Читать книгу Der Tarzan-Effekt - Hanna Molden - Страница 8
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Vor ein paar Jahren, als mein Magazin noch tiefschwarze Zahlen schrieb, hatte man mich auf Reportage nach Südafrika geschickt. Es war dies der absolute Höhepunkt in meiner Laufbahn als Reisejournalistin gewesen. Im folgenden Text hatte ich unter anderem berichtet wie die Zulus, wenn es etwas zu besprechen gibt, im Kreis hocken, die Köpfe zusammenstecken und stundenlang quasseln, was die Indaba nennen. Gisi fand das urkomisch und bezeichnete unsere Treffen zum Zweck des Meinungs- und Neuigkeitenaustausches fortan als Indabas.
Dem mir Bevorstehenden sah ich mit äußerst gemischten Gefühlen entgegen. Ich fuhr am nächsten Morgen, nachdem ich meinem Chefredakteur zwei Urlaubstage abgerungen hatte. »Eine dringende Familienangelegenheit«, hatte ich gesagt und dabei nicht das Gefühl gehabt zu lügen. Es war Ende April, in Wien hatten die Forsythien bereits geblüht und der Flieder trug Knospen. In Tirol herrscht um diese Jahreszeit weder Winter noch Frühling, sondern Zwischensaison. In Kitzbühel waren die Hotels geschlossen. Die Ruhe bekam der Stadt.
Die Casa Urbanski liegt Wange an Wange mit anderen Ferienhäusern, weniger protzig als die meisten in der Nachbarschaft, Blick auf die würdevollen Kitzbüheler Kirchen. Viktor und Gisi hatten es vor zehn Jahren nach eigenen Entwürfen bauen lassen, zu einer Zeit, als sie die Hoffnung auf Kinder aufgegeben hatten und nur mehr im Hinblick auf die eigene Bequemlichkeit planten. Ich hupte, als ich vor dem Garagentor stand, Gisi öffnete die Haustür, nahm die Schwelle im Sprung und tänzelte heran.
Im Großen und Ganzen war sie das wohlproportionierte Püppchen von einst geblieben. Sie investierte einen Haufen Energie in ihre Kondition, joggte, strampelte sich am Heimtrainer ab und rannte auf allerlei Golfplätzen hin und her. Ihr naturgelocktes schwarzes Haar kannte ich nicht anders als sehr kurz geschnitten. Limettchen bezeichnete es als Persianerfell. Es begann silberne Federchen anzusetzen. Gisi hatte ihren Stil früh erkannt und war ihm treu geblieben. Ihre Farben waren Schwarz, Hellgrau, Schlamm und gebrochenes Weiß. Sie trug gerne Jeans und körpernahe T-Shirts oder Pullis. Ihre Rocklänge variierte praktisch nie, Gisis Säume verliefen stets einen Hauch unterm Knie. »Die menschliche Kniescheibe ist hässlich«, pflegte sie zu sagen, »die hat der liebe Gott verhunzt. Aber er hat mir schöne Beine geschenkt, der Gute. Es wäre nicht nur blöde, es wäre undankbar, wenn ich sie nicht zeigte.«
Sie trug Jeans und Sneakers und einen engen Rollkragenpulli. Auch ihre Taille war nicht mehr, was sie einst gewesen war, aber Gisi sah unglaublich jung und rosig aus. Sie lachte mir spitzbübisch entgegen, beugte ihren Kopf zum Wagenfenster herein und sagte grußlos: »Gestehe, Laura Wunder, der Viktor hat dich hergeschickt!« Ich öffnete den Schlag, stieg aus, streckte mich und sah zu ihr herunter. »Viktor ein bisschen, aber in der Hauptsache schicke ich mich selber.«
Ich bezog eines der Gästezimmer, hörte Gisi einen Stock tiefer in der Küche rumoren und fragte mich, ob der Buschmann sich im Haus befand. Eher nicht, die Türen zum ehelichen Schlafzimmer und zum anderen Gästezimmer standen offen, niemand war zu sehen, keinerlei auffällige Spuren fremder männlicher Präsenz zu entdecken.
