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Klaus-Jarmos Geburtsvorbereitung
ОглавлениеSeldit sähe bei Marietta überhaupt keinen Hinweis auf irgendwelche Komplikationen und ginge von einer ganz normalen Geburt aus, wie sie sie schon x-mal hinter sich gebracht hätte. Ich fragte Seldit, ob ich bei der Geburt dabei sein dürfte und Seldit antwortete, dass sie das sogar von mir erwartete, ich könnte vielleicht helfen. Am nächsten Morgen saßen wir alle die bei unserem Kaffee und ich ließ die beiden für einige Stunden allein, weil ich zur Hochschule und das Skelett in mein Büro bringen wollte. Ich fuhr also mit dem Wagen zur Uni, die von uns nur drei Minuten zu Fuß entfernt lag, aber ich hätte das Skelett schlecht dorthin tragen können. Ich parkte auf dem Uni-Parkplatz und nahm das Skelett vorsichtig vom Rücksitz, um es neben das Auto zu stellen und dann Richtung Haupteingang zu rollen. Die ganze Szenerie hatte etwas Skurriles, ein Mensch rollte ein Goor-Skelett neben sich her und schob es über den Uni-Parkplatz. Tatsächlich blieben von den wenigen Goor, die auf dem Parkplatz zu finden waren, auch einige stehen und schauten zu, was ich denn bloß mit dem Skelett vorhatte. Ich ließ mich aber nicht beirren und betrat das Uni-Gebäude, in dem sich das Uni-Rektorat befand.
Ich klopfte an die Tür und betrat nach dem „Herein!“ das Vorzimmer des Rektors, in dem dessen Sekretärin saß, die sehr verdutzt dreinschaute, als sie zuerst mich und dann das Skelett durch die Tür kommen sah. Sie fing sich aber sofort, nachdem ich meinen Namen und mein Ansinnen genannt hatte:
„Dr. Köhler, wir haben schon auf Sie gewartet!“, sagte sie und gab mir die Hand, „einen Moment, ich melde Sie dem Rektor!“ Dann öffnete sich die Tür zum Rektorzimmer und vor mir stand ein relativ kleinwüchsiger Goor, der der Uni-Rektor war.
„Schön Sie kennenzulernen, Dr. Köhler!“, sagte der Professor zu mir „und wie ich sehe, haben Sie Unterstützung mitgebracht“ und wies auf das neben mir stehende Skelett. „Ja“, sagte ich, „ich bin eigens nach Kavaniemi gefahren, um mir ein Skelett zu besorgen, ich brauche das für meine Anatomievorlesung“.
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Büro, das wir für sie freigeräumt habe, ich hoffe, es gefällt Ihnen!“, sagte der Rektor. Wir betraten auf einem Nebenflur einen Raum, der sehr funktional eingerichtet war und in den im Sommer durch im mittlerer Höhe angebrachtes Fenster Licht fiel, wenn draußen die Sonne schien.
„Das ist das Zimmer ihrer Sekretärin!“, bemerkte der Professor und ich tat überrascht, mit einer Sekretärin hatte ich gar nicht gerechnet und dann öffnete er eine von dem Vorzimmer abgehende zweite Tür und betrat mit mir einen Raum, in dem ein riesiger Schreibtisch prangte, mit bequemem Schreibtischstuhl und einem großen Bücherregal an der Wand.
„Sie müssen sich den Raum erst nach Ihrem Geschmack einrichten“, meinte der Professor, „Ihre Sekretärin wird ab kommenden Montag für Sie bereitstehen.“ Mein Büro hatte ein riesiges Fenster zur Waldseite hin, es erlaubte mir einen Blick auf die große Waldfläche, die wir seinerzeit wandernd durchmessen hatten, sehr angenehm. Fast scheute man sich, Büro zu diesem repräsentativen Raum zu sagen, er war ausladend und freundlich, wenn dann bald wieder die Sonne schiene und ihr Licht den Raum durchflutete, wäre er warm und anheimelnd. Ich stellte das Skelett zunächst neben meinen Schreibtisch, wo es fürs Erste seinen Stammplatz haben würde, bevor ich es endgültig neben das Regal an die Wand stellte.
