn ich kannte ihn ja nur aus der Entfernung. Als ich hier ankam, hatte ich keine Ahnung, wie schwierig es werden würde.« (Leo in Revista Barça)

Newell’s Old Boys lehnten es damals ab, der Familie Messi zu helfen und die teuren Hormonspritzen zu bezahlen, die Leo dringend brauchte, um zu wachsen. Hätten sie bezahlt, dann hätte Leo Argentinien nie verlassen.

Vor ihm war noch niemand in so zartem Alter nach Europa gekommen, um sein Glück im Fußball zu versuchen. 13-Jährige verlassen Argentinien nicht einfach, und europäische Vereine verpflichten gewöhnlich auch keine derart jungen Spieler. In Las Heras hatte man noch immer keinen blassen Schimmer: »Es wird wohl Hepatitis sein.«

Die Messis hatten Minguella gesagt, dass sie umziehen würden, wenn der Verein Leos teure Wachstumshormone bezahlen würde und sein Vater Jorge Arbeit in Barcelona fände. Leo hatte sich auch bei Real Madrid und Atlético de Madrid beworben, aber bisher hatte sich nichts Konkretes ergeben. »Auf jeden Fall ist Barça besser als all die anderen Vereine. Wenn sie interessiert sind, dann kommen wir«, so sagte sich die Familie.

Josep María Minguella: Die meisten von uns hatten keinerlei Erfahrung mit so jungen Spielern. Mit Pep Guardiola hatte ich erst Kontakt aufgenommen, als er 20 war. Ich wurde sein erster Agent. Alles, was man heute standardmäßig für Spieler mit zwölf, 13 oder 14 Jahren tut, war damals noch völlig ungewöhnlich. Als unsere Kontaktleute in Argentinien über einen außergewöhnlichen 13-jährigen Spieler sprachen, war meine erste Reaktion: »Was sollen wir denn mit einem kleinen Jungen anfangen?« Ich hatte anfangs große Zweifel. Dann sah ich das Video. Darin sah man, wie er den Ball quasi vom eigenen Torraum aus annimmt, etwa tausend Spieler umdribbelt und ein Tor schießt. Ja, der war wirklich anders als die anderen. Einige Monate später sprach ich mit dem Präsidenten Joan Gaspart und Anton Parera [Sportdirektor], außerdem mit Charly Rexach [Trainer und Berater des Präsidenten des FC Barcelona].

Charly Rexach: Minguella und ich spielten zusammen Tennis, als er mir von einem Jungen erzählte, der ein Phänomen sei, ein wenig so wie Maradona. Aber solche Vergleiche hatte ich schon oft gehört. Später erzählte er mir noch, dass er in Argentinien lebe. Ich dachte, es ginge um einen Jungen von 18 oder 19 Jahren. Dann erwähnte Minguella, er sei 13 Jahre alt. Ich antwortete darauf: »Bist du verrückt? Du glaubst doch nicht, dass ich mich mit einem 13-Jährigen abgebe? Auf keinen Fall!«

Joaquim Rifé: Ich war Leiter der Fußballakademie in Barcelona. Schließlich wurde mir der Junge vorgeschlagen. Von Charly Rexach, dem Trainer von Barcelona. Er war ein guter Freund von Josep María Minguella, der den Jungen beim FC Barcelona vorgestellt hatte. Also hörte er ihm zu.

Charly Rexach: Das Ganze war ein Prozess. Wenn jemand mir sagt, es gebe einen Jungen in Zaragoza, der ein Phänomen sei, dann frage ich, wer er ist, wo er spielt und wo man hingehen und sich ihn ansehen kann. Dann schicke ich zwei Leute hin, und wenn einer Ja und einer Nein sagt, überzeuge ich mich selbst. Später muss man ihm dann einen Platz in der Mannschaft verschaffen und noch viele andere Dinge mehr. Oder wenn ein Ex-Barcelona-Spieler wie zum Beispiel Rivaldo zu mir sagt: »Hör mal, in Brasilien gibt es einen zwölfoder 13-jährigen Jungen, der ein ganz fantastischer Fußballspieler ist.« Dann hat er sofort meine Aufmerksamkeit. Sobald ein Rivaldo so etwas behauptet, zählt das. Aber auch wenn Rivaldo sagen würde: »Fahr hin und schau ihn dir an«, dann würde ich stattdessen vorschlagen: Wenn er noch so jung ist und so weit weg wohnt, dann soll er hierher kommen. Wir schauen ihn uns zwei Wochen lang an, damit die Trainer der Akademie ihn genau beobachten können. Und wenn er am Anfang noch nervös ist, kann er das nach ein paar Tagen überwinden. Stell dir vor, wir fliegen nach Argentinien, und dann ist der Junge krank und kann nicht spielen! Er müsste schon sehr gut sein, damit wir unsere eigenen Regeln brechen.

