Читать книгу Lilou Charlou - Guillermo El Oso - Страница 9

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03:00 Uhr

Ich wollte so schnell als möglich heiraten, damit Lilou aus diesem Umfeld rauskam. Da sie ja ihren Schulabschluss im Sommer machte, entschieden wir uns, gleich für das erste Wochenende nach ihrem Abschluss. Wir wollten keine unnötige Zeit verstreichen lassen.

Ich war froh, dass Lilou einer einfachen unkomplizierten Hochzeit zustimmte, denn es begann eine Zeit hektischer und stressiger Vorbereitungen. Schon seit Wochen war ich ja damit beschäftigt, den Eigentümer der Villa ausfindig zu machen. Zwar kannte ich seinen Namen und seine Anschrift, aber er war einfach nicht zu erreichen. So schrieb ich einen Brief und bekundete mein Interesse, das Anwesen zu kaufen.

Um die Verhandlungen zu beschleunigen, ließ ich das Anwesen von einem Fachmann begutachten und bewerten. Grundsätzlich war die Bausubstanz in Ordnung, ein Restaurieren, durch den Denkmalschutz sehr aufwendig und teuer, was das Hauptproblem darstellen sollte, waren die Unterhaltskosten. Hierfür wären sehr hohe Modernisierungskosten aufzubringen. Als ich mir das Gutachten so durchlas, wusste ich, warum es schon so lange unbewohnt war.

Der Wert des Anwesens betrug achthundertfünfundsiebzigtausend Euro, da die Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten mit geschätzten einer Millionen Euro sehr hoch waren, ging es wohl eher um einen ideellen Kaufpreis. Ich bat also direkt an, für 1€ das Anwesen zu kaufen und auch alle Abwicklungskosten zu übernehmen.

Der Besitzer, ein älterer Mann aus dem Adelsgeschlecht der von Trotha’s, meldete sich per Telefon. Grundsätzlich wäre man bereit, das Anwesen zu verkaufen, aber der ideelle Wert wäre halt sehr enorm, da seine Großeltern dieses Haus gebaut, seine Mutter darin geboren und er als kleiner Junge dort schöne Stunden verbracht habe. Ich versicherte ihm, dass wir keine kommerziellen Gedanken hegen, sondern eher an der Erhaltung und Bewahrung des Ursprünglichen festhalten und dort als Familie leben würden.

Wir vereinbarten einen persönlichen Termin in meinem Café. Herr von Trotha, ein sportlich wirkender siebzigjähriger Mann, mit feinem Zwirn und Tuch, kam in Begleitung seiner deutlich jüngeren Partnerin. Wir redeten erst belanglos bei einem Espresso, den er ausnehmend lobte, um dann zur Villa zu fahren.

Herr von Trotha hatte nach der Wende das Anwesen wieder übereignet bekommen, aber da es in einem so baufälligen Zustand war, das finanzielle Risiko gescheut, es in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen zu lassen. Als wir auf das Anwesen fuhren und etwas um die Villa gingen, wurde Herr von Trotha sehr wehmütig. Erzählte diese und jene Geschichte, zeigte uns den Bereich, wo er schlief, auf welchen Baum er am liebsten kletterte und war sichtlich vom Zustand der Villa geschockt.

Ich wiederum erzählte ihnen von Lilou's Plänen und wie sie sich die Villa vorstellte. Ich war so traurig, dass Lilou nicht da war, denn ich konnte es nicht so wiedergeben, mit ihrer Begeisterung und ihrer Phantasie. Herr von Trotha hörte sich alles sehr genau an, sprach aber kein Wort. Mir schien, als wäre er in diesem Moment um Jahre gealtert und gebrochen. Herr von Trotha erbat sich noch etwas Bedenkzeit und verabschiedete sich.

Drei Wochen später hielt ich eine briefliche Zusage des Verkaufs in meinen Händen. Er war damit einverstanden, mir unter der Bedingung, dass es als privates Wohnhaus in seinem ursprünglichen Zustand verwendet wird, zu den genannten Bedingungen zu verkaufen.

Lilou war hellauf begeistert, als ich ihr davon erzählte. Das Wochenende feierten wir diesen gemeinsamen Erfolg mit einem ausgelassenen Sektfrühstück, da es sowieso den ganzen Tag regnete. Man meinte gerade, der Himmel habe vergessen, den Wasserhahn zuzudrehen, so schüttete es ununterbrochen.

