Читать книгу Lilou Charlou - Guillermo El Oso - Страница 8
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Lilou hatte es eingeführt, dass wir unbekleidet schlafen. Sie hat gelesen, dass das gesünder für den Körper und Organismus ist. Weil es zudem auch noch so erdrückend schwül ist, liegen wir nackt auf dem Bett und empfinden es, zumindest im Moment, als angenehm kühl.
Lilou liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und streichelt sanft über ihren straffen Bauch. Mit einem Mal nimmt sie meine Hand, zieht sie rüber zu sich und legt sie auf ihn. Mir wird ganz wuschig, denn er fühlt sich so ungemein sanft an.
Wie jeden Abend, Morgen und Mittag hat sie ihn eingecremt. Ein Zittern und eine Spannung der Bauchdecke kann auch ich jetzt spüren, wie ein leichtes Stoßen aber doch eher eine gleitende Bewegung. Und wieder. Meine Hand liegt unterhalb ihres Bauchnabels, in der Nähe ihres blank rasierten Schambereichs. Es wirkt total faszinierend, ich hätte nie gedacht, dass ich das je erleben würde.
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Mein ganzes Leben lang, schon als Baby und als ich zur Schule ging, war ich ein proper Junge. Der Liebling sportlicher Normalo’s, um mich daran zu erinnern, dass ich wohl zu viel fresse und mich einfach zu wenig bewege.
So kam es, wie es kommen musste, ich war ihr Spielball für Witze, Hohn und Spott, Streiche und kindlicher Hänseleien. Dabei spielte ich sogar im Fußballverein und dachte, Turnen kann vielleicht auch nicht schaden. Als ich mir dann beim Bocksprung eine Delle in den Hintern sprang, ließ ich das lieber sein und konzentrierte mich voll auf den Fußball. Weil ich nicht so schnell und viel laufen konnte wie die anderen, stellte man mich ins Tor. So wurde Fußball eine wirklich große Leidenschaft von mir.
Die Nachmittage verbrachte ich regelmäßig auf unserem Bolzplatz hinter der Schule, auch wenn ich immer der Letzte war, der halt noch genommen werden musste.
Und doch hatte ich, eine Qualität ganz anderer Art. Ich war das Sorgentelefon für die gescheiterten Teenie-Liebschaften meiner Klassenkameradinnen, das Taschentuch was voll geheult, beschmutzt und dann, wenn wieder alles gut war, einfach in den Eimer geworfen wurde. Wenn die Mädchen Trost und Zuspruch brauchten, kamen sie zu mir, brauchten sie aber was fürs Herz oder fürs Bett, beachteten sie mich nicht. Ich war sozusagen der nette Typ, der immer ein offenes Ohr hatte, dass Anhängsel, das man duldete. Oder um es poetisch zu sagen, dass Rettungsboot aller Luxusliner.
Kein Wunder, dass ich erst mit vierundzwanzig meine erste und einzige Freundin hatte. Alexandra, eine wuselige rothaarige Mitkommilitonin brauchte mich damals, um ihr Studium zu finanzieren, als Ausgleich nahm sie es in Kauf, mit mir in einer WG zu leben, was dazu führte, dass ich auch gelegentlich ihre sexuellen Gelüste befriedigen durfte.
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Und jetzt liege ich hier nackt auf meinem Bett, neben meiner geliebten Lilou und streichle über ihren straffen Bauch, ein wirklich elektrisierendes Gefühl durchströmt meinen Körper. Ich kann förmlich spüren wie die elektrischen Impulse im höchsten Tempo durch die Milliarden Bahnen meines Körpers jagen. Die wenigen Haare an meinen Körper stellen sich auf als würden sie sich zum Kampf rüsten, Gänsehaut bildet sich überall, ein Schauer des Glücks läuft mir den Rücken runter und endet als Explosion in meinem Herzen.
Es ist für mich eine so emotionale Situation, dass mir Tränen an den Außenseiten der Wangen runterrollen. Mit einer schnellen Bewegung wische ich mir die Tränen ab. Aber Lilou ist sehr feinfühlig, rollt sich zu mir auf die Seite und küsst jene noch feuchte Stelle, gräbt sich kuschelnd in meinen Arm, legt ein Bein angewinkelt auf meine Oberschenkel und genießt sichtlich die Nähe und den Schutz, denn ich kann nun schon ihren gleichmäßigen ruhigen Atem wahrnehmen.
Während Lilou schläft, sauge ich noch ihren Duft in mich auf. Lilou duftet für mich wie Haselnuss mit wilden Rote-Johannisbeeren. Ich liebe es, ihr Aroma einzuatmen und ihren salzigen Geschmack in mich aufzunehmen.
