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2. Salons, Assoziationen, Vereine: Spielarten bürgerlicher Öffentlichkeiten

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Der Blick in die unterschiedlichen Spielarten bürgerlicher Öffentlichkeit macht dies plausibel. Bereits im geselligen 18. Jahrhundert stößt man auf ein breites Spektrum des Assoziationswesens. Das unterschied sich von seinen Vorformen vor allem darin, dass die Vereine ihrem Anspruch nach staaten-, stände- und konfessionsübergreifend auftraten und sich, ganz im Zeichen der Aufklärung, gleichsam als „moralische Internationale“ (Reinhart Koselleck) verstanden und nichts weniger als die Verbesserung der Menschheit auf ihre Fahnen schrieben. Man suchte sich – und das galt vor allem für die sich seit 1717 von England aus verbreitenden Freimaurerlogen – einen geschützten Raum, weniger um, was einige Zeitgenossen unterstellten, den Sturz der alten Ordnung vorzubereiten als vielmehr der Tugend, dem Zauberwort der Zeit, zur Entfaltung zu verhelfen. „Revolutionsnester“ waren die Logen schon deshalb nicht, weil sich ihre Mitgliedschaft primär aus den Stützen der Gesellschaft, nämlich aus hohen Staatsbeamten zusammensetzte, die kaum an dem Ast sägte, auf dem sie saß.

Salons

Nicht „geheim“, sondern semi-privat waren dagegen Zusammenkünfte, die sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in nahezu allen europäischen Großstädten großer Beliebtheit erfreuten. Schon im ausgehenden 17. Jahrhundert war Paris die Hauptstadt der Salongeselligkeit, gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden bedeutende Salons auch in London, Wien und Berlin. Hier öffneten nun gebildete Damen der höheren Stände ihre Salontüren einem kleinen, elitären Publikum. Die Öffentlichkeit, die sich dabei versammelte, war noch keine rein bürgerliche, sondern eine bürgerlichadelige Melange. Zunächst schlug sie eine Brücke zwischen der langsam zerfallenden, „höfischen“ und der neuen, „bürgerlichen“ Gesellschaft, später, nachdem sich das gebildete Bürgertum immer mehr vom Hof löste, geriet die Salonöffentlichkeit mehr und mehr zu einem Gegengewicht zur höfischen Gesellschaft.

Salons erfüllten eine Vielfalt von sozialen und intellektuellen Funktionen. Allein die lange Liste der intellektuellen und künstlerischen Prominenz, die sich hier ein Stelldichein gab, erzeugt Gänsehaut: Die Luft muss nur so vor klugen Gedanken geflirrt haben. Häufig herrschte eine quicklebendige Arbeitsatmosphäre: Manuskripte wurden vorgelesen und der Kritik ausgesetzt, Musiker nahmen auf dem Klavierhocker Platz, um Kompositionsentwürfe zu intonieren, Urteile über Theateraufführungen und Operninszenierungen wurden gefällt, schauspielerische Glanzleistungen gefeiert, durchreisende Wissenschaftler lieferten sich Diskursduelle mit Kollegen, selbst die Konversation übers Wetter geriet zum brillanten Schlagabtausch.

Bei der Wiener Salonière Caroline Pichler (1769–1843) gaben sich Größen aus Politik, Wissenschaft und Kunst die Klinke in die Hand. Ihre 1802 ins Leben gerufenen Gesellschaftsabende avancierten, wie ihre Kollegin Madame de Sta l schwärmte, zu einer „geistige[n] Macht in Wien“. Als 1815 der Kongress tagte und tanzte, ging es auch im Hause Pichler hoch her:

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Salonalltag

aus: Caroline Pichler: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Zweiter Band, München 1914, S. 40.

