Читать книгу Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski - Gundolf S. Freyermuth - Страница 10

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VI

“Wie eine Spinne ihr Netz webt.”

- Bukowski übers Schreiben -

“‘Die Sonne steht in Agoniiie / über Saint Louiiis!’- und anderen Schwachsinn dieses Kalibers. Sowas habe ich, als ich anfing, oft nachträglich in die Gedichte reingeschrieben, weil ich wußte, daß die Redakteure ihre Poesie am liebsten poetisch hatten und nicht so hart wie meine Zeilen. Ich habe ihnen die Zeilen als Köder hingeworfen und gedacht: Lutscht das aus! Hätte ich vielleicht nicht tun sollen. Aber so wurde ich mein erstes Zeug los ... War’s das? Können wir aufhören?”

“Ich habe noch gar keine Frage gestellt ...”

“Okay, dann mach weiter ...”

Wir sitzen in dem Vorgarten-Park, den Charles Bukowski seinen “Garten Eden” nennt. Ein paar Meter weiter dreschen, angetrieben vom Wind, zwei hölzerne Silhouetten-Boxer aufeinander ein. Das luftige Spielzeug ist Michael Montforts Geburtstagsgeschenk für Bukowski. Der schaut dem rastlosen Duell zu und grinst.

“Wahrscheinlich willst du als nächstes wissen, warum ich überhaupt schreibe? Ja? Natürlich. Habe ich mir gedacht ... Also, ich schreibe, um nicht verrückt zu werden. Das ist heute so, wie es früher war. Inzwischen werde ich aber gut bezahlt. Damals hat mir keiner was dafür gegeben.”

“Fürs Schreiben bezahlt zu werden”, hat er behauptet, “ist so, als ginge ich mit einer wunderschönen Frau ins Bett, und hinterher steht sie auf, geht zu ihrem Portemonnaie und gibt mir eine Handvoll Geld. Ich nehm’s natürlich.”

“Ist das Geld”, frage ich, “auch gut für das, was du schreibst?”

“Natürlich ist es besser, ein bißchen was zu haben”, sagt Bukowski. “Ich habe lange genug gehungert. Und gehungert. Und gehungert. Ich meine, zu hungern ist nicht so schlimm. Doch auf Dauer geht es an die Substanz. Du wirst dünn. Und deine Zähne fallen aus. Ich konnte mir die Dinger einfach aus dem Mund ziehen. Hab’ sie auf den Boden geworfen.” Er schweigt einen Augenblick. “Okay, ich habe also genug gehungert. Und heute, wo ich es nicht mehr tue, fühle ich mich nicht schuldig. So einfach ist das ...”

“Du hast gesagt, du schreibst, um nicht durchzudrehen ...”

“Um nicht verrückt zu werden. Yeah ...”

“Und?” frage ich: “Hat’s geholfen?”

“Du meinst, ich sei verrückt? Daß es nicht geholfen hat?” Bukowski lacht müde: “Das ist gut! Aber stell dir vor, ich hätte nicht all das Zeug geschrieben, ich meine ... Wahrscheinlich steckte ich heute in einer Gummizelle. Glaube ich jedenfalls. Schreiben ist eine Entspannung, eine Erlösung ... War’s das? Nein?”

Er atmet durch und zeigt auf Michael Montfort, der um uns herumturnt und den Motor seiner Kamera surren läßt.

“Wenn der was Gutes sagt, tu einfach so, als wäre der Spruch von mir.”

“Klar”, nicke ich. “Andererseits ist das nicht so wichtig. Ich erfinde die Zitate sowieso.”

“Gut”, sagt Bukowski, “dann bin ich beruhigt. Aber paß auf, für den Fall, daß dir nichts einfallen sollte, erzähl ich dir jetzt eine Geschichte, wie das mit dem Schreiben ist ...” Mit einer müden Handbewegung wischt er die Fliege beiseite, die über seinen altersfleckigen Handrücken kroch. “Vor Jahren hockte ich total pleite in so einer Bretterbude in Atlanta. Ich hatte nicht mal eine Schreibmaschine, und ich hatte Hunger. Auf dem Boden zwischen einem Haufen alter Zeitungen hab’ ich ‘nen Bleistiftstummel gefunden. Mit dem kritzelte ich auf die weißen Ränder der alten Zeitungen. Anderes Papier hatte ich nicht. Ich wußte genau, daß kein Mensch je eine Zeile davon lesen würde. Aber ich mußte es trotzdem tun. Automatisch, zwanghaft, wie eine Spinne ihr Netz webt. Verstehst du das? Ich bin ein geborener Schreiber. Ich kann dagegen nichts machen. Außer eben zu schreiben. Und dann geht’s mir besser.”

“Weißt du noch, was du damals geschrieben hast?”

“In der Bretterbude? Um Gottes willen! Nicht ein Wort ...”

“Ich kannte einen Schriftsteller, der hatte 1940 auf der Flucht vor den Nazis in einem französischen Lager gesessen”, erzähle ich, “und da schrieb er seine Gedichte wie du mit einem Bleistiftstummel auf Papierfetzen. Und ein halbes Jahrhundert später, als er fast neunzig und altersblind war und die geretteten Texte archiviert wurden, da konnte niemand mehr die Schrift lesen ...”

“Da siehst du’s”, sagt Charles Bukowski, “hat keinen Sinn, so Zeugs aufzuheben ...”

“Die Geschichte geht weiter: Der alte Mann, er hieß Hans Sahl, wußte jede Zeile auswendig. ‘Was man mit einem Bleistiftstummel geschrieben hat auf einem Block, für den man im Lager zwei Zigaretten tauschen mußte’, hat er gesagt, ‘das vergißt man nicht.’”

“Gut”, sagt Bukowski und lächelt kein bißchen. “Ich meine, der war gut dran. Ich vergesse alles, was ich schreibe.”

“Ist das nicht der Grund, warum wir was aufschreiben?”

“Yeah. Es fällt einem leichter, es abzuhaken. Die Leute fragen mich immer nach irgendwelchen Sätzen in meinen Büchern. Ich sage: ‘Was? Hab’ ich das geschrieben?’ Meiner Meinung nach ist es das beste, du reinigst deinen Kopf von dem alten Kram, so daß du die neuen Sachen schreiben kannst. Es ist, wie ein neues Leben zu beginnen ...”

Charles Bukowski rutscht unruhig auf dem Gartenstuhl hin und her und schiebt seinen Strohhut, der ihn vor der kalifornischen Sonne schützt, tiefer ins Gesicht.

“War’s das endlich?”

“Ich frage mich, wie oft ich dich das fragen lasse, bevor ich ja sage ...”

“Yeah. Das frage ich mich auch ...” Bukowski lacht gutmütig: “Also gut, was jetzt? Hemingway?”

“Noch nicht. Der ist die letzte Zuflucht. Falls mir nichts mehr einfällt.”

“Naja”, sagt Bukowski, “da haben wir wenigstens was, worauf wir uns freuen können.”

Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski

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