Читать книгу Öffne dein Herz - Hanna Berghoff - Страница 8
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ОглавлениеDa stand sie nun und wartete auf Jana.
Melanie kam sich fast wieder vor wie in der Schule. Schon gestern Abend war das so gewesen, als sie Jana darum gebeten hatte, sie bei diesen Befragungen zu begleiten. Wie eine fast errötende sechzehnjährige Melanie auf dem Schulhof.
Sie war nicht errötet. Gestern Abend nicht und früher auf dem Schulhof nicht. Aber es kam ihr so vor. Jana verursachte eine Unsicherheit in ihr, wie sie sie schon lange nicht mehr gekannt hatte.
Was war das nur mit dieser Frau? Sie war noch sehr jung, auf jeden Fall einige Jahre jünger als Melanie, aber manchmal kam sie ihr so vor, als wäre sie eines dieser uralten ewigen Orakel, von denen in der griechischen Mythologie stets die Rede war.
Warum das so war, konnte Melanie sich nicht so richtig erklären. Jana wirkte wie ein offenes Buch, eine junge Frau vom Dorf, die noch nicht viel erlebt hatte, die noch nie weggewesen war. Sie war hier verwurzelt und schien sich damit auch ganz wohlzufühlen.
Auf der anderen Seite hatte Melanie bei dem Gespräch, das sie gestern dann noch in der Gaststube geführt hatten, das Gefühl gehabt, Jana beobachtete sie ständig. Es war, als ob sie etwas von Melanie erwartete, das sie ihr nicht sagen konnte. Oder wollte.
Melanie bildete sich nicht ein, eine große Frauenversteherin zu sein. Das war sie noch nie gewesen. Eher im Gegenteil. Sie verstand die Frauen überhaupt nicht. Keine von denen, mit denen sie je näher zu tun gehabt hatte.
Dennoch machte sie sich Gedanken über Jana, wie sie sie sich zuvor noch nie über eine Frau gemacht hatte. Denn sie fragte sich, was Jana wirklich dachte. War es das, was sie sagte? Den Eindruck hatte Melanie nicht.
Aber vielleicht war das auch nur ihre vierjährige Erfahrung als Versicherungsdetektivin, die ihr dieses Misstrauen eingab. Sie traute keinem Menschen mehr so richtig. Wenn es um Versicherungsbetrug ging, logen alle.
Das hatte eigentlich nichts mit ihrem Privatleben zu tun, aber es strahlte darauf aus. Früher hatte sie sich nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht, ob jemand die Absicht hatte, sie zu betrügen. Ob jemand sie belog. Mittlerweile gehörte das auch privat bei ihr fast zum Standard.
Das war ungerecht, das wusste sie selbst. Sie konnte ihren Instinkten vertrauen, was Betrüger anging, denn sie hatte mittlerweile schon eine Menge davon kennengelernt. Und eines hatten sie alle gemeinsam: Sie konnten einem nicht richtig in die Augen schauen.
Jana schaute ihr fast immer in die Augen. Lügen schien nicht zu ihrem Repertoire zu gehören. Aber konnte man da je sicher sein? In dieser ländlichen Umgebung fühlte Melanie sich unwohl und auch sehr unsicher. Sie kannte sich nicht damit aus. Nicht mit der Umgebung, nicht mit den Gepflogenheiten, nicht mit den Menschen. Noch nicht einmal richtig mit der Sprache.
Wahrscheinlich hatte sie bisher von bayrischen Dörfern eine eher klischeehafte Vorstellung gehabt. Schlitzohrige Bauern vielleicht, aber keine Kriminellen. Und junge Mädchen oder Frauen in Dirndln, die nur darauf warteten, von einem dieser Bauern geheiratet zu werden. Keine großen Erfinder oder Nobelpreisträger.
Aber möglicherweise hatte sie die Dorfbevölkerung unterschätzt. Nicht nur, dass Jana auf sie sehr intelligent wirkte, auch der Brand auf diesem Bauernhof war vielleicht kein Zufall gewesen.
Es war gleich Mittagspause im Autohaus, vor dem Melanie jetzt auf sie wartete. Jana hatte gesagt, sie würde heute Nachmittag freinehmen, um Melanie zu helfen. Obwohl Melanie sie nicht darum gebeten hatte. Die Idee, Jana nach Unterstützung zu fragen, war ihr gestern ganz spontan in der Gaststube gekommen, als sie sie da sitzen sah.