Josep María Minguella: Seine Eltern wollten Argentinien sowieso verlassen, auf jeden Fall. Wenn sie nicht in Barcelona hätten bleiben können, dann hätten sie es bei anderen Vereinen versucht. Ich erzählte Charly, dass er eine Behandlung brauchte, für die der Verein in seinem Land nicht aufkommen wollte, und dass Barcelona sich dazu verpflichten müsste.

Charly Rexach: Minguella, dem ich sehr vertraue, sagte also zu mir: Dieser Junge ist phänomenal. Wollen wir ihn uns ansehen?

Seit Minguella das Video mit Leos Dribbelfähigkeiten und seiner Balltechnik bekommen hatte, waren Monate vergangen. Die Familie hatte in der Zwischenzeit nur Unentschlossenes zu hören bekommen: Er wohnt zu weit weg … ist zu jung … wir wissen nicht recht … Was würde aus Leo werden? Was sollte die Familie machen?

Charly Rexach: Also, ich sagte Minguella, dass ich nicht bereit sei, so weit zu reisen, um mir einen 13-Jährigen anzusehen. Ja, wenn er 18 oder 20 wäre … Aber ich bat ihn, vor Ostern oder Weihnachten – oder wann das auch immer war – einen Termin mit dem Jungen zu machen und ihn von seinen Eltern für zwei Wochen herbringen zu lassen.

Rifé: Ich sagte Rexach, dass ich ein Spiel vorbereitet hatte, damit er sich den Jungen ansehen könne.

Gaspart, Parera, Rifé, Minguella, Rexach – alle Schwergewichte des spanischen Fußballs beschäftigten sich mit dem 13-Jährigen aus Argentinien. Und ihr Engagement bemerkten auch die Trainer der Akademie, die sich in den nächsten zwei wichtigen Wochen um Leo kümmern sollten.

Rodolfo Borrell: Eines Tages gab mir jemand im Büro die SchwarzWeiß-Kopie eines Zeitungsartikels über Messi, mit den Worten, dieser Junge käme zur Probe zu uns. Ich habe neulich noch nach dieser Kopie gesucht. Sie ist bestimmt bei meinen Eltern zu Hause. Ich erinnere mich deshalb daran, weil ich in dem Zusammenhang zum ersten Mal das Wort gambetear für dribbeln hörte und auch das Wort enganche für die direkte Verfolgung eines Angreifers, beides typisch argentinische Begriffe. Man sagte mir, der Junge käme in meine Gruppe, da er 1987 geboren sei. Ich sage immer, dass ich nur deshalb Messis erster Trainer wurde, weil ich nun mal für die Spieler unter 14 Jahren verantwortlich war. Ich bin sicher, tausend andere behaupten auch, sie seien Messis erster Trainer gewesen, oder?

Am Flughafen Prat in Barcelona wartete Juan Mateo aus Minguellas Büro auf die Familie Messi. Er fuhr mit ihnen in den Norden der Stadt. Im Aufzug trafen die Messis auf Txiki Beguiristain, den zukünftigen sportlichen Leiter von Barcelona. »Wir sind aus Argentinien«, traute sich schließlich einer zu sagen. Und dann strich Txiki Leo durchs Haar und meinte: »Der Junge muss gut sein, so klein er auch ist.«

Nach dem ersten Gespräch mit dem katalanischen Agenten gingen Jorge und Leo ins Hotel Plaza. Nicht etwa der FC Barcelona hatte die Ausgaben dafür übernommen. Minguella, der den Besitzer des Hotels an der Plaza España kannte, hatte arrangiert, dass die Messis in Zimmer 546 kostenlos wohnen konnten. Von ihrem Hotelzimmer aus konnten sie die Hallen des Messegeländes sehen und in der Ferne den Palau Nacional sowie die Font Magica des Montjuïc, die nachts bunt angestrahlt war. Näher am Hotel lagen die Türme, die rechts und links der Avenida Reina Maria Cristina für die Weltausstellung 1929 erbaut worden waren. Und direkt vor dem Hotel sahen sie auf den Brunnen der Plaza España.

