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Vom Goldgräber zum Staats–bürger – Kalifornien wird ein Bundesstaat

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1700 Meilen südöstlich der kalifornischen Grenze raufte sich ein Mann die Haare. Sein gerade gezogener Seitenscheitel geriet dabei in Unordnung, doch der sonst so korrekt aussehende Mann achtete nicht darauf. Er richtete seine Augen zum Himmel und rief: „Heilige Muttergottes, wie konntest du das zulassen?“

Manuel de la Peña y Peña, der mexikanische Präsident, war fassungslos. In Kalifornien war Gold gefunden worden – viel Gold! Die ersten Nuggets, so hatte der Bote ihm berichtet, habe ein unbekannter Zimmermann aus dem Fluss geholt, neun Tage vor jenem 2. Februar, dem Tag, der das Schicksal des stolzen Staates Mexiko auf so einschneidende Weise verändern sollte.

Die Mexikaner hatten den Krieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika verloren. Am 2. Februar 1848 waren sie gezwungen, den Vertrag von Guadalupe Hidalgo zu unterzeichnen, dessen Bedingungen vorsahen, dass Mexiko fast die ganze nördliche Hälfte seines bisherigen Staatsgebiets an die Amerikaner abtreten mussten. Zwar gegen einen Kaufpreis von 15 Millionen Dollar, aber damit konnte das Land allenfalls seine immensen Schulden bezahlen. Zu den riesigen Gebieten, die nun unter neue Herrschaft kamen, gehörten die heutigen Bundesstaaten Arizona, Utah und Nevada sowie Teile von New Mexico, Colorado und Wyoming – und eben Kalifornien!

Bisher war Manuel de la Peña y Peña überzeugt gewesen, dass all das öde, unwegsame Land ohnehin nicht viel wert sei. Kaum jemand lebte dort, bis auf ein paar Missionare und eine Handvoll Mexikaner, die auf ihren Ranchos Rinder und Schafe züchteten. Abgesehen von Wolle und saftigen Steaks gab es da oben im Norden nichts zu holen. Doch die Kunde von den Goldfunden ließ die politische Lage in einem ganz anderen Licht erscheinen.

„Warum haben sie das Gold nicht ein Jahr früher gefunden?“, seufzte der Präsident. Dann hätte er Steuern auf jede gefundene Unze Gold erhoben, um die Staatskasse aufzufüllen. Und damit wäre es ein Leichtes gewesen, den Krieg zu gewinnen. Peña y Peña fühlte sich gedemütigt und ausgetrickst. „Die Yankees müssen es gewusst haben“, presste er wütend zwischen den Zähnen hervor.

Doch der Präsident irrte. Die Yankees waren genauso überrascht wie der Rest der Welt. Bis die Regierung in Washington realisierte, was auf der anderen Seite des Kontinents vor sich ging, waren schon Tausende von Goldsuchern in das neu erworbene Gebiet eingefallen. Keinerlei lästige Besitzrechte, Schürflizenzen oder Steuerabgaben hinderten sie daran, das Gold überall aus dem Boden zu holen, wo es verheißungsvoll glitzerte, und sich daran in vollem Umfang zu bereichern.

Die Schürfer übernahmen einfach das mexikanische Bergbaurecht: Wer zuerst kam, steckte sich einen „Claim“ ab, beanspruchte also die Schürfrechte für ein bestimmtes Stück Land. Dieser Anspruch galt so lange, wie tatsächlich auf dem Land gearbeitet wurde. Zog der Goldsucher weiter, rückte ein anderer nach und fand vielleicht noch den einen oder anderen bisher übersehenen Goldkrümel.

Dass es bei diesem System nicht immer friedlich und wohlgeordnet zuging, lag am Ansturm der Massen und an der Abwesenheit staatlicher Gesetzeshüter. Die Massen nahmen das Recht in die eigenen Hände und machten kurzen Prozess. Wer einem anderen die Goldpfanne klaute oder sich anderweitig schlecht benahm, baumelte noch am selben Abend mit einem Strick um den Hals an einer Ponderosa-Kiefer.

Der Weg zu Recht und Ordnung

„So kann es nicht weitergehen“, sagten die Kalifornier kopfschüttelnd. Sie fanden, dass diese simple Art von Recht und Ordnung, wo oft genug die Lynchjustiz regierte, einem unter US-Verwaltung stehenden Gebiet nicht angemessen sei. Viele der Neuankömmlinge stammten aus anderen Teilen der USA und wollten in ihrer neuen Heimat die gleichen Rechte und Freiheiten genießen wie dort, wo sie hergekommen waren. Das ließ nur einen Schluss zu: Kalifornien musste ein Bundesstaat werden!

