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Inszenierung Leopoldskron
ОглавлениеDer Abschied von Salzburg fiel Max Reinhardt immer schwer. Er beneidete jeden, der nach dem Sommer noch dort bleiben konnte. Das Ausgestalten von Leopoldskron war eine Inszenierung, die nicht wie bei einem Stück in einem Regiebuch zusammengefasst werden konnte. Zwei Jahrzehnte lang hat er an dieser Inszenierung gearbeitet. Sie wuchs wie eine Pflanze und trieb bis zuletzt immer neue Blüten. So glichen die Weisungen, die er vor jeder Abreise zurückließ, die Briefe, die er dann noch schrieb, Regiebemerkungen. Sie waren bis ins letzte durchdacht. Meist in der Nacht vor der Abreise geschrieben. Diese Nacht zog sich fast immer bis in die frühen Morgenstunden. Es war die letzte Möglichkeit, längst Geplantes noch festzuhalten, in konzentrierter Form Dinge zu besprechen, die, bis dahin hinausgeschoben, der Erledigung harrten.
Reinhardt saß dann – inmitten von Reisetaschen und Koffern – in seinem damaligen Arbeitszimmer, bei seinem großen Schreibtisch, auf dem sich Bücher, Manuskripte und Mappen türmten. Ihm gegenüber der wundervolle alte Sakristeischrank, der aus Firmians Zeiten stammte. In der Zimmerecke einer der kostbaren farbigen barocken Kachelöfen, die zum besonderen Schmuck der großen Zimmer von Leopoldskron gehörten. Launische Prunkstücke, von Wind und Wetter abhängig: föhnige Luft oder Sturm drückte den Rauch durch die weiten Kamine zurück, und dieser bläuliche Dunst, der Geruch der ungeheuren Holzscheite (die Öfen mussten von außen geheizt werden) ist mit diesen frühen Zeiten, in denen das Schloss noch keine Zentralheizung hatte, untrennbar verwoben. Reinhardts Weisungen für die kommenden Monate hatten eine große Spannweite. Sie umfassten das Schloss, die Handwerker, die darin arbeiteten, den Garten, vor allem aber auch die uralten Orangen- und Zitronenbäume, die aus der Orangerie des Schlosses Schönbrunn stammten.
Schönbrunn unterstand nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1918 mit seinen Gärten dem Ministerium. Reinhardt hatte durch einen Zufall erfahren, dass diese Bäume (manche waren über hundert Jahre alt) verkauft werden müssten, da es dem Staat in der Nachkriegszeit unmöglich sei, das Heizmaterial aufzutreiben, um sie in strengen Wintern vor Kälte zu schützen. Es war eine einmalige Gelegenheit, solche wertvollen, gepflegten Bäume zu erwerben, und Reinhardt nahm sie unverzüglich wahr. Die Entscheidung musste sehr schnell erfolgen, da Präsident Masaryk ebenfalls Orangenbäume kaufen wollte. Ich fuhr damals auch nach Schloss Laxenburg, um zu ergründen, ob vielleicht dort Bäume zu günstigeren Bedingungen abgegeben werden könnten. Aber es blieb bei Schönbrunn. Ich kaufte 21 Orangenbäume, die 70 Jahre alt waren, und sechs zweieinhalb Meter hohe Bäume um 15.200 Kronen. Außerdem einige vier bis fünf Meter hohe Bäume mit einem Durchmesser von zwei Metern. In späteren Jahren wäre es schwer gewesen, sich die Terrasse zum See hin ohne diese duftenden Bäume in ihren großen Holzkübeln vorzustellen.
Der Transport von Wien nach Salzburg war nicht einfach. 1898 hatte der letzte ähnliche Transport von Orangenbäumen nach Ischl und Gmunden (anlässlich der Verlobung einer Erzherzogin) stattgefunden. Ein Angestellter, der ihn geleitet hatte, konnte die besten Ratschläge für das schwierige Unternehmen geben. Ein Schönbrunner Gärtner fuhr auf dem Loriwagen mit und instruierte dann den Gärtner in Leopoldskron in allem, was die Pflege dieser Bäume anlangte. Die Sorge um die Orangen- und Zitronenbäume kehrte in allen Reinhardtschen Briefen im Laufe der Jahre immer wieder:
Die Orangenbäume sind (nach Anordnung des Gärtners) noch einmal (bei gutem warmen Wetter) auf die Terrasse zu stellen, später in dem besprochenen Eckzimmer, nach Weisung des Gärtners aufzustellen und die Blätter sorgfältig und sachgemäß zu putzen. Das Zimmer soll später schwach geheizt und dauernd etwas temperiert gehalten werden.
