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Kapitel 7

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Deutsche Sprache, schwere Sprache

Schwitzend stand Judith an der Tafel und listete die untrennbaren Präfixe auf. Miß-emp-ver-be-ge-zer- .... welche fehlten denn wieder? Wer konnte denn schon diese blöden Präfixe isoliert auswendig lernen? Nicht einmal sie….wie hieß neulich dieser praktische Merksatz, den sie von einer Kollegin bekommen hatte? Richtig – das Hausbeispiel. Schnell skizzierte sie ein Haus, in dem oben eine Miss Beer wohnt. Unten wohnt ein Geemp Entzer. Beide sprechen englisch, daher: Miss Beer versteht Geemp Entzer. Strahlend verkündete sie ihrem Schüler den Merksatz.

Frau Pöppel-Nirmalathasan hatte dieses Mal die Einstufung richtig durchgegeben. Herr Barbieri, ein etwa 30 jähriger dynamischer Italiener, war tatsächlich Grundstufe, wenn auch eher untere als obere.

“Iche breche die Unterrichte unter, Signorina. Ich brauche Kaffee. Gibt es auche Cappuccino ?”

“Herr Barbieri, das heißt: Ich unterbreche den Unterricht. Es gibt Präfixe, die sind trennbar und untrennbar, dazu gehört auch unter.”

“Madonna mia, dieses Deutsche! Wissen denn die deutsche Leute alle die Präfixe?”

Nicht mehr, wenn man wie ich derzeit 6 Unterrichtseinheiten täglich solch ein entsetzliches Kauderwelsch hört, dachte Judith.

“Cappuccino haben wir hier leider nicht. Nur Kaffee oder Tee. Was möchten Sie?”

“Forse parliamo italiano. Dopo tre ore di tedesco ho bisogno di riposo.

A proposito, Signorina, mi potrebbe ricommandare un negozio

d´abbigliamento? Ho bisogno di un completo elegante.” (1)

Ja, natürlich konnte Sie da ein Geschäft empfehlen.

“Vada da “All about Adam” nella Klenzestraße. Forse è un po stravagante , ma communque ci provi !”(2)

Allmählich wurde ihr der Unterricht etwas zuviel. Nach 2 Wochen war das sogenannte kritische Stadium erreicht. Entweder man trat in die nächste, unweigerlich etwas persönlichere Phase ein oder man versuchte meist krampfhaft, eine distanzierte Ebene aufrecht zu erhalten.

Beide waren sie ungebunden und eine gewisse gegenseitige Sympathie war nicht zu leugnen. Sie hoffte, bald auf der institutsinternen Leiter so weit aufzusteigen, dass sie einen der begehrten Superintensivkurse bekommen würde. Das waren zweiwöchige Intensivkurse mit täglich 4 Unterrichtsstunden – irgendwie überschaubarer. Da hing man dann energetisch nicht so drin und konnte die Leute untereinander beschäftigen. Diese Individualkurse kamen ihr manchmal wie eine alchimistische Retorte vor: Zusammengepfercht in einem kleinen Zimmer, kamen die beiderseitigen persönlichen Schwächen und Stärken schnell zutage. De facto müsste man für ein längeres Individualtraining einen psychotherapeutischen Stundensatz von 140.-DM verlangen können. Auf dieser Basis sähe doch manches gleich ganz anders aus.

Seufzend wurde sich Judith mal wieder des Problems bewusst, dass sie noch immer nicht den Dreh rausgefunden hatte, auf angenehme Weise ausreichend Geld zu verdienen. Bezeichnenderweise waren nämlich der Großteil der Deutschtrainer Frauen. Die wenigen Männer waren entweder Luschen, die es sonst zu nichts gebracht hatten oder schafften es schnell, diesen Bereich als Sprungbrett für ihre eigenen Interessen zu gestalten. Wenn Sie nur an Hugo dachte. Kaum hatte er ein halbes Jahr unterrichtet, druckte er großkotzig Hochglanzprospekte und machte als "hochqualifizierter Motivationstrainer" bei Münchner Firmen Werbung. Dabei bestand die "Qualifizierung" anzuwenden in nichts anderem als darin, einige Techniken aus der Urschreitherapie anzuwenden, die er wenige Wochenenden zuvor als hochbedürftiger Klient in Anspruch genommen hatte. Sein "Geheimrezept", das er mal Judith während eines längeren Kneipenabends anvertraut hatte: "Wenig Aufwand, viel Effekt ". Er stand dann jeweils 2 Wochen lang jeden Morgen inmitten der Großraumbüros und ließ die Mitarbeiter meist amerikanisch oder japanisch geführter Firmen 20 Minuten lang brüllen "Wir sind die Größten". Angeblich sollte das auf den Geschäftsumsatz einen positiven Einfluss haben ......