Das gab uns die Gelegenheit, es uns gemütlich zu machen und gedanklich schon in der Villa zu leben. Selbst als ich Lilou nach Frankfurt fuhr, träumten wir noch von unserer gemeinsamen Zukunft in der Villa. Das Schwärmen nahm kein Ende!

....

Als wir alle Unterlagen für das Standesamt beisammen hatten, flog Lilou extra mittags nach Dresden und musste noch am selben Abend wieder zurück nach Frankfurt, da sie am Freitag noch die Schule besuchen musste.

Wenn es letztlich auch nur vier Stunden waren, die wir uns sahen, so war es eine wirklich einzigartige Zeit. Wir waren uns der Tragweite unserer heutigen Entscheidung bewusst, Lilou fieberte, wie ich, diesem wunderbaren Höhepunkt unserer Liebe entgegen.

Als wir im Standesamt ankamen und unsere Unterlagen abgaben, prüfte der Standesbeamte alles sehr genau. Herr Neubert war einer dieser typischen Beamten. Normal groß, kleiner Bierbauch, lichtes Haar, das er von ganz links nach rechts kämmte, damit die beginnende Glatze verdeckt wurde, das Hemd bis zum Hals zugeknöpft, obwohl er keine Krawatte trug, langsam im ausformulieren von Sätzen und immer etwas kompliziert.

Es dauerte eine volle halbe Stunde, in dem er mehrere Ansätze benötigte, bis er mir erklärte, ich könne nicht heiraten. Lilou und ich schauten uns verwundert an, ich rutschte schon ganz nervös auf meinem Sitz herum.

Herr Neubert deutete wiederholt auf seine Akte: »Theoretisch« dieses Wort in die Länge ziehend, folgte: »Sind Sie Herr Charlou« Er blickte kurz zu mir hoch und deutete auf mich: »Verheiratet!«

Ich schaute ihn bei diesen Worten ungläubig an, meine Kinnlade verselbstständigte sich und zog den Mund samt Zähnen hinunter. In mir lief ein Film im Schnelldurchlauf ab. Mein ganzes Leben von der Geburt bis zu dem heutigen Tag. Der Schweiß ran mir nur so von der Stirn. Lilou saß zusammengesunken und blass, mit ausdruckslosem Gesicht auf ihrem Stuhl. Ich vermutete jeden Moment, dass sie tot umfiel. Es muss einige Minuten gedauert haben, bis ich meine Fassung wieder fand.

»Hallo!?«

Hallte es durch das Büro.

»Wieso, bin ich noch verheiratet?« Murmelte ich leise mit erstickender Stimme vor mich hin.

»Sie haben zwar angegeben, dass sie geschieden sind, aber ich kann das hier nirgends wo feststellen« erklärt Herr Neubert sachlich.

»Feststellen« wiederholte ich leise seine Worte.

»Ja, können sie beweisen, dass sie geschieden sind? Haben sie Unterlagen« legte er nach.

In mir kroch eine Leere hoch und die Worte hallten wie in einem großen Ballsaal von der Ferne. Plötzlich schmerzte mein Arm, es brannte wie Feuer. Lilou hatte mich richtig fest gekniffen und starrte mich mit leeren Augen an. Ich konnte sie ja verstehen. Ich hatte diese kurze Ehe mit Alexandra bisher verschwiegen oder besser, nicht mehr daran gedacht, ihr das zu erzählen. Tränen schossen in ihre Augen. Ich packte sie mit beiden Armen und sagte ganz leise:

»Ich habe das vergessen, wir waren nur ein Jahr verheiratet, das ist schon über zwanzig Jahre her. Ich habe noch eine Urkunde, ist sie nicht bei den Unterlagen?«

Rief ich lauthals Herrn Neubert zu. Von diesem tiefen kräftigen Bariton förmlich erschrocken, zuckte er mit den Schultern. Ich sprang auf, feuerrot angelaufen vor Zorn und Enttäuschung. Der Stuhl schlug krachend rücklings auf den Boden. Mit beiden Fäusten schlug ich auf den Schreibtisch und zischte noch etwas lauter:

»Dann schauen Sie sich die Unterlagen genauer an!«

Herr Neubert zuckte zurück und hielt schützend seine Akte vor das Gesicht.

Lilou bückte sich und kroch unter den Tisch. Als sie wieder heraufkam, hielt sie mir ein Stück Papier vor die Nase, welches wahrscheinlich in dem Moment vom Schreibtisch fiel, als Herr Neubert meine Akte heftig schnappte, um sich zu verteidigen.