Das Überwintern in den Parterreräumen des Schlosses, das Putzen der Blätter, das Regulieren der Temperatur – mitten in Probenarbeit, Direktionssorgen, auf Tourneen: allgegenwärtig, gleichsam im Terzenschritt, begleitete die Welt von Leopoldskron, dieses kleine Reich seiner Phantasie und der Erfüllung so vieler heißer Träume, sein übriges großes Leben. Zum Beispiel beschäftigte ihn der Gedanke, die Halle im Erdgeschoß des Schlosses noch besonders auszugestalten. Die Leere der Wände oberhalb der beiden Kamine missfiel ihm. Er hatte in Wien, in der Bäckerstraße, an der Fassade eines uralten Hauses eine barocke Madonna gesehen, die ihm wie geschaffen dafür schien, in einer Nische oberhalb des einen Kamins angebracht zu werden. So beauftragte er mich, den Kunsthändler Nebehay in Wien aufzusuchen und ihn zu bitten, die Madonna zu erwerben. Wie es sich herausstellte, hatte das Haus, dessen Eingang sie zierte, einen üblen Ruf. Eine groteske Tatsache, die Reinhardt später oft seinen Gästen erzählte. Die Verhandlungen mit Nebehay zogen sich lange hin, aber schließlich gelang es ihm, die entzückende Statue für Reinhardt zu erwerben. Reinhardt entwarf selbst die Nische, in der sie oberhalb des Kamins ihren Platz finden sollte. Der bewährte alte Salzburger Stukkateur Strasser führte Reinhardts Entwurf aus. Niemand, der die »Freudenhaus-Madonna« dort sah, ahnte, dass sie nicht seit der Erbauung des Schlosses durch den Fürsterzbischof Firmian dort gestanden habe.
In diese ersten Zeiten in Salzburg fiel auch die Suche nach Steinfiguren für den Park. Es begann mit den Seepferden, die heute noch am Seeufer vor dem Schloss stehen. Reinhardt hatte sie in Seewalchen gesehen und wollte sie erwerben. Die Verhandlungen mit dem Besitzer, der sich von den Skulpturen nicht trennen wollte, waren schwierig. Der Transport nach Salzburg musste mit allen Vorsichtsmaßnahmen bewerkstelligt werden, um das Moos, das den Seepferden einen besonderen Reiz verlieh, nicht zu gefährden. Fundamente und eine Treppe zum See hinunter wurden beim Baumeister bestellt, der sie genau nach den Angaben Reinhardts ausführte. Dann begann das Aufspüren der Zwergeln. Diese grotesken barocken Sandsteinfiguren standen ursprünglich im Zwergelgarten von Schloss Mirabell. Eine Erzherzogin, die Angst hatte, sich während ihrer Schwangerschaft zu »verschauen«, veranlasste ihre Entfernung. So wurden diese Figuren in alle Winde verstreut und gingen vielfach in Privatbesitz über. Es war keine leichte Aufgabe, sie wieder ausfindig zu machen und dann die Besitzer zu bewegen, sich davon zu trennen. Meistens waren es selbst schrullenhafte ältere Menschen, die sich in die verschrobenen Figuren verliebt hatten, mit denen sie ein geheimes Band zu verknüpfen schien. Im Park von Leopoldskron entstand eine »Zwergelwiese«, auf der die lange getrennten phantastischen Gestalten sich nun wieder zusammenfanden. Manche hatten Lanzen, andere alte Laternen, und Reinhardt ruhte nicht, ehe ihnen alle diese Attribute (die von den Besitzern oft gering geachtet wurden) wiedergegeben worden waren. Da standen sie nun im Schatten der Thujen, besonders geheimnisvoll in feuchtnebligen Mondscheinnächten, als Teil eines Reinhardtschen Sommernachtstraumes.