Ein anderes, beeindruckenderes Beispiel war Lutz, ein Cousin von Judith. Lutz hatte auch irgendwann begonnen, in Konstanz Deutsch für Ausländer zu unterrichten, weil er sich nicht damit abfinden konnte, den ganzen Tag in "irgendeinem Mischtlade zu verbringe, die einen eh nur verwurschte wellet." Er hatte in Tübingen Archäologie studiert und zog dann zum Bodensee in die Nähe von Hagenau. Dort ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach, auf einer unter einem Apfelbaum aufgestellten Bank zu sitzen und nachdenklich über den See zu blicken, wenn er nicht gerade in ein religionsphilosophisches Buch vertieft war oder seiner zweiten Leidenschaft frönte, dem Tüfteln und Basteln. Der Beschaulichkeit drohte ein vorläufiges Ende, als seine Freundin Marita, eine vom Ehrgeiz besessene Betriebswirtschaftlerin, Zwillinge erwartete und begann, auf Lutz Druck auszuüben, er solle gefälligst mehr arbeiten, um seiner Familie ein Häusle mit Gärtle zu ermöglichen. Lutz geriet in Panik – so hatte er sich seine Zukunft nicht vorgestellt: Der "Verwurschtungsmaschinerie" Festanstellung zu entgehen, um dann in die Krallen einer fordernden Partnerschaft zu geraten.

Judith, die sich in dieser Zeit gerade von ihrem spießigen Freund getrennt hatte, leistete ihm astrologischen Beistand, indem sie ihm einige Passagen aus den Büchern des bekannten Münchner Astrologen Döbereiner schickte, die auf Lutz eine regelrecht aufweckende Wirkung hatten.

Döbereiners Aufforderung an die Männer, den eigenen Ursprung, die eigene Originalität, sprich den Uranus zu leben auch gegen soziale Anpassungsforde-rungen, weckte in ihm den Impuls, seinen längst gehegten Traum zu realisieren – zu Fuß nach Italien über die Alpen zu wandern. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, zog er los und monatelang wusste niemand, wo er abgeblieben war. Er hielt sich in Tessiner Bergdörfern auf, half hie und da auf Bauernhöfen aus und irgendwann in dieser Zeit kam er auf eine zündende Idee, die er nach seiner Rückkehr erfolgreich realisierte. Er gründete das "Studio für experimentelle Ethik" und gestaltete ein Spiel, das sich innerhalb kürzester Zeit – nicht zuletzt wegen der heftigen kirchlichen Proteste – zu einem Renner entwickelte. "Nagle dir deinen Herrgott selber ans Kreuz" hieß das "psychotherapeutisch autodidaktische Spiel auf dem Markt, mit dem sich jeder seiner eigenen Glaubenssätze bewusst werden konnte, die ihn an einem guten Leben hinderten". Er entwickelte mehrere Modelle, eine einfache in Sperrholz oder die luxuriöse Version aus Eichenholz und vertrieb seinen Hit über das Internet. Einige progressive Institute zählten bald zu seinen Kunden und man munkelte , dass sogar Bestellungen aus dem Vatikan eingegangen waren. Mittlerweile saß Lutz wieder mindestens den halben Tag auf seiner Lieblings-bank und blickte lächelnd über den Bodensee, während er den anderen halben Tag Bestellungen aufnahm.

Und wo ist mein Uranus, mein geniales Einfallspotential? Dieser Obermacho von Döbereiner bestritt doch glatt, dass Frauen ein solches Potential überhaupt hatten! In diese Gedanken verloren raste Judith mit dem Fahrrad fast in eine Absperrung gegenüber der Post am Max-Joseph- Platz, die neben einem früheren Telefonhäuschen angebracht war. Statt des Telefonhäuschens ragte jetzt eine sterile, unbedachte Säule mit Telefonmöglichkeit in den regenschwangeren Himmel. Verduzt nahm Judith das neue Telekom-Event in Augenschein. Das gibt´s ja nicht! Bei Ron Sommer scheint es nie Winter zu werden. Klar, bei diesem Gehalt wär ich im Winter auch nicht im nasskalten Deutschland. Mit viel Geld werden dringend benötigte Telefonzellen abgebaut, um dann wiederum mit dem Geld der Telekomaktionäre diese unpraktischen Säulen aufzubauen. Auch eine Geschäftsidee- zur Anheizung des Handykonsums!

Übersetzung des italienischen Teils:

"Sprechen wir lieber Italienisch. Nach drei Stunden Deutschunterricht brauche ich eine Ruhepause. Übrigens, könnten Sie mir ein Männerbekleidungsgeschäft empfehlen? Ich brauche einen eleganten Anzug."(1)

"Gehen Sie zu "All about Adams" in der Klenzestraße. Vielleicht ist das Geschäft etwas extravagant, aber probieren Sie´s einfach !"(2)

Das Paradies hat einen Namen

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