Ich ging mit dem Rektor wieder zurück und ließ mir von seiner Sekretärin die Schlüssel zu meinen Büroräumen geben, ich war von dem Zeitpunkt an Mitarbeiter der Hochschule von Ta`amervan. Der Rektor führte mich in sein Büro und nahm mir den Amtseid ab, dessen Formel ich ihm nachsprach. Dann befiel mich plötzlich ein Gefühl von Wichtigkeit, ich war offizieller Funktionsträger im Goor-Reich geworden, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Ich müsste mir einige Dinge besorgen, mit denen ich mein Büro verschönerte, zum Beispiel müssten unbedingt eine paar schöne Blumen in den Raum gestellt werden, auch müsste ich an einige Bilder denken, die ich an die Wand hinge, auf meinem Schreibtisch würde ein Bild von Marietta und Klaus-Jarmo stehen. Ich bedankte mich bei dem Rektor und seiner Sekretärin für die freundliche Aufnahme und ging wieder zum Parkplatz zurück, um dann nach Hause zu fahren. Dort erzählte ich Marietta und Seldit von der netten Universitätsleitung und meinem freundlichen Büro, ich hätte sogar eine Sekretärin, über deren Aufgaben ich mir erst einmal Klarheit verschaffen müsste. Ich müsste mir viele Bücher besorgen, sagte ich, ferner brauchte ich Blumen und Bilder, um das noch recht kalt aussehende Büro etwas aufzufrischen. Seldit sagte mir, dass ich bei den Blumen Abstriche machen müsste, in der dunklen Jahreszeit hielten sich keine Blumen in den Räumen, ich könnte einige anspruchslose Pflanzen aufstellen, die ich aber mit Kunstlicht bescheinen müsste. Dann müsste ich eben Pflanzenlicht beschaffen, dachte ich, auf jeden Fall sollten in mein Büro Pflanzen gestellt werden, woher ich die denn überhaupt bekäme, fragte ich Seldit und sie antwortete, dass ich es an der Verteilstelle versuchen sollte. Auch Bilder gäbe es dort, ich sollte mir einen Katalog geben lassen, aus dem ich Bilder aussuchen könnte, die Auswahl wäre riesig und ich sollte vorher doch schon einmal eine Eingrenzung vornehmen. Ich sagte, dass ich zu Meeri und Jarmo fahren würde und sie bäte, mir eines ihrer Bilder zur Verfügung zu stellen, sicher könnten sie eines ihrer vielen Bilder, die sie inzwischen gemalt hätten, erübrigen.
Marietta schaute mich an und lächelte, sie hatte überall an Gewicht und Körperumfang zugelegt, sie sah aber toll aus, ihr Gesicht strahlte jugendliche Zuversicht aus, sie war voller Kraft und Energie, wenn sie im Moment auch wie eine Kranke auf dem Sofa lag. Seldit streichelte ihren Bauch, was Marietta sehr genoss, sie rief mich zu ihr und führte meine Hand an die Stelle, an der man Klaus-Jarmos wilde Aktivitäten wieder wahrnehmen konnte, er strampelte in Mariettas Bauch herum - nicht mehr lange.
Ich fütterte die Tiere und kochte anschließend Kaffee, dazu stellte ich süßes „Kum“ und Obst neben Marietta auf den kleinen Couchtisch. Ich wollte am Nachmittag noch einmal zur Verteilstelle und mir den Bilderkatalog ausleihen, das würde nicht lange dauern, sagte ich zu Marietta, es täte mir leid, dass mein Amtsantritt an der Uni mit der Geburt unseres Kindes zusammenfiele. Das würde überhaupt nichts machen, entgegnete Marietta, Seldit wäre doch bei ihr, und wenn die Geburt unmittelbar bevorstünde, wäre ich doch auch da. Ich freute mich über Mariettas einsichtige Haltung und gab ihr einen Kuss, dafür liebte ich sie, sie war sehr entgegenkommend und bescheiden, nie versuchte sie, ihre Person in den Vordergrund zu rücken, nicht einmal in der Situation, in der sie sich befand und wo sie eigentlich jede Hilfe brauchte, ich gab ihr zu verstehen, dass sie sich voll auf mich verlassen könnte, das wüsste sie auch ohne dass ich das extra hervorhöbe, sagte Marietta.
