Читать книгу Julia - Gunter Preuß - Страница 5

3.

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Die 8b scharte sich um Liebscher. Alle außer Julia und Pit waren von dieser ersten Geschichtsstunde begeistert.

Liebscher rief: »Das könnt ihr mir glauben, Leute, so einen Lehrer wie Herrn Rohnke gibt es nicht wieder!«

Pele stöhnte: »Für die nächste Stunde bin ich schon geschafft.«

Ellen nahm zwei Äpfel aus ihrer Tasche, in der alles ordentlich seinen Platz hatte. Sie nahm den größeren, sonnengelben Apfel und warf ihn Liebscher zu.

Julia saß nachdenklich auf ihrem Tisch. Ihre linke Hand drehte unruhig die Spitze ihrer Haare, und in der rechten Hand hielt sie ihr Frühstücksbrot. Sie hatte keinen Appetit. Sie war enttäuscht von Herrn Rohnke, von Pit, von der 8b. Und von sich. Hatten sich alle schon damit abgefunden, dass Pit die achte Klasse nicht schaffen würde?

Julia war aufgeregt. Was sollte sie tun? Sollte sie aufspringen, ins Lehrerzimmer rennen und Herrn Rohnke sagen: Haben Sie es nicht bemerkt? Es ist etwas passiert! Jetzt eben. In Ihrem Unterricht. Mitten in der Schlacht bei Waterloo!

Ellen rief: »Komm her, Julia! Hör dir das an! Da ist Werner etwas passiert in Bulgarien!«

Julia winkte ab. Bulgarien! Liebscher war mit seinen Eltern drei Wochen in Nessebar gewesen. Er hatte Julia eine Karte geschickt, auf der das lichtblaue Meer zu sehen war. Also in Nessebar war etwas passiert. Dafür interessierten sich alle. Und dass hier etwas passiert war, hier, in der eigenen Klasse - das merkte keiner!

»Geht es dir nicht gut, Julia?«, fragte Liebscher. »Wie war es eigentlich bei dir? Hast du dir einen angelacht an der Ostsee? Einen flotten Matrosen? Oder einen alten Seebären?«

»Lass sie doch in Ruhe damit«, sagte Ellen.

»Misch du dich nicht ein«, entgegnete Liebscher.

Julia trat zu Pit ans Fenster. Pit lehnte weit nach draußen, als wollte er so weit als möglich weg vom Klassenzimmer.

Auf dem Schulhof machte eine erste Klasse mit viel Geschrei Pausengymnastik. Den dicken Lehrer konnte man hier im ersten Stock noch schnaufen hören. Drüben, im Gartenverein »Heuweg«, stieg eine Rauchsäule steil in den Himmel.

»Es wird Herbst«, sagte Pit. Er biss in einen Apfel, dass er knackte. »Die Heuweger beginnen schon, das Laub zu verbrennen.«

Er fühlte, dass Julia mit ihm über das kommende Schuljahr reden wollte. Doch darüber wollte er nicht sprechen, am allerwenigsten mit Julia, vor der er sich wegen seiner schlechten schulischen Leistungen schämte. Julia war eine der Besten der Klasse, ihr fiel das Lernen leicht, überall hatte sie Erfolg.

Pit warf den Apfelrest bis an das Ende des Schulhofs. Er fragte: »Wie waren die Ferien? Bist ja toll braungebrannt.«

»Sieh mich nicht so an«, sagte Julia. Sie dachte: Jetzt hat er mich angesehen wie Liebscher. Oder war es nur ihr Ärger, der sie das denken ließ?

Sie ging zu Liebscher und den anderen und sagte mitten in das Gespräch hinein: »Es ist also beschlossene Sache, dass Pit die achte Klasse nicht schaffen wird!«

Das Gespräch brach augenblicklich ab. Nach einer Weile sagte Pele: »Sag mal, spinnst du? Hast du an der See verdorbenen Fisch gegessen oder was ist?«

Gerda Munkschatz, die immer dabei war, wenn sich etwas gegen Julia richtete, warf ihr vor: »Du willst dich doch nur wieder interessant machen! Sie will die Hauptrolle spielen in diesem Jahr! Julia sucht ihren Romeo!«

Gerda Munkschatz sah dabei zu Liebscher, und sie verzog ihr breites, sommersprossiges Gesicht zufrieden, als sie sah, dass einige zustimmend lachten.

Julia achtete weder auf Pele noch auf Gerda Munkschatz. Sie sah Liebscher fest an, und es fiel ihr sehr schwer, zu sagen: »Ich glaube, Herr Rohnke hat in der vergangenen Stunde einen Fehler gemacht!«

Julia hatte das leise, wie nebenbei sagen wollen, aber es war laut und vorwurfsvoll herausgekommen.

