Читать книгу Lilou Charlou - Guillermo El Oso - Страница 6

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Es fasziniert mich immer wieder, wenn ich am Himmel das Universum betrachte. Diese vielen funkelnden Punkte auf dem pechschwarzen Vorhang der Unendlichkeit, festgezimmert und doch lebendig, unterbrochen vom menschlichen Weltraumschrott der in schillernden Farben ihre Bahnen durchkreuzt. Zu sehen, wie Sternbilder deutlich zum Vorschein kommen, wenn es dunkler wird, hält meine Neugier und meine Phantasie wach. Gibt es dort in den unendlichen Weiten, etwas oder jemanden? Werde ich wahrgenommen, beobachtet oder gar gelenkt? Wie dem auch sei, mir ist es egal. Ich werde seit fünf Jahren im wahrsten Sinne des Wortes vom besten Leben geküsst oder sollte ich besser sagen von ihr, meiner Lilou.

So schwer wie Blei liegt ihr Kopf auf meinem Brustkorb und hebt und senkt sich im Takt meiner Atmung. Gespannt starrt auch sie in den heißen Nachthimmel von Dresden. Völlig entspannt. Völlig vertraut.

Schon seit Wochen herrscht die Sonne über Deutschland, eine Hitzewelle folgt der anderen. Tagsüber ist es nicht auszuhalten, weshalb sich die Nächte verlängern. Hier am Ufer der Elbe liegen wir gerne, trinken einen hervorragenden Chianti classico und tauchen ein, in die unendlichen Weiten des Weltalls und der Ruhe, um die ganze Spannung des Tages von uns abfallen zu lassen. Ja, es überkommt mich eine herrliche Stille und Zufriedenheit. Ich fühle mich einfach nur wirklich glücklich.

....

Als wir uns diese Villa kauften, hofften wir, dass wir solche Momente genießen könnten und auch brauchen würden. Lilou war Feuer und Flamme, nachdem sie davon erfuhr, wo ich wohnen würde.

»Hab von Dresden schon viel gehört, soll voll kultisch sein.«

War ihre Meinung und deshalb auch kein Wunder, dass sie diese interessante Metropole kennen lernen wollte.

Sie freute sich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal auf einem Jahrmarkt ist, als ich sie für ein langes Wochenende zu mir einlud. Ich kann mich noch heute lebhaft an die geschwollenen Füße erinnern. Jeden Winkel von Dresden saugte Lilou mit ihren großen wachen Augen in sich auf. Plötzlich als wir an der Elbe entlang spazierten, stand sie minutenlang mit weit aufgerissenen Augen, als würde sie vor Schock erstarrt sich der hungrigen Schlange als Beute ergeben, vor dieser einsamen alten Villa. Lebhaft, mit wilden weit ausholenden Gesten, zeigte sie mir, wie sie sich ein Leben dort in der Villa vorstellen könnte. Ein Leben mit mir!

- »Ein Leben mit mir?«

Hat sie das wirklich gemeint?

»Ein Leben mit mir!«

Ich zelebrierte jede einzelne Silbe im Gedanken. Diese Worte, diese Tragweite.

»Mit mir leben« krächzte ich vor mich hin.

Ein enormes Glücksgefühl stieg in mir auf, ich strahlte über das ganze Gesicht. In mir wurden ungeahnte Lebensgeister wach. Wie eine Krokusblüte erwachte ich aus einem langen tiefen Winterschlaf.

Lilou war einfach bezaubernd, sie hat diese natürliche unbekümmerte Art, lebensfroh, verspielt, sehr liebenswert und manchmal schon kindlich. Eigenschaften, die mich so faszinierten und anzogen, dass ich mein Leben auf den Kopf stellte und alles um mich herum verdrängte. Fortan drehte sich alles nur noch um Lilou, die mit mir hier leben wollte.

....

Fünf Jahre ist das jetzt her. Wir liegen oft hier im Garten der Villa und genießen jeden dieser Tage. Saugen förmlich das gemeinsame Leben in uns auf, so als würden wir dadurch die Segel hissen für unsere unaufhaltsame Fahrt durch die unendlichen Weiten des Ozeans.

Lilou hebt ihren Kopf etwas an und ich spüre eine gewisse Angespanntheit bei ihr. Ihre Hände sind in Bewegung und lenken mich von meinen Gedanken ab. Sie nippt an einem Glas frischgepressten Orangensaft. Im Mondlicht kann ich ihre feinen Gesichtszüge sehen, die Haare wellen sich entlang ihrem Rücken. Ich liebe wirklich diese anmutige Frau. Als sie mir mitteilte, dass sie keinen Wein mehr trinken will, dachte ich so bei mir, das wird nicht einfach, aber Lilou hält sich eisern daran und trinkt keinen Wein mehr. Ich bin so stolz auf sie.

....