Auch die „Californios“, die mexikanisch-stämmigen Gutsbesitzer auf ihren teils riesigen Ländereien, den Ranchos, wollten ihre Rechte festgeschrieben wissen. Bei den Ranchos handelte es sich um Landzuteilungen erst von den spanischen Kolonialherren, später von der mexikanischen Regierung. Das Wort „Rancho“, von dem sich die englische Bezeichnung „Ranch“ ableitet, findet sich heute noch in vielen kalifornischen Ortsnamen.

Bereits 1849 berief der Militärgouverneur General Bennett C. Riley einen Verfassungskonvent ein, zu dem die alten und neuen Kalifornier ihre Delegierten entsandten. Diese reisten im Herbst des Jahres nach Monterey, um dort eine Verfassung auszuarbeiten. In wochenlanger Anstrengung entstand Artikel für Artikel ein neues Gesetzeswerk – zukunftsweisend auf der einen Seite, rückwärtsgewandt auf der anderen: Denn das Wahlrecht und andere Bürgerrechte sollten fast ausschließlich für Menschen weißer Hautfarbe gelten. Die Neubürger Kaliforniens hatten vieles hinter sich gelassen, doch das Übel des Rassismus trugen sie mit in das neue Land.

Nach Beendigung ihrer Arbeit schickten die Verfassungsväter ein Ersuchen an den Kongress in Washington, man möge Kalifornien als Bundesstaat in die Reihe der Vereinigten Staaten aufnehmen. Eine reine Formalie, dachten sie. Wer würde einem Land mit so reichhaltigen Rohstoffvorkommen und buchstäblich goldenen Zukunftsaussichten die Aufnahme verweigern?

Doch sie hatten nicht mit den Südstaaten gerechnet. Zu dem Staatenbündnis gehörten bisher fünfzehn Mitglieder im Süden, wo man den Besitz von Sklaven gestattete, und die gleiche Anzahl freier Staaten im Norden, wo genau dies verboten war. Auch der neue Anwärter beabsichtigte, ein freier Bundesstaat zu werden, und hatte sich in seiner Verfassung gegen die Sklavenhaltung ausgesprochen. Keineswegs aus moralischen Gründen – die Arbeiter in den Goldminen wollten sich ihren Job nicht von billigen Sklaven wegnehmen lassen. Und nun senkten die Vertreter der Sklavenstaaten ihre Daumen nach unten. Sie dachten gar nicht daran, den freien Staaten zu einer Mehrheit auf der politischen Bühne zu verhelfen.

Es dauerte ein ganzes Jahr, bis der Kongress einen Kompromiss fand, bei dem keine der beiden Seiten ihr Gesicht verlieren musste. Die Südstaaten akzeptierten Kalifornien als 31. Mitglied der Vereinigten Staaten. Doch im Gegenzug mussten die Nordstaaten ein Gesetz billigen, das jeden unter Strafe stellte, der einem Sklaven dabei half, in einen der freien Bundesstaaten zu fliehen.

Am Samstag, den 7. September 1850, feierten die Leute in Washington, D.C, ausgelassen auf den Straßen. Gerade hatten die Abgeordneten dem Gesetz zur Aufnahme Kaliforniens zugestimmt, und US-Präsident Millard Fillmore würde das Dokument am Montag unterzeichnen. Früher als jedes andere der neuen Gebiete war das Territorium ein ordentlicher Bundesstaat geworden – Kalifornien sauste auf der Überholspur dahin und würde sie nicht mehr verlassen.

Das Zentrum der Macht

Der frisch gebackene Bundesstaat musste noch vier Jahre warten, bis seine Gründer sich endlich auf eine Hauptstadt einigen konnten. Ihre Wahl fiel auf Sacramento, eine Goldgräbersiedlung, die aus John Sutters Kolonie „Neu-Helvetien“ hervorgegangen war. Sacramento lag strategisch günstig an der Mündung des American River in den Sacramento River. Bis hier konnten die Goldsucher per Schiff von San Francisco her anreisen, sich noch einmal mit Vorräten eindecken, um dann zu Fuß weiter zu den Goldfeldern zu wandern.

