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Drosophila Melanogaster setzte sich nach kurzer Überlegung schließlich doch auf die Bananenschale. Sie war nicht lange allein. Ein Phänomen, das Jimmy schon oft beobachtet hatte und ihm die wildesten Spekulationen einbrachte. Die erste These, die er hierzu aufgestellt hatte, ging vom Prinzip der spontanen Zellteilung aus, nach welchem jede Fruchtfliege in der Lage ist, sich in Anbetracht der möglichen Völlerei mindestens viermal zu teilen. Die zweite war unterdessen weniger fantastisch und unterstellte den kleinen Fliegen eine verflixt raffinierte Organisation mittels unfreiwilliger Telepathie. Jedes Exemplar von Drosophila fängt demnach bei Erspähung von Feinkost oder Obst, ungemein laut zu denken an. Die dritte These setzt wiederum die erste oder zweite voraus und besagt, dass durch den Krach, den die bereits versammelten Fruchtfliegen beim Streiten um die Filetstücke des Fruchtfleisches veranstalten, nur noch mehr Artgenossen angelockt werden. Sofern sich Jimmy auf seine Ohren verlassen konnte, hatte er es heute ausgerechnet mit der dritten These zu tun. Und gerade morgens konnte sich der Hase auf seine empfindlichen Ohren mehr als verlassen. Mühsam öffnete er zunächst nur das rechte Auge, um den unfreiwilligen Wecker ausfindig zu machen. Verschwommene Konturen zeichneten sich in beunruhigendem Maße ab. Ein trüber Lichtstrahl, der sich durch die Jalousien gemogelt hatte, blendete ihn arglos. Er fühlte sich genauso wie er heute Morgen eingeschlafen war, und er wusste, dass sein empfindlicher Schlafrhythmus schwere Schäden davontragen würde, da er heute einfach viel zu früh aufgewacht war. Gewissenhaft stand Jimmy für gewöhnlich erst auf, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten war und ebenso gewissenhaft flößte er sich, seinen Berufsstand ehrend, diverse Spirituosen mit Hilfe seines Freundes Flachi ein, die seine geistigen Fähigkeiten zuweilen noch erweiterten. Stets war er fasziniert davon, auf welch fantastische Ideen ihn ein Schluck seines besten Freundes brachte. Zahllose Fälle hatte er auf just diese Weise gelöst. Nicht umsonst hatte er ein Foto von sich und seinem Assistenten liebevoll mit der Unterschrift „Ich und mein bester Freund auf Ideentournee“ betitelt. Doch niemals begann Jimmy seine Arbeit, wenn sein Geist im Gin schwimmend brachlag. Und sein gestriger Triumph hatte ihn genau in diesen Zustand versetzt. Er erlitt durch die Geräusche, die an seine Löffel drangen, ein Schlafdefizit von mindestens drei Stunden. Sein Zustand war dementsprechend erbärmlich.

„Ist dir auch so schlecht wie mir, Flachi?“

„Mindestens. Ich muss meinen Mageninhalt irgendwo verloren haben“, gähnte der Flachmann.

„Klingt nach einem neuen Fall, nicht?“, schlug Jimmy vor.

„Nein, den hast du schon gelöst.“

„Ja, ich erinnere mich. Schon mehrmals“, sagte der Hase langsam nach einer viel zu langen Pause.

„Sag mal Flachi, wovon bin ich eigentlich aufgewacht?“

„Ich glaube, hier findet irgendwo ein verbaler Disput statt. Ich höre Stimmen“, meinte der Flachmann.

„Was? Warum sollten wir streiten Flachi? Wir sind doch Freunde.“

„Ich meine nicht unsere Stimmen!“

Den Hinweis bedenkend hob der Hase schwerfällig den Kopf und hörte nun deutlich die Geräuschkulisse, die ihm den Schlaf geraubt hatte. Von der Obstschale auf dem zierlichen Wohnzimmertisch drang tatsächlich ein heftig geführtes Gespräch zu ihm herüber.