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Schon bevor ich 1992 mein kleines Café in Dresden eröffnete, war ich ein Liebhaber von duftendem Kaffee und natürlich Kuchen. Doch erst seit der Jahrtausendwende weiß ich, was Geruch und Geschmack wirklich bedeuten.
Drei Jahre lang habe ich mich als Barista in der Toskana ausbilden lassen, habe in den verschiedensten Bars, Hotels und Restaurants gejobbt, und ging dann noch nach Wien, um das Diplom des Kaffee-Sommeliers zu erwerben. Das schärfte meinen Geruchs- und Geschmackssinn, machte mich sensibel und führte zu guten Ergebnissen, auch in meinem kleinen Café in Dresden.
Natürlicherweise hat es nicht gerade zu meiner Gesundheit und meinem Aussehen beigetragen, täglich frischen Kuchen und Kaffee zu verkaufen, neue Kreationen zu entwickeln und zu testen, doch mit etwas Selbstdisziplin, gelang es mir, das Schlimmste zu verhindern.
Dadurch, dass ich das Café ständig erweiterte und spezialisierte, wurde es in Dresden eine Art Kultstätte, die man immer gern besuchte. Ich leistete mir Personal, und konnte mich so auf die Arbeit im Hintergrund konzentrieren und war von der Theke und ihren Gefahren entfernt. Es versetzte mich zudem in die Lage, viel zu reisen, zu lernen, und zu arbeiten, deshalb war auch nicht an Familie und Liebe zu denken.
Für mich fand ich meine Erfüllung in meinem kleinen Café, meiner Liebe zu Details, neuen Wegen und neuen kreativen Inspirationen. Hier ging ich ganz auf. Begeistert wie ein Fischer fuhr ich täglich mit meinem Kutter raus aufs Meer, kam zufrieden mit meiner Ausbeute wieder nach Hause und hatte so alles was, man zum Leben brauchte. Bis, ja, bis zu dem Tag als ich Lilou in Frankfurt begegnete.
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Lilou dreht sich auf den Rücken, winkelt dabei ihre Beine an, breitbeinig, gefolgt von einem leichten Stöhnen, schon tagelang ist das von ihr zu entnehmen. Schweiß steht ihr auf der Stirn, den Mund leicht geöffnet, doch selbst jetzt lächelt sie. So muss auch ich unweigerlich zufrieden lächeln.
War Lilou jemals schlecht gelaunt oder ärgerlich? Ich kann mich an nichts Konkretes erinnern, sie war immer lebensbejahend, froh und witzig. Das einzige Mal, wo ich sie etwas energischer erlebte, war bei meinem ersten Besuch ihrer Eltern in Frankfurt.
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Wir hatten uns am Brockhaus Brunnen verabredet. Es sollte ein besonderes Wochenende werden und Lilou bestand darauf, uns dort zu treffen.
Mittlerweile hatte der Frühling Frankfurt voll im Griff. Überall blühten die Blumen, die Cafés verlagerten ihr Geschäft nach außen und selbst in so einer Metropole wie Frankfurt konnte man sich am frischen Duft des Frühlings erfreuen. Der Brunnen plätscherte so vor sich hin und Lilou saß auf der Treppe, so wie damals, als ich sie das erste Mal sah, nur das sie nicht fror.
Sie hatte sich extra schick gemacht und trug ein farbenfrohes Kleid mit einer Strickjacke darüber, Sonnenbrille, ein Bandana um ihr schönes langes Haar gebunden und superbequeme Sportschuhe.
Vor vier Monaten wartet sie auf ihren Freund, der aber nicht kam. Er ließ sie sitzen, im Schnee und der eisigen Kälte. Es sollte damals ihr erstes Date sein, das erste Mal ein Freund. Noch war nichts wirklich fest, sie war ja erst achtzehn geworden, aber es war eben ihr erstes Date und deshalb was Besonderes. Um so enttäuschter war sie, dass er nicht kam! Später erzählte sie mir, dass sie aus Trotz und Wut mit mir mitging, es aber die beste Entscheidung ihres Lebens war!
Als sie mich schon von weitem sah, sprang sie auf, rannte mir entgegen, hüpfte mir in die Arme und wir drehten uns eng umschlungen mitten auf der Zeil. Was für ein Schauspiel. Viele beobachteten uns, lächelten, schmunzelten und freuten sich mit uns. Eine Verkäuferin vom Dunkin' Donuts hatte Tränen in den Augen und schluchzte mit vor dem Mund gepressten Händen. Ein Straßenverkäufer im Clownskostüm, der Figuren aus Luftballons herstellte und verkaufte, klatschte vor Freude in die Hände, kam zu uns rüber und überreichte Lilou ein Herz aus Luftballons.