Leo Messi ließ seinen Koffer im Hotelzimmer stehen. Er fühlte sich etwas besser, war aber immer noch von dem turbulenten Flug geschwächt. Doch Rifé hatte ihn bereits wissen lassen, dass er ihn spielen sehen wollte. Heute. Um sechs Uhr. Er musste also hin.

Rodolfo Borrell würde beim FC Barcelona sein erster Trainer sein.

Rodo, heute Direktor der Fußballakademie des FC Liverpool, war in den Jahren 2000 und 2001 für die Infantiles, die A-Jugend des FC Barcelona, zuständig, die noch in die Geschichte eingehen sollte: mit Cesc Fàbregas, Gerard Piqué, Marc Pedraza, Marc Valiente, Víctor Váz-quez, Toni Calvo, Sito Riera, Rafael Blázquez … Das war eine der besten Jugendmannschaften, die der FC Barcelona je hatte. Jetzt kam noch ein Spieler hinzu, dem ein Ruf wie Donnerhall vorauseilte.

An diesem Montagnachmittag standen die Verantwortlichen der Akademie (Quimet Rifé, Quique Costas, Juan Manuel Asensi, die Trainer Rodolfo Borrell, Xavi Llorens und Albert Benaiges) am Rande der Spielfelder zwei und drei des Ministadions. Eins hatte echten Rasen, das andere Kunstrasen. Von dort aus verfolgten sie die Fortschritte aller Spieler, beobachteten aber besonders den neuen Jungen.

Charly Rexach war damals nicht anwesend, da er nach Australien zu den Olympischen Spielen in Sydney gereist war, wo es vor bekannten jungen Spielern nur so wimmelte (unter anderem Tamudo, Xavi, Puyol, Zamorano, Suazo, Mboma, Lauren und Eto’o). Die Ankunft eines Jungen aus Argentinien erforderte seine Anwesenheit nicht: Seine Hauptaufgabe war es schließlich, die Auswahl für die erste Mannschaft zu treffen und nicht für die Akademie. Wenn man sich darauf einigte, dass der von Minguella vorgeschlagene Junge gut war, dann würde man ihn verpflichten. Wenn nicht, dann eben nicht.

Messi war ganz ruhig, als er zu seinem ersten Training ging. Noch immer war ihm ein wenig übel, aber jetzt war er genau da, wo er hin wollte und wovon er geträumt hatte. Ihm blieb wenig Zeit, um zu beweisen, wie er mit dem Ball zaubern konnte, bis er wieder zur Schule musste. Aber das war ein Kinderspiel für ihn.

Als er auf dem Platz des Ministadions – der Miniaturausgabe des großen Camp-Nou-Stadions – ankam, zögerte »der Floh« ein wenig, bevor er sich umziehen ging. Es war ihm peinlich, allein hineinzugehen. Seine Schüchternheit, nein: Reserviertheit, ist wirklich extrem. Er zog sich allein in einer Ecke um, abseits von den anderen. Dann stand er auf. Gespannt.

»Er ist so klein«, hörte er von allen Seiten. Rodo war auch in der Mannschaftskabine. »Setz dich, junger Mann«, sagte er zu Leo. Der hatte noch nicht mal Hallo gesagt, als er hereingekommen war. Zumindest hatte das Geräusch, das er von sich gegeben hatte, nicht nach einem freundlichen Gruß geklungen.

Für Cesc und Piqué, die sich auch gerade umzogen, war Leo nur ein weiterer Junge, der zum Probetraining beim FC Barcelona antrat. Diesmal war es eben einer aus Argentinien. Ausländer kamen eher selten, aber manchmal kam auch das vor. Jeden Monat tauchten wieder ein paar neue Jungs auf. Rodo flüsterte den anderen zu: »Geht vorsichtig mit ihm um. Er ist sehr klein, tut ihm nicht weh.«

Piqué: Am Anfang blieb Leo sehr isoliert für sich. Wenn eine Gruppe zusammenstand oder lachte, dann saß er auf einer Bank, weit weg und sehr zurückhaltend. Still und introvertiert.