Der Schweiß tropfte auf den Schreibtisch und verursachte schon eine kleine Pfütze, ich zitterte am ganzen Körper. Ich hob den Stuhl auf, setzte mich laut ächzend und las das Papier. Doch ich konnte es nicht lesen, weil ich das Papier verkehrt herum hielt. Mein Scheidungsbeschluss. Ich knallte den Zettel mit voller Wucht auf den Tisch:

»Genügt Ihnen das?« Fragte ich lauter, als ich es selber wollte.

Herr Neubert nickte nur ängstlich, deutete auf den Ausgang und sagte: »Wir sehen uns am 07. Juli. Auf Wiedersehen.«

....

Die Hochzeitsfeier fand in meinem kleinen Café statt. Ich hatte extra schon 3 Tage vorher geschlossen, damit wir in Ruhe alles herrichten konnten. Mir war es das Wichtigste, dass sich Lilou völlig wohl fühlte und es so für uns der schönste Tag unseres Lebens werden konnte.

Für mich war die größte Herausforderung, dass Lilou ihre Eltern trotz allem gerne bei der Hochzeit dabei haben wollte. Widerwillig organisierte ich Flugtickets, Hotel und Taxi, und bekam als Dankeschön ein bezauberndes Lächeln von Lilou. Aber Hans und Christa wollten diese Freude nicht mit Lilou und schon gar nicht mit mir teilen. Für sie war ich einfach ein alter perverser pädophiler Fettsack, der sich die Unerfahrenheit und Dummheit ihrer Tochter zu Nutze machte. Lilou war enttäuscht von ihren Eltern und versicherte mir, dass ich ihr tausendmal wichtiger sei und sie nur einen Menschen je wirklich geliebt hatte, nämlich mich!

Glücklich war sie darüber, dass ihr Bruder, einige Freundinnen und meine Bekannten, für eine feierliche, familiäre Atmosphäre sorgten. Mein Personal achtete auf einen reibungslosen Ablauf und so gab sich diese kleine Gesellschaft dem freudigen Treiben hin.

Lilou ließ sich diesen Tag nicht vermiesen, lachte viel, tanzte und genoss sichtlich jeden Moment. Sie hatte mir zu meiner Überraschung eine eigene Bleistiftzeichnung unserer Villa geschenkt, sehr modern eingerahmt, diese ziert nun die Wand hinter der Theke unseres Cafés.

Wenn wir auch nicht mit Brautkleid, Frack und Brimborium heirateten, war es doch sehr stilvoll. Alle Tische waren weiß eingedeckt, mit Rosen verziert und in der Mitte eine große Kerze. Es gab ein Kuchenbüffet und abends kalte Speisen zur Selbstbedienung. Eine kleine Drei-Mann-Band spielte leise Mainstream Jazz-Standards.

Ganz stolz präsentierte Lilou ihren neuen Ehering, den ich eigens für sie anfertigen ließ. Auch hier setzte ich auf zeitlose Schlichtheit, schließlich sollte die Ehe ja auch für alle Ewigkeit bestehen. Es war ein zweifarbiger Goldring mit eingearbeiteter herzförmiger Intarsie aus Cognac-Diamant. Als ich ihr den Ring ansteckte, kullerten Tränen der Freude über ihr Gesicht und ich war der stolzeste Mann auf der ganzen Welt.

Ich empfand eine tiefe Demut in diesem Moment, fühlte mich Lilou gegenüber völlig verpflichtet, eine Verpflichtung, die mich befriedigte und mir Kraft verleite.

Lilou war überglücklich, wie immer zeigte sie mir dies auf ihre ganz eigene sehr warmherzige, liebevolle Art.

Kurz vor Mitternacht gingen wir von der Feier nach Hause. Da es nicht so weit zu uns nach Hause war, schlenderten wir durch die Gassen der Neustadt und genossen diese neue Situation, endlich Mann und Frau.

Es war eine laue Sommernacht, die Sterne funkelten hell, die Neustadt war voll in Ihrem Element, laute Musik und Stimmengewirr um uns herum, hin und wieder bellte ein Hund, wir liefen eng umschlungen.

In einer ruhigen Seitengasse kniete ich mich plötzlich vor sie hin und deutete ihr an, dass sie der hellste Stern im Universum sei und ich dankbar bin, dass sie sich von mir hat runterholen lassen. Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände, ging ebenfalls in die Knie und küsste mich liebevoll.

So knieten wir einander einige Minuten, bis uns die Knie vom harten Pflaster weh taten.

Lilou Charlou

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