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Оглавление2: Mein neues Leben – Mit Behinderung im Irak
Ich war wieder zu Hause. Doch wie sollte mein neues Leben nun aussehen? Mir war, als müsste ich dieses Leben erst noch finden, mein Leben mit Behinderung in Gohbal, dem Ort meiner Heimat.
Heimat, war sie das noch – konnte ich hier noch etwas erreichen, gar mein Glück finden? Wer denkt an die Zukunft, wenn die Gegenwart so schwer ist, wenn Schmerzen den Körper quälen, wenn Wunden und Narben medizinische Pflege brauchen und wenn das Geld für das alles fehlt? Zukunftssorgen plagten mich: Wie kann ein Mensch mit Seh- und Hörbehinderung und mit nur einem Arm im Irak Geld verdienen? Er kann es nicht. Gar nicht! Es gibt nichts, was er tun kann! Ungewissheit nagte in mir: Wochen, Monate, vielleicht Jahre wären verschwendet? Gab es Hilfe vom Staat? Vielleicht erhielt ich eine Rente? Bisher hatten meine Mutter und meine Geschwister jeden Irakischen Dinar (IQD) selbst bezahlt; und ich litt sehr darunter. So baten wir 14 Tage nach meiner Krankenhausentlassung den Staat um Hilfe: Einen Rentenantrag stellte ich, alle möglichen Ämter in Mossul und Tal Afar suchten wir auf; Papiere, Formulare mussten ausgefüllt werden. Wochenlang dauerte das Warten auf Entscheidungen. Dann erhielt ich die Absage: „Hady Jako hat nichts für den Staat getan, also kann er auch keine Rente bekommen.“
In der Nacht überkamen mich wieder und wieder diese Bilder und raubten mir den Schlaf: Ich befinde mich mit Freunden bei der Rekrutierungsstelle. Es geht um die Heimat und die wollen wir schützen … Die Explosion … mein Freund, Blut, Leichen, Dunkelheit … Ein amerikanischer Arzt sagt: „Er lebt noch!“ Hastig macht er einen Luftröhrenschnitt: „Er soll nicht in die Kühlkammer, schickt ihn ins Krankenhaus, vielleicht gibt es eine Chance, vielleicht!“
In meinem Kopf kreisten die Zahlen: Zu 95 Prozent bestand die Wahrscheinlichkeit zu sterben, nur fünf Prozent Hoffnung gab es. Doch Hoffnung auf was? Hoffnung auf ein Leben mit Schmerzen, mit Behinderung und ohne Perspektive, ohne Einkommen und ohne staatliche Unterstützung – sollte das der Sinn der Hoffnung sein?
Aber meine Familie und ich gaben nicht auf, drei Jahre lang nicht! Wir versuchten, was wir konnten. Es musste doch Hilfe geben!
Abgelehnt! Antrag abgelehnt – wieder und wieder. Aber ich war doch Iraker! Und ich wurde im von mir geplanten Einsatz für den irakischen Staat verwundet. Von welchem Einkommen sollte ich jetzt weiterleben? Und wofür sollte ich leben? Lähmende Aussichtslosigkeit ergriff mein Gemüt: Ein Angehöriger einer Minderheit – ein Ezide – so einer war einfach nicht erwünscht. Ein behinderter Angehöriger dieser Minderheit wurde schon gar nicht gebraucht. Meinem Heimatstaat war es nie auch nur in den Sinn gekommen, mich und die Eziden anzuerkennen oder gar zu unterstützen; das war uns nun klar geworden. Diese politische Haltung war bitter und sehr, sehr deprimierend.
Nur wenn die Schmerzen unerträglich waren, kroch ich zum Arzt und ließ mir mit dem Geld, das meine Geschwister zusammenkratzten, Medikamente geben. Meine Familienangehörigen finanzierten nun mein Leben, jedes Brot, jede Kleidung, jede Medizin. Sie beschworen, dass sie das alles wirklich gerne für mich taten – aber mich machte das unendlich traurig. Ich verstehe das bis heute nicht: Ich hatte alles für meinen Staat riskiert, war verwundet worden und bekam nun nichts. Keine Worte, keine Hilfen.
Das konnte so nicht weitergehen. Doch es ging – insgesamt drei Jahre lang, in denen ich auf den Taschen meiner Geschwister lag. Scham und Langeweile mischten sich zu einem elendigen Brei, der mich im Alltag vergiftete. Die Tage waren eine Last, die Nächte eine Qual. Schlaftabletten, Alkohol und die Angst, zu allem Übel auch noch verrückt zu werden, waren meine ständigen Begleiter. Meine arme Mutter hatte solches Mitleid, dass auch sie ins Elend fiel und Nacht für Nacht schaute, ob ich endlich eingeschlafen sei. „Mein Sohn, was kann für ich tun?“ Doch da gab es leider nichts, wir fanden weder Hilfe noch Trost.
Da wäre es vielleicht doch besser gewesen, ich wäre gestorben? Doch das wollte sie nicht hören – Mutter, mein Engel. Sie sei froh, dass ich am Leben sei und sie wolle mich in der Familie haben und pflegen, solange es eben sein musste. Ich sei doch wiedergeboren! Das haben die Frauen eigentlich feiern wollen, aber das war ja wegen der vielen Toten und Vermissten um uns herum nicht möglich gewesen. Nun wolle sie sich zufrieden geben und für meine Zukunft sorgen und beten.