Cesc: Es kamen immer so viele neue Spieler, dass wir ihm keine besondere Aufmerksamkeit schenkten, aber an seinen ersten Tag erinnere ich mich noch sehr gut.

Piqué: Er war sehr klein und sagte kaum etwas, und keiner konnte sich vorstellen, wie er spielen würde.

Leo Messi maß kaum 1,40 Meter.

Cesc: Seine Haare waren etwas länger, und er sprach leise mit argentinischem Akzent. Man konnte ihn fast nicht verstehen. Eigentlich sagt er auch fast nichts. Wir dachten, der Typ ist reine Zeitverschwendung.

Einer von Borrells Assistenten zeigte sich besorgt. Er sah, wie Leo sich bandagierte und fragte, ob er verletzt sei. Doch das ist in Argentinien so üblich, um Verstauchungen zu verhindern. Leo antwortete jedenfalls nicht.

Die anderen Jungs machten sich über ihn lustig. »Der ist ja ein Zwerg.« Messi lief neben Piqué auf das Spielfeld. Der wirkte riesengroß neben ihm. Leo reichte ihm vielleicht gerade bis zur Schulter. Jorge saß auf der Tribüne und hörte es aus allen Richtungen: »Er ist so klein, er ist zu klein.«

Dann fingen die Jungs an, sich mit dem Ball aufzuwärmen. Es ging darum, die Kontrolle über den Ball zu behalten und ihn immer in der Luft zu halten. Einmal, zweimal, dreimal, zehnmal, elfmal, zwölfmal. »Er verliert den Ball gar nicht«, bemerkte einer der Zuschauer. 20-mal, 21-mal …

Cesc: Als er mit dem Ball anfing, merkten wir, dass er anders war als die Jungs, die sonst zum Probetraining kamen.

Schließlich ließ Rodolfo Borrell sie Mann gegen Mann spielen und aufs Tor schießen. Und sobald Leo den Ball hatte, sah es schlecht aus für die anderen.

Cesc: Er ließ mich wie ein kompletter Idiot aussehen, als er den Ball reinknallte. Als junger Spieler hatte ich in defensiven Mann-gegenMann-Situationen immer besonderes Talent bewiesen. Jetzt schien es, als hätte ich alles verlernt. Normalerweise konnte ich jedem den Ball abnehmen – mit Leichtigkeit. Aber jetzt stand ich dumm da. Okay, am Anfang erwartet man so was nicht und passt vielleicht nicht gut genug auf. Aber er schaffte es immer wieder aufs Neue.

Messis Können war überwältigend. Sein Dribbeln, seine Ballkunst, seine Ausdauer. Den anderen machte es Spaß, dem Spiel des Neuen zuzuschauen. Er hatte jetzt ihren Respekt. Von diesem Moment an wurde ihm die Bezeichnung »Zwerg« nur noch mit Bewunderung und Zuneigung zuteil.

Von der Tribüne konnte man hören: »Mensch, schau dir den an. Der ist etwas Besonderes.«

Leo fuhr immer mit der U-Bahn direkt von der Plaza España aus zum Ministadion. Vier Stationen mit der grünen Linie nach Las Corts. Da nicht jeden Tag Training war, spazierte er manchmal auch mit seinem Vater am Hafen entlang oder ging in eines der Museen – aber die machten nicht besonders viel Eindruck auf den Jungen. Der Touristenbus fuhr sie auch zur La Sagrada Familia, zum Hafen oder zum Zoo. Er schaute sich auch die Altstadt an. Am Dienstag war frei. Am Montag, Mittwoch und Donnerstag spielte er mit der Mannschaft und nahm an den Übungen teil. Am Freitag konzentrierten sie sich mehr auf die Taktik, und dabei zeigte er sich weniger aktiv. Am Wochenende hatte er auch frei, denn er war natürlich nicht bei den offiziellen Spielen dabei.