Lilou arbeitet immer hart, ist daran interessiert, unsere Träume zu verwirklichen. Alles was sie mir damals zeigte, als wir in Dresden das erste Mal vor der Villa standen, ja bis ins kleinste Detail, hatte sie bis heute auch umgesetzt.

Sie hatte sich als erstes ein kleines Zimmer sauber gemacht. Es diente als Ausgangspunkt zur kreativen Umsetzung all ihrer Ideen. Sie hielt das alles sehr spartanisch, stellte lediglich eine große schwere quadratische Tischlerplatte auf vier Holzböcke in die Mitte des Raumes. Schon der Transport wurde zu einem Schauspiel. Lilou hatte einen Handbollerwagen gekauft und zog diesen, während ich krampfhaft versuchte, die zwei mal zwei Meter große Platte, zu balancieren. Im Kreativzentrum unserer Villa stand dann Lilou stundenlang, zeichnete und entwarf. An den Wänden hängten ihre Phantasien. Lilou hatte dabei ein klar strukturiertes System. Ihre ersten Ideen hingen erstmal eine Woche an der linken Wandseite. Dann entschied sie, ob sie die Idee weiterverfolgen wollte. Wenn ja, hängt sie den Favoriten an die rechte Wandseite. Alles was Rechts hing, musste ich, wenn es mir gefiel, an die Stirnwand hängen oder wenn es mir nicht zusagte, an die Rückwand. Aber die Rückwand wurde noch nie verwendet. Sie verwaiste förmlich. Damit diese Wand nicht so nackt und kühl daher kam, ließ ich ein schönes buntes zweisitziges Sofa davor aufstellen. In diesem verkrochen wir uns oft, still und leise, gaben uns unseren Träumen hin. Wenn ich heute noch diesen magischen Raum betrete, spüre ich förmlich die kreative Energie von Lilou.

Sie überraschte mich damit wirklich jeden Tag aufs Neue. Sie war sehr geschickt, einfallsreich und ausdauernd. Ihr Ziel war es, mich zu überraschen, mich zu verwöhnen und für andere da zu sein. So entstand allmählich und mit viel Liebe aus der alten Villa das Paradies der Familie Charlou.

....

Lilou reißt mich aus meinen Gedanken, als sie mit Schwung aufsteht.

»Was ist, Schatz« murmle ich, bevor sie wortlos über die Veranda ins Haus verschwindet.

Durch die starke Wärme, das Zirpen der Grillen, und das leise Fließen der Elbe, komme ich mir vor wie in der Toskana. Es geht eine leichte Brise, die etwas Abkühlung verspricht. Und doch steht selbst, jetzt um diese Zeit, mir der Schweiß auf der Stirn. Ich spüre, wie sich eine Schweißperle ihren Weg an meiner Schläfe bahnt.

»Oh, man! Diese Hitze ist unerträglich.«

Ich nehme einen kräftigen Schluck aus meinem Weinglas. Dabei spiegelt sich der Mond funkelnd im Rot, als würde er in einem Ozean aus Blut eintauchen. Schon klappert die Verandatür und das leise Tapsen der nackten Füße über das Holz verrät, dass Lilou wieder im Anmarsch ist. Dabei muss ich sagen, Lilou geht nicht, Lilou tanzt.

Als sie vor mir steht, hält sie mir eines dieser von ihr selbstentworfenen und gebastelten Holzbrettchen hin, dekoriert mit verschiedenen Käsesorten, Weintrauben, Brot und ihrem spezial Knoblauch-Chili-Dip.

»Komm her!«

Flüstere ich ihr zu, stelle das Brett zu meiner Seite und ziehe Lilou zu mir auf den Schoß. Sie lächelt mich an. Nimmt ein Stück Brot, taucht es in den Dip und hält es mir vor dem Mund. Ich liebe das und trotz der unerträglichen Hitze, wird mir ganz warm ums Herz! Verdammt wie liebe ich doch diese tolle Frau. Ich beiße in das mit Dip vollgesaugte Brot und merke dabei deutlich, dass Lilou zugenommen hat. Sie ist deutlich schwerer, als früher und der Bauch deutlich unter dem dünnen Long-Shirt zu sehen.

Ihre Augen leuchten und funkeln wie ein diamantener Stern. Es ist diese blaue schimmernde Magie, die mich fesselt, was mich willenlos werden lässt. Sie schaut mir damit tief in meine schwarze Seele. Diese gibt alle Geheimnisse preis.

Sie nimmt zwei Weintrauben in den Mund, küsst mich und schiebt eine gekonnt mit ihrer Zunge zu mir rüber. Anscheinend ist meine Überraschung nicht zu übersehen, denn sie lacht sich nach hinten biegend und greift schon nach den nächsten zwei Weintrauben.