Ihre Mundwinkel zuckten. Und so schön aussehen sah. Sie wusste, dass Janas Aussehen etwas damit zu tun hatte. Melanie hätte ja auch Zenzi Brandl fragen können. Die durch ihren ständigen Kontakt mit bestimmt fast sämtlichen Bewohnern des Dorfes eigentlich sogar die bessere Ansprechpartnerin gewesen wäre.
Aber Zenzi Brandl war – sie schüttelte schmunzelnd den Kopf – . . . auf jeden Fall nicht Jana.
Mitten in ihre Gedanken hinein nahm sie eine Bewegung am Eingang des Autohauses wahr. Ein Mann kam heraus, dann eine Frau. Von Jana war nichts zu sehen.
Die Frau drehte sich noch einmal um und rief etwas in den Eingang hinein zurück. Es klang so wie »Du kommst nicht mit?«
Melanie stand leicht seitlich vom Eingang, und die Frau sprach in die andere Richtung, deshalb konnte sie es nicht genau verstehen. Die Antwort, die aus dem Inneren kam, noch weniger.
Ein paar Sekunden lang tat sich nichts am Eingang, dann trat Jana heraus, aber sie war nicht allein. Ein Mann von etwa fünfunddreißig begleitete sie. Er trug einen Anzug und eine Krawatte, die mit ihrem auffälligen Muster wahrscheinlich sofort alle Blicke auf sich zog.
Ein Autoverkäufer vermutlich, ein Kollege von Jana. Die Art eines Verkäufers hatte er auf jeden Fall. Er lachte, als wäre er sehr von sich selbst überzeugt und könnte alles verkaufen. Dann griff er an Janas Arm und wollte sie mit sich ziehen, von Melanie weg.
Melanies Augenbrauen zogen sich zusammen, denn sie hatte nicht den Eindruck, dass Jana sich ziehen lassen wollte. Sie wehrte sich nicht sehr, aber sie gab dem Zug auch nicht nach, sodass er stehenbleiben musste.
»Was ist?«, fragte er, nun anscheinend von einer Sekunde auf die andere nicht mehr so gutgelaunt wie eben noch. Er wirkte verärgert.
»Ich bin . . .« Jana räusperte sich. »Ich bin zum Mittagessen verabredet.« Sie drehte sich halb zu Melanie um und warf einen Blick auf sie.
Der Mann folgte ihrem Blick mit seinem, starrte Melanie allerdings weit weniger freundlich an. Von dem charmanten Verkäuferlächeln war nichts mehr übrig. »Das ist nicht Nicky«, stellte er höchst zutreffend fest.
»Nein«, gab Jana zu. »Das ist . . . Melanie. Sie wohnt bei Zenzi.« Als er sie so ansah, als würde er nicht verstehen, setzte sie erklärend hinzu: »Du weißt doch, Zenzi Brandl, meine Cousine. Vom Landgasthof.«
»Ich kenne Zenzi«, gab er unwirsch zurück, als hätte er nicht eben noch so getan, als wüsste er mit dem Namen nichts anzufangen.
Der Mann benahm sich, als hätte er ein Recht auf Jana, dachte Melanie, während sie dieses Hin und Her beobachtete. Der war nicht nur ein Kollege.
»Melanie Tieck«, stellte sie sich vor, ging die paar Schritte, die sie trennten, auf ihn zu und streckte ihm die Hand hin.
»Lehner«, brummte er nur, als müsste er sich schwer dazu überwinden. Dennoch war sein Händedruck, als er Melanies Hand nahm, sehr fest. Er tat ihr fast weh.
Lehner, dachte sie. Das war der Name, der über dem Eingang des Autohauses stand. Also war das hier kein Kollege, das war Janas Chef. Und anscheinend auch noch etwas anderes.
Wie gewonnen, so zerronnen. Sie seufzte innerlich. Wobei sie Jana ja noch gar nicht gewonnen hatte. Sie war noch nicht einmal in die Nähe auch nur eines Versuchs gekommen, die Möglichkeit dazu auszutesten. Während ihres Gesprächs in der Gaststube gestern Abend hatte sie sich jedoch ganz unwillkürlich so das eine oder andere vorgestellt. Es war ihr schwergefallen, sich von Janas Lippen zu lösen, wenn sie sprach. Und auch, wenn sie nicht sprach.
Aber auf ihre Lippen hatte wohl dann eher dieser Mann Anspruch, der Melanie immer noch so betrachtete, als wäre sie ihm ein Dorn im Auge. Was sie wahrscheinlich auch war. Was auch immer für ein Verhältnis er mit Jana hatte, außerhalb ihres beruflichen. Schließlich konnten Dorfschönheiten wie Jana nicht nur von irgendwelchen Bauern geheiratet werden, sondern auch von dem offenbar sehr selbstgefälligen Besitzer eines Autohauses. Vielleicht war er sogar die bessere Partie.