»Wo ist er«, fragte ich, als wir in der Bauernstube des Hauses am Kachelofen saßen. Gisi lächelte verzückt, was ich albern fand.
»In München, er ist abends wieder da, du wirst ihn sehen. «
Es lag wohl an Gisis neuer Befindlichkeit, dass sich das Vertraute unseres Umgangs nicht gleich einstellte. Schließlich siegten dreiundvierzig Jahre gemeinsamer Vergangenheit.
»Und?«, fragte ich.
»Und was?« Sie grinste, schlang die Arme um ihre Knie und wiegte ihren Körper auf und nieder. »Ich bin verrückt nach dem Mann, Laura. Jede Minute mit ihm ist atemlose Hingabe.«
Jesus wie kitschig, dachte ich und wartete ab. Ich sah ihr an, dass sie über ihren Liebhaber sprechen wollte. Es würde nicht mehr lange dauern ...
Die Silvesterparty. Menschentrauben. Im Gewühl der hanseatische Handelsmann mit seinem Hausgast.
»Ben Willemars aus Namibia, Urbanskis aus Wien ...«
Im Gegensatz zu Viktor war Gisi von der Erscheinung des Großwildjägers hingerissen: »Er ist ein Naturereignis, Laura, wenn du ihn siehst, wirst du wissen, was ich meine.«
Ihr schwärmerischer Ton war mir peinlich.
»Inwiefern Naturereignis«, fragte ich nüchtern in der Hoffnung, auch sie zu ernüchtern.
Umsonst, sie zirpte fort: »Blonde Mähne, blaue Augen, braune Haut. Ein Kopf wie ein Löwe, ein Gesicht wie ein Adler, ein Meter achtundachtzig groß, blendend gebaut. Und sein Lachen, Laura, wenn er lacht, trifft es dich am Solarplexus.«
»Nicht mich, Gisi, dich«, scherzte ich matt, um den Gespräch aus dem Schwulst zu helfen. Auch das vergeblich, es kam noch schlimmer. Meine Gisi, meine geistreiche, literaturbesessene, kritische Gisi krönte die Beschreibung des Buschmanns mit dem unverzeihlichen Satz: »Er ist aus dem Stoff, aus dem Frauenträume sind.«
Die Sonne war gesunken, ehe ich alle wesentlichen Details der schmalzigen Affäre erfahren hatte: In der Silvesternacht hatte sich Gisi keine Gelegenheit mehr geboten, die Bekanntschaft mit Ben zu vertiefen. Viktor, der ein Formtief für seine traditionelle Neujahrsschitour befürchtete, bestand darauf, um ein Uhr morgens aufzubrechen. In den darauf folgenden Tagen hatte Gisi vergeblich gehofft, den Prachtmann auf irgendeinem Schihang, bei irgendeinem Drink, in irgendeinem Lokal wieder zu sehen. Am Dreikönigstag fuhr Viktor nach Wien zurück. Gisi blieb lustlos zurück, um das Haus zu versorgen. Sie hatte schon für die Heimreise gepackt, als Bekannte anriefen und sie zu einer nächtlichen Rodelpartie baten. An sich wollte Gisi nicht, sie ging natürlich doch und es erwies sich als wahres Glück, dass sie entgegen ihrer ursprünglichen Absicht den neuen schwarzen Overall von Bogner angezogen hatte, der wie eine zweite Haut saß. Denn wer stand in der Schihütte, in der man sich versammelte, am offenen Feuer? Kein anderer als der sinnenverwirrende Holländer.
Die Anziehungskraft war angeblich magnetisch gewesen. Sie gingen aufeinander zu, um nicht mehr voneinander zu lassen. Sie sprachen und lachten mitsammen wie alte Bekannte und tranken Schnaps um Schnaps. Tief blickte der weiße Jäger in Gisis schwarze Augen. Die Spannung, die zwischen den beiden geherrscht hatte, sei, Gisis eigenen Angaben zufolge, hochgradig erotisch gewesen. Der Mond stand hoch über dem Wald, als die Rodler starteten. Müßig zu sagen: der mit allen Wassern gewaschene Ben Willemars wusste es einzurichten, dass zwischen seinen (selbstverständlich langen starken) Schenkeln keine andere als die kleine Gisi Urbanski saß.