Lilou spielt und experimentiert gerne. In der Ferne ertönt die hektische Melodie eines Sumpfrohrsängers. Es ist einer jener Momente, in denen ich die Harmonie zwischen Natur und Mensch erkenne und schätze. Wo ich in meine Gedanken eintauche und meine Seele baumeln lassen kann. Als würde ich auf der Reise mit einem Segelschiff, den Wind einfangen und dem unbekannten Horizont entgegenfiebern.

....

Als ich Lilou in Frankfurt das erste Mal sah, war ich schon von ihrem Aussehen und ihrem Auftreten verzückt. Sie saß auf der verschneiten Treppe des Brockhaus Brunnen mitten auf der Zeil und beobachtet sehr aufmerksam und mit weit aufgerissenen Augen das wilde Treiben der Menschen. Ihre Beine schienen im Takt einer Musik zu wippen. Durch die enge Jeans konnte man das Muskelspiel deutlich wahrnehmen. Jede Faser ihres Körpers war in Spannung, als würde eine Raubkatze zum Angriff übergehen. Ihre Augen hingegen zeichneten sich durch Ruhe, Wärme und einer wachen Neugier aus. Feuerrote Wangen leuchteten durch die schneidende Kälte über dem dicken Patchwork Schal. Die Hände tief vergraben in den Ärmeln ihrer Wolljacke. Bei all der Spannung spürte man, dass die Kälte ihr schon zugesetzt hatte.

Auf wen oder was würde sie warten? Warum sitzt sie hier im Schnee? Ihre langen rotblonden Haare lugten unter einer blauen Bommelmütze hervor, an deren Spitzen schon Frost erkennbar war. Die leicht blauen Lippen stärkten meinen Entschluss, sie zu einem heißen Tee oder Kaffee einzuladen.

Unsere Blicke trafen sich, doch sie nahm mich nicht wahr. Also ging ich zu ihr und sprach sie nett an:

»Verdammt kalt hier im Schnee. Komm, ich lade dich zu einem Kaffee, Tee oder einer heißen Schokolade ein!«

Lilou sprach kein Wort, schaute erst rechts, dann links an mir vorbei, zuckte mit den Schultern, lächelte und erhob sich. Ich zeigte in Richtung der Kleinmarkthalle und meinte:

»Da ist es wärmer, du bist ja schon halb erfroren!«

Ich ging einfach los und freute mich, als Lilou mir folgte.

In der Kleinmarkthalle suchte sie alles mit ihren wunderschönen blauen Augen ab. Musterte mich, die Umgebung, die Menschen und fing an, sichtlich die Wärme zu genießen. Ich redete ununterbrochen auf sie ein. Wie ein Wasserfall der einfach nicht aufhört zu fließen, konnte ich nicht aufhören zu reden. Sie trank ihre heiße Schokolade und stand unvermittelt ruckartig auf, gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand im Getümmel. Noch bevor ich was erwidern konnte, war sie verschwunden. Als ich bezahlte, entdeckte ich einen handgeschriebenen Zettel von ihr in meiner Jacke:

Charlotte.neumann1994@gmail.com

Zurück in meinem Hotel schrieb ich ihr eine E-Mail,

entschuldigte mich bei ihr für mein seltsames Benehmen und ermunterte sie, mir wieder zu schreiben, weil ich sie gerne besser kennenlernen möchte.

Meine Tage in Frankfurt vergingen viel zu schnell ohne auch nur eine Antwort von ihr. Ohne sie wieder am Brunnen getroffen zu haben. Dabei nutzte ich jede freie Minute, um dort am Brunnen in der eisigen Kälte der hektischen Geschäftsstadt, auf sie zu warten. Ich erledigte meine Geschäfte so schnell es ging. Auch hinterfragte ich mich, was in mich gefahren war. Nachts starrte ich vom Bett aus an die Decke meines Hotelzimmers und checkte ständig meinen Account. Aber ich erhielt keine Antwort aus der Welt der elektronischen Kommunikation.

Kein »Hallo«- kein »Lass mich in Ruhe«, rein gar nichts. Als würde ich alleine in einer Nussschale durch das stille Meer schaukeln, ständig ausschauhaltend nach dem rettenden Ufer.

Ich konnte meine Abreise nicht länger hinausschieben. Es war ein komisches Gefühl der Faszination, Traurigkeit, Verwirrtheit. Was wollte ich von ihr? Wieso brannte so eine Sehnsucht in mir? Ich ging ein letztes Mal zum Brunnen, trank noch schnell einen Kaffee in der Kleinmarkthalle und fuhr aus Frankfurt ab. Im Rückspiegel verblasste die Skyline, aber in meinem Herzen blieb ein klares unauslöschliches Bild! Das Bild, wie sie auf der verschneiten Treppe am Brunnen saß. Und ich würde nie ihre großen blauen wachen Augen vergessen!

Lilou Charlou

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