Die Ausgestaltung des Parkes war in diesen ersten Jahren eine der Hauptsorgen Max Reinhardts. Eine Sorge, der er sich mit viel Freude und leidenschaftlicher Ungeduld hingab. Versumpftes, verwildertes Terrain umgab damals das Schloss. Zunächst musste eine Allee geschaffen werden, die zu dem Teich führte, in dem im nächsten Jahr – als point de vue – eine große barocke Herkulesstatue aufgestellt wurde. Diese stand ursprünglich vor dem Arenberg-Schloss, das damals von Hermann Bahr bewohnt wurde, und schien wie geschaffen für eine kleine Insel in einem Teich im Park von Leopoldskron. Nach langen Verhandlungen gelang es mir, sie zu erwerben. Was mir diesen Kauf erschwerte, war der Zwiespalt zwischen meiner Freundschaft mit Bahr, dem ich damit etwas raubte, was er aus seinen Fenstern sah, und der Wunsch, Reinhardts Traum zu erfüllen. Der Abtransport der Herkulesstatue hatte etwas von einem Kondukt. Die Figur wurde auf einen langen Lastwagen verladen, den »unsere« Ochsen zogen. Ich ging, einer Leidtragenden gleich, im Ochsenschritt, den ganzen Weg von Parsch nach Leopoldskron, hinter dem Wagen her. Der Herkules wurde auf der Teichinsel im Park aufgestellt. Als Bahr und Anna Bahr-Mildenburg später kamen, um sich die Statue auf ihrem neuen Standort anzusehen, waren sie entzückt und verziehen den Raub.
Bäume und Sträucher mussten gepflanzt werden, und innerhalb der folgenden Jahre wurde die Konglomeratmauer gebaut, die den ganzen Besitz umgab und heute ebenfalls nicht mehr wegzudenken wäre. In dem Obergärtner Köpl fand Reinhardt einen treuen, überaus fähigen und verständnisvollen Mitarbeiter, der alle seine Wünsche zu erfüllen trachtete. Nur eines vermochte er nicht: das Wachstum jung gepflanzter Bäume zu beschleunigen! Es wurde zu einer großen Geduldprobe für Reinhardt, dem das endgültige Bild des Geplanten vorschwebte.
Nicht allein die Erfüllung eines Wunsches war bei Reinhardt ausschlaggebend, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der dies geschah. Ob es sich um die Erlaubnis von Behörden handelte, irgendeinen sonst unzugänglichen Raum, eine Straße zu benützen, die abgesperrt werden musste, eine bestimmte Antiquität zu erwerben, ein Konzert in Leopoldskron in letzter Stunde zustande zu bringen oder – an einem Weihnachtsabend – Lämmer für seine damals noch kleinen Söhne zu kaufen und nach Leopoldskron zu bringen … Dieser Gedanke kam ihm spät am Nachmittag im Café Tomaselli, wo jede Expedition in Salzburg endete. Sein Vertrauen, dass es an diesem Weihnachtsabend noch gelingen müsse, war unwiderstehlich. Und es gelang: der »Petererhof«, dem Stift St. Peter gehörig, lag etwas außerhalb der Stadt. Der »Moar« war überrascht, als so spät am Nachmittag ein Einspänner über Schnee und vereiste Straßen durch die Winterdämmerung geholpert kam und bei ihm vorfuhr. Kopfschüttelnd ging er aber trotzdem in den warmen Stall und verkaufte mir zwei seiner Lämmer. Diese unruhige Last wurde unter dem Spritzleder des halboffenen Wagens zu meinen Füßen verstaut und nach Leopoldskron verfrachtet. Reinhardt freute sich, fand es aber vollkommen selbstverständlich, dass das scheinbar Unmögliche in dieser kurzen Zeit gelungen war – und die Kinder bekamen ihre Lämmer …
Reinhardt liebte Tiere. Er wurde nicht müde, sie zu beobachten, mit ihnen zu spielen. Eine besondere Freude waren für ihn exotische Vögel. » … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen!«, das war sein Stoßseufzer bei einem Telefongespräch, in dem ich mich von Reinhardt verabschiedete, als er mich nach Cuxhaven schickte, um Lillian Gish abzuholen. Vorher sollte ich zu Hagenbeck in Stellingen bei Hamburg gehen, um Vögel für seinen Tierpark in Leopoldskron zu kaufen. Die chinesischen Nachtigallen waren ihm in diesem Augenblick zum mindesten ebenso wichtig wie die Ankunft des amerikanischen Filmstars.
Viele Tiere wurden im Laufe der Jahre nach Leopoldskron gebracht. Da waren in einem barocken Pavillon drei Pelikane, über deren gravitätischen Ernst er immer wieder lachen konnte. Befrackte Herren einer Varieténummer, in einem langsamen Pas de trois, vollkommen aufeinander abgestimmt. Kraniche und Kronenreiher führten ein bewegteres Leben. Sie tanzten! Reinhardt konnte einen von ihnen, der besonders an ihm hing, durch Armschwenken und Zurufen zu einer Leidenschaft der Bewegungen steigern, die an afrikanische Tänzer erinnerte. Und dann die Flamingos: eine rosige Wolke, zartgetönt, feingliedrig, immer in Gruppen, zurückhaltend und von einer eigenartigen Schönheit.