Gisi hatte stets Selbstironie besessen. Wo war sie geblieben, diese Tugend? Meine reife Freundin lispelte und lächelte in permanenter Verzückung.
»Er hat mich ganz fest an sich gedrückt, ich hab kaum Luft gekriegt, er ist unglaublich stark und muskulös und sein Brustkorb ist... ist ein Gedicht.«
Ich wollte ihr sagen, dass ich die Existenz lyrischer Brustkörbe bezweifelte, aber ich kam nicht dazu.
»Wir sind auf dem kleinen Schlitten gesessen, ich in seinen Armen und wir sind den Hohlweg hinuntergerast. Der Schnee war in meinem Gesicht und ich habe vor Vergnügen laut geschrien, ich habe ihn lachen gehört und ich habe ihn gerochen.«
Nicht auszuhalten! Gisi mein Alter Ego, was ist aus dir geworden?
Sie las meine Gedanken nicht, dümmlich lächelnd fuhr sie fort: »Wir kamen lange vor den anderen unten an. Es war ganz still um uns, ein kalter Wind wehte, aber mir war unglaublich heiß. Er hat mich vom Schlitten gehoben, als wäre ich ein Kind, und er hat mich in den Wald getragen und dann hat er mich geküsst ...«
Schluss jetzt! »Tarzan-Effekt, Amen«, sagte ich laut. Sie sah mich verständnislos an.
Die drohende Fortsetzung der Szene im Wald ersparte mir Viktor. Er rief an und wollte von mir wissen, ob ich seine Frau zur Vernunft gebracht hätte.
»In sechs Stunden? Ich bin kein Wunderrabbi. Lass uns in Frieden, Viktor, ruf nicht mehr an, ich werde mich bei dir melden.«
»Siehst du, so ist er«, klagte Gisi, als hätte nicht sie, sondern Viktor etwas ausgefressen.
Ich versuchte die Dinge zurechtzurücken: »Na hör mal, schließlich bescheißt du den Mann nach Strich und Faden, da wird er doch noch fragen dürfen ...«
Sie fiel mir scharf ins Wort: »Darf er nicht. Er hat mich nämlich x-mal beschissen und ich durfte nie fragen. Jetzt bin ich an der Reihe, und er soll den Mund halten.«
Darin lag eine gewisse Logik. Im Übrigen hatte Viktors Anruf bewirkt, was mir nicht gelungen war, er hatte Gisi ernüchtert. Sie kam bar jeder Romantik zum Kern der Sache: Die Rodler seien noch in eine Disko gegangen, Ben und sie hätten sich weggeschlichen, seien in das Haus der Urbanskis gefahren und dortselbst ohne Verzug mitsammen ins Bett gegangen.
An diesem Abend bot sich keine Gelegenheit mehr, mit Gisi über Viktor und die Zukunft zu sprechen. Um neunzehn Uhr läutete es an der Haustür. Gisi sprang auf.
»Das ist Ben!« Sie quiekte vor Glück und rannte hinaus. Ich hörte Lachen, dann war Stille. Dann Gemurmel. Und dann stand Ben in der Tür.
Heiliger Strohsack, sieht der gut aus! Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter galt Viktor: armer Viktor! Ben kam auf mich zu und sagte mit heiserer Robert-Redford-Stimme: »Hallo Laura, Gisèle hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«
Es war sein »Gisèle« — er sagte »Schisäl« — was meine Einstellung zu Ben Willemars entschied. Die änderte freilich nichts an der blendenden Erscheinung des Mannes. Gisis Beschreibung vom »Naturereignis Ben« traf doch ziemlich ins Schwarze. Und sein Lachen war in der Tat überaus gewinnend.
»Na?«, sagte Gisi, was wohl heißen sollte: Hab ich dir zu viel versprochen? Sie sah so stolz zu ihrem Liebhaber auf, als hätte sie ihn erschaffen. Ein gegensätzliches Paar. Der Altersunterschied machte sich im gedämpften Kunstlicht nicht bemerkbar. Und die beiden umfing derart viel Erotik, dass ich mich fehl am Platze fühlte.
