Читать книгу Mokka Noir - Gunnar Danckert - Страница 9
6 (Tag 2)
ОглавлениеGewohnt verwirrt erwachte der Salsamann an diesem Samstagmorgen unerwartet früh. Doch wo war seine zweihändige Doppelaxt + 3? Wo der Helm mit den geschwungenen Hörnern? Hatte er sich nicht auf einem Berg erschlagener Gegner zur Ruhe gebettet? Hätte er dann sein Kopfkissen mitgenommen, das er anstelle seines Helms vorfand und nun vorwurfsvoll musterte? Dem üblichen Traumszenario hinterher trauernd gähnte der träge Waschbär mitleiderregend. Er blickte reichlich verpennt neben sich und sah, dass er das großzügige Doppelbett alleine bewohnte. Ein gedämpftes Rumoren drang aus den unteren Räumen des Hauses an sein Ohr und er fühlte sich plötzlich gezwungen, die momentane Uhrzeit zu ermitteln. Die Zahlen auf dem Ziffernblatt der Armbanduhr, die auf dem Nachttisch direkt neben dem Bett lag, verrieten ihm, dass es wohl zehn Uhr war. Also ungeheuer früh. Er schleppte sich mühsam die Treppe hinunter und folgte dem Klang des Rumorens. Erstaunt blieb er in der Küchentür stehen und beobachtete seine Frau dabei, wie sie eifrigst Suppengrün wusch, Wasser aufsetzte, Gewürze ordnete, Hühnerfleisch zerteilte, Gemüse für den Wok klein schnitt und Buchstabennudeln sortierte. Trotz seiner Überraschung schöpfte der Salsamann aus den Vollen seines rhetorischen Fundus:
„Lorettaschatzilein! Hä?“
„Ich habe es dir doch gestern schon erklärt. Professor Cherry hat einen Tisch für heute reserviert. Blamier mich also nicht schon wieder! Du weißt genau, wie wichtig dieser Stammgast ist. Nicht nur, dass er durchaus spendabel ist, solange man ihm seine Ruhe gönnt. Nein, sich mit diesem belesenen Mann zu unterhalten, ist mir stets eine willkommene geistige Abwechslung. Man sagt ja auch nicht umsonst, dass solche großen Geister durchaus auf ihr Umfeld abfärben; und da du mindestens dreimal die Woche Jimmy besuchst, betrachte ich diese Theorie als bestätigt. Du kommst jedes Mal weniger gebildet als vielmehr betrunken nach Hause!“
„Ja, aber Jimmy und ich…“, gähnte der Salsamann.
„Nein, eben nicht!“, unterbrach ihn Loretta. „Eben nicht. Und lass mich wenigstens heute mit diesem Hasen in Ruhe. Punkt zwölf Uhr wird Professor Cherry zum Mittagessen hier sein, also zieh dir bitte was Vernünftiges an und richte einen Tisch für ihn.“
„Ja, ja“, seufzte der Bär und trottete aus der Küche.
Im vorderen Teil des Restaurants angekommen musterte er kritisch die geschmackvolle Einrichtung, die ihm jedes Mal aufs Neue fremd vorkam. Schließlich hatte er sie ja auch nicht ausgesucht. Nein, seine Vorschläge wurden damals einfach übergangen und das, obwohl er schon alles mit dem Pyrotechniker geklärt hatte, der schon die Pläne für die Gasleitungen und für eine der permanent brennenden Wände vorgelegt hatte. Auch die vierundzwanzig Schwerter und Äxte, die er sich als Wandschmuck gewünscht hatte, musste er schließlich wieder abhängen. Stattdessen standen jetzt halt langweilige, aber geschmackvolle, schwarz lackierte Stühle aus Holz und Korb an schwarz lackierten Teakholztischen mit Marmorplatten, auf denen jeweils eine zierliche, exotische Orchidee thronte, herum. Überhaupt erinnerte das ganze Ambiente eher an ein irre teures, stilvolles Café als an ein Restaurant; und genau genommen war es auch ein Café. Doch für den Salsamann konnte es sich nur um ein Restaurant handeln; zumindest ließ ihm Loretta wenigstens diese Illusion, um die Psyche des Waschbären nicht noch unnötig zu belasten. Nach Salsamanns Meinung führen Männer nämlich keine Cafés. Nein, Männer besitzen Kneipen, Bars, Spelunken oder auch Restaurants. Cafés sind für Leute, die Kuchen mit Gabeln essen und Heißgetränke aus Tassen trinken. Zivilisierter Abschaum eben, zu dem sich der Waschbär nie zugehörig gefühlt hatte. Wo bliebe denn da das Abenteuer, dachte er sich. Was macht es denn schon, wenn die Krümel in Bart und Fell hängen bleiben, wenn der Grog im Gesichtshaarwirrwarr versickert? Alles Lebensmittelrückstände, die sich auf langen Reisen noch als wichtige Reserven erweisen können. Nichts, was ungenutzt auf Porzellantellern oder in Servietten landen sollte. Unvorstellbar so einen verweichlichten Milchladen zu führen, behauptete er. Während Loretta den psychischen Zustand ihres Mannes lebhaft vor Augen hatte, erbarmte sich schließlich ihr Mitleid. Nachdem sie ihm schon die brennenden Wände und Äxte weggenommen hatte, versicherte sie ihm deshalb, dass es sich bei dem Café auch um ein Restaurant handelte.
Auf der Suche nach einem angemessenen Platz setzte er sich vor die Panoramaglasfront, von der aus man einen herrlichen Blick auf den gegenüberliegenden Park hatte, und betrachtete die kleine Heißgetränke- und Kuchenkarte, die in Form eines Schwans in Origamimanier an der Orchideenvase lehnte. Er wusste ungefähr, was auf ihr stand, nämlich furchtbar langweilige Kaffeevariationen und unnötige Teesorten. Das einzig wirklich innovative Getränk schien ihm bestenfalls ein Grog zu sein, für den man sich jede der auf der Karte befindlichen vierundzwanzig Teesorten aussuchen konnte. Toll. Doch ganz sicher war sich der Bär keinesfalls, denn Loretta schien das Sortiment ständig zu erweitern, so dass er schnell den Überblick verlor. Bei der Kuchenkarte sah es da schon anders aus, die konnte der Salsamann auswendig, und falls er mal in die unmögliche Situation geraten würde, aufgefordert zu werden, etwas aus dem Geiste zu zitieren, so würde er sie zweifellos fehlerfrei aufsagen können. Er beschloss daher, den Schwan in Ruhe zu lassen, und erkor eben diesen Tisch als denjenigen, an dem Herr Cherry sitzen sollte. Der Stuhl ächzte leise, als sich der Salsamann von ihm erhob und zur Küche trottete, um Besteck aufzutreiben. Außer dem ordentlich aufgereihten Besteck stellte der Bär noch einen kleinen, in Klavierlack getauchten Aschenbecher auf den Tisch, der sich mit der Pfeife des Professors anfreunden konnte. Zu guter Letzt gesellte sich noch eine in Form eines Schiffchens gefaltete Serviette zum Schwan. (Avantgarde eben). Mit etwas Abstand betrachtete der Bär sein Werk und meinte, seine Arbeit getan zu haben. Sehnsüchtig wanderte sein Blick zum Park und er meinte, sich eine Belohnung verdient zu haben. Noch dazu regnete es.