Ich fuhr nach dem Kaffeetrinken schnell zur Verteilstelle und holte den Bilderkatalog, den ich dann mit nach Hause nahm und mit den beiden Frauen durchsehen wollte. Als ich wieder zu Hause war, hatte ich einen Katalog mit über tausend Seiten in der Hand, ein mächtiges und schweres Werk im DIN-A-4-Format, in dem zu blättern Lust bereitete. Marietta und Seldit fragten mich, woran ich gedacht hätte, und wie viele Bilder ich aufhängen wollte, und ich antwortete, dass ich mich natürlich noch nicht festgelegt hätte, weder was die Art der Bilder noch was ihre Anzahl anbelangte. Vielleicht könnte ich ganz grob sagen, dass ich impressionistische Bilder bevorzugte, weil sie das Licht in den Vordergrund der Betrachtung stellten, sie schenkten dem dargestellten Objekt nicht unbedingt einen wichtigen Stellenwert, sondern nur dem Licht und dem ersten Eindruck, die sie erschufen. Wahrscheinlich wäre es die lichtarme Jahreszeit, die mich zum Impressionismus tendieren ließ, ich wollte Helligkeit und Farbigkeit in mein Büro holen. Das fände sie sehr gut, sagte Marietta, die Impressionisten wären auch ihre Lieblingsmaler, aus den gleichen Gründen, wie ich sie genannt hätte, und auch Seldit fand den Impressionismus schön, er hätte etwas Belebendes. Also schlug ich in dem Katalog der Verteilstelle das Kapitel Impressionismus auf und stieß allein dort auf hunderte von Bildern der bedeutsamsten Impressionisten. Ich konzentrierte mich auf französische Impressionisten, weil sie die herausragendsten Maler dieser Epoche und mit ihren Werken sehr verbreitet waren, ich bemühte mich dabei, solche Bilder auszusuchen, die nicht allzu populär waren, wollte aber auf ansprechende Farbigkeit achten. Marietta und Seldit schauten mit mir zusammen den Katalog durch und waren begeistert von den Bildern, die in ihm abgedruckt waren, dabei berücksichtigte der Katalog aus jeder Epoche nur die wichtigsten Gemälde. Ich sagte, dass ich die relativ großformatigen Bilder aus dem Katalog aussuchen wollte. Wir blätterten erst völlig frei in dem Katalog herum, ohne uns festgelegt zu haben, ohne einen bestimmten Maler zu favorisieren und merkten bald, dass einen das viele Herumstöbern sehr schnell ermüdete. Ich fühlte mich an den Kunstunterricht in meinem alten Gymnasium erinnert, wo wir uns intensiv mit den großen Stilepochen beschäftigt und einen besonderen Schwerpunkt auf den Impressionismus gelegt hatten. Auf mich war schon damals der Funke übergesprungen, der wohl auch die impressionistischen Maler elektrisiert hatte, wenn sie sich ihre Staffelei nahmen und hinaus in die Landschaft zogen, um den Augenblick festzuhalten, den das Licht schuf und bestimmte, oder wenn sie Arrangements aus Stoffen, Möbeln und zum Beispiel Obst zusammenstellten, um das Licht nach ihrem Willen zu lenken.
Sie malten dann nicht akribisch ihre Objekte aus, wie das die Anhänger der klassischen Malerei taten, sondern begnügten sich manchmal mit nur einem Farbtupfer, weil mehr Zeit nicht zur Verfügung stand, bis das Licht sich änderte und eine andere Stimmung schuf. Ich sagte Marietta und Seldit, dass ich mich auf die vier Hauptvertreter des französischen Impressionismus konzentrieren wollte: auf Cezanne, Renoir, Monet und Gauguin, da hätten wir genug Material, das wir sichten könnten. Ich fand, dass wir nach dem ersten Eindruck gehen sollten, wie das die Impressionisten auch verlangt hätten und ein Bild danach aussuchen sollten. Wenn es wegen seiner Farbigkeit ins Auge stach, gehörte es zur engeren Wahl. Wir schlugen dann im Katalog die Seiten mit Werken von Paul Cezanne auf und ließen unsere Augen über seine Bilder gleiten. Unter seinen vielen Werken vom Mont Saint Victoire, an dem er im Norden von Aix-en-Provence gelebt hatte, hob sich eines besonders hervor, es war die Darstellung „Montagne Saint Victoire vom Steinbruch Bibemus“ (1897).