»Hallo Benjamin«, sagte ich kühl.
Er lächelte freundlich. »Nicht Benjamin, ich bin Benvenuto. «
»Sind Sie sicher«, fragte ich doppelzüngig.
Der Wahrheit eine Gasse: Der Abend wurde wider Erwarten gemütlich. Ben hatte aus München Weißwürste und französischen Käse mitgebracht, Gisi tat einen bedenkenlosen Griff in Viktors Weinkeller, und ich fragte Ben hemmungslos aus. Er war kein sprühender Unterhalter, aber er erzählte unverkrampft.
Seine Eltern waren in Indonesien geboren und aufgewachsen, hatten ihr Leben lang unter der Sehnsucht nach den Kolonien gelitten und waren als Inhaber einer Handelsfirma rastlos um die Welt gereist. Ben war eher zufällig in Utrecht geboren worden und hatte nie länger in Holland gelebt. Er hatte die Ruhelosigkeit seiner Eltern im Blut, war eine Weile zur See gefahren, hatte sich als Tauchlehrer im Roten Meer, als Schilehrer in der Schweiz und als Rancher in Texas versucht, ehe er nach Namibia geraten war. Das Land hatte ihn derart fasziniert, dass er zu bleiben beschloss, zum Großwildjäger mutierte und bald darauf Besitzer einer Safari-Lodge geworden war.
Ein Abenteurer also. Als solcher sah er sich auch gerne. Verheiratet war er nie gewesen? Niemals, Gott bewahre, in näherer Zukunft sei damit auch nicht zu rechnen, welche Frau würde wohl im moskitoverseuchten Busch südlich der Etosha-Pfanne leben wollen? Ein Blick auf Gisi genügte, ich hätte ihm eine nennen können.
Sie hatte ihn während unseres Gesprächs mit den Augen verschlungen. Kein Hauch von Kritik, kein Schatten Ironie, kein Quäntchen Skepsis, was immer er sagte. Gegen zweiundzwanzig Uhr wurde sie unruhig. Sie sah wiederholt auf die Uhr, zwinkerte Ben, der sich behaglich in Viktors Ohrenstuhl rekelte, beschwörend zu, schließlich stand sie auf und sagte rundheraus: »Ben und ich gehen jetzt. Ich begleite ihn in sein Quartier, warte nicht auf mich, Laura, es wird spät werden.«
Wenigstens besaß sie den Anstand, zum Vögeln aus dem Haus zu gehen. Die Wände, die Viktor Urbanski um teures Geld hatte errichten lassen, waren wohl für die Liebesspiele seiner Frau mit Tarzan nicht ausreichend schallgedämpft ... Das war übrigens der einzige Gedanke, den ich an den armen Viktor und meine Mission verschwendete. Ich lag wach und stellte mir vor, wie Gisi und der athletisch gebaute Benvenuto sich ineinander verstrickten. Ob er sie liebte? Also mit Sicherheit begehrte er sie... Dass so etwas möglich war, in unserem Alter, mit einem Mann seines Zuschnitts. Ben war weder ein unreifer Knabe, noch einer jener geilen Knacker, die nehmen, was ihnen in die Finger kommt. Dass sie im Stande war, mit ihren fünfundvierzig Jahren einen virilen Mittdreißiger derart zu fesseln, das machte irgendwie zuversichtlich. Denn gefesselt musste er wohl sein, oder? Immerhin loderte die Leidenschaft, wenn man Gisis Angaben folgte, auf beiden Seiten und das bereits vier Monate in Permanenz.
Was mich schließlich doch auf Viktor brachte. Morgen würde ich Gisi ins Gewissen reden. Sie fragen, wie sie sich die Zukunft vorstellte. Doch nicht in Namibia? Und schon wieder war ich in Gedanken bei meiner besten Freundin und ihrem Liebhaber. Als ich sie leise nach Hause kommen hörte, war es vier Uhr morgens. Eins zu null für Tarzan. Ich kann nicht behaupten, dass ich traumlos schlief.