Zwar machte Jana nicht den Eindruck, dass es ihr sehr auf Geld ankam, aber was wusste sie schon von ihr? Auf der einen Seite gab sie sich wie ein offenes Buch, auf der Rückseite jedoch mit sieben Siegeln. Gestern Abend im Landgasthof der Brandls hatte Melanie für einen kurzen Augenblick das Gefühl gehabt, Jana wollte ihr etwas sagen. Aber dieser Augenblick war so schnell vorbei gewesen, wie er gekommen war.
Die Frage war zudem, worauf hätte sich das beziehen können, was Jana ihr eventuell hatte sagen wollen? Auf etwas Privates oder auf etwas, das mit Melanies Beruf zu tun hatte, was bedeutete: dem Brand auf dem Bauernhof.
Gestern hatte Melanie sich gewünscht, es wäre etwas Privates gewesen, aber heute hatte sich das ja bereits erledigt. Das gewisse Kribbeln, das Melanie kurz gespürt hatte, diese Spannung, die auf etwas hindeutete, das unausgesprochen zwischen ihnen stand, konnte sich jedenfalls nicht auf Melanie als Person bezogen haben.
Wie hatte sie nur darauf kommen können? Schließlich war das hier nicht Berlin, wo die Blicke einer Frau nicht nur oberflächliches Interesse bedeuten konnten. Das hier war ein Dorf. Und dazu noch in Bayern. Hier konnte wahrscheinlich niemand das Wort Lesbe überhaupt buchstabieren.
»Melanie ist eine alte . . . Schulfreundin«, erklärte Jana in diesem Moment. »Sie besucht mich nur kurz, weil sie beruflich hier zu tun hat.« Hinreißend lächelte sie Melanie an. »Und da wollen wir natürlich so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Sie muss ja bald wieder wegfahren.«
Janas Lächeln warf Melanie fast um. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Sie hätte fast geschluckt, konnte sich jedoch im letzten Moment noch zurückhalten, weil sie merkte, dass Herr Lehner sie immer noch beobachtete. Sein Alleinfanspruch auf Jana war deutlich erkennbar. Daran ließ er keinen Zweifel.
»Ja, ich muss bald wieder nach Berlin zurück«, bekräftigte sie deshalb Janas letzte Aussage, ohne ihre Beförderung zur Schulfreundin in Frage zu stellen. »Leider nicht so schön wie hier«, sie hob eine Hand und wies auf die Umgebung, »aber was will man machen? Ich arbeite dort.« Sie lächelte ihn fast entschuldigend an, weil sie das Gefühl hatte, dass er jede Art von Beruhigung vertragen konnte.
Obwohl sie es auf der anderen Seite merkwürdig fand, dass er eine Frau als Bedrohung empfand. Aber das musste nicht heißen, dass er eine gewisse Chemie zwischen Jana und Melanie vermutete. Manche Männer wollten ja überhaupt nicht, dass ihre Frau Kontakt zur Außenwelt hatte. Sie unterbanden sogar regelmäßige Beziehungen zu Familienmitgliedern.
Viel merkwürdiger fand Melanie allerdings, dass Jana sich das bieten ließ. Sie war eine außergewöhnlich attraktive junge Frau, und die heiratsfähigen Männer hier im Dorf mussten sich doch die Finger nach ihr lecken. Wenn sie nicht die Wahl hatte, wer dann?
»Kommst du?«, fragte Jana jetzt und schob ihren Arm unter den von Melanie. »Sonst sind die besten Gerichte schon aus.«
Neben dem Schlag, der sie bei der Berührung fast traf und zusammenzucken ließ, stellte Melanie fest, dass sie nun auch vom Sie ins Du befördert worden war. Was ja aber auch so sein musste, als Schulfreundin.
»Was könnte denn da aus sein, wo wir hingehen?«, fragte sie etwas verdattert.
»Du magst doch so gern Knödel«, behauptete Jana frank und frei. »Und im Grünen Baum gibt es die immer nur in begrenzter Zahl. Wenn sie weg sind, sind sie weg.«
Auch wenn sie die Leberknödel gestern durchaus gern gegessen hatte, fragte Melanie sich, woher Jana wissen wollte, dass sie Knödel generell mochte. Aber das lag wohl so auf derselben Linie wie Schulfreundin. Es hatte im Grunde genommen nichts mit Melanie zu tun. Jana erfand das einfach aus dem Augenblick heraus.
Melanies Überzeugung, dass Jana eine Frau war, die nicht absichtlich log, geriet ins Wanken. Dafür schoss sie diese Fantasiegebilde doch etwas zu leicht und zu schnell hintereinander ab.