Es war ein Werk in Himmelblau und dem hell gehaltenen Massiv des Berges im oberen Teil und kräftigen Braun- und Grüntönen im unteren Teil, es machte Freude, sich in das Bild zu vertiefen und die Wärme und die Gerüche des Midi wahrzunehmen, man musste natürlich schon einmal dort gewesen sein, um sich in das Bild hineinversetzen zu können, man hörte geradezu das Zirpen der Zikaden, wenn man das Bild betrachtete. Ich sagte, dass ich das Bild haben wollte, Marietta und Seldit fanden es auch sehr ausdrucksstark, es war mit 65x81 cm nicht sehr raumgreifend und passte deshalb gut in mein Büro. Ich machte mir eine Notiz mit der Katalogseite und schlug dann die Seiten mit Pierre-Auguste Renoir auf, wieder ließen wir unsere Augen über dessen im Katalog präsentierte Bilder gleiten. Jeder von uns dreien musste dann sagen, welches Bild ihm besonders gefiel. Wir alle neigten zu dem gleichen Bild, weil es unserem Farbempfinden am ehesten entsprach, es war das Bild „Früchte des Südens“ von 1881. Obwohl die Früchte in all ihrer Farbigkeit dargestellt waren, waren sie zum Teil nur hingehuscht oder in anderen Farben gemalt, als sie von Natur aus ausgesehen hätten, nur um den situativen Eindruck zu vermitteln, auf den es dem Künstler ankam, faszinierend, eine überquellende Obstschale, viele Früchte lagen davor auf einer weißen Tischdecke. Auch dieses Bild wollte ich haben und notierte auf meinem Zettel die Katalogseite.
Wir wandten uns dann Monet zu, als ich sah, dass Marietta eingeschlafen war, Seldit und ich gingen deshalb in den hinteren Raumteil, ich legte Marietta eine Decke über. Seldit und ich blätterten im hinteren Raumteil im Katalog, auch Monet war ein Vielmaler und ich hatte Mühe, alle Bilder zu betrachten, eines stach aber wegen seiner fast unverschämt wütenden Farbigkeit besonders ins Auge, das war der „Sonnenblumenstrauß“ von 1880, das Bild hatte die Größe 101x81 cm. Schon die Sonnenblumen sorgten für leuchtende Farben, sie schrien aus dem Bild geradezu heraus, unterstützt wurden sie durch das farbige Beiwerk wie eine leuchtend rote Unterlage oder den ins Lila gehenden Hintergrund, die Vase dagegen blieb blass. Uns fiel noch ein weiteres Monet-Bild auf, das war „Bordighera“ von 1884, ein Ort an der französisch-italienischen Grenze. Es war ein Blick auf den Ort und das Meer durch krumme Pinienstämme, es umgab einen die Hitze am Mittelmeer, wenn man das Bild betrachtete. Es war eine Hommage an das Sommerblau, das war der Eindruck, der sich mir vermittelte. Das Bild war mit 65x81 cm genau so formatiert wie die beiden anderen und ich wollte es unbedingt haben, ich zog es dem „Sonnenblumenstrauß“ vor, der auch deutlich größer war und deshalb vielleicht zu dominant wirkte.
Von Paul Gauguin schlugen wir nur seine Südsee-Bilder auf. „Wie? Bist Du eiferüchtig?“ von 1892, das war das Bild, das uns beiden sofort auffiel, es war zum einen der merkwürdig anmutende Bildtitel und zum anderen das Südseekolorit, die es zu etwas Besonderem machten. Das Bild hatte eine fast zwanghaft herbeigeführte Farbigkeit, so sind auf Ornamente oder Muster reduzierte Objekte in der linken oberen Bildhälfte zu sehen, die allerdings nicht abstrakt wirken, sondern Assoziationen zu real existierenden Dingen zuließen wie Wasser, Sand etc. Damit hatten wir vier impressionistische Bilder ausfindig gemacht, die ich am nächsten Tag bei der Verteilstelle bestellen würde.
Marietta wurde langsam wach, schaute sich um und sah uns im hinteren Raumteil über den Katalog gebeugt.
„Was macht ihr da?“, fragte sie, sie schien vergessen zu haben, dass wir uns mit dem Bilderkatalog beschäftigt hatten.
„Wir haben unsere Bildersuche abgeschlossen“, sagte Seldit und wir gingen wieder zu Marietta hinüber, um ihr unsere Auswahl zu zeigen. Ich brachte Marietta ein Glas Saft und legte weitere Holzscheite auf das Kaminfeuer. Seldit und ich tranken noch eine Tasse Kaffee und alle aßen wir süßes „Kum“. Wir sprachen noch eine Zeit lang über die Impressionisten und Marietta und ich erzählten Seldit von einer Südfrankreichfahrt, die wir vor Jahrzehnten einmal unternommen hatten.