Ben tauchte gegen Mittag auf. Er roch nach Zahnpasta und herbem Rasierwasser und verströmte Jugend, Kraft und Frische. Gisi und ich waren eben aufgestanden. Das Licht des wolkenlosen Tages bekam unseren zerknitterten Gesichtern nicht. Ben schien sich nicht daran zu stoßen. Er trat hinter Gisi, fasste sie um die Taille und küsste sie genussvoll auf den Nacken. Der Anblick versetzte mir einen Stich. Ich schob das auf die Tatsache, dass ich den Austausch von Zärtlichkeiten vor Dritten grundsätzlich ablehne.
»Nun meine Schönen, was machen wir mit dem prächtigen Tag«, fragte Ben. Er sagte »prachtach«, sein holländisch gefärbtes Deutsch mit den vielen Kehllauten besaß einen Charme, auf den ich abfuhr. Das Grundsatzgespräch mit Gisi würde warten müssen, ich zog mich eilends an, gab mir Mühe, die Spuren der Nacht aus meinem Gesicht zu tilgen und brach mit einem Gefühl vager Erwartung zum Spaziergang, den Ben vorgeschlagen hatte, auf.
Wir wanderten um den Schwarzsee. Ben ging mit weit ausholenden, federnden Schritten dahin, Gisi musste hurtig trippeln, um auf gleicher Höhe mit ihm zu bleiben, ich hielt mühelos mit ihm Schritt. Ich war entspannt, es war angenehm auf dem weichen Boden neben Ben einherzugehen. Er sprach wenig, er nahm wahr wie ein Jäger, seine hellen Augen unter den dichten ausgebleichten Brauen richteten sich aufmerksam auf alles was die Natur ihnen bot.
»Ein tolles Gebirge.« Er deutete auf den Wilden Kaiser. »Hier müsste man klettern. Vielleicht komme ich im Sommer wieder.«
Gisi hakte einen Finger in seine Gürtelschlaufe und zerrte daran. »Du musst, Ben, du musst!«
Weil mir das peinlich war, fragte ich wie ein Grenzer, der ein Visum kontrolliert: »Wie lange werden Sie noch in Österreich bleiben?«
Ben grinste mich an. »Es ist absehbar. Ich war länger vom Camp fort, als ich beabsichtigt hatte.« Seine Hand strich über Gisis Wuschelkopf, lag einen Augenblick auf ihrem Nacken, glitt über ihren Rücken und streifte scheinbar absichtslos ihren Po.
Da weit und breit kein Gasthaus geöffnet war, schlug Ben vor, sich in das Haus des Hanseaten zu verziehen, auf der Terrasse in der Sonne zu liegen und ein Glas Champagner zu trinken. Der Hausherr? Sei nicht da, niemand außer Ben sei da, er habe das Haus für sich. Es handelte sich mit Sicherheit um das teuerste Haus, in das Laura Wunder ihren Fuß jemals gesetzt hatte. Kupfer auf dem Dach, elektronische Kontrolle an den Eingängen, Wohnräume mit viel Zirbelholz, Muranoglas, Seidenvorhängen und Daunensofas, Marmorklos und Bauernschränken, gotischen Heiligenfiguren und einem Andy-Warhol-Porträt, das die abwesende Hausfrau darstellte.
Aber die Terrasse war die reinste Wonne. Sündhaft gute Liegestühle. Blick auf die anmutigen Kitzbüheler Grasberge. Roederer brut in schlanken Gläsern. Benvenuto hatte seinen Liegestuhl zwischen Gisis und meinen geschoben. Er war mir so nahe gerückt, dass ich die Wärme seines Körpers spürte. Er hielt die Augen geschlossen und lächelte. Wir schwiegen in Behagen und tranken und seufzten leise im Bewusstsein der Leichtigkeit des Augenblicks.