Es war immer noch sonnig im September, aber weniger heiß als im August und angenehm für Spaziergänge. Vater und Sohn unternahmen Ausflüge nach Sitges, verbrachten die Vormittage am Strand und sahen sich zum ersten Mal ein Fußballspiel im Camp Nou an. Am ersten Samstag seines Aufenthalts in Spanien sah Leo den FC Barcelona spielen. Der Gegner war Racing Santander. Patrick Kluivert schoss ein Doppelpack, Marc Overmars machte das dritte Tor. Barcelona gewann 3:1. Leo machte von der Tribüne aus Fotos. Das Stadion war riesig, und doch blieb die Menge fast ehrfürchtig ruhig.

Am 26. September wollten die Messis sich auch die Gruppenphase des Champions-League-Spiels Barcelona gegen Mailand ansehen. Leider bekamen sie keine Karten mehr. Die Italiener gewannen das Spiel 2:0.

In der restlichen Zeit blieb Leo nie weit entfernt vom nächsten Ball. Er köpfte Tennisbälle im Hotelzimmer, er spielte gegen imaginäre Gegner auf dem Balkon und übte, den Ball oben zu halten. Das Fernsehen füllte die Lücken.

Wenn Lionel nicht auf dem Spielfeld war, musste er sich beschäftigen, um die Wartezeit auf Charly Rexachs Rückkehr aus Sydney zu überbrücken. Außer diesem würde ihm keiner den ersehnten Vertrag vorlegen.

Nur auf dem Spielfeld konnte Leo zeigen, wer er wirklich war. Dort war er ganz und gar nicht schüchtern. Dann war es, als sei der zurückhaltende Junge, der gerade noch still seine Pizza gegessen hatte, ein ganz anderer geworden.

»Leo, tu das, was du am besten kannst. Hol dir den Ball, gib ihn nicht mehr ab und mach gleich dein Tor.« Jorge Messis Rat zielte auf Leos besondere Talente, die ihn nach Barcelona gebracht hatten. Es war seine Reaktion auf das Training bei Borrell, das auf One- und Two-Touch-Fußballtechniken aufbaute. »Wir müssen unsere eigene Methode ins Spiel bringen und ihnen zeigen, was du wirklich kannst.« Und wenn der junge Messi eins konnte, dann war es Dribbeln. Während die anderen sich den Ball über Pässe zuspielten, hatte er etwas anderes zu bieten.

So ging es Tag für Tag. Leo trainierte mit der A-Jugend, und nach dem Training spielte er noch einmal bei der B-Jugend. Sein Vater beobachtete ihn von der Tribüne aus oder lehnte an dem Zaun, der die beiden Plätze voneinander trennte.

An einem Tag machte er fünf Tore und traf zweimal den Pfosten.

Er spielte für sich, doch das tat er mit solch fester Überzeugung und so viel Talent, dass es kaum lohnte, ihn zu korrigieren. »Leo, nur eine Ballberührung«, rief Rodo, aber daran wollte er die ganze Mannschaft erinnern. »Eine oder höchstens zwei Berührungen.« Aber das machte wenig Unterschied; Leo spielte so, wie er immer spielte – mit wenig Ballberührung, schnell, flüssig, rechts und links dribbelnd. Er war mehr Ballkünstler als Fußballer, und das ist durchaus nicht ein und dasselbe.

An einem anderen Tag schoss er sechs Tore.

Jorge war sich nicht sicher, ob der Druck, der auf seinem Sohn lastete, gut oder schlecht für ihn war. Ein Freund von Minguella schlug ihm vor, die Tore seines Sohnes mit Geschenken zu belohnen. Vielleicht mit dem Rucksack, der ihm besonders gefiel, oder auch mit neuen Fußballschuhen, wenn er fünf Tore an einem Tag erzielt hatte. Sein Vater war sich nicht sicher, ob das die richtige Methode war, aber die neue Herausforderung motivierte Leo durchaus. An einem Tag schoss er vier Tore, und beim fünften Schuss knallte der Ball gegen die Latte. Es sah kurz so aus, als ob er noch ins Tor ginge. »Nein, nein, er war nicht drin«, hieß es dann aber. Leo flippte völlig aus. »Natürlich war er drin!« Immerhin ging es um eine komplett neue Sportausrüstung. Es folgte eine hitzige Auseinandersetzung. Am Ende bekam er sein Geschenk dann doch.