Ab einem bestimmten Punkt nach Süden war man in Frankreich im Midi, man tauchte ein in ein Meer aus Licht, Farben, Gerüchen und Stille, dazu das ständige Zirpen der Zikaden, man war wie berauscht von den Eindrücken, mit denen man konfrontiert wurde. Das war die Mischung von Eindrücken, denen sich auch die Impressionisten, zumindest die im Süden Frankreichs, ausgesetzt sahen, man müsste fast sagen, dass es diese äußerlichen Bestimmungsfaktoren waren, die den Malern den Pinsel führten.
Die besondere Farbigkeit stand für Glück und genau das empfand man auch, wenn man im Midi war und die Stimmungen auf sich einwirken ließ. Seldit hörte uns zu und schien nur schwer zu verstehen, wovon wir sprachen, es war aber auch schwer, das nur mit Worten zu beschreiben, was letztlich die Leichtigkeit im Midi ausmachte. Marietta war wieder hellwach und trank mit uns, es ging ihr gut, wir rechneten dann damit, dass die Geburt jeden Tag stattfinden könnte.
Ich ging in die Dunkelheit hinaus zu den Tieren, wieder fiel mir auf, dass es ganz allmählich heller wurde, Armi und Ilpo waren auch lebhafter geworden, sie kamen mir wieder entgegengelaufen und sprangen an den Keulenhälften hoch, die ich für sie in Händen hielt, ich füllte auch ihr Wasser nach. Sie fraßen zwar immer noch den Schnee vor ihrem Verschlag, tranken offensichtlich aber auch wieder aus ihrer Schale. Ich ging wieder zum Haus zurück und aß mit den beiden Frauen „Kum“ und Obst, ich trank mit Seldit Wein und schüttete Marietta einen Saft ein.
So saßen wir vor dem Kamin und ich erzählte noch einmal von meinem schönen Uni-Büro und den Bildern, die ich dort aufhängen wollte. Wir hatten lange Zeit damit verbracht, die Bilder aus dem Katalog auszusuchen, das hatte Spaß gemacht und ich hatte mich an meine alte Schulzeit zurückerinnert gefühlt. Seldit und ich tranken ordentlich Wein und ich öffnete auch noch eine zweite Flasche, Marietta machte es nichts aus, uns Wein trinken zu sehen, ich fragte sie, ob sie sich erinnerte, wie wir in Südfrankreich Rotwein getrunken hätten, aus der Flasche! Klar erinnerte sich Marietta daran und auch daran, dass wir wegen Geldmangels Baguette, Käse und Tomaten aßen, was es zu erschwinglichen Preisen beim Bäcker und an Marktständen zu kaufen gab.
Am nächsten Morgen saßen wir alle beim Kaffee zusammen, bei Marietta tat sich noch nichts, sie war einen Tag vor dem errechneten Geburtstermin, spätestens ab dem nächsten Tag wäre alles anders.
Ich fütterte die Tiere und sagte Marietta und Seldit dann, dass ich mich noch einmal für ein paar Stunden loseisen müsste, um zu Meeri und Jarmo aufs Schloss zu fahren und sie nach einem Bild zu fragen. Wenn irgendetwas Wichtiges passierte, sollten sie mich auf dem Schloss anrufen, ich käme dann sofort nach Hause. Ich parkte auf dem Schlossparkplatz, auf dem die Reste unseres Schneemannes zu sehen waren, es lag längst nicht mehr so viel Schnee dort wie noch vor einigen Tagen, es hatte zu tauen begonnen! Ich ging ins Haus und klopfte bei Meeri und Jarmo an die Ateliertür, sie riefen „Herein!“ und ich trat ins Atelier, wo ich sie malend vorfand. Was denn gerade entstünde fragte ich, nachdem ich sie beide begrüßt hatte. Ich sah, wie Meeri mit etwas Abstraktem beschäftigt war, während Jarmo immer noch an seiner Ansicht von Ta`amervan saß, die aber sehr gelungen war, Jarmo verstand es, seinem Bild etwas Künstlerisches zu geben, das hieß, dass er den Farbauftrag frei gestaltete und ein Hausdach auch einmal gelb malte, wenn das besser zur farblichen Gesamtkomposition passte.
Meeris Bild war eine Zusammenstellung farbiger Flächen, die sich schnitten und von Linien gekreuzt wurden, sehr schön anzusehen und überaus bunt. Ich sagte beiden, dass ich auf der Suche nach einem Bild für mein neues Büro wäre und sie mir doch eines ihrer Werke zur Verfügung stellen sollten. Meeri sagte mir dann, dass ich ihre abstrakte Komposition haben könnte, sie brauchte ungefähr noch zwei Tage, bis sie damit fertig wäre, dann könnte ich das Bild mitnehmen. Ich freute mich über ihr Angebot und vermaß das Bild, damit ich mir einen Rahmen für das Bild holen könnte. Meeri meinte, dass ich Pekko danach fragen sollte, er hätte irgendwo noch ganz viele Rahmen von Bildern gesammelt, die irgendwann einmal ausgesondert worden waren und dann nicht mehr gebraucht würden.