Ich hörte Ben lachen, öffnete die Augen und sah zu ihm hinüber. Seine rechte Hand streichelte Gisis nackten Arm, er flüsterte ihr etwas ins Ohr, und sie kicherte. Er wandte sich zu mir. Er sah mir in die Augen, während sein ausgestreckter Zeigefinger sehr leicht, sehr langsam die Innenseite meines bloßen Unterarms aufwärts glitt. Vom Handgelenk bis in die Beuge, zurück und wieder aufwärts, hauchzart, eine Liebkosung. »Geht es dir gut, Laura?«, fragte er leise. Seine Stimme raschelte wie Rohr im Wind.
Ich bin nicht von gestern. Ich begriff, dass ich mich am Rande einer Schloss-Gripsholm-Situation befand. Es gab haufenweise Analogien, abgesehen von der entscheidenden, dass Ben der Liebhaber meiner besten Freundin war. Nie zuvor war ich in einer ähnlichen Lage gewesen. Bens keinesfalls absichtslosen Finger streichelten Gisi und mich. Leichte Gänsehaut und unwillkürliches Anspannen der Bauchmuskulatur, angespanntes Warten auf das unbekannte Nächste ...
Ich bin ein wortabhängiger Mensch. Wenn das richtige Wort gefallen wäre, hätte ich mich der Situation möglicherweise ergeben.
»Bleibe heute hier, Laura, bleibe noch ein paar Tage bei Schisäl und bei mir«, schnurrte Ben und seine hellen Augen wurden einen Hauch dunkler, als er in die meinen blickte.
»Schisäl« fand ich bekanntlich lächerlich. »Bleiben« assoziierte ich mit »Abreise«. Die Redaktion fiel mir ein und gleich darauf Viktor. Ich hob meinen Arm, Bens zärtlicher Finger glitt ins Leere, ich fuhr mit beiden Händen durch mein Haar und stand auf. »Keine Chance, Benvenuto. « Ich lächelte auf ihn hinunter, er lächelte zurück, ganz so, als wollte er sagen: einen Versuch war es wert.
Gisi nickte gottergeben, als ich unser Gespräch einmahnte. Sie war erleichtert, als sie hörte, dass ich vor dem Dunkelwerden abreisen würde. Es war vierzehn Uhr, als Ben uns mit dem Wagen zu Urbanskis fuhr. Wir verabschiedeten uns vor der Haustür.
»Du gefällst mir, Laura«, sagte er sanft und sah mir in die Augen.
Ich zuckte mit den Achseln und reichte ihm die Hand. Er schob sie beiseite, ergriff mit beiden Händen meinen Kopf und küsste mich fest und lange auf den Mund. Mit diesem einen, keineswegs unkeuschen Kuss brachte er es zu Wege, mich wissen zu lassen, was ich versäumte, indem ich ging.
Wieder saßen wir am Kachelofen. Gisi hatte Kaffee gekocht, sie war fahrig, ich war aufgewühlt, weder sie noch ich wussten, wie wir beginnen sollten. Ich drehte die Zipfel des Tischtuchs zu Röllchen und sah Gisi zu, die mechanisch in ihrem ungesüßten Kaffee rührte. Jetzt ein Tschik, dachte ich sehnsüchtig... In einer konzertierten Aktion hatten wir beide vor ein paar Jahren das Rauchen gelassen, ich unter Qualen und Jammern, Gisi mit der forschen Entschiedenheit, mit der sie Beschlüsse durchzuziehen pflegte.
Mit einem Ruck schob sie die Tasse von sich, der Kaffee schwappte über den Rand, sie drosch ihre kleinen Fäuste auf den Tisch und sagte heftig.
»Frag mich nichts, Laura! Frag weder ›wer‹ noch ›wie‹ noch ›was‹ noch ›wann‹, weil ich dir auf nichts eine Antwort geben kann.«
Ich ließ das Tischtuch los und wartete. Gisi nagte an ihrer Nagelhaut. Nachdem sie das Abgebissene beiseite gespuckt hatte, schien sie gefasster.
»In zwei bis drei Wochen fährt er nach Namibia«, sagte sie leise, »ich habe nicht die blasseste Ahnung, was ich dann tun werde.«
»Warum fährst du nicht mit ihm«, fragte ich vorsichtig.