Nach der ersten Woche kam der ehemalige FC-Barcelona-Spieler Miguel »Migueli« Bianquetti vorbei, der jetzt die Jugend trainierte, und fragte: »Wo ist denn der Junge, der aus Argentinien zum Probetraining hier ist?« Leo trainierte gerade. »Es ist der Kleine da, mitten auf dem Spielfeld.« Migueli beobachtete ihn. Er balancierte den Ball gerade auf dem linken Fuß und wartete auf weitere Anweisungen. »Den muss ich nicht erst lange spielen sehen. Schon an seiner Haltung kann man sehen, dass er ein guter Fußballspieler ist.« So einfach war das.

Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Es war schon spät am Abend, so gegen acht Uhr. Migueli sah sich die Trainingseinheit noch länger an. »Was ist denn los? Warum ist dieser Junge noch nicht unter Vertrag? Ich hab noch nie jemanden gesehen, der Maradona so nahekommt.« Und Bianquetti musste es wissen, denn er hatte früher mit Diego Maradona beim FC Barcelona gespielt.

Aber die Tage vergingen, und niemand sprach mit Jorge. Auch nicht mit Leo. Alle warteten offensichtlich die Entscheidung von Rifé ab und auf die Rückkehr von Rexach, der noch immer in Australien war.

Leo musste wieder in die Schule; er hatte schon zu viele Prüfungstage versäumt. Jorge hatte darauf bestanden, nach einer Woche abzureisen. Nun war schon der achte Tag, und sie waren immer noch da.

Irgendetwas stimmte nicht.

Dieser Punkt im Mythos um Messi wurde oft fehlinterpretiert. Es heißt, einige Trainer seien von seinem Talent nicht überzeugt gewesen und unsicher, ob sie ihn verpflichten sollten. Die Betreffenden hätten hinter Leos Rücken über ihn gelästert. Die Namen dieser Trainer werden bis heute nur hinter vorgehaltener Hand genannt, denn sie arbeiten ja zum Teil noch immer für den Verein. Und auch die, die andernorts Karriere gemacht haben, stünden schlecht da, wenn so etwas an die Öffentlichkeit käme.

In Wahrheit aber lief das Probetraining sehr gut. Man war sich durchaus einig. Fünf Minuten einer Trainingseinheit hatten schon ausgereicht, um Messis Talent zu demonstrieren. Aus Sicht der Trainer war es eigentlich nicht nötig, dass Charly Rexach auch noch auftauchte, um Messi spielen zu sehen. Der Verantwortliche für die erste Mannschaft hätte ihn nicht zwingend persönlich überprüfen müssen.

Aber letztlich wollten doch alle Rexachs Einschätzung abwarten, und Leos Abflug musste verschoben werden. Niemand wollte tatsächlich die Verantwortung für eine mögliche Fehlentscheidung übernehmen und ohne Absicherung einen 13-jährigen Argentinier verpflichten.

Wie kann man sich diese Zweifel erklären?

Zuerst einmal beweist das Einbeziehen von solchen Fußballgrößen wie Rexach, Minguella, Parera und Rifé, dass es für den Verein nicht üblich war, einen so jungen Spieler zu verpflichten. Leo hatte ungewöhnlich hochrangige Fürsprecher, das weckte allgemein eine gewisse Alarmbereitschaft. Zumindest sah es für Außenstehende so aus. Leo war zum Vereinsgespräch geworden. Rodolfo Borrells Kollegen sahen ihm beim Spiel zu, wann immer sie Zeit dafür hatten.

Aber das Interesse dieser einflussreichen Männer war nicht das einzige Außergewöhnliche. 2000 schien es noch schlichtweg verrückt, einen Jugendlichen aus Argentinien zu verpflichten. So etwas hatte es bis dato einfach nicht gegeben.

Leos Talent war offensichtlich. Einer, der ihn während dieser zwei Wochen im Verein gesehen hatte, beschreibt Leo als La Hostia en Patinete, was im übertragenen Sinn so viel bedeutet wie: einer, der sich blitzschnell bewegt. »Er tat damals schon all das, was er heute immer noch tut«, kommt aus derselben Quelle, »nur in Miniaturausgabe«.