Das Schweigen war beklemmend. Erst schauten alle aneinander vorbei, blickten dann zu Liebscher, als müsste er für sie die Antwort geben. Sie waren es gewohnt, dass Herr Rohnke oder Liebscher für sie sprach. Obwohl Julia nicht gesagt hatte, welchen Fehler Herr Rohnke gemacht hatte, wussten alle, dass Pit gemeint war.

Liebscher sah Julia betroffen an. Er wollte einfach nicht wahrhaben, was sie da gesagt hatte. Er war Julia gegenüber immer nachsichtig gewesen, wenn sie wieder einmal etwas Verrücktes getan hatte, aber bei Herrn Rohnke hörte der Spaß auf!

Liebscher rekelte sich vom Stuhl hoch. Er spürte eine wachsende Wut in sich, und hätte er jetzt einen Jungen vor sich gehabt, hätte er zugeschlagen.

Julia stand vor ihm über einen Stuhl gebeugt, sie atmete heftig, und sie kam Liebscher vor wie eine zum Sprung bereite Katze.

Ellen versuchte mit kläglicher Stimme zu schlichten: »Julia ... lass doch das Streiten!«

Pit stand noch immer am Fenster, aber jetzt zur Klasse gewandt. Es war ihm unangenehm, dass Julia sich für ihn stritt. Er stand mit hängenden Armen, und er kam sich hilflos, zu groß und zu plump vor.

Er wünschte sich weit weg.

Liebscher überragte Julia um einen ganzen Kopf. Langsam sagte er: »Das nimmst du zurück, was du eben über Herrn Rohnke gesagt hast!«

Die Mädchen und Jungen der 8b hatten das Klingelzeichen überhört.

Herr Rohnke kam mit eiligen Schritten ins Klassenzimmer. Er war bereit zu neuen weltgeschichtlichen Taten. In der ersten Stunde hatte er Napoleon endgültig in der historischen Versenkung verschwinden lassen, nun wollte er die Gründung der »Heiligen Allianz« nachvollziehen und über den zweiten Pariser Frieden sprechen.

Der Lehrer, besessen von seiner Arbeit, spürte nicht die Unruhe in der Klasse. Er ertappte Liebscher bei einer Unaufmerksamkeit, aber er schob dessen Zettelschreiberei einem kleinen nachsommerlichen Flirt zu, den er nachsichtig belächelte. Erst gegen Ende der Stunde gelang es ihm, die Klasse für seinen Stoff gefangen zu nehmen.

Liebscher hatte einen Zettel geschrieben, den er an Julia weiterreichen ließ. Sie las: WIR SPRECHEN UNS NOCH!

Julia überlegte: War sie zu weit gegangen? Pit hatte kein Wort gesagt. Jetzt rutschte er unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Warum regte sie sich wegen Pit so auf? Nun gut, sie war mit ihm befreundet, aber das war sie auch mit anderen. Das war nicht der Grund. War vielleicht etwas dran an Gerda Munkschatz' Gerede? Nein, auch das war es nicht. Es war etwas anderes, eine gewisse Unzufriedenheit darüber, wie das neue Schuljahr begonnen hatte. Genauso hatte das alte Schuljahr geendet. Es war doch kein Zufall gewesen, dass Herr Rohnke bei der Verabschiedung in die Ferien für Pit kein Wort gefunden hatte. Vielleicht war sie auch nur überempfindlich, gereizt.

Julia wurde immer unsicherer, zumal sie den Widerstand der ganzen Klasse gegen sich spürte. Sie führte ein Streitgespräch mit sich selbst. »Du bist undankbar und egoistisch! Deine guten Leistungen hast du doch zum großen Teil Herrn Rohnke zu verdanken! Vergiss das nicht!«

»Soll ich etwa meine Zensuren mit meinem Schweigen erkaufen?«

»Warum willst du denn unbedingt reden? Willst dich wohl großtun? Hast doch bisher keine Sorgen gehabt. Herr Rohnke hat dir alles abgenommen.«

»Aber ... «

»Nichts aber!«

»Was faselst du denn da?«, wollte Ellen wissen. Sie legte Julia ihre kühle Hand auf die Stirn. »Fühlst du dich nicht gut? Du bist doch nicht etwa krank, Juli?«

Julia riss sich aus ihrem Selbstgespräch. »Es ist nichts, Ellen. Lass nur, ich bin ganz in Ordnung.«

Julia bekam nichts mit von Rohnkes Unterricht. Auch über die folgenden Stunden bei Frau Täuscher hätte sie kaum etwas zu sagen gewusst. Eine unerklärliche Unruhe hatte sie erfasst. Sie lag mit sich selbst im Streit.

Sie atmete tief auf, als der Unterricht beendet war, sie Ellen und ihre Geschwätzigkeit abschütteln und eilig das Schulgebäude verlassen konnte.

Julia

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