»Er hat mich bis jetzt nicht darum gebeten.«
»Und was ist mit Viktor?«
»Viktor, Viktor ...«
Sie schüttelte den Kopf, ihre Gedanken waren offensichtlich nicht bei Viktor, ich hingegen hatte endlich wieder meine Mission im Sinn.
»Hör mir zu, Gisi«, bat ich. »Du bist seit siebzehn Jahren mit Viktor verheiratet. Er hat ein Recht darauf, dass du dich mit ihm und mit eurer Zukunft auseinander setzt.«
»Recht, Recht ...! Viktor hat überhaupt kein Recht.«
Sie funkelte mich böse an. »Viktor hat mich öfter betrogen, als irgendjemand ahnt.«
Ich wollte sagen, dass ich das für übertrieben hielt, aber sie schnitt mir das Wort ab.
»Nein, Laura, auch du hast nicht alles gewusst. Er hat mich nach Strich und Faden beschissen. Ich habe den Mund gehalten, weil ich nicht bedauert werden wollte. Mein Stolz war sowieso am Sand und mein Selbstwertgefühl am Hund ... Oh, ja, er hat es sehr geschickt gemacht, außer mir hat kaum jemand etwas bemerkt, aber mich hat er damit so sehr gedemütigt ... Die Letzte war zur Abwechslung wieder mal eine Krankenschwester. Die Affäre ging erst knapp vor Weihnachten zu Ende.« Sie blies die Luft aus wie nach einer körperlichen Anstrengung.
Ich war verdattert. Zum zweiten Mal innerhalb von achtundvierzig Stunden musste ich feststellen, wie wenig ich von dem Menschen, der mir nach meiner Tochter am nächsten stand, tatsächlich wusste.
»Gisi ...« Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie, Gisi machte sich rasch los.
»Viktor ist total unsensibel. Er hat vier Monate lang nicht bemerkt, dass ich mit einem anderen Mann schlafe. Vielleicht wollte er es auch nicht merken. Wie ein Elefant ist er in dieser Nacht nach Ostern hereingetrampelt... «
Ich räusperte mich. »Also bitte, immerhin ist es sein Haus ...«
»Es ist auch meines, Laura«, sagte sie.
»Weißt du, warum er einer Konfrontation mit Ben aus dem Weg gegangen ist? Weil er Angst hatte, dass etwas an die Öffentlichkeit dringen könnte und sich die Leute die Mäuler zerreißen würden. Die Leute und sein Image! Viktor ist eitel wie ein Gockel.«
Ich war fassungslos. »Ich dachte, du liebst ihn, du stehst zu ihm...«, stotterte ich, »ihr seid doch ein Paar, es ist doch wundervoll, paarweise zu leben, so sicher und geborgen ...«
»Du und deine ewige Sicherheit.« Ihr Ton klang verächtlich. »Glaub mir, Laura, Sicherheit ist nichts, Abenteuer ist alles. Wenn du dich nicht bald ins Abenteuer stürzt, wirst du vor der Zeit vertrocknen.« Ihre Augen glitzerten, ihre Stimmung schlug um: »Du machst dir keine Vorstellung, wie es ist, mit Ben zu schlafen. Eine Offenbarung!« Sie lächelte genüsslich, Einschlägiges offensichtlich vorm inneren Auge, ehe sie fortfuhr: »Du weißt, dass ich in der Zeit vor Viktor kein Kind von Traurigkeit war. Mit Viktor habe ich fast vergessen, was guter Sex ist. Viktor setzt Speck an und rollt sich, wenn’s hoch kommt, einmal im Monat über mich. Ben ist jung und glatt und feurig, er...«
Ich hob abwehrend die Hand, ich spreche nicht gern über Sex. »Bitte Gisi«, sagte ich, »so genau will ich es nicht wissen.«
»Okay, lassen wir’s.« Sie lachte wieder, diesmal ein wenig herablassend. »Du warst ja schon immer etwas prüde.«
Dann stand sie auf. Offenbar hielt sie das Gespräch für beendet.
»Und was soll ich Viktor sagen«, fragte ich.