Wir beide wurden dann doch etwas verlegen, bedankten uns und gingen beschwingt, Hand in Hand, voller Emotionen Richtung S-Bahn Konstablerwache. Um uns herum schien die Welt stehen geblieben zu sein. Nur wir bewegten uns wie eine weiße Feder schaukelnd im Wind. Doch wie Blei fiel diese Feder zu Boden, als wir die Schwelle ihrer elterlichen Wohnung überquerten. Aus einer friedlichen See entsprang wie aus heiterem Himmel ein gewaltiger Sturm, Blitze und Donner tobten über dem Meer, das kleine Segelboot schlingerte in den unausweichlichen hohen Wellen und drohte zu kentern. Der Steuermann hängt am Ruder und trotzt der rauen See und der alles durchnässenden Gicht.
Es war eine dieser kleinen, hellen einfachen Wohnung im Gallus. Hier, wo sich die Kultur der ganzen Welt wieder findet. Ohrenbetäubender Lärm drang von dem Zug an mein Ohr. Wie bei einem Erdbeben erzitterte das ganze Haus.
Lilou's Mutter empfing uns in einem dieser einfachen bunten Haushaltkittel, wie sie meine Oma immer früher trug, eine selbst gedrehte Zigarette hing halb aufgeraucht im Mundwinkel und die Asche schien nur darauf zu warten, bis ich ihr zu nahe kam, um dann endlich sich von ihrem Besitzer zu trennen. Der Rauch hingegen umhüllte ihre Besitzerin und verdeckte so gekonnt, was eh lieber keiner gesehen hätte.
Klein, stämmig und mit viel Selbstbewusstsein trat ihre Mutter auf mich zu: »Sie sind da, Hans« brach es aus ihrer tiefen extrem lauten Stimme.
Ich meinte zu spüren, wie mein Trommelfell zu platzen drohte. Ein fester maskuliner Händedruck brachte mich dazu, ihr nicht zu nahe zu kommen.
»Was’n des für’n alter Fettsack!«
Lachend musterte mich Hans vom Wohnzimmer aus. Er saß in seiner weißen Unterwäsche auf dem Sofa. Vor sich ein übervoller Aschenbecher und unzählig leere Bierdosen. Der Raum stickig und muffig. Hätte ich ein Messer gehabt, hätte ich die Luft in Scheiben schneiden können.
Ich spürte, wie sich mein Magen umdrehte, das Blut stockte, die Sauerstoffversorgung brach zusammen und ich fürchtete im nächsten Moment wie ein nasser Sack Kartoffeln umzufallen.
In mir wurde bewusst, in was für einer Umgebung meine süße kleine Blume aufwachsen musste. Inmitten einer Müllkippe bahnte sich eine zarte, wunderschöne Blume ihren Weg und gab der Umgebung ihren Glanz. Lilou war der Monte Scherbelino vom Gallus!
Ich wusste ja bereits, dass sie ein einfaches Leben führte, aber der Anblick ihrer Eltern und ihrem Zuhause, schockte mich doch zunehmend. Ich bemühte mich, alle diese Dinge auszublenden, mich auf Lilou zu konzentrieren, bei ihr Halt zu suchen.
Dem mitgebrachten Blumenstrauß wurde gerade soviel Achtung entgegengebracht, dass ich nicht damit rechnen konnte, dass er das Wochenende überleben würde.
Nach einer Stunde, es kam mir aber wie eine Ewigkeit vor, blickte mich Lilou traurig an. Meine fahle Haut, meine verschwitzten Haare, zittrige Hände, all diese Symptome erkannte Lilou. Sie verstand sofort und fing an, ihrem Vater und ihrer Mutter zu zeigen, wie sehr sie sich für sie schämte. Voller Wut und Enttäuschung packte sie ein paar Sachen in eine Sporttasche und stürmte, mich an der Hand hinterherziehend, aus der Haustür, die sie krachend, ich erwartete glatt das sie samt Türrahmen herausfiel, zu schlug.
Unten auf der Straße angekommen, atmete sie erst einmal tief durch. Plötzlich wurde der wilde unbändige Ozean wie eine schillernde dahingleitende Regenpfütze und das durchgeschüttelte Segelboot lag still im Ozean, horchte in sich hinein, ob es noch seetauglich wäre! Ich schaute Lilou tief in die Augen, wir mussten beide aus vollem Herzen laut lachen. Es schallte in der ganzen Straße. Der Frust, der Stress, die Enttäuschung, alles entlud sich in einem schallenden Gelächter, was meinen inneren Körper wieder mit ausreichenden Nährstoffen versorgte und ich so wieder ein Teil der menschlichen Gesellschaft werden konnte.
Ich lud Lilou zu einem großen Eis ein, bekniete sie, sofort zu mir zu ziehen, doch sie wollte noch bis zum Schulabschluss ausharren.
Niemals mehr war ich dort bei ihren Eltern zu Besuch. Meine Aufgabe und Mission hatte ich nun vollends erkannt, nichts und niemand sollte mich je aufhalten können.