„Ich war neulich in der Muckibude und hab ordentlich Eisen gestemmt. Also mach besser ’nen Abflug!“

„Was? Du warst wohl eher in der Mückenbude und hast ordentlich Meisen geschlemmt!“

„Mücken trinken Vogelblut?“

„Na klar, warum nicht?“

„Wie, warum nicht? Du isst doch auch keinen Sellerie.“

„Ja, der schmeckt mir halt nicht. Aber Banane mag ich! Und ich war auch zuerst da!“

„Der Vogellecker soll vor mir da gewesen sein? Nein, das kann nicht sein, ich war zuallererst da!“

„Moment mal, meine Herren!“, setzte eine Stimme an, die einen vernünftigen Tonfall imitierte.

„Und Damen!“, wurde die Stimme unterbrochen.

„Ja, von mir aus. Moment mal meine Damen und Herren! Benehmen Sie sich! Wenn Sie weiter derart herumkrakeelen, finden sich nur noch mehr Schmarotzer auf meinem Besitz ein, denn ich war ja wohl zuallerallererst da.“

„Seit wann sind wir per Sie, du heuchlerischer Mistkerl! Ich kenne dich doch! Du hast mir doch gestern die Mandarinenschale weggefuttert und da waren wir noch per du. „Geh weg du Arsch“, hast du mich angeschrien, während du versucht hast Hans-Werner mit Zitronensäure zu blenden. Der ist volle Möhre gegen ein Einmachglas gerannt! Der hat jetzt tolle blaue Augen!“

„Ja und? Blaue Augen sind doch schön!“

„Ich geb’ dir gleich blaue Augen!“

„Komm nur her, ich brech’ dir die Beine.“

Zwei kleine schwarze Punkte stiegen in die Luft und führten einen bizarren Tanz auf. Die restlichen Fruchtfliegen nahmen rasch die frei gewordenen Plätze an der Bananentheke ein.

„Hey! Nicht einfach weitermampfen, wenn wir uns kloppen!“

„Genau! Kameradenschweine!“

„Wenn wir mit uns fertig sind, sind die dran!“

„Aber alle!“

Bisher arglose Artgenossen fanden sich plötzlich in der Luftschlacht wieder.

„Jorge? Wo kommst du denn jetzt her?“

„Nun, euer allgemeines Gezanke muss mich wohl herzitiert haben. Und Bananenschale ist mir stets ein Schmaus.“

„Na, vielen Dank. Hast du sonst noch jemanden mitgebracht?“

„Wie könnte ich. Ich bin auch extra leise hergeflogen.“

„Ja, das sehe ich. Und wo kommen die vier Burschen am Bananenheck auf einmal her?“

„Wer hat die denn eingeladen?“

„Hey! Verschwindet ihr Fresssäcke!“

Jimmy hatte genug gehört, fiel ungeschickt aus dem Bett und torkelte Richtung Wohnzimmertisch. Die Diskussion um die Bananenschale, die mittlerweile über ein Dutzend Fliegen beherbergte, war immer noch im vollen Gange.

„Könnt ihr die Schale nicht einfach leise essen? Ich muss schlafen!“, sagte Jimmy zur Obstschale und stieß sie leicht mit der Pfote an, um sich Gehör zu verschaffen. Prompt erhoben sich die Fliegen kollektiv in die Luft und offenbarten für einen kurzen Augenblick ihre beträchtliche Anzahl. Mittlerweile mussten es weit über zwanzig sein, was sich an der Lautstärke des folgenden Gemeckers bewahrheitete.

„Hey! Pass doch auf!“

„Was will denn das Kaninchen da?“

„Ist das ein Revolver?“

„Wie Revolver?“

„Na, ’ne Knarre halt! So’n richtiger Ballermann eben!“

„Ach so!“

„Ja, und?“

„Ja, nichts.“

„In Ordnung, das reicht. Verschwindet ihr Mistfliegen“, raunte Jimmy und fuchtelte mit seinem Revolver in der Luft herum.

„Erst wenn wir aufgegessen haben“, sagte eine vorlaute Fruchtfliege und krabbelte tiefer in die Schale hinein.

Jimmy kniff das linke Auge zusammen, hob schwerfällig den Ballermann und versuchte zu zielen. Unfairerweise bewegten sich aber Ziele und Umgebung in absonderlich wirrer Weise.

„Ihr seid leider zu klein, um euch alle zu erschießen. Wisst ihr was? Ich ess’ die Schale einfach selbst!“, sagte Jimmy schließlich und hob die Bananenschale auf Augenhöhe.

Mokka Noir

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