Heutzutage ist es völlig normal, dass sich Jugendliche jeglichen Alters Vereinen überall auf der Welt präsentieren. Es gibt sogar schon Achtjährige, die verpflichtet werden. Damals aber war es noch ungewöhnlich, dass Infantiles (Zwölf- bis 13-Jährige) auch nur aus Mataró, Granollers oder Santpedor verpflichtet wurden, und diese Städte liegen kaum eine Stunde von Barcelona entfernt. Nur die Cadetes (14- bis 15-Jährige) kamen zu der Zeit schon aus ganz Spanien.

Und jetzt wollte man einen Argentinier unter 14 Jahren verpflich-ten? Moment mal!

Zu jener Zeit meinte man eben, niemand könne garantieren, dass ein Junge in so zartem Alter, und sei er auch noch so talentiert, später auch in die erste Mannschaft käme. Man konnte noch nicht einmal garantieren, dass er je ein guter Fußballspieler würde. »Es war zudem ein Wagnis, ihn von seiner Familie, seinen Freunden, seiner Umgebung zu trennen. Okay, jetzt ist er der beste Spieler der Welt, und seine Geschichte ist eine märchenhafte Erfolgsstory«, sagt ein anderer Zeitzeuge über den jungen Messi. Es waren also nicht die Jugendtrainer, die über Leos Zukunft entschieden, aber dennoch haben sie sich über mögliche Risiken unterhalten. Der Verein zögerte damals sogar noch, wenn es darum ging, Spieler aus weit entfernten Regionen Spaniens aus ihrer familiären Umgebung zu reißen. All das traf logischerweise auf Leo umso mehr zu. Oriol Tort, einer der besten Fußball-Scouts der Fußballakademie in Barcelona, hat immer schon behauptet, das beste Alter zur Verpflichtung von Spielern sei mit 15 oder 16 Jahren.

Es lag also nicht, wie man sich fälschlich erzählt, am mangelnden Mut oder Zweifel der Trainer. Sie zögerten, weil sie die Auswirkungen kannten, die eine Entwurzelung auf den Jungen und seine Familie haben könnte.

Andrés Iniesta nahm 1996 zum Beispiel im Alter von zwölf Jahren an dem Turnier von Brunete mit Mannschaften aus der spanischen ersten Liga, La Liga, teil. Wie das bei wichtigen Spielen so üblich ist, schickten die Vereine ihre Scouts dorthin. Die besten Spieler dort waren zum einen Iniesta aus Albacete und zum anderen Jorge Troiteiro aus Mérida. Es wurde lebhaft darüber gestritten, welcher von beiden der Bessere sei. Der FC Barcelona war auf Andrés aufmerksam geworden, man sprach mit seiner Familie und verhandelte auch schon vertragliche Details mit dem Spieler, bevor man sich entschied, seine Fortschritte erst einmal aus der Entfernung zu beobachten. Man wollte ihn zwei, drei Jahre später als Cadete in La Masía verpflichten.

Troiteiros Vater hingegen wollte solch eine Niederlage nicht hinnehmen und machte sich von Mérida in der Extremadura im Westen Spaniens auf den Weg nach Barcelona. Sein Sohn würde Profifußballer werden – keine Frage. Er wusste, dass der FC Barcelona ihn bereits positiv beurteilt hatte, und der Verein gefiel den Eltern. Also sollten sie ihn entweder sofort verpflichten, oder er würde nach Madrid oder Valencia oder sonst wohin gehen. Barcelona hatte den Eltern ihre Bedenken offengelegt: der Umzug, die Schule, die vielen anderen Veränderungen für den Jungen. Aber sein Vater blieb hartnäckig. Es war sein Sohn, und er würde ihn in einem großen Verein unterbringen.

Die Verantwortlichen des FC Barcelona gaben nach, denn der junge Troiteiro hatte sehr viel Geschick als Linksaußen. Aber außer ihm gab es keinen Jungen seines Alters in der Jugendakademie des FC Barcelona, es gab nur einen weiteren unter 16 Jahren. Was tat der FC Barcelona also? Man holte Iniesta dazu, damit Troiteiro nicht allein war.

Jorge Troiteiro wurde schließlich wegen mangelnder Disziplin der Akademie La Masía verwiesen. Iniesta aber, der in dem Bauernhaus vor Barcelona, in dem die Spieler untergebracht waren, oft in seinem Zimmer vor Heimweh weinte, sollte Jahre später das Tor gelingen, das Spanien zu seinem ersten Weltmeistertitel verhalf.