Sie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich weiß ja selbst noch nicht, wie es mit mir weitergeht. Vielleicht steige ich aus, fange neu an in einem fremden Land, möglichst weit weg von hier.«
Ihre letzten Worte ließen die Egoistin in mir aufhorchen. Ohne Gisi wäre ich verloren ... »Du hast sie nicht alle! Das kannst du nicht! Wenn du schon nicht an Viktor denkst, denk wenigstens an deine Eltern.«
Die alten Millers leben in einem Seniorenheim bei Salzburg, Hand in Hand, Philemon und Baucis, es würde sie sicher verstören, wenn ihre Tochter noch einmal aus ihrer gesicherten, bürgerlichen Existenz ausbräche ...
Gisi stand am Fenster, sie hatte mir den Rücken zugewandt und trommelte mit den Fingern an die Scheibe.
»Wie hast du die Ehe deiner Eltern genannt? Das Turteltaubennest ... Meine Eltern sitzen erst jetzt, im Alter, im Turteltaubennest. Sie sind total aufeinander bezogen. Was ich tue und lasse, berührt sie in Wahrheit nicht.« Sie wandte sich zu mir. »Aber Viktor und ich, Laura, wir saßen nie im Turteltaubennest und wir werden nie drin sitzen. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn wir Kinder gehabt hätten.«
Es war klar, dass das Thema aufkommen würde: Gisi und Viktor hatten sich in den ersten Jahren ihrer Ehe verzweifelt abgemüht, ein Kind zu produzieren. Es stellte sich heraus, dass Gisi infolge einer verpfuschten Abtreibung praktisch gebärunfähig geworden war, es würde an ein Wunder grenzen, meinten die Ärzte, wenn sie tatsächlich schwanger würde. Es ist mir gut in Erinnerung geblieben, wie Viktor sich damals gebärdet hatte. Er führte sich auf, als hätte sie ihn um ein ihm zustehendes Recht geprellt. Es fielen böse Worte. Irgendwann warf Gisi ihm an den Kopf, dass die Ärzte eine Schwangerschaft in ihrem Falle ja nie ganz ausgeschlossen hätten, vielleicht liege es an Viktor, vielleicht sei er außer Stande sie zu schwängern. Viktor war tief getroffen gewesen, er wollte den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und unterzog sich den einschlägigen Tests. Zu seiner und Gisis Bestürzung stellte sich heraus, dass er, möglicherweise auf Grund einer Infektionskrankheit in der Pubertät, in der Tat zeugungsunfähig war.
Plötzlich kicherte Gisi wie ein Kobold. »Vielleicht werde ich schwanger von Ben. Das wäre ein Gag!«
Absurder Gedanke! »Sei nicht blöd, mit fünfundvierzig, du bist doch schon im Wechsel.«
»Bin ich nicht«, trumpfte Gisi auf. »Und selbst wenn — wird’s halt ein Wechselbalg.«
Solche Scherze mag ich nicht, es heißt den Teufel an die Wand malen. »Dein Tarzan hat dich um den Verstand gebracht«, schnauzte ich sie an. »Nicht auszudenken, wenn das wirklich passierte. Was würdest du denn tun?«
Gisi wedelte mit der Hand durch die Luft und tat, als müsse sie überlegen. Dann sagte sie, als hätte sie die Frage ein für alle Mal entschieden. »Alles hinschmeißen. Zu Ben gehen. Schwanger oder nicht, ich denke, ich werde in jedem Falle zu Ben gehen. Für diesen Mann lohnt es sich, alles hinzuschmeißen.«
Meine Mission drohte zum lupenreinen Rohrkrepierer zu entarten, ich musste gegensteuern, aber es fiel mir nichts Besseres ein als ein hilfloses: »Das würdest du nicht tun, so unbesonnen würdest du nicht handeln, dazu bist du nicht fähig!«
Gisi trat an den Tisch. Sie stützte beide Hände auf, beugte sich vor bis ihr Gesicht dicht vor meinem war und sah mich mutwillig an. »Lauraliebchen, du weißt, dass ich dazu im Stande bin. Ich habe es schon einmal getan. Hast du es vergessen?«