Meeris Bild hatte die Maße 60x80 cm und war damit in etwa so groß wie meine Klassiker, ich sagte dann, dass ich Pekko aufsuchen wollte und verabschiedete mich von den beiden. Ich fand Pekko und Kaija bei sich zu Hause und lud sie zu uns zum Kaffee ein, gleichzeitig fragte ich Pekko nach einem passenden Bilderrahmen und er sagte, dass er sicher so einen Rahmen hätte, er wollte ihn am Nachmittag mitbringen und sie brächten Pflaumenkompott zu uns mit. Ich fuhr wieder nach Hause und fand Seldit und Marietta im Wohnzimmer sitzen, sie unterhielten sich über die Geburt, Seldit zeigte Marietta wie sie sich verhalten sollte, dass sie pressen müsste, wenn Seldit das sagte. Marietta müsste dann sehr stark pressen, so als säße sie auf der Toilette, sie sollte sich nicht darum scheren, ob vielleicht etwas Stuhl abginge, das wäre völlig normal und darum kümmerte Seldit sich. Marietta sollte vor dem eigentlichen Gebären in die Badewanne gehen, damit sie sich wüsche und ihre Muskulatur gelockert würde. Mehr müsste vorher gar nicht gesagt werden, alles Weitere ergäbe sich schon von selbst, wenn die ersten Wehen eingesetzt hätten. Ich sagte, dass ich Kaija und Pekko eingeladen hätte, sie kämen am Nachmittag vorbei und brächten Pflaumenkompott mit. Darauf hätte sie richtig Hunger, sagte Marietta, sie freute sich über den Besuch, wenn er auch sehr kurz vor der Geburt stattfände. Ich fragte Seldit, ob ich zur Geburtsvorbereitung noch irgendwelche Dinge besorgen sollte, Seldit verneinte, das wäre nicht nötig, ich sollte nur selbst da und vor allem fit sein, die Geburt könnte leicht zwölf Stunden dauern, ich sollte ausreichend „Kum“, Obst und Getränke bereitstellen.
Ich hatte die Bilder bestellt und auch einige Grünpflanzen für mein Büro geordert, ich würde Pekko nach Pflanzenlicht fragen, da wüsste er wohl am besten Bescheid. Um 15.00 h schellte es und Kaija und Pekko standen vor der Tür, Kaija trug eine kleine Schüssel bei sich, in der sie den Pflaumenkompott hatte, Pekko hatte einen Bilderrahmen in 60x80 cm mitgebracht. Ich bat sie beide herein und Marietta und Seldit begrüßten beide sehr herzlich, wo denn Bortan wäre, fragte Pekko, und Seldit erzählte von ihrer kaputten Heizung und der Reparatur, bei der Bortan anwesend sein müsste. Marietta lag auf dem Sofa am Kamin und wir setzten uns zu ihr, sie lag ganz still, als wartete sie auf die ersten Wehen, dann wäre unser gemütliches Kaffeetrinken aber zu Ende gewesen und Seldit träte in Aktion. Kaija und Pekko blieben auch nur zwei Stunden weil sie merkten, dass ein längerer Aufenthalt bei uns angesichts der unmittelbar bevorstehenden Geburt nicht angebracht wäre. Am Abend, wir hatten Kaija und Pekko verabschiedet, ging Marietta in die Badewanne, sie stütze sich beim Gehen und beim In-die-Wanne-Klettern bei mir ab, das waren für sie natürlich große Anstrengungen. Seldit und ich setzten uns zu Marietta und wir unterhielten uns über Kindererziehung, die bei den Goor eine nicht allzu große Rolle spielte, bei uns Menschen aber schon, jedenfalls normalerweise, aber Klaus-Jarmo durchlief ja auch nur die kurze Kindheitsphase, man müsste sehen, welchen erzieherischen Einfluss man auf ihn ausüben könnte. Wir halfen nach einiger Zeit Marietta wieder aus der Wanne und trockneten sie ab, Marietta zog nur einen Bademantel über, Kleidung würde bei der Geburt nur stören.