Auf die Vergangenheit als einstige Goldgräber-Boomtown sind die Bürger von Sacramento auch heute noch stolz. Als Anfang des Jahrtausends die Tower Bridge, die Hubbrücke über den Sacramento River nahe der Altstadt, neu gestrichen werden sollte, stimmten die Leute mehrheitlich für die Farbe Gold. Seitdem hebt sich die Brücke, eine sonst eher nüchterne Konstruktion aus dem Jahr 1935, in einem strahlenden Goldton vor dem blauen Himmel ab, so als wäre sie aus dem reinen Gold der örtlichen Minen erbaut worden.

Ob die Gründer bereits ahnten, dass Kalifornien einmal die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich erfolgreichste Region der Vereinigten Staaten werden sollte? Jedenfalls sorgten sie dafür, dass ihr Bundesstaat ein repräsentatives Regierungsgebäude erhielt. Gespart werden musste im Land des Goldes nicht, und so leisteten sich die Kalifornier ein imposantes State Capitol im neoklassizistischen Stil mit riesiger Kuppel und zahlreichen weißen Säulen. Der Bau wurde nach einer Bauzeit von 14 Jahren 1874 eingeweiht und kostete 2,45 Millionen Dollar, was einem heutigen Wert von 46 Millionen Dollar entsprechen würde.

Und doch findet sich die wahre Zierde des Regierungssitzes nicht in seinem Inneren, sondern im Außen: Das Capitol liegt in einem herrlichen großen Park, wo 800 Bäume und blühende Sträucher aus allen Teilen der Welt wachsen und gedeihen. Stattliche Orangenbäume, deren reife Früchte in der Sonne leuchten, lassen ihr Astwerk in die Sichtachse hineinragen und versperren auf schönste Weise den Blick.

Wir waren schon in so manches amerikanische State Capitol hineinspaziert, doch an einer Sicherheitsschleuse wie hier hatten wir noch nie Schlange gestanden. Wir wurden kritisch beäugt und unsere Tagesrucksäcke durchleuchtet. Dann durften wir die heiligen Hallen betreten, wo schon Ronald Reagan, der Mann mit dem Cowboyhut, als Gouverneur ein und aus gegangen war. Oder Arnold Schwarzenegger, der ehemalige Bodybuilder und Schauspieler, der als „Terminator“ mehr Eindruck machte als in seiner Eigenschaft als Chef von Kalifornien. Auf Schritt und Tritt begegnete uns das Wappentier des Landes, der Grizzlybär, auf Fahnen, im Staatssiegel und als Schnitzerei im Treppengeländer.

Die Flagge Kaliforniens beruht eigentlich auf einem Flop, und das kam so: Am 14. Juni 1846 rief eine Gruppe von 33 US-amerikanischen Siedlern in dem Städtchen Sonoma eine kalifornische Republik aus. Auf dem staubigen Dorfplatz hissten die Männer eine selbstgenähte Flagge, die einen Grizzlybären zeigte, einen einzelnen roten Stern und den Schriftzug „California Republic“.

Warum taten sie das? Die Siedler hielten sich illegal auf mexikanischem Boden auf, wollten aber keine mexikanischen Staatsbürger werden und befürchteten die Ausweisung. Probieren wir’s mal mit einer eigenen Republik, dachten sie sich. Die Revolte wurde von John C. Frémont, einem Offizier der US Army, mit Soldaten und Kriegsschiffen unterstützt – war aber schlichtweg überflüssig, denn bereits im Mai desselben Jahres war der Mexikanisch-Amerikanische Krieg ausgebrochen; eine Nachricht, die die Rebellen erst nach wochenlanger Verzögerung erreichte. Der Aufstand endete im Juli und ging als Bärenflaggen-Revolte in die Geschichte ein.

Die Revolte, kurz und politisch unbedeutend, wäre eine kleine Fußnote in der Geschichte Kaliforniens geblieben, wenn die Drahtzieher nicht diese schöne bunte Bärenflagge verwendet hätten. Und die wurde, als man eine solche brauchte, kurzerhand als offizielle Flagge Kaliforniens deklariert. Kritiker fordern, die Bärenflagge endlich in den Mülleimer der Geschichte zu werfen. Die Siedler von damals, so sagen sie, seien keineswegs brave Farmer und Patrioten gewesen, sondern nachweislich eine Horde von Sklavenbesitzern, Säufern, Dieben, Deserteuren und grausamen Indianerkillern. Es gebe wahrlich keinen Grund, sie in ehrender Erinnerung zu behalten. Dennoch weht ihre Flagge bis heute von allen Fahnenmasten.