Indessen waren der Kongreß hier in Wien, die Feste, die ihn begleiteten und das raschbewegte Leben, das er mit sich brachte, ihren Gang fortgegangen. Es kamen viele und mitunter sehr schätzbare oder merkwürdige Fremde in unser Haus, und unsere Gesellschaftsabende an Dienstagen und Donnerstagen waren sehr besucht. Unter den Bedeutenderen nenne ich vor allen den Grafen Heinrich von Stolberg-Wernigerode, der nicht allein durch seinen Rang, sondern vielmehr noch durch die gediegene Bildung seines Geistes, wie durch ein edles, ebenso anstandsvolles als herzliches Benehmen uns allen ungemein wert geworden war. Daß auch er sich durch Achtung und Wohlwollen an unser Haus gezogen fühlte, bewies die Treue, mit der er nicht allein keinen der Abende versäumte, an denen meine Mutter und ich Gesellschaft empfingen, sondern sehr oft noch an den Sonntagsabenden, wann sich nur wenige und nur die nähern Freunde versammelten, zu uns kam. Unser alter geschätzter Freund, Hofrat Büel, hatte uns diesen vorzüglichen Mann zugeführt, mit dem er schon früher in Norddeutschland bekannt geworden war und Freundschaft geschlossen hatte. Noch bewahre ich als Andenken vom Grafen ein einfaches, aber geschmackvolles Teeservice von Wedgewood, das ich in einem kleinen Gedicht gefeiert habe. … Ich zähle noch mehrere dieser Großen, die damals unser Haus besuchten, nur mit ihrem Namen auf, weil sie mir, mancher persönlichen Liebenswürdigkeit ungeachtet, sonst eben durch nichts bedeutender wurden: wie den Fürsten von Lippe-Schaumburg und seine Schwester, den Grafen und die Gräfin Münster, die Baronin Münchhausen, die Fürstin Ysenburg und einige andere. Bedeutend in anderer Hinsicht waren mir General La Harpe, der vor nicht langem in der Schweiz starb, Herr Bertuch aus Weimar, Baron Cotta, Oberst Hövel, Dr. Weissenbach usw.

Was erfahren wir aus dieser Beschreibung? Offenbar gab es Abstufungen zwischen Besuchen von „schätzbaren und merkwürdigen Fremden“ einerseits und denen der „wenigen und nähern Freunde“ andererseits. Selbstverständlich wurden Freunde von Freunden willkommen geheißen, der Verkehrskreis blieb in Bewegung. Man bedankte sich für die Gastfreundschaft mit schlichten aber geschmackvollen Geschenken und hielt Gastgebern und Gästen auch dann noch die Treue, wenn sie längst von dannen gezogen waren. Auf der Namensliste der Eingeladenen versammelte sich ein buntes adelig-bürgerliches Gemenge: Grafen, Fürsten und Barone, aber auch Generäle, Kaufleute und Akademiker.

In dieser frühen Phase des Vereinswesens, das sich in der Salonkultur nicht nur einer Pichler, sondern auch einer Rahel Varnhagen, Henriette Herz oder Madame de Sta l formierte, war demonstrativer Wohlstand weniger gefragt als die Fähigkeit zu wohlgesetzter Konversation. Die Bewirtung war spartanisch, man reichte Tee, Kekse und Butterbrote, eine opulente Gastlichkeit widersprach dem idealen Programm der Zusammenkünfte. Es ging um das gelehrte Räsonnement, um anregenden Austausch, um das Kennenlernen von interessanten Persönlichkeiten.

Bedeutung der Bildung

Bildung war hier die Quintessenz, die untereinander verband und gleichzeitig andere, eben Ungebildete, ausschloss. Gleichzeitig Voraussetzung und Ergebnis der Salon-Kommunikation war diese Art der Bildung nicht an Bildungspatenten ablesbar, sondern ließ sich im doppelten Wortsinn über das Gespräch zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen fast spielerisch herstellen. Dies galt auch für die seit den 1770er Jahren aufkommenden Lesegesellschaften, die aber anders als die Salons, primär von einem rein bürgerlichen Publikum initiiert und frequentiert wurden. Basis dieser Öffentlichkeit war eine zunächst kleine, aber kritisch diskutierende Gemeinschaft, die nun nicht mehr wenige Standardwerke immer wieder intensiv las, sondern ihre Lektüregewohnheiten auf laufende Neuerscheinungen einstellte und diese gemeinsam erörterte. Horizonterweiterung lautete das Schlüsselwort. Schätzungen zufolge gab es Ende des 18. Jahrhunderts rund 500 solcher Lesegesellschaften.

Im „goldenen Zeitalter“ der Vereine entstand ein immer dichteres Geflecht geselliger Vereine. Wie schon ihre Vorläufer bezogen auch sie ihr Selbstverständnis aus der Vorstellung, dass politische Tugend und sozialer Austausch untrennbar miteinander verbunden und aufeinander bezogen seien. Zu Quellen höherer „Menschlichkeit und Cultur“ stilisierten sie die sie gründenden und frequentierenden Bürger. Gerade in der Frühphase wussten Bürger sehr wohl, welches fragile Gut ihnen mit dem freien Vereinswesen zu Gebote stand. Pathosschwanger rühmten Karl von Rotteck (1775–1840) und Carl Theodor Welcker (1790–1869) in ihrem „Staats-Lexikon“ (1834–1843) das „Assoziationsrecht“.