»Dann müssen wir uns wohl tatsächlich beeilen«, unterstützte sie Janas aus der Luft gegriffene Überzeugung. Mit ihr am Arm drehte sie sich um und entfernte sich von dem damit nicht sehr einverstanden wirkenden Herrn Lehner.
»Tut mir leid«, entschuldigte Jana sich leicht betreten, als sie aus seiner Hörweite waren. »Ich weiß, ich habe dich – oh Entschuldigung, Sie – damit jetzt sehr überrumpelt.«
»Falls wir Ihren – ähm deinen – Chef noch einmal treffen sollten, wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir beim Du blieben«, sagte Melanie.
Aus irgendeinem Grund griff sie nach diesem Du wie nach einem Strohhalm. Als ob allein das sie Jana näherbringen konnte, obwohl es nur eine Farce war. In gewisser Weise brachte Jana sie um den Verstand, auf den sie sich normalerweise so gut verlassen konnte. Das verunsicherte sie immer mehr.
»Meinetwegen«, erwiderte Jana. Sie ließ Melanies Arm, den sie bis eben noch untergehakt hatte, los. »Es ist ja sowieso meine Schuld.«
Die Wärme von Janas Körper so nah an ihrem vermisste Melanie sofort, noch mehr als die Berührung an ihrem Arm, an die sie sich nach dem ersten elektrischen Schlag nicht ungern gewöhnt hatte.
»Ich war heute Morgen bei der Feuerwehr«, informierte sie Jana schnell. Vielleicht half es ihrem inneren Aufruhr, sich wieder auf etwas Berufliches zu konzentrieren. »Es scheint, da hast du auch einen Cousin.«
»Einen entfernten«, bestätigte Jana. »Wir sehen uns nicht oft.« Sie wandte ihr Gesicht zu Melanie und schaute sie fragend an. »Was hat er gesagt?«
Melanie holte tief Luft. »Dass es auf jeden Fall Brandstiftung war«, sagte sie. »Ist nur die Frage, ob absichtlich oder unabsichtlich. Manchmal lagern Leute ja Sachen, die sich leicht entzünden können, einfach so in einer Scheune. Das ist dann höchstens Fahrlässigkeit. Aber es hat natürlich auch Einfluss darauf, ob die Versicherungssumme ausgezahlt wird oder nicht.«
»Das heißt dann doch, zum Schluss ist es egal, ob absichtlich oder unabsichtlich, oder?« Jana wirkte nachdenklich, während sie diese Frage stellte.
Melanie zuckte die Schultern. »Für die Versicherung schon. Für die Polizei nicht. Aber damit habe ich nichts zu tun.«
»Dann kannst du ja jetzt wieder zurückfahren«, bemerkte Jana tonlos. »Dein Job hier ist erledigt. Wenn deine Versicherung weiß, dass sie nicht zahlen muss, reicht das doch bestimmt. Dann brauchst du meine Unterstützung hier gar nicht mehr.«
»Es ist nicht meine Versicherung«, berichtigte Melanie. »Wir arbeiten als Ermittler für jede Versicherung, die uns engagiert.« Sie warf einen Blick auf Jana neben sich. »Aber die Geschichte muss hieb- und stichfest sein. Nur die Aussage der Dorffeuerwehr reicht da nicht. Die Polizei muss das auch noch untersuchen. Versicherungen wollen sich immer nach allen Seiten absichern. Wegen eventueller Klagen, die die Versicherungsnehmer anstrengen könnten. Falls nicht genau bewiesen ist, dass es auch wirklich Brandstiftung war. Auch ein Kind könnte dafür verantwortlich sein, das zufällig vorbeigekommen ist. Dann hätte der Versicherungsnehmer Anspruch auf das Geld.«
»Babett«, sagte Jana, wieder nachdenklich.
Melanie erschien es so, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber sie blieb dann trotzdem stumm. Ein, zwei Sekunden wartete sie noch, dann räusperte sie sich. »Wie war das mit dem Mittagessen? Ist dieser Grüne Baum wirklich gut?«
»Sehr gut.« Jana nickte abwesend. Sie war in Gedanken anscheinend immer noch mit etwas anderem beschäftigt.
