Читать книгу Das Paradies hat einen Namen - Hanna Perlmann und Ilonka Svensson - Страница 11
Kapitel 8
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In diese Gedanken versunken radelte Judith über den Marienplatz und blieb in einem Pulk hängen. Hier demonstrierten etwa 40 Schwule und Lesben in dunklen Anzügen vor dem Rathaus. Auf Schildern waren Slogans wie "Schwarze Politik verhindert Rosa Liebe" zu lesen. Sie wollten damit ihrem Eilantrag Nachdruck verleihen, den sie beim Bundesverfassungsgericht gestellt hatten.
"Ja, Horst, na so was?! Der Kollege vom Lessing Kolleg, auch unterwegs ? “
Der sonst eher blasse und zurückhaltende Horst schrie aufgebracht im Chor: "Alle dürfen, nur wir nicht."
Judith unterbrach ihn lachend. "Zahl du bei unserem tollen Stundenlohn erst mal Unterhalt nach einer Scheidung – spätestens dann findest du die Legalisierung auch nicht mehr so toll !”
“Mensch Judith, alles eine Frage des Vertrags! Und Alimente fallen eh weg.”
Hinter dem Alten Rathaus hatte sie endlich freie Fahrt Richtung Viktualienmarkt, auf dem sie noch ihre Gemüseration besorgen wollte. Anfangs konnte sie diesem berühmten Flecken im Herzen von München nicht so viel abgewinnen und musste ausnahmsweise dem Lokalpatriotismus ihrer badischen Landsleute Recht geben: Was war schon dieser Marktflecken im Vergleich zur mittelalterli-chen Atmosphäre des Freiburger Münsterplatzes . Auch rein preislich gesehen lagen Welten dazwischen. Auf der einen Münsterplatzseite waren viele Bauern-stände aus dem Freiburger Umland, bei denen man günstig die benötigten Waren erstehen konnte. Der Viktualienmarkt hingegen- die reinste Apotheke! Alteingesessene bayerische Händler behaupteten über Generationen ihre Stellung und raunzten oft dementsprechend barsch die Kunden an.
“Den lassen´s fei liegn!”, wurde Judith einmal angegangen, als sie einen Apfel kritisch befühlte. Ohne Kommentar war sie damals einfach weitergeschlendert
und hatte schließlich einen niederbayerischen Gemüse- und Obsthändler entdeckt. Seine zuvorkommende Schlagfertigkeit und humane Preispolitik hatten sie davon überzeugt, dass selbst auf dem Viktualienmarkt das Einkaufen Spaß machen konnte. Auch heute kaufte sie dort wieder ein Kilo niederbayerischer Äpfel und bekam obendrein noch 3 Karotten geschenkt.
"Mensch Judith, kaufst du hier auch ein?” Hinter ihr stand Johanna, eine Kollegin aus dem Lessing Kolleg.
“Kommst du heute abend zur Aktion Butterbrot ?”
“Heute kann ich leider nicht. Ich ruf dich morgen an, um zu hören, wie es gelaufen ist.".
Die Aktion Butterbrot nahm sich der inzwischen bedrohlichen Situation für freiberufliche Lehrer an. Um die marode Rentenkasse zu füllen, hatte die Bundesregierung ein verstaubtes Gesetz aus dem Jahr 1913 ausgegraben, laut dem Hebammen, Boxer, Seelotsen und eben auch freiberufliche Lehrer rentenversicherungspflichtig sind. Dieses Gesetz löste bei vielen Sprachinstituten und bei allen freiberuflichen Lehrern Panik aus. Bedeutete es doch nichts anderes als den existenziellen Kollaps. Wie sollte man bei den eher mageren Stundenhonoraren zusätzlich Hunderte von Mark monatlich berappen, um Jahrzehnte später eine sowieso geringe und aller Voraussicht nach ungesicherte Rente zu erhalten? Judith kochte jedesmal, wenn sie an diese Ungerechtigkeit dachte .
Andere verschleudern Milliarden und werden dafür mit Millionenabfindungen belohnt, unsereins schuftet redlich und wird ausgepresst. Durchgeknallte Modells lassen sich in Besenkammern schwängern und haben ausgesorgt, während ich noch abends unbezahlten Vorbereitungsdienst schiebe. Irgendwie stimmt was nicht! Ein Arm schob sich vor ihr Fahrrad und hielt ihr einen Zettel vor die Nase:
“Schrannenhalle – Münchens neues Millionenloch. Bürgerbegehren formieren, Politiker attackieren!”
” Tut mir leid, das interessiert mich im Moment überhaupt nicht!”
Sollten sie doch aus der Schrannenhalle ein Franz-Joseph-Strauß-Memorial machen, grad wurscht wär´s ihr.