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Vereinsideal

aus: Art. Assoziation, in: Karl von Rotteck u. Carl Theodor Welcker: Staatslexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften, Altona 1845–1848, Bd. 1, S. 723–747, S. 732f.

Es ist dieses nehmlich der Grundsatz, daß dasjenige, was allen einzelnen Bürgern rechtlich freisteht, wie z. B. das Spazierengehen, das Zeitungslesen, der Ausdruck erlaubter Wünsche und Bitten, die Beförderung guter wohlthätiger patriotischer Zwecke, dadurch an sich noch nicht rechtsverletzend und zum Vergehen wird, daß sie dasselbe gemeinschaftlich, daß sie es in der wesentlichen Grundform menschlicher Bildung und durch Ausübung des ältesten Menschenrechts, nehmlich in freier Association thun. … Es giebt aber kein wichtigeres und heiligeres in dieser rechtlichen Freiheit enthaltenes Recht, als gerade die freie Verbindung des Menschen mit seinen Mitmenschen, für das, was er für gut und recht und heilsam hält, für religiöse und moralische, für wissenschaftliche und künstlerische, für ökonomische und politische Ausbildung und Wirksamkeit. Es ist ein Recht auf Wahrheit und Bildung, ihre Erwerbung und Mittheilung und ein Recht auf Erwerbung und Mittheilung der wichtigsten Mittel und Güter für alle menschlichen Zwecke und Genüsse.

Die Orientierung am Gemeinwohl galt Rotteck und Welcker als Kern aller Bürgertugend. In „Bürgersinn“ und „Bürgermuth“ sahen sie die Lebensader der bürgerlichen Vereine und in der Geselligkeit mit anderen Bürgern die Chance, sich stetig selbst zu „verbessern“. Durch die zwanglose Hinwendung zum wahlverwandten Vereinsbruder konnte die gewünschte Selbstveredelung zum intellektuell, moralisch und emotional wohltemperierten Subjekt verwirklicht und der Grad der Verwirklichung durch Spiegelung im Anderen ermessen werden.

Vereine als Geselligkeitsnetzwerke der Bürgerfamilien

Neben solch hehren Idealen sollten die Vereine aber schlicht auch eine Gegenwelt bieten, eine Gegenwelt zur fordernden und konfliktträchtigen Berufswelt ebenso wie zur weiblich dominierten Familienwelt. Durchaus absichtsvoll war dieser Raum der Entspannung lange Zeit rein männlich besetzt, frei von den fordernden Konventionsgeboten einer gemischt-geschlechtlichen Gesellschaft.

Dennoch profitierte die Familie als Ganze von der väterlichen Vereinsmitgliedschaft. Nicht zuletzt erfüllten die Vereine ganz konkrete soziale, ökonomische und politische Zwecke, ohne dass diese ausdrücklich in den Satzungen genannt wurden. Zog eine Bürgerfamilie von einer Stadt in die andere, was unter den vielfach versetzten beamteten Bürgern im 19. Jahrhundert immer häufiger der Fall wurde, führte einer der ersten Wege das Familienoberhaupt zu einem der relativ offenen Musik- oder Kunstvereine. Hier traf man, da konnte man sicher sein, auf die anerkannten Spitzen der städtischen Gesellschaft. Ein Großteil der Bürgermänner des 19. Jahrhunderts war nicht nur Mitglied in einem der vielen Vereine, sondern brach nahezu jeden Abend zu einer anderen Örtlichkeit auf, um über die neuesten politischen Entwicklungen zu diskutieren, einen Vortrag über Schiller zu hören, ein Lied von Mozart anzustimmen, eine neue Erfindung zu bewundern, die Gründung von Krankenhäusern, Theatern oder Mädchenschulen zu planen, eine Kunstausstellung zu konzipieren oder einfach in vertrauter Runde zu trinken und zu schwadronieren. Darüber hinaus verhalfen die Vereinsmitgliedschaften dazu, neue Geschäftsverbindungen herzustellen, einen Karrieresprung vorzubereiten, einen passenden Schwiegersohn zu finden, die richtigen Verkehrskreise der Ehefrau zu umgrenzen und die angemessenen Spielgefährten der Kinder zu wählen. Kurz: Hier versammelten sich die Oberhäupter der Familien, mit denen es zu verkehren galt, hier wurde die Bürgergesellschaft im Kleinen gelebt.

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