»Weißt du, wo diese Greiner-Schwestern zu finden sind, die Besitzerinnen des Bauernhofes?«, fragte Melanie. »Die würde ich schon gern noch befragen. Aber auf dem abgebrannten Hof«, sie zuckte die Schultern, »wohnt ja niemand mehr.«
»Sie wohnt bei Nicky«, antwortete Jana fast automatisch, dann jedoch zuckte sie zusammen, als hätte sie das gar nicht tun wollen. »Babett, meine ich«, fügte sie etwas nervös hinzu. »Elies wohnt ja in München.«
»Ach so.« Zwar kannte Melanie die Angaben zu Elies Greiner aus den Unterlagen, aber sie hatte unwillkürlich angenommen, dass auch die zweite Greiner-Schwester nach so einem Brand Interesse daran haben würde, herzukommen und den abgebrannten Bauernhof zu besichtigen, dessen eine Hälfte ihr immer noch gehörte, auch in diesem Zustand.
»Babett ist die Bäuerin«, erklärte Jana. »Elies ist Lehrerin. Sie ist in München verheiratet und wohnt schon lange nicht mehr hier.«
»Aber trotzdem gehört immer noch beiden der Hof?«, fragte Melanie leicht erstaunt. »Obwohl sich die Schwester ja anscheinend gar nicht dafür interessiert?«
Diesmal zuckte Jana die Schultern. »So viel weiß ich darüber gar nicht. Da solltest du besser Zenzi fragen. Sie ist mit den beiden zur Schule gegangen.«
Ja, ich hätte wohl grundsätzlich Zenzi fragen sollen, dachte Melanie. Das erinnerte sie wieder an ihre Überlegungen, warum sie Jana Zenzi als Ansprechpartnerin vorgezogen hatte. »Denkst du wirklich, es gibt keine Klöße mehr, wenn wir zu spät in den Grünen Baum kommen?«, fragte sie etwas neckend.
»Knödel«, korrigierte Jana sie. »Hier bei uns heißt das Knödel. Klöße heißt das nur bei euch in Preußen.« Ein Zwinkern in ihren Augen, als sie Melanie nun ansah, zeigte jedoch deutlich, dass sie sich auf Melanies neckenden Tonfall eingelassen hatte.
Melanie lächelte sie an. »Dann kannst du mir ja beim Essen auch erzählen, wer diese Nicky ist, bei der Babett Greiner jetzt wohnt.«
Sie hatte erwartet, dass auch Jana lächeln würde, aber das tat sie nicht. Im Gegenteil, es schien, als ob die Erwähnung des Namens Nicky bei ihr einen Temperatursturz in ihrer Stimmung ausgelöst hätte.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Melanie verunsichert. Schon wieder. Das war anscheinend ein Dauerzustand in Janas Gegenwart.
»Nein, nein.« Entschieden schüttelte Jana den Kopf, und nun lächelte sie doch, während sie kurz einen Blick auf Melanie warf. Doch ihr Lächeln schien ziemlich gezwungen. »Nicky ist nur . . .« Sie atmete tief durch. »Vielleicht sollte ich dich da vorwarnen. Sie ist verliebt in Babett. Schwer verliebt.«
Oh. Es war nur ein innerliches lautloses Oh, das Melanie da entschlüpfte. Ihren Lippen entschlüpfte nichts. Vielleicht konnten ein paar Leute hier in diesen Dörfern das Wort Lesbe doch buchstabieren.
»Ist das ein Problem für dich?«, fragte Jana, und eine gewisse Anspannung lag in ihrer Stimme.
»Kein Problem, nein.« Nun schüttelte Melanie den Kopf. »Natürlich nicht. Warum sollte es?«
»Könnte ja sein«, sagte Jana. »Nicky geht sehr offen damit um. Aber damit ist sie eine große Ausnahme hier, und deshalb wird sie auch allgemein als so eine Art verrücktes Huhn betrachtet, das keiner ernstnimmt.« Sie machte eine kleine Pause, dann fuhr sie etwas leiser fort: »Sie ist meine beste Freundin, seit wir zusammen zur Schule gegangen sind. Ich möchte nicht, dass ihr irgendetwas passiert.«
Zwei Fragen taten sich in Melanie auf. Was sollte dieser Nicky passieren, nur weil Melanie sie kontaktierte, um die abgebrannte Bäuerin Babett Greiner kennenzulernen? Und zweitens: Wenn Nicky Janas beste Freundin war und offenbar lesbisch, was war dann mit Jana?
Das Letzte strich sie innerlich gleich wieder. Was sollte mit Jana sein? Sie war die Freundin oder vielleicht sogar Verlobte ihres Chefs. Und vermutlich würde sie ihn bald heiraten, dann ein paar Kinderchen von ihm in die Welt setzen und sich von einer Dorfschönheit in eine Dorfmatrone verwandeln.
Wie all die anderen Frauen vor ihr hier im Dorf, die denselben Weg gegangen waren.