Dagegen ist das Motto des Bundesstaats am Boden der Tatsachen angesiedelt: Eureka! Was aus dem Altgriechischen kommt und so viel heißt wie „Ich habe es gefunden“. Ging es im alten Griechenland um die Lösung eines Problems, bezieht sich der Ausruf in Kalifornien ganz materiell auf das Gold, das gefunden wurde.

Die Insel der schwarzen Königin

Woher kommt der Name „California“? Erstmalig tauchte das Wort in einem Werk des spanischen Schriftstellers Garci Rodríguez de Montalvo auf. In seinem Buch „Las Sergas de Esplandián“ („Die Abenteuer des Esplandián“), das 1510 erschien, erzählt er von einer schönen schwarzen Königin namens Calafia. Mit Hilfe einer Armee von wehrhaften Amazonen und einer Herde von dressierten Greifen herrscht sie über ein männerfreies Inselreich, das nach ihr selbst benannt ist: California. Die Frauen, die dort leben, verteidigen sich mit Waffen aus purem Gold.

Es war die Zeit der großen Entdeckungsreisen. Schriftsteller, die in ihren Werken fremde Völker, exotische Tiere und sagenhafte Schätze kombinierten, konnten fast sicher sein, einen Erfolg zu landen. Doch die Renner auf dem überschaubaren Buchmarkt des frühen 16. Jahrhunderts waren romantische Ritterromane, und zu diesem Genre gehörten auch die „Abenteuer des Esplandián“. Montalvo fügte dem bewährten Erfolgsrezept noch eine Komponente hinzu: eine Liebesgeschichte. Während eines Kriegszugs lernt Calafia einen attraktiven Ritter kennen, verliebt sich in ihn, und es gibt ein Happy End.

Wie gelangt nun der Phantasiename California aus dem Roman in die Realität? Das wiederum, so die Legende, sei auf Hernán Cortés zurückzuführen, den spanischen Eroberer. Nachdem die Spanier das mexikanische Festland erobert hatten, richteten sie ihren gierigen Blick weiter nach Westen, denn dort, so hatten sie gehört, befinde sich eine sagenhafte Goldinsel. Zu jener Zeit kursierten zahlreiche Geschichten dieser Art, und es war gut möglich, dass Cortés Montalvos Buch gelesen hatte, was sein Verlangen nach Ruhm und Reichtum noch befeuerte. Im Jahr 1535 landete der Eroberer mit einer Expedition auf der Halbinsel Baja California, die heute zu Mexiko gehört, hielt sie für eine Insel und nannte sie – nein, nicht California, sondern Santa Cruz.

Seltsamerweise aber tauchte der Name California sieben Jahre später im Tagebuch des Entdeckers Juan Rodríguez Cabrillo auf, und zwar so selbstverständlich, als wäre er schon längst allgemein bekannt. Auch der Historiker Giovanni Battista Ramusio, der Mitte des 16. Jahrhunderts über Cortés Reisen schrieb, nannte die vermeintliche Insel California. Bezog sich die Bezeichnung zunächst auf die Insel, ob halb oder ganz, so wurde sie später auf das gesamte unter spanischer Herrschaft stehende Territorium ausgeweitet.

Aber graben wir noch ein wenig tiefer. Wie ist eigentlich Montalvo auf den Namen gekommen? Vielleicht war dem Schriftsteller eine Geschichte aus Persien auf den Schreibtisch geflattert, die einen mythischen Berg namens „Kar-i-farn“ erwähnt, den Wohnort der Greife. Oder er hatte „La Chanson de Roland“, das „Rolandslied“, gelesen, ein berühmtes französisches Versepos aus dem 12. Jahrhundert, in dem ein Land namens „Califerne“ vorkommt. Vermutlich handelte es sich dabei um das Reich eines Kalifen. Das entsprechende arabische Wort „chalifa“ wird Montalvo aufgrund der maurischen Einflüsse in Spanien ohnehin gekannt haben. Und seine Calafia war dann offenbar eine Kalifin.

Der Geschichte weist so manche Ungereimtheit auf, doch das stört die Kalifornier wenig. Sie lieben die Sage von der kriegerischen Königin! Die Figur der Calafia hat ihren festen Platz im Ursprungsmythos Kaliforniens. Sie symbolisiert das wilde, unberührte Land mit all seiner Fülle, zu einer Zeit, bevor es von den Europäern eingenommen wurde. Ein Land, in dem die Legende von sagenhaften Goldschätzen unvermutet zur Realität wurde.

Das Kalifornien-Lesebuch

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