In der berühmten Jugendakademie des FC Barcelona werden Ängste, Zweifel und Hoffnungen durchlebt – aber eine Garantie auf Erfolg gab und gibt es dort nicht.

Nach acht Tagen wurde Leo in der Akademie gefragt, ob er immer noch bei Barcelona unterzeichnen wolle. Es war Rodo Borrell, der fragte. Leo bejahte, er mochte die Trainingsmethoden. In Rosario war alles nur auf den körperlichen Einsatz ausgerichtet gewesen, aber hier war die Arbeit mit dem Ball das Wesentliche. Das gefiel ihm. Er hatte Spaß. Er hatte mittlerweile eine Vorstellung von der Größe des Vereins. Und er liebte die Herausforderung.

Er wollte also bleiben.

Zehn Tage nach Ankunft der Messis in Barcelona gab es nicht mehr viel zu entdecken. Weder in der Stadt noch an Leo als Fußballer. Jetzt war er schon fast zwei Wochen in Barcelona, und nichts war passiert. Jorge wollte endlich abfliegen. »Bleiben Sie noch einen Tag, Rexach wird am Montag zurück sein«, sagte man ihm.

Der Berater des Clubpräsidenten kam endlich an und traf sich sofort mit Rifé. Es gab vieles zu besprechen, unter anderem, was mit dem argentinischen Jungen werden solle. »Lass ihn in einer höheren Gruppe spielen, mit zwei Jahre Älteren. Ich will sehen, wie er sich mit den großen Jungs macht«, entschied Rexach.

Charly Rexach: Man wollte die finale Entscheidung von mir. Hätten andere bereits entschieden gehabt, ihn unter Vertrag zu nehmen, dann hätte ich mich nicht dorthin bemühen müssen.

Das letzte Probetraining fand für Leo am 2. Oktober statt. Um sechs Uhr abends. Das Spiel wurde auf Platz drei ausgetragen, auf dem Kunstrasenplatz hinter der Bowlingbahn, gegenüber vom Ministadion.

Dies war der entscheidende Moment. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Leo musste alles geben. Mit seinen 1,40 Metern musste er mit den 15-Jährigen antreten.

Auch Migueli kam, um zuzusehen. Joaquim Rifé, Quique Costas, Xavi Llorens, Albert Benaiges und natürlich Rodolfo Borrell, der ihn die letzten zehn Tage trainiert hatte. Sie alle saßen auf der Reservebank.

Das Spiel begann, und Charly Rexach war immer noch nicht da. Die Zeitverschiebung zu Australien machte ihm zu schaffen.

Zwei Minuten später stieg Charly die Stufen zum Spielfeld hoch.

Charly Rexach: Ich wanderte ein wenig hin und her und blieb stehen, wenn ich sah, dass er am Ball war. Er war leicht auszumachen, weil er kleiner war als die anderen. Was für ein Anblick!

Messi eroberte den Ball auf Höhe der Mittellinie und dribbelte um jeden herum, der ihm auf dem Weg zu Tor im Weg stand.

Jorge Messi: Carlos kam dazu, und Leo legte los.

Charly Rexach: Ich ging also hinters Tor …

Leo umdribbelte zwei Jungen, dann den Torhüter und schoss ein Tor.

Jorge Messi: Gut gemacht. Tor!

Es war das einzige Tor, das Leos Mannschaft in diesem Spiel erzielte, und sie verloren 2:1.

Schon zehn Minuten nach seinem Kommen verließ Charly Rexach Platz drei wieder. Er hatte sich einige Minuten auf die Bank der Jugendtrainer gesetzt, sich dann umgewandt und war wieder verschwunden.

All das lange Warten … und jetzt hatte er fast nichts von Leos Können gesehen!

Jorge Messi war überzeugt, dass Rexach Leo nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hatte, die er nach seiner langen Anreise aus Argentinien und den Tagen des Wartens verdiente. Hatte Charly überhaupt alles bemerkt, was Leo gelungen war? Diese Frage stellte sich Jorge immer wieder. Ob es wohl trotzdem für einen Vertrag gereicht hatte? Hoffentlich.

Leo sagte nichts. Wie immer blieb er ganz ruhig und hörte nur zu.

Messi

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