Der Herkulesteich gehörte den weißen und den schwarzen Schwänen, während Mandarinenten und andere kleinere Enten auf sumpfigen Kanälen schwammen. In Volieren wurden Wellensittiche gezüchtet. Sie teilten ihre Käfige mit Reisvögeln, chinesischen Nachtigallen und vielen kleinen bunten Vögeln. Raimund von Hofmannsthal hatte von einer Weltreise zwei Affen mitgebracht und sie Reinhardt für seinen Tiergarten geschenkt. Sie bewohnten ein Glashaus, wo Reinhardt sie oft besuchte und fütterte.
Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende seines Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte. Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn nur allzuoft, halb laufend zum Schloss zurückzukehren. Von diesem Augenblick an war er dann hoffnungslos an den neuen Tag verloren, im Netz der Festspiele eingefangen. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach.
In späteren Jahren hatte er sich allerdings noch eine Zuflucht geschaffen: das Sonnenbad auf dem Dach des Schlosses. Ein Lift war eingebaut worden, der ihn aus seiner Wohnung hinauftrug. Da die Arbeitsleistung, die ihm während der Festspiele auferlegt war, alljährlich immer größere Dimensionen annahm, konnte sie nur noch in angestrengter Nachtarbeit bewältigt werden. So gönnte sich Reinhardt, wenn Zeit für einen Spaziergang fehlte, dann wenigstens eine kurze Atempause im Sonnenbad, wo er frühstücken, lesen und wieder arbeiten konnte.
Leopoldskron war für ihn wie ein Instrument, aus dem er die vielfältigsten Tonschwingungen hervorzaubern konnte. Die großen festlichen Abende rauschten vorbei, bis ins letzte wie Schauspiele inszeniert, und doch Improvisationen, weil Menschen darin agierten, deren Dialog sich nicht auf geschriebene Rollen stützte. Wie in der Commedia dell’arte spielte jeder seinen Part, und Max Reinhardt, der einzigartige Menschenkenner, wusste und erfühlte, was jeder einzelne Vertreter einer bestimmten Menschengattung zu sagen hatte und wie er es ausdrücken würde. Er schaute in dieses Kaleidoskop, freute sich daran und lauschte, unersättlich in seinem Trieb, die menschliche Seele zu ergründen, immer tiefer in sie einzudringen.
Ein Gedicht Richard Beer-Hofmanns, in ein Fremdenbuch geschrieben, das er 1923 Max Reinhardt schenkte, klingt einer Fanfare gleich in die Zukunft, die damals vor ihm lag:
Leopoldskron
Geschwundener Geschlechter stolze Wiege –
Der Dich erbaut, war Tausenden Dynast,
Die in Dir wurden, wuchsen, westen
Fern, fremd war ihnen Menschenmüh’ – und Last.
Hoch schwang ihr Weg sich! Drunten tief die Menge –
Sie selbst erlesen, irdisch, auserwählt
Zu Prunk und Festen – allem frohen Glänzen
Vom ersten Blick des Kindes an, vermählt!
Und traf sie Leid – ward ihnen Leid nicht furchtbar,
Es drang in sie – in ihnen blieb’s bezirkt;
Und froher Sinn, gab niemals Andern Frohheit,
Und all ihr Werk, – für sie nur war’s gewirkt.
– Du Haus, vergessen lang, und lang in Öde –
Ein neuer Herr geht nun durch Deine Räume –
Und wird er froh – wird froh um’s Herz es andern –
Und träumt er – wird es Tausenden, Geträume! –
Denn abendlich, nach dumpfen Tagesmühen,
Hebt, meisternd, Prospero den Zauberstab,
Wort, das sonst körperlos ums Ohr gegeistert,
Bannt er in Fleisch und Blut – und von ihm ab,
Weht starker Wille allen Staub und Moder
Gibt ihm die eingeborene Kraft zurück –
Haus – ! Schenk dem neuen Herrn Mut und Frieden –
Glück braucht er – Tausenden zu schenken, Glück!
Leopoldskron, 28. Juli 1